Garnisonkirche & der Geist von Potsdam

Frank Göse

Am 1. August 1951 wurde die Potsdamer Bevölkerung Zeuge eines etwas skurril anmutenden Schauspiels am Havelufer, unweit des halb zerstörten Stadtschlosses: Eine Gruppe von FDJlern hatte einen mit Parolen beschrifteten Sarg vorbereitet und mit Steinen gefüllt. Metaphorisch sollte hier der Geist von Potsdam in der Havel ertränkt werden (Abb. 1). Doch eine noch so ausgeklügelte Dramaturgie konnte letztlich nicht die physikalischen Gesetzmäßigkeiten aushebeln. Nachdem der Sarg im Wasser eingetaucht war, stellte dieser sich steil auf, so dass die Steine herausfielen. Gelächter kam bei etlichen der anwesenden Zuschauer auf, bei dem – je nach politischem Standort – eine Mischung aus Amüsement über das Ungeschick der jugendlichen ›Geisterjäger‹ und Häme über das Fehlschlagen dieser von den Repräsentanten der neuen Macht initiierten politischen Aktion Pate gestanden haben dürfte.

Diese symbolische Abrechnung mit dem alten Geist von Potsdam war natürlich eingebunden in die sich damals immer schärfer abzeichnenden Frontstellungen. Denn eine der auf dem Sarg zu findenden Aufschriften »Hier ruhen die letzten Hoffnungen der Kriegsbrandstifter auf einen alten Geist von Potsdam« konnte unschwer als Teil der tagespolitischen Polemik gegen die Entwicklungen im anderen deutschen Staat gelesen werden, in dem man einen Hort der Restauration der alten Mächte glaubte sehen zu müssen.

Es blieb jedoch nicht bei solchen mehr oder weniger gelungenen Formen der Bekämpfung des ›alten‹ Geistes von Potsdam. Schließlich lagen in Sichtweite jene beiden, das Potsdamer Stadtbild über zwei Jahrhunderte hinweg bestimmenden Bauten, die von einigen Zeitgenossen als steinerne Zeugen des umstrittenen Geistes von Potsdam angesehen wurden: das Stadtschloss und die Garnisonkirche. Beide – das im Krieg schwer zerstörte und in den 1950er Jahren von der Bevölkerung zunehmend als Steinbruch genutzte Schloss und die zwar auch beschädigte, jedoch in einem wesentlich besseren baulichen Zustand erhaltene Hof- und Garnisonkirche – wurden dann im Verlauf der 1960er Jahre abgetragen beziehungsweise gesprengt. Und beide Bauwerke waren es, deren Restauration nach der Wiedervereinigung 1990 in den Fokus der städtebaulichen Neuordnung gerieten und auf Grund ihrer identitätsstiftenden Bedeutung eine vergleichsweise intensive und öffentlichkeitswirksame Diskussion auslösten.

Beide Bauten entsprangen zwar derselben Epoche der Potsdamer Stadtgeschichte und galten als originäre Schöpfungen der brandenburgisch-preußischen Monarchen, jedoch sich in ihrer langfristigen Funktion als Erinnerungsorte schon Unterschiede, die auch auf die Debatten in der jüngsten Vergangenheit nachwirkten. Während die Pläne zum Wiederaufbau des Stadtschlosses allenfalls mit dem Argument einer einseitigen Fokussierung der baulichen Gestaltung Potsdams auf seine einstige Barockarchitektur bekämpft wurden, geriet die Auseinandersetzung über den Wiederaufbau der Garnisonkirche in ungleich stärkerem Maße zu einem gewichtigen und überaus kontrovers geführten Diskurs. Dies hing in erheblichem Maße damit zusammen, dass diese Kirche in ihrer Wahrnehmung auf eine – im Vergleich zu ihrer fast 250jährigen Existenz – wesentlich kürzere zeitliche Wirkung beschränkt wurde. Dadurch avancierte sie zu einem scharf konturierten Erinnerungsort, der im Übrigen weit über die Potsdamer Geschichte ausstrahlte.

Es erscheint angesichts der sich im erbitterten Pro und Contra ergehenden Auseinandersetzungen über das ›Ob‹ und das ›Wie‹ des Wiederaufbaus der Kirche nicht ganz einfach, konzise nachzuzeichnen, welchen Wahrnehmungsmustern diese in den verschiedenen Epochen ihrer Existenz unterlag. Weniger geht es hier also um die nach Expertenurteil durchaus beachtliche Bedeutung dieses Sakralbaus im Gesamtspektrum der Kirchenarchitektur als um ihre Wirkungsgeschichte, die untrennbar verbunden erschien und erscheint mit dem sogenannten Potsdamer Geist. Allerdings sollte man angesichts dieser Voraussetzungen nicht der Versuchung erliegen, hier einen vergleichsweise überschaubaren zeitlichen Ausschnitt zu wählen. Dieser fiel mit der Vereinnahmung der Kirche für jenen Geist von Potsdam zusammen, der nach dem Ende der Monarchie 1918 in immer wirkungsmächtigerer Manier beschworen wurde.

Die Motive und die Nutzung der im Jahre 1722 erbauten und 1732 stark veränderten Hof- und Garnisonkirche wiesen zunächst nicht allzu Spektakuläres auf – solche Beispiele von repräsentativen Kirchenbauten mit einem durchaus beachtlichen Aufwand sowohl bei der äußeren Architektur, als auch bei der Gestaltung des Innenraumes, die der »üblichen fürstlichen Selbstdarstellung« dienten, fanden sich auch in einigen anderen Residenzstädten der bedeutenderen deutschen Reichsterritorien.1 Ihr waren Funktionen sowohl als hervorgehobener Sakralbau in der vom neuen, seit 1713 regierenden preußischen König Friedrich Wilhelm I. zu seinem bevorzugten Aufenthaltsort erkorenen Stadt, als auch als künftige Grablege der Herrscherfamilie zugedacht worden (Abb. 2). Bekanntlich verfolgte Friedrich Wilhelm I. durchaus ambitionierte Ziele im Kirchenbau.

Dass mit den von ihm geförderten Sakralbauprojekten auch Absichten verbunden waren, im dynastischen Wettbewerb mit außergewöhnlich großen Turmbauten zu reüssieren, belegen etwa seine Bemühungen um genaue Informationen über die Höhe des Straßburger Münsters, »weil Ich nun gerne wolte, daß der [in Berlin erbaute – F.G.] Petri-Turm 420 Fuß hoch werde, […] es mag kosten, was es will«.2 In die Nähe der Ausmaße dieses fast zeitgleich errichteten Berliner Gotteshauses geriet die Potsdamer Garnisonkirche zwar nicht, aber immerhin erreichte der Glockenturm die Höhe von 88 Meter und prägte damit in den nächsten knapp zweieinhalb Jahrhunderten markant die Potsdamer Stadtsilhouette. Der Name Garnisonkirche weist aber zugleich auf eine weitere Funktion hin, denn für die seelsorgerischen Bedürfnisse der seit dem im Juli 1713 erfolgten Einzug der Roten Grenadiere als Teil des Königsregiments stetig wachsenden Garnison reichten die vorhandenen Kirchen nicht aus. Die fortan in der neuen Kirche dominierende Gruppe der Militärs spiegelte sich sowohl in Teilen der Außen- und Innengestaltung der Garnisonkirche wider (so zum Beispiel eine Marmorstatue des Kriegsgottes Mars am Kanzelaufgang), als auch in einer etwas ungewöhnlich erscheinenden Zeremonie während des Einweihungsgottesdienstes: Nicht nur, dass Einheiten der Potsdamer Garnison während der Eröffnungsfeier um die Kirche Aufstellung bezogen hatten. Zwischen den Gesängen des Kirchenliedes »Herr Gott, Dich loben wir« wurden nach jeder Strophe Gewehrsalven abgefeuert – ein wahrlich nicht alltägliches Schauspiel anlässlich einer Kirchweihe.

Eine erste ›Karriere‹ als Erinnerungsort durchlief die Kirche bereits schon an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, auch wenn diese bei Weitem noch nicht an jene Dimensionen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts heranreichte. Diese hing mit ihrer erwähnten Rolle als Grablege der Hohenzollernfamilie zusammen. Es war der bedeutendste preußische Monarch, dessen Gebeine – bekanntlich gegen dessen Willen – im August 1786 hier neben seinem Vater bestattet wurden. Die bald danach einsetzende Würdigung Friedrichs II., der schon zu seinen Lebzeiten als ›Großer‹ tituliert worden war, ließ damit auch seine Grabstätte als willkommenen Ort für diese Art von Heldenverehrung erscheinen. Eine Ausstrahlung, der sich zum Beispiel weder der junge Zar Alexander I. anlässlich seines Besuches beim preußischen Königspaar 1805 noch Napoleon I. während seiner Durchreise durch Potsdam nach seinem Sieg von Jena und Auerstedt 1806 entziehen konnten (Abb. 3).

Beide, im Übrigen in gewisser Weise Seelenverwandte in ihrem Trachten nach Ruhm, ließen es sich nicht nehmen, mit einer Visite an der Grablege diesem preußischen König posthum persönlich ihre Referenz zu erweisen. Und während in den folgenden Monaten nicht nur etliche Privathäuser und öffentliche Gebäude in Potsdam im Sinne der französischen Besatzungsmacht umfunktioniert und in einigen Kirchen sogar Ställe für die Kavallerie untergebracht wurden, blieb die Garnisonkirche auf ausdrücklichen Befehl Napoleons davon verschont. Diese Vorgänge sind zugleich Belege dafür, dass schon damals – wenn auch noch unter gänzlich anderen medialen Rahmenbedingungen – die Herrschenden durchaus ein recht subtiles Verständnis für die Wirkungen solcher Inszenierungen in der Öffentlichkeit aufzubringen verstanden.

Die im Verlauf des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu beobachtenden Veränderungen in der Ausstattung, aber auch in der Nutzung der Kirche, als zum Beispiel das Gedenken an die Gefallenen der Befreiungskriege thematisiert oder Trophäen der Kriege aufbewahrt wurden, spiegelten stets die zeitgeistigen Bezüge der Kirche wider und künden zugleich davon, dass sie in den folgenden Jahrzehnten einen unvermindert herausgehobenen Platz in der Erinnerungskultur einnahm. Ihre Nutzungsgeschichte zeigt aber zugleich, dass eine Beschränkung auf den militärischen Charakter zu kurz greifen würde. Dass familiäre Feierlichkeiten der Hohenzollerndynastie hier stattfanden, wie Taufen oder Einsegnungen, wird man noch ihrem Charakter als ›Hofkirche‹ zuzuschreiben haben. Daneben diente dieses Gotteshaus aber auch als sichtbarer Ort für politische Ereignisse der Stadtgesellschaft, mitunter mit einer Ausstrahlung weit darüber hinaus. Hier erfolgte zum Beispiel die Einsegnung der Potsdamer Stadtverordneten als Mitglieder jener Versammlung, die als Ergebnis der Preußischen Städtereform 1808 gewählt worden war. Und an diesem Ort fand am 31. Oktober 1817, dem 300. Jahrestag des Wittenberger Thesenanschlages, das erste gemeinsame Abendmahl der lutherischen und der reformierten Kirche statt, womit die (allerdings erst etwas später offiziell so bezeichnete) Evangelische Kirche der altpreußischen Union begründet wurde.3 Ein lange gehegter Wunsch der Hohenzollern war damit in Erfüllung gegangen – wenigstens partiell, da ja nicht alle Lutheraner und die Französisch-Reformierten diese Vereinigung mittrugen. Seit dem 1613 vom damaligen Kurfürsten Johann Sigismund vollzogenen Konfessionswechsel zum Reformiertentum hatten mehrere brandenburgisch-preußische Herrscher dieses Ziel einer Union verfolgt und waren bislang vor allem an den Widerständen der lutherischen Stände und Geistlichkeit gescheitert. Gerade die bisher an der Hof- und Garnisonkirche geübte Praxis spiegelte diese konfessionspolitische Konstellation deutlich wider. Schon anlässlich des Einweihungsgottesdienstes 1732 war ihr Gebrauch als Simultankirche programmatisch sichtbar geworden: Der Vormittag blieb den reformierten Konfessionsverwandten vorbehalten, für sie predigte in Anwesenheit des Königs der Hofprediger Christian Cochius. Am Nachmittag fand dann der lutherische Gottesdienst statt, an dem Friedrich Wilhelm I. ebenfalls teilnahm. Und auch der künftige Alltag dieser Kirche wurde durch die gemeinsame Nutzung der lutherischen und reformierten Gemeinden geprägt, womit zum einen durch die damit verbundene Notwendigkeit zum Arrangement in dieser Kirche im besten Falle langfristig ein angleichender Effekt zwischen den Angehörigen der beiden Konfessionen in der Stadt erreicht werden konnte. Zum anderen sparte man sich die Kosten für separate Kirchenbauten – ein im ressourcenschwachen Brandenburg bekanntlich nicht unwichtiges Motiv in der Politik.

Dies zeigt zugleich, dass sich Funktion und Wahrnehmung der Kirche nicht auf die fraglos dominierende Nutzung für die Potsdamer Garnison und die ideelle Zurschaustellung der militärischen Größe Preußens beschränken lassen, zumal es schon seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert des Öfteren Kritik an dieser Überladenheit mit militärischer Symbolik gegeben hatte. Allerdings nahm diese im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts schärfere Konturen an. Im Zuge der ›Meistererzählung‹ von Preußens ›deutschem Beruf‹ und der Erfolge in den Einigungskriegen zwischen 1864 und 1870/71 wurde die Potsdamer Hof- und Garnisonkirche in immer intensiverer Weise in den erkennbaren sakralen Trend zur Überhöhung von Militär, Dynastie und Nation einbezogen und entwickelte sich zu einer Art »Walhalla des preußisch-deutschen Aufstiegs zur europäischen Großmacht«.4 In der Reichsgründungszeit kündeten zum Beispiel Festgottesdienste anlässlich der preußischen Waffenerfolge sowie öffentliche Präsentationen der erbeuteten dänischen, österreichischen und französischen Fahnen davon. Folgerichtig diente die Kirche auch als besonders prädestinierter Ort für die mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges verbundenen öffentlichkeitswirksamen Inszenierungen.

Angesichts der katastrophalen Kriegsniederlage und der nachfolgenden tiefen Traumatisierung erschien es somit kaum verwunderlich, dass die Hof- und Garnisonkirche nach 1918 fast unweigerlich in die Funktion eines Ortes hineinwachsen musste, der als Bezugspunkt sowohl für die nostalgische Verklärung der Vergangenheit, als auch zur Mobilisierung jener Kräfte dienen sollte, die ihr sichtliches Unbehagen an der Gegenwart artikulierten. Diesen Wandel belegt gleichsam repräsentativ die resignative Wahrnehmung eines Zeitgenossen, eines entlassenen Majors der aufgelösten kaiserlichen Armee, überdeutlich: »Konnte so früher der Besucher der Kirche im Anschauen der Kriegstrophäe Preußen-Deutschlands kriegerische Entwicklung verfolgen, so wird manches deutsche Herz heute vor Schmerz fast vergehen, wenn es die Fahnen und Standarten statt in der Hand einer stolzen Truppe nur noch als Zeugen einer großen Vergangenheit ansehen soll.«5

Man vermag sich nur schwer vorzustellen, welches Ausmaß an Orientierungslosigkeit, Verlusten an Reputation, aber auch Existenzängsten gerade jene Bevölkerungsgruppen umtrieb, die sich in besonders großer geistiger und materieller Nähe zur untergegangenen Monarchie befunden hatten. Dem neuen politischen System stand man, wenn nicht in offener Ablehnung, so doch mit Resignation und Lethargie gegenüber. Der neue ›Geist von Weimar‹, den der damalige Reichskanzler und spätere Reichspräsident Friedrich Ebert im Februar 1919 beschworen hatte, vermochte bei einem großen Teil dieser Bevölkerungsgruppen nur Widerwillen, wenn nicht sogar offenen Hass auszulösen: »Die alten Grundlagen der deutschen Machtstellung sind für immer zerbrochen. Die preußische Hegemonie, das hohenzollernsche Heer, die Politik der schimmernden Wehr sind bei uns für alle Zukunft unmöglich geworden.« Wir »müssen hier in Weimar die Wandlung vollziehen vom Imperialismus zum Idealismus, von der Weltmacht zur geistigen Größe.«6

In diesem geistes- und mentalitätsgeschichtlichen Umfeld ist – wenn hier von Ebert auch noch nicht explizit benannt – die Geburt des Geistes von Potsdam zu verorten.7 Dieser geriet dabei indes nicht nur zu einem geistigen Gegenentwurf, der die ›gute alte Zeit‹ vor 1918 beziehungsweise 1914 beschwor. Dazu hätte nach Auffassung eines Teils der diesen Geist beschwörenden Kräfte das untergegangene Kaiserreich in der Rückschau selbst schon genügend Defizite aufgewiesen, die mitverantwortlich gemacht wurden für die Katastrophe. Der Blick wurde deshalb weiter zurück in die Geschichte gerichtet. Und in diesem Umfeld konnte die Potsdamer Garnisonkirche zu einem zentralen Ort der Erinnerungskultur werden, befanden sich doch hier die Särge jener beiden preußischen Monarchen, die in besonderer Weise einen Idealzustand früherer Staatlichkeit personifizierten, den es wieder anzustreben galt. Und es lag nahe, dass jene politischen Organisationen (DNVP, Stahlhelm, Kyffhäuserbund sowie vereinzelt auch die in Potsdam aber vor 1933 noch vergleichsweise schwache NSDAP), die das ›System von Weimar‹ aus nationalkonservativer und monarchistischer Sicht ablehnten, an diesem Ort eine Stätte für ihre Inszenierungen fanden.

Damit waren zugleich fast ideale Voraussetzungen für die Planung jenes unmittelbar nach der nationalsozialistischen Machtergreifung liegenden Ereignisses gegeben, das einen Höhepunkt in der öffentlichkeitswirksamen Vermarktung des Geistes von Potsdam und zugleich auch einen Markstein in der Geschichte der Garnisonkirche bedeutete – des Tages von Potsdam am 21. März 1933. Doch ganz so geradlinig verlief die Vorbereitung dieser Inszenierung dann doch nicht. Zunächst hatte man bei der Suche nach einem Ort für die Eröffnung des am 5. März neu gewählten Reichstages andere Bauwerke im Blick gehabt, bevor auf Initiative eines Potsdamer Lokalpolitikers die Garnisonkirche ins Gespräch kam. Hitler, der ja ebenso wie Goebbels schon seit langer Zeit die Instrumentalisierung der altpreußischen Geschichte für die politischen Ziele seiner Bewegung favorisiert hatte, begeisterte sich rasch für diesen Plan. Schließlich gäbe es nach seiner Auffassung »kein höheres Symbol, als daß nach dem Verbrechen im Reichstage [dem Reichstagsbrand am Abend des 27. Februar 1933 – d. Verf.] jetzt die nationale Regierung nach Potsdam geht, um an der Bahre des großen, unsterblichen Königs in der Garnisonkirche das neue Werk des Wiederaufbaues zu beginnen.«8

Allerdings belegen Vorbereitung und Durchführung des Tages von Potsdam auch, dass die Erwartungen Hitlers und der NSDAP-Führung partiell auf Bedenken stießen und nur bedingt in Erfüllung gingen. So versuchten einige einflussreiche Persönlichkeiten, vor allem auch aus der Evangelischen Kirche selbst, diesen prominenten Ort nicht allzu stark in den tagespolitischen Teil der Reichstagseröffnung einzubinden, sondern die hier geplanten Aktivitäten allenfalls auf einen Festgottesdienst und den Staatsakt zu beschränken, die eigentliche Eröffnungssitzung aber auf einen anderen Ort zu verlagern. Es war auch kaum zu verhehlen, dass für einen großen Teil der dem Ereignis beiwohnenden Potsdamer Bevölkerung der greise Reichspräsident von Hindenburg als der ›Held des Tages‹ angesehen wurde, dem zuliebe man sich auf den Straßen eingefunden hatte.

Allerdings musste die ursprüngliche Hoffnung der gerade in Potsdam immer noch zahlreichen Anhänger des alten Potsdamer Geistes, die NS-Bewegung einhegen zu können, recht schnell begraben werden. Spätestens in der Nacht vom 30. Juni zum 1. Juli 1934 zeigte sich auf äußerst brutale Weise die Haltung der neuen Machthaber zu solchen Wunschträumen. Auch einige der in Potsdam wohnenden Repräsentanten der konservativ-monarchistischen Elite zählten zu den Opfern dieser als sogenannter ›Röhm-Putsch‹ in die Geschichte eingegangenen ›Nacht der langen Messer‹. Diese ambivalente Konstellation blieb in den folgenden Jahren erhalten, was sich auch in der Nutzungsgeschichte der Garnisonkirche widerspiegelte. Zwar festigte sie ihren Ruf als ein ständig wachsender Publikumsmagnet und vor allem als ›Weihestätte preußisch-deutscher Geschichte‹ in Gestalt von Fahnenweihen und Gedächtnisfeiern, allerdings waren diese besonders an das aus Offizierskorps – im Besonderen ragte hier das in Potsdam stationierte und sich vor allem aus Angehörigen des preußischen Adels rekrutierende Infanterieregiment 9 (›Graf 9‹) heraus – und bürgerlichen Honoratioren bestehende Publikum adressiert.

Dass diese subtilen Formen eines Wohlwollens gegenüber der Monarchie von Seiten des Regimes misstrauisch beäugt wurden, belegen zum Beispiel die Vorgänge um die Bestattung des im Frankreichfeldzug im Juni 1940 gefallenen Hohenzollernprinzen Wilhelm. Die Trauerfeier zu Ehren des Prinzen wurde als heimliche Sympathiebekundung gegenüber der Monarchie angesehen. Immerhin schien das Regime diese Aktion für so bedenklich gehalten zu haben, dass von Hitler höchstpersönlich der sogenannte ›Prinzenerlass‹ erteilt wurde, der zur Entlassung von Angehörigen der alten deutschen Fürstendynastien aus dem aktiven Kriegsdienst führte.9

Der verheerende, kurz vor Kriegsende erfolgte Bombenangriff auf Potsdam hatte auch große Schäden am Stadtschloss und an der Garnisonkirche verursacht (Abb. 4). Angesichts der dramatischen Versorgungslage mussten in den nächsten Jahren Prioritäten im Rahmen der Wiederaufbaupläne der das alte Potsdam so unverwechselbaren Bauten gesetzt werden. Dies hatte zur Folge, dass damit die Entscheidung über das Schicksal der Garnisonkirche erst einmal aufgeschoben wurde. Initiativen für einen Wiederaufbau hatte es gegeben, die vornehmlich von der ›Zivil-Gemeinde‹ der alten Garnisonkirche ausgingen. Es irritiert nur auf den ersten Blick, dass ›bilderstürmerische‹ Aktivitäten gerade in jenen späten 1940er und frühen 1950er Jahren ausblieben, als die ursprünglich im Zeichen der ›antifaschistisch-demokratischen Umwälzung‹ stehenden Veränderungen immer offener in Richtung auf ein am sowjetischen Vorbild orientiertes politisches System hinausliefen. Dessen ungeachtet wurden bis zur Mitte der 1950er Jahre sogar Bauarbeiten – größtenteils durch kirchliche und private Spenden finanziert – an der Garnisonkirche vorangetrieben. Sie war eben mehr als nur ein Erinnerungsort für die in den 1920er und 1930er Jahren dort zelebrierten Veranstaltungen im Sinne eines ›preußischen Walhalla‹. Vielmehr vermittelte sie auch identitätsstiftende Bezüge für die hier über mehrere Generationen hinweg lebende Stadtbevölkerung. Der sogenannte ›Potsdamer Dreikirchenblick‹ (Abb. 5) – ein Ensemble bestehend aus den Türmen der Nikolai-, Heilig-Geist- und Garnisonkirche – stellte ebenso eine weit über den Kreis der kunstsinnigen Betrachter wirkende und mit hohem Wiedererkennungswert versehene Attraktion dar wie das Glockenspiel der Garnisonkirche.

Deshalb bekundeten auch jene Teile der Potsdamer Bevölkerung, die nicht im Verdacht standen, den politischen Ideen zu huldigen, für die die Kirche vor 1945 instrumentalisiert wurde, ein Interesse am Wiederaufbau. Angesichts der schon 1943 erfolgten Auslagerung der Särge der beiden Preußenkönige erschien das traditionspolitische Gelände ohnehin nicht mehr so vermint wie vordem.

Erst zwei Dezennien später, im Juni 1968, sollte sich das bislang im Schwebezustand gehaltene Schicksal der Kirche in gewisser Weise vollenden. Dass es durchaus Bedenken gab, den Abriss der Kirche rein geschichtspolitisch zu legitimieren, belegen die damals in der Presse zu findenden Statements. Hier wurde vor allem mit verkehrspolitischen und infrastrukturellen Erwägungen argumentiert. Obendrein galt es auch Rücksicht zu nehmen auf durchaus immer noch vorhandene Sympathien in Teilen der DDR-Bevölkerung gegenüber dem ›Alten Preußen‹, trotz einer seit geraumer Zeit erfolgenden Indoktrination eines sozialistischen Geschichtsbildes. So musste in den Augen der SED-Oberen das Ergebnis einer Umfrage in der Mitte der 1960er Jahre bedenklich stimmen, wonach »für nicht wenige Handwerker, Geschäftsleute, Angestellte und frühere Beamte [...] Friedrich II. noch immer als ›der Große‹ bzw. der ›Alte Fritz‹« erschien.10 Zudem existierten in der Öffentlichkeit diskutierte Alternativen, die nicht auf eine Wiederherstellung der Nutzung des Bauwerkes als Kirche zielten und zugleich auch das geschichtspolitische Verdikt der SED-Führung gegenüber der Garnisonkirche etwas entschärft hätten. So hatte etwa der kürzlich verstorbene Architekt Günther Vandenhertz geplant, in der baulichen Hülle der Garnisonkirche eine Konzertstätte für 1.200 Menschen zu errichten.

Dennoch gewann im internen Kreis das Argument, wonach die Garnisonkirche als »Symbol des preußischen Militarismus in Deutschland« gälte, die größte Überzeugungskraft bei der letztlich erfolgenden Entscheidung über ihren Abriss.11 Eingebettet in die deutsch-deutschen Befindlichkeiten konnte man geflissentlich auch darauf verweisen, dass im anderen deutschen Staat immer noch Anhänger des alten Potsdamer Geistes aktiv wären, ungeachtet der Tatsache, dass von dieser Seite die »Frage nach den zeitlosen geschichtlichen Werten von Preußentum und dem Geist von Potsdam« inzwischen in differenzierterer Weise gestellt wurde.12

Zu bedenken gilt es ferner, dass man in den 1960er Jahren mittels ambitionierter Stadtbauprogramme qualitativ Neues schaffen wollte, was zuweilen eine geringere Toleranz gegenüber den steinernen Zeugen der Vergangenheit einschloss. Zudem verfügte man jetzt, anders als fünfzehn Jahre zuvor, über bessere materielle Mittel, um diese ehrgeizigen Ziele umzusetzen. Die für die damaligen Verhältnisse vergleichsweise offen geführten Debatten spiegelten die divergierenden Vorstellungen der Beteiligten wider, schließlich gab es in der entscheidenden Sitzung der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung im Frühsommer 1968 sogar Gegenstimmen zum Beschluss zur Sprengung der Garnisonkirche. Diese Diskussionen belegen zugleich aber auch, dass es abwegig erschien, den Gegnern des Abrisses der Kirche per se restaurative Tendenzen zu unterstellen. Das Spektrum des Erinnerns umfasste eben weitaus mehr als die Instrumentalisierung der Garnisonkirche für das nationalkonservative Lager.

Von hier führt nun auch eine direkte Linie bis in die Gegenwart, in der die teilweise mit großer Erbitterung geführten Debatten – vor allem mit Blick auf die Programmatik der von dem ehemaligen Bundeswehroffizier Max Klaar ins Leben gerufenen Stiftung Preußisches Kulturerbe – alte Vorhaltungen über die enge Verwobenheit der Garnisonkirche mit dem alten Potsdamer Geist wiederbelebten, zugleich aber auch schlaglichtartig verdeutlichten, dass die Kirche trotz ihres Fehlens im Stadtbild für einen Teil der Bevölkerung nach wie vor zu einem nicht unerheblichen Teil identitätsstiftend wirkte und wirkt.13 Sie stellt vor diesem Hintergrund kein Potsdamer Spektakulum dar, sondern ordnet sich in jenes allenthalben in der heutigen Geschichtskultur zu findende Phänomen ein, in einer Zeit zunehmender Unübersichtlichkeit ein Mehr an Orientierung zu finden und eine Sehnsucht nach Authentizität zu stillen, was eben auch in Gestalt von restaurierten oder komplett wiederaufzubauenden Zeugen der Vergangenheit im Stadtbild erfolgt. Sie zeigt zum anderen aber auch – für manche der Beteiligten in mitunter schmerzhafter Deutlichkeit – die weitgehende Unmöglichkeit, der noch so umstrittenen Geschichte eines die Stadtgeschichte prägenden Bauwerkes mittels einer Art von kollektiver Amnesie aus dem Weg gehen zu können.

Und auch der Potsdamer Geist, der so untrennbar mit der Garnisonkirche verbunden scheint, lässt sich wohl nicht auf seine politisch kontaminierte Bedeutung verengen, abgesehen davon, dass dieser Begriff in der gegenwärtigen Öffentlichkeit nicht mehr allzu präsent zu sein scheint. Gleichwohl arbeitet man sich an diesem auch im neuen Jahrtausend ab – sei es im Sinne seiner semantischen Erweiterung, wie sie der in Potsdam geborene Kirchenhistoriker Günter Wirth vertritt, für den es jene Zeitgenossen im Potsdam der 1920er und 1930er Jahre zu entdecken gilt, »die in ihrem Denken und Handeln, in ihrer Haltung, in ihrem (preußischen) Lebensstil, in ihrer Lebensform diesen anderen Geist der Stadt bezeugen« und für den die Gesamtarchitektur des alten Potsdam gleichsam »eine Topographie des anderen Geistes von Potsdam« bildet.14 Oder sei es die 2008 ins Leben gerufene Initiative Neues Potsdamer Toleranzedikt, die mehr oder weniger erfolgreich versucht, Traditionen der altpreußischen Geschichte (insbesondere dabei die Wirkungen des sogenannten ›Toleranzediktes‹ von 1685 in den Blick nehmend) für die heutigen Herausforderungen der demokratischen Stadtgesellschaft nutzbar zu machen.15

Gleich welche Richtung die weitere Debatte nehmen wird und in welcher Weise die mit der Errichtung des Glockenturmes bereits zunehmend Gestalt annehmenden Wiederaufbaupläne der Garnisonkirche in Zukunft realisiert werden (Abb. 6), spiegelt sich letztlich auch auf diesem erinnerungspolitischen Terrain die ›Offenheit von Geschichte‹ wider, denn letztlich stellte und stellt jede Generation ihre eigenen Fragen an die Geschichte.

Anmerkungen

1 Hans-Joachim Kuke, Der »Soldatenkönig« und die Ehre Gottes. Potsdams Garnisonkirche und ihr Bauherr, in: Michael Epkenhans/Carmen Winkel (Hgg.), Die Garnisonkirche Potsdam. Zwischen Mythos und Erinnerung, Freiburg/Berlin/Wien 2013, S. 13–34, hier S. 13.

2 Zit. nach Frank Göse, Friedrich Wilhelm I. Die vielen Gesichter des Soldatenkönigs, Darmstadt 2020, S. 255. Zur Suche nach weiteren kirchenbaulichen Vorbildern vgl. Ludwig Bamberg, Die Potsdamer Garnisonkirche. Baugeschichte – Ausstattung – Bedeutung, Berlin 2006, S. 95 –109.

3 Vgl. Hartmut Rudolph, Die Potsdamer Hof- und Garnisongemeinde, in: Bernhard R. Kroener (Hg.), Potsdam. Armee, Staat, Residenz, Berlin 1993, S. 203–231; weiterhin dazu – auch zur Kirchennutzung im 19. Jahrhundert – vgl. Martin Rink, Die Garnisonkirche im 19. Jahrhundert und ihre Gäste, in: Epkenhans/Winkel, Die Garnisonkirche in Potsdam (wie Anm. 1), S. 53– 68.

4 Martin Sabrow, Die Garnisonkirche in der deutschen Geschichtskultur, in: Epkenhans/Winkel, Die Garnisonkirche Potsdam (wie Anm. 1), S. 133– 160, hier S. 140.

5 Erich Gutschmidt, Die Fahnen in der Garnisonkirche, in: Die Hof- und Garnisonkirche zu Potsdam, Potsdam 1932, S. 65 –72, hier S. 72.

6 Friedrich Ebert, Schriften, Aufzeichnungen, Reden. Mit unveröffentlichten Erinnerungen aus dem Nachlaß, Bd. 2, Dresden 1926, S. 155 f.

7 Vgl. hierzu mit Belegen aus der damaligen Tagespresse Matthias Grünzing, Für Deutschtum und Vaterland. Die Potsdamer Garnisonkirche im 20. Jahrhundert, Berlin 2017, S. 26 –28.

8 Zit. nach ebd., S. 146.

9 Vgl. Gerd Heinrich, Geschichte Preußens. Staat und Dynastie, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1984, S. 515 f.

10 Manfred Bogisch, Über die Wandlung der Geschichtsauffassung bei Menschen bürgerlicher Herkunft, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 12 (1964), S. 1206 –1220, hier S. 1215.

11 Zit. nach Sabrow, Die Garnisonkirche (wie Anm. 4), S. 148. Vgl. hierzu auch Ders., Steine des Anstoßes. Der Abriss der Potsdamer Garnisonkirche als Lehrstück ostdeutscher Herrschaftskultur. In: Daniela Münkel/Jutta Schwarzkopf (Hgg.): Geschichte als Experiment. Studien zu Politik, Kultur und Alltag im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2004, S. 297–306.

12 Kurt Hesse, Der Geist von Potsdam, Mainz 1967, S. 261.

13 Vgl. zusammenfassend hierzu Bamberg, Die Potsdamer Garnisonkirche (wie Anm. 2), S. 165-168; sowie Reinhard Appel/Andreas Kitschke, Der Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche, Lingen/Köln 2006.

14 Günther Wirth, Der andere Geist von Potsdam. Zur Kulturgeschichte einer Stadt 1918–1989, Frankfurt am Main 2000, S. 14 und 70.

15 Heinz Kleger, Warum Potsdam ein »neues Toleranzedikt« braucht, Potsdam 2008.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 Jürgen Dörries / Potsdam Museum - Potsdam Museum Forum für Kunst und Geschichte (Foto: Herbert Dörries).

Abb. 2 Andreas Kitschke, Die Potsdamer Garnisonkirche, Potsdam 1991.

Abb. 3 https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Naoleon_in_Potsdam_am_Grab_Friedrichs_II_1806.jpg.

Abb. 4 Bundesarchiv, Bild 183-J31422/ - CC BY-SA-3.0.

Abb. 5 Sammlung Andreas Kitschke.

Abb. 6 Marco Kollenberg.

 

 

Der Beitrag erschien in:

Asche, Matthias / Czech, Vinzenz / Göse, Frank / Neitmann, Klaus (Hrsg.): Brandenburgische Erinnerungsorte - Erinnerungsorte in Brandenburg. Band 1 (= Einzelveröffentlichungen der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V., Band 24). Berlin 2021, S. 167-179.


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