Märkische Dialekte

Elisabeth Berner

Sprache, Gesellschaft, Region

Dort, wo Menschen miteinander leben und kommunizieren, reproduzieren und tradieren sie permanent bewusst oder unbewusst – eingeschrieben in Wörter, Phrasen, Texte – historisches und kulturelles Wissen, das über Generationen bewahrt wurde und zum Teil bis in die Anfänge der Geschichte zurückreicht. Sprache ist per se sozial geprägt und dies gilt in umso stärkerem Maße, in dem sie sich unbeeinflusst von normgebenden Instanzen – wie das bei den Dialekten der Fall ist – entwickelte. Mündlichkeit prägt die Entstehung und Geschichte von Sprachen, und erst allmählich kommen auch die schriftlichen Überlieferungen früherer Jahrhunderte als Zeugen der Vergangenheit hinzu und konservieren noch stärker als die Mündlichkeit, die einem natürlichen Wandel unterliegt, das Wissen und die Sprache früherer Zeiten.

Die Herausbildung und die Geschichte von Sprachen und ihrer regionalen Varietäten, der Dialekte wie auch der jüngeren Regiolekte, sind eng mit der Besiedlung, Kultur, den Traditionen eines Landes oder einer Landschaft verbunden und prägen sie sowohl inhaltlich, als auch formal. Brandenburger und Berliner werden von Außenstehenden oft schon nach kurzer Zeit regional zugeordnet, selbst wenn sie nur ein ik oder j (jut) für g verwenden. Die Bindung an eine Region, selbst einen Ort, die Vorstellung, ›anders‹ und damit auch ›besonders‹ zu sein, veranlasst aber auch Mundartsprecherinnen und -sprecher selbst aus sehr wenigen (dialektologisch minimalen) sprachlichen Besonderheiten gegenüber benachbarten Orten die Vorstellung einer eigenen Ortsmundart zu konstruieren, wie stellvertretend an der Einschätzung der Sprache in Lunow, einem Ort im Oderbruch, deutlich wird: »Das Lunower Plattdeutsch ist eine eigene Spielart des Mittelmärkischen. Vermutlich ist dies einerseits bedingt durch die bewahrende Kraft der Ortsgröße und andererseits durch die geographische Nähe zum Nordmärkischen.«1

Zugleich kann die Einbindung in den übergeordneten Dialektverband, auch das zeigt das Zitat, die Identifizierung mit der eigenen Sprache verstärken. Dies gilt für die niederdeutschen Dialekte, zu denen die märkischen gehören, in besonderer Weise, denn das Niederdeutsche besitzt den Status einer Regionalsprache und wird dadurch staatlich als besonders schützenwertes kulturelles Gut anerkannt und gefördert. 1998 ratifizierte die Bundesrepublik die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen, also der Sprachen, die »herkömmlicherweise in einem bestimmten Gebiet eines Staates von Angehörigen dieses Staates gebraucht werden« und »die sich von der [den] Amtssprache[n] unterscheiden.«2 In der Präambel wird besonders hervorgehoben, »daß der Schutz der geschichtlich gewachsenen Regional- und Minderheitensprachen zur Erhaltung und Entwicklung der Traditionen und des kulturellen Erbes beitragen.« Dass Niederdeutsch in die Charta aufgenommen wurde, war das Ergebnis einer im Vorfeld auch recht emotional geführten Diskussion, in der neben strukturellen Unterschieden des Niederdeutschen gegenüber dem Hochdeutschen und seinem generellen kulturellen Wert besonders der historische Status als überregionale Verkehrssprache in mittelalterlicher Zeit stark in den Vordergrund gerückt worden war.

Aber auch lange vor der Anerkennung als Regionalsprache gab es eine aktive niederdeutsche Bewegung, die den Dialekten als ›Sprache des Volkes‹ besondere Aufmerksamkeit widmete, um ihrem zunehmenden Rückgang entgegenzuwirken. Denn anders als bei den süddeutschen Dialekten, deren formale Nähe zu der sich seit dem 17. Jahrhundert allmählich etablierenden hochdeutschen Amtssprache und später Standardsprache enger war, erwarben Niederdeutschsprechende das Hochdeutsche (fast) wie eine Fremdsprache. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts mussten die Kinder die Regeln des Hochdeutschen mühsam erlernen, woran sie sich bis ins hohe Alter hinein gut erinnerten: So erzählt Friedrich H. aus Zootzen, geb. 1909 in Rosenwinkel, über seine Erfahrungen in der Schulzeit: »Un ich mit Bernhardn uff eener Bank ... und du weeßt ja, wie der so war. Olle Studt [der Lehrer] sacht: ›merkt euch doch endlich, daß ess nich u heißt, et heeßt au.‹ Nu ja, ach so, des güng so, also: Wir ham immer ›Mus‹ secht un nich ›Maus‹. So wär det ja richtich – Un jenfalls sacht Bernard da: ›Dät mit’n au, det stümt nich, det heeßt ja woll nich Pflaumenmaus, det heeßt doch Pflaumenmus.‹ Na, wir ham anfangs jar nich jewußt, wat det nu sollte. Awer Studt hat’ et gleich verstandn. Un nu häst’n Studt sehn saln ... de steiht un steiht un het keen Wort rutkrägn un denn secht’e: ›Bernard, du büst so klog asn Foss!‹ Un det is det einzichmal west, wo Studt platt rädn har.«3

Ähnlich erinnerte sich auch Frieda M., geb. 1898 in Berlinchen, noch hochbetagt an die Schwierigkeiten, denen Niederdeutsch sprechende Kinder in der Prignitz ausgesetzt waren: »Jo, bi uns in de Schul, da is det all noch’n büschen anders gewesen. In’n ersten Jahrn ham wir noch platt redn dürfn. Na, klar, nur wenn det mit m Hoch nich jing. Un mal ens war det vorbei. Uns öller Köster war wech, un batz, een neuer da. Un det war son richtijen Lehrer, son Studierter, der hat nur hoch geredt. Wat glöwt ji, wat is uns det schwer worn. Un die Schnatzers [pejorativ für die, die von Haus aus bereits hochdeutsch reden; d. Verf.], die hatn det nu jut [...].«4

Dass das Niederdeutsche in Konkurrenz zum Hochdeutschen schließlich unterlag, war aber letztlich ein Prozess, der Jahrhunderte zuvor begonnen hatte. Im Wissen um den endgültigen Verlust kulturellen Erbes entstanden deshalb spätestens seit dem 18. Jahrhundert für das Märkische erste Idiotika (Sammlungen ausgewählter Dialektwörter), im 19. Jahrhundert werden Einzelbeschreibungen und Erklärungen von Wörtern, Namen oder Phrasen veröffentlicht, es folgten umfangreichere Nachrichten über die Volkssprache in Berlin und Brandenburg und seit Beginn des 20. Jahrhunderts einige (wenige) mehr oder weniger umfangreichere Orts- oder Regionalgrammatiken. Laienlinguisten und Wissenschaftler setzen aber auch danach mit einem bewundernswerten Engagement die Wortsammlungen fort und legten damit wichtige Grundlagen für die Erfassung der gerade in Brandenburg unter dem Einfluss der sprachlichen Strahlungskraft der Metropole Berlin beschleunigt zurückgehenden Mundarten. Jedoch erst nachdem im Jahre 1950 ein vierseitiger Artikel erschienen war, in dem die Lehrerinnen und Lehrer Brandenburgs (teils recht pathetisch) zur Beteiligung an der Fragebogenerhebung zum »Brandenburg-Berlinischen Wörterbuch« aufgerufen worden waren, begann eine fast zwei Jahrzehnte währende systematische Erfassung des gesamten in Brandenburg beheimateten Regionalwortschatzes, in dessen Ergebnis 2001 der vierte und damit letzte Band des »Brandenburg-Berlinischen Wörterbuches« erscheinen konnte.5 Dieses Wörterbuch bewahrt nicht nur den alltagssprachlichen Wortschatz, sondern auch umfangreiche Lexik zu Handwerk und Landwirtschaft, zu Produktionstechniken, Flora und Fauna und vieles mehr und stellt damit einen einzigartigen Fundus historischen Wissens dar.

Dass nur wenige Jahre nach Ende des verheerenden Zweiten Weltkrieges und wenige Monate nach der Gründung der DDR solch ein umfangreiches Projekt veranlasst wurde, verweist auf die Achtung, die der »bäuerliche[n] Bevölkerung auf dem Lande, der werktätigen Bevölkerung in den Städten« entgegengebracht wurde und hebt ihre Sprache, genauer: Dialekt als »Ausdruck und Nachklang, nämlich Ausdruck der Besonderheiten des Heimatraumes, seiner Lebensformen, seiner Geschichte, und Nachklang alter, ja manchmal uralter Volkstraditionen«6, hervor. Auch der noch junge Staat erkannte den Wert der in der (Volks-) Sprache verankerten Kultur und sein Potenzial für die Identifikation mit der Gesellschaft.

Die Spuren der Geschichte sind in vielfältiger Weise in die Mundarten eingeschrieben und zeigen das komplexe Wechselspiel von Kontinuität und Brüchen, von Be- und Entsiedlung, von Integration und Abgrenzung, aber auch die Auswirkungen staatlicher Regulierung für die gewachsene Volkssprache. Im Folgenden soll an einigen ausgewählten Beispielen aus den Bereichen der topografischen Namen, der Lexik und der Lautung, die mit der Besiedlungsgeschichte in Verbindung gebracht werden, skizziert werden, wie vielschichtig dabei der Zusammenhang von Sprache und Kultur und deren Tradierung in den Dialekten ist.

Germanisches und Slawisches in den märkischen Dialekten

Die Anfänge der märkischen Dialekte reichen bis in die Zeit der Germanen zurück und auch wenn von ihnen bis auf wenige Runenfunde auf märkischem beziehungsweise brandenburgischem Boden keine eigenen schriftlichen Zeugnisse überliefert sind (sein können), zeigen doch die über Jahrhunderte nur mündlich überlieferten Toponyme vor allem größerer Flüsse die frühe, alteuropäische Sicht der Menschen auf die sie umgebende Welt. Wasser ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, die der siedelnde Mensch benötigt, es dient ihm und seinen Tieren und Pflanzen als Lebensgrundlage. An Gewässern orientiert er sich im Raum, sie verbinden und trennen und es verwunderte deshalb auch nicht, dass gerade sie von Generation zu Generation weitergegeben werden, selbst über Sprachgrenzen hinweg. Flussnamen gehen auf die sogenannten Wasserwörter mit unterschiedlichsten Bedeutungsnuancen zurück, »wie sie den frühen Menschen mit seiner genauen Naturbeobachtung in reichem Maße zu Gebote standen und wie wir Heutige sie in solchem Umfang kaum noch kennen und nachempfinden können«,7 auch wenn es real weniger als zwei Handvoll Grundbedeutungen sind, auf die sie sich zurückführen lassen.

So basiert der seit dem 9. Jahrhundert überlieferte Name der Oder auf einem schon vorgermanischen Wort *ad-ro ›Wasserlauf‹8, wobei das anlautende ad- später unter slawischem Einfluss zu od- wurde. Das schon im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. in lateinischen Quellen belegte Wort für die Elbe gehört zu lat. albus ›weiß‹ und verweist auf ein ›helles Wasser‹ und verallgemeinert diese Bedeutung schon früh zu ›Fluss‹. Erstmalig im 9. Jahrhundert ist die Havel als Habula belegt. Ihre Bedeutung leitet sich aus germanisch hav ›Meer‹ her und lebt fort in hochdeutschen Wörtern wie Hafen und Haff. Motiviert ist die Benennung durch die zahlreichen Windungen und Krümmungen des Flusslaufes, die Ähnlichkeiten mit einer Hafenbucht besitzen beziehungsweise die zahlreichen Seen, die sie durchfließt. Aber auch andere Flüsse, wie die Notte (zu ›nass‹), die Nuthe ›Tal, Furche‹, die Dahme (zu ›stieben, spritzen‹), die Dosse (zu ›wirbeln, stieben‹), der Rhin (zu ›fließen‹) oder die Spree (zu ›stieben‹) bewahren in ihren Namen das für unsere germanischen Vorfahren Bemerkenswerte der sie umgebenden Landschaft.

Seit dem 6. Jahrhundert dringen westslawische Stämme in das inzwischen durch die weitgehende Abwanderung der Germanen nur dünn besiedelte Gebiet zwischen Elbe und Oder. Dass es zwischen ansässig gebliebenen Resten der älteren Bevölkerungsschicht und den Neuankömmlingen Kontakte gegeben hat, ist archäologisch vielfach nachgewiesen, wird aber gerade auch durch die Flussnamen bezeugt, die von den Slawen übernommen, in ihre Sprachen integriert und sprachlich ›eingepasst‹ werden, wie schon das Beispiel der Oder zeigt. Einzelne Stämme, von den Chronisten zu Beginn der schriftlichen Überlieferung als zum Beispiel Sprewanen oder Heveller ›Häveler‹ notiert, benennen sich sogar nach diesen Flüssen – und tradieren dadurch auch deren Namen.

Mit den Slawen werden die sprachlichen Hinterlassenschaften bedeutend vielfältiger. Es sind insbesondere die in großer Zahl belegten charakteristischen Ortsnamen auf -in, -itz und -ow, die auf slawische Herkunft verweisen. Häufig finden sich die topografischen Besonderheiten der Ansiedlung im Namen verankert: So bewahrt Ruppin (zu ›Erdloch‹) die ursprüngliche Ansiedlung in oder bei einer Senke, Pieskow galt ebenso wie zum Beispiel Beelitz als ein ›sandiger Ort‹. Saarow wird als ›Siedlung hinter dem Graben‹ (von denen es noch heute zahlreiche gibt) motiviert, obwohl es direkt am (Scharmützel-)See liegt. Ponitz verweist auf eine ›Stelle, wo Wasser im Boden verschwindet‹, und Wusterwitz erinnert daran, dass es sich um eine ›Siedlung auf einer Insel‹ handelt.

Neben solchen topografischen Besonderheiten sind weitere, für die Ansiedlung wichtige Gegebenheiten sprachbestimmend gewesen. Kränzlin ist motiviert durch das Andenken an die ›Siedlung eines Mannes namens Krenzlin‹, bei Beeskow, ›Ort, wo Holunder wächst‹, waren dagegen die schmackhaften Früchte ausschlaggebend, und Körbitz zeugt von einem ›Ort, wo es Kühe gibt‹.

Und auch jüngere, mit dem Zusatz Wendisch- gebildete Doppelnamen verweisen darauf, dass in der Gegend ursprünglich Wenden lebten. In zahlreichen Fällen legten die deutschen Zuwanderer seit dem 12. Jahrhundert neben den bestehenden, von ihnen vorgefundenen slawischen/wendischen Siedlungen ihre eigenen Dörfer an, übernahmen den Namen des slawischen Ortes und früher oder später wurde dann deutsch/teutonica (villa) oder wendisch/ slavica (villa) hinzugefügt, um die beiden Siedlungen klar voneinander unterscheiden zu können. Interessant ist bei diesen Benennungen, wie zum Beispiel Wendisch-Rietz, dass das Basiswort – hier Rietz – bereits ein slawisches Wort ist, dessen Bedeutung allerdings nicht selten, wie auch in diesem Fall, unklar ist. Die meisten dieser Doppelnamen sind aber nur noch in den jeweiligen Ortsgeschichten oder Quellen bewahrt, denn einige Orte sind wüst geworden wie Wendisch-Buchholz (Wüstung bei Treuenbrietzen) – nicht zu verwechseln mit Märkisch-Buchholz im Landkreis Dahme-Spreewald –, Wendisch-Schauen oder Wendisch-Gehren. Andere haben den Zusatz Jahrhunderte später, insbesondere in der Zeit des Nationalsozialismus, wieder aufgegeben, wie Bork, das zu Alt-Bork umbenannt wurde, Warnow (jetzt Klein Warnow), Wilmersdorf (umbenannt zu Märkisch Wilmersdorf). Bei Wusterhausen im Landkreis Dahme-Spreewald setzte sich der Zusatz Königs gegen Wendisch durch, nachdem Friedrich Wilhelm I. die alte Burg erneuert und erweitert hatte.

Aber auch formal weniger durchsichtige Namen wie Golm ›auf einem Hügel gelegener Ort‹ oder Laaske ›durch Rodung gewonnenes Gebiet‹ bewahren die Besonderheiten der Siedlungstopografie. Ölsen ›Siedlung an der Olse‹ wiederum ist motiviert durch die Lage des Ortes am rechten Nebenarm der Spree, dessen Name ebenfalls slawischer Herkunft ist und auf die am Ufer wachsenden Erlen verweist. Wie an diesen Beispielen deutlich wird, können Namen von einem Bereich auf einen anderen übertragen werden, von Gewässern auf Orte, von Personen auf Orte und von diesen wiederum auf Personen und dann auch auf Einrichtungen (Viadrina ›die an der Oder gelegene‹), Bauwerke (Oder-Spree-Kanal) und weitere Bereiche, wodurch sich ein dichtes Netz gegenseitiger Bezugnahmen und Tradierungen ergibt.

Oft ist es Philologenfleiß zu verdanken, der die Etymologie der Wörter freigelegt hat. Dass es aber auch ein laikales Bewusstsein für die Semantik, Bedeutung also im linguistischen Sinne, und Relevanz von Namen für die Identifikation mit einem Ort gibt, bezeugen zum einen Ortssagen, in denen Namen in ein erklärendes Narrativ gebracht werden, zum anderen die zahlreichen regionalen Veröffentlichungen. In jüngerer Zeit präsentieren sich Städte und Gemeinden auf ihren Websites häufig auch mit Erklärungen zur Herkunft des Ortsnamens. Damit wird das entsprechende Wissen sehr viel stärker ins kollektive Gedächtnis gerufen, als dies bei den traditionellen Medien und der mündlichen Überlieferung möglich war. Nicht zuletzt zeugen aber auch volksetymologische Umdeutungen von Ortsnamen von dem Interesse, die Herkunft eines Ortsnamens zu verstehen. So werden nicht selten Namen, die auch formalen sprachlichen Wandlungen unterliegen und allmählich von der Bevölkerung nicht mehr ›verstanden‹ werden, neu interpretiert. Dies kann sowohl Namen mit einer fremdsprachlichen Basis, aber auch solche mit einheimischen Wortbestandteilen betreffen. Augenfällig ist das zum Beispiel bei dem aus dem Slawischen stammende, direkt am Storkower See gelegene Storkow, eigentlich einer ›Siedlung, bei der Pfähle verwendet wurden‹. Im Stadtwappen, das an jedem Ortseingang Einheimische und Fremde begrüßt, zeigt der Storch deutlich die neue Motivation (Abb. 1).

Da im Niederdeutschen lautlich anstelle eines hochdeutschen ch ein k steht, wird hier über eine lautliche Verbindung eine inhaltliche Assoziation hergestellt und reanalysiert. Noch prominenter ist sicherlich Berlin, eigentlich durch die Lage an einem ›sumpfigen Ort‹ motiviert, das spätestens durch seinen ›Berliner Bären‹ im Stadtwappen wohl von den meisten Menschen nur noch mit diesem in Verbindung gebracht wird. Das ebenfalls aus einer Slawensiedlung entstandene Herzsprung geht auf einen Namen mit der Bedeutung ›Hirschquelle‹ zurück und nicht, wie es nahezuliegen scheint, auf eine unglückliche Liebe. Groß Kreuz, aus slawisch Crucewitz ›Ort, wo Birnbäume stehen‹, wird ebenfalls erst später mit dem Kreuz in Verbindung gebracht. Der amüsant anmutende Name Kuhbier, eigentlich zu einem slawischen ›Ort, wo Kletten wachsen‹, wird mit einer Kuh und Bier assoziiert; Motzen, gelegen am Motzener See, das sich wiederum als ›sumpfiges Gebiet‹ erweist, wird aktuell vorrangig zum umgangssprachlichen motzen ›jemanden beleidigen, nörgelnd schimpfen‹ gestellt. Obwohl die mit Kotzen ›Ort, wo haarige Pflanzen wachsen‹ verbundenen Assoziationen (allerdings wird das o eigentlich lang gesprochen) nicht gerade positiv sind, wurde ein Umbenennungsbegehren in den Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts von Einheimischen erfolgreich abgewehrt.

Jedoch kann die Uminterpretation eines Namens auch zu berechtigten Aktualisierungen führen, wie das unter anderem bei Nonnendorf der Fall ist. Der Ort wurde ursprünglich nach einem Mann mit dem deutschen Namen Nanno benannt und nachdem er zwischenzeitlich als wüste Feldmark in den Quellen geführt, dann aber wieder aufgebaut wurde, mit dem nahe gelegenen Zisterzienserinnenkloster in Verbindung gebracht.

Niederdeutsche, Niederländer und Hugenotten prägen die märkische Sprachlandschaft

Die entscheidende sprachliche Basis für die märkischen Dialekte wurde in der auf die Slawen folgende mittelalterliche Phase gelegt, in der seit der Herrschaft Albrechts des Bären Siedler überwiegend aus Gebieten des westlich der Elbe gelegenen Altlandes ins Land gerufen wurden. Sie brachten ihre westelbischen niederdeutschen Dialekte mit, die in den neuen Landen durch gegenseitige Beeinflussungen (Interferenzen und Transferenzen) weiterentwickelt wurden und sich allmählich von denen ihrer Herkunftsgebiete unterschieden. Die niederdeutsche Basis ihrer Dialekte zeigt sich grundlegend im Konsonantismus in den unverschobenen Lauten p, t, k gegenüber (p)f, (t)s, (k)ch, so heißt es also Dorp statt Dorf, Wittenberge statt hochdeutsch Weißenberge. Zu den wichtigsten Merkmalen des Niederdeutschen im Vokalismus gehören die einfachen langen Vokalen i:, ü:, u: (mien statt mein, Huus statt Haus, nües statt neues) sowie o: statt des hochdeutschen Diphthonges au (doof statt taub) und e: statt ei (keen statt kein), wie sich auch in volkstümlichen Redewendungen wie Se hett’t int Muulwerk as de Kateker in’n Stert ›sie hat es im Mund(werk), wie es der Eichkater im Schwanz hat‹ zeigt. Andere dialektale Besonderheiten sind kleinräumiger oder haben sich erst allmählich herausgebildet und grenzen Dialektgebiete innerhalb Brandenburgs voneinander ab.

Diese und weitere sprachliche Merkmale führen zu einer größeren Nähe zu Sprachen wie dem Englischen, Niederländischen und – etwas schwächer – Dänischen, Norwegischen oder Schwedischen und dies wird gern als Argument herangezogen, wenn für das Erlernen des Niederdeutschen geworben wird. Sprachhistorisch weist die (Regional-)Sprache aber auch auf die Blütezeit des Niederdeutschen, das Mittelniederdeutsche, zurück, in der die Sprache der Hanse – das sogenannte Hansedeutsch – als Verkehrs-, Geschäfts-, Rechts- und Literatursprache weit über die nördlichen deutschsprachigen Gebiete hinausreichte. Unter den märkischen Städten waren neben Brandenburg auch Berlin-Cölln, Frankfurt/Oder, Havelberg, Kyritz, Perleberg und Pritzwalk Mitglied der Hanse. Diese Hoch-Zeit der Sprache wurde während und auch nach deren Zeit in literarischen Texten tradiert, wie zum Beispiel dem über 22 Meter langen Wandgemälde zum Totentanz in der Marienkirche zu Berlin oder den Erzählungen über den märkischen Till Eulenspiegel Hans Clauert.

Für die mittelalterliche Besiedlung Brandenburgs und die Weiterentwicklung der Dialekte sollten neben den westelbischen Siedlern die aus niederländischen Gebieten einwandernden Kolonisten eine besondere Bedeutung erlangen. Im Landschaftsnamen Fläming (zu lat. flamingi ›Flamen‹) wird die Erinnerung an sie bis heute wachgehalten und in Vereinen gepflegt. Auch hier lassen wieder Namen neugegründeter Orte auf die Herkunft aus der alten Heimat schließen, so zum Beispiel der Ortsname Haseloff, bei dem es sich um die Übernahme des ostflandrischen Haslust ›Haselwäldchen‹ handelt. Brück hat seine Herkunft im westflandrischen Brügge. Der Name bedeutet ›Siedlung an der Brücke‹, wobei Brücke auch ›Damm durch sumpfiges Gelände‹ bedeuten kann. Diese Deutung wäre naheliegender, denn Brück liegt an einem alten Flussübergang über das Urstromtal. Max Bathe9 konnte anschaulich am Beispiel des »siebenfachen Lichterfelde« nachweisen, wie dieser niederländische Herkunftsname in Brandenburg mehrfach für Siedlungsneugründungen weiterverwendet wurde. Während die erste Siedlung unmittelbar auf den niederländischen Herkunftsort zurückweist, der als Lufterfelde auf ein ›Feld, über das der Wind hinwegfegt‹, Bezug nimmt, nehmen die Nachfahren der Kolonisten wiederum den Namen aus der neuen Heimat mit und bewahren auf diese Weise noch über Generationen ihre historische Herkunft, selbst wenn die jüngeren Orte nicht mehr ausschließlich von Niederländern bewohnt werden.

Außer in Orts- und Flurnamen, wie Upstall ›erhöhte Flur, die als Gemeindewiese genutzt wird‹, Fenn ›Moor, Sumpf‹, Dunk ›mit Bäumen bestandene Bodenerhebung‹, prägten die Niederländer die mittelmärkischen Dialekte auch in der Lautung, Lexik und Grammatik.10 So wird die unter dem Einfluss des Niederländischen für Brandenburg charakteristische Aufhellung (Palatalisierung) des Vokals a zu e in det (statt mecklenburgisch dat und südlichem mitteldeutschen das) sogar zur Abgrenzung des Märkischen gegenüber anderen niederdeutschen Dialekten herangezogen (Abb. 2). Am Beispiel des Namens der Havel11 konnte eindrucksvoll gezeigt werden, wie sehr sich an den einzelnen Flussabschnitten die dialektalen Namen – Hagel, Hafel, Hawel, Harel, Hoale, Hahl, Hahle, Hole und andere – unterscheiden und dass die Varianten im mittleren Flussabschnitt, die durch den Ausfall des Konsonanten auffallen – zum Beispiel bei Hoel, Hahl und anderen – niederländischem Einfluss zu verdanken sind. Dieser Ausfall inlautender Konsonanten findet sich auch in alltagssprachlichen Wörtern und gilt als ein Beleg für die niederländische Prägung der (mittel-)märkischen Dialekte. Aber auch das spirantische j statt g, das in Redewendungen wie ›ne jut jebratene Jans is ne jute Jabe Jottes‹ tradiert wird, sind durch die Neuankömmlinge beeinflusst. Dass dieses wie auch andere Merkmale des Märkischen heutzutage eher mit dem Berlinischen in Verbindung gebracht wird, ist vor allem damit zu begründen, dass Berlin ursprünglich auf den gleichen sprachlichen Grundlagen basierte wie die märkischen Dialekte und dieses Merkmal erhalten hat.

In der Lexik bleiben viele der von den Niederländern mitgebrachten Wörter, wie der Splinter für den Holzsplitter, wätern für ›das Vieh tränken‹, Moll für den Maulwurf oder Else für die Erle, die im Garten ungeliebte Päde für die Quecke, die Padde für den Frosch, die (Piss-)Miere für die Ameise oder Pieras (Pierworm, Piermade) für den Regenwurm weitgehend auf die märkischen Dialekte begrenzt. Zahlreich sind aber auch Redewendungen wie De is so klauk, de kann d’Piermadn in’d Er blaffen hörn ›der ist so klug, der kann die Regenwürmer in der Erde bellen hören‹, durch die Wörter im Gedächtnis bleiben können, auch wenn der Dialekt selbst gar nicht mehr aktiv gesprochen wird. Einzelne Wörter, wie der Erpel für den Enterich, gelangen sogar in die Standardsprache. Insgesamt ist festzustellen, dass die Gliederung der märkischen Dialekte in Nord- und (niederländisch geprägtes) Mittelmärkisch wesentlich, wenn auch nicht ausschließlich, auf die niederländischen Siedler zurückzuführen ist.

Und nicht zuletzt (trotz des geringeren Einflusses) sollen auch die Hugenotten erwähnt werden, die 1685 durch den Großen Kurfürsten ins Land eingeladen wurden und hier eine neue Heimat fanden. Vor allem im Gebiet der Uckermark finden sich ihre Spuren zum Beispiel durch den nun heimisch werdenden Tabakanbau. Redewendungen wie doa gääv ik ja keen Piep Toabak up ›da gebe ich ja nun keine Pfeife Tabak drauf‹ (= das hat für mich keinen Wert) oder das weit über Brandenburg verbreitete ›det/dit is starker Tobak‹ nehmen bei ihnen ihren Ausgangspunkt. Insbesondere im Gebiet des Oderbruchs wird die Erinnerung und Tradition des Tabakanbaus und der damit verbundenen Sprache bis heute bewahrt. Mit der Handwerkskunst der Hugenotten verbunden sind aber auch wieder Ortsnamen wie Glashütte, Bruchmühle oder Kalkofen.

Wörter und ihre Geschichte(n)

Insgesamt und unabhängig von Einflüssen aus anderen Sprachen oder Dialekten lässt sich also nicht nur in den Namen, sondern in allen Dialektwörtern Kulturelles entdecken, weil auch in deren Form und Grammatik sprachliche Herkunft eingeschrieben ist. Noch offensichtlicher sind es aber oft die Inhalte der Wörter, in denen die Erfahrungen der Menschen früherer Zeiten sichtbar bleiben. So zeigen die lexikalischen und lautlichen Varianten für die Kartoffel, welch unterschiedliche Merkmale für diese neu eingeführte und zunächst mit Skepsis betrachtete Frucht für die Menschen bestimmend waren: Anfangs als Holländische Tartuffeln bezeichnet, finden sich die Varianten Erdtoffeln, reduziert und lautlich abgewandelt Artoffeln, besonders in der Prignitz weiter verkürzt und lautlich angepasst zu Tüffeln sowie erweitert mit Morphemen, die der geringen Größe entsprechen, Tüffken, Tüfften, selten ist auch Potates belegt.12 Die semantische Verbindung zum Boden und zugleich zur Form stellen die Dialektwörter Erdäpfel, Erdbirnen, Erdschocke oder wieder verkürzt Erfel her. Vermutlich angelehnt an die runde Form sind im Berliner Raum die Knolle und im südlichen Brandenburg auch Knödel (Knudel, Knedel) üblich. In der Uckermark und im nördlichen Odergebiet ist Nudel (sehr wahrscheinlich eine Kürzung aus den Varianten zu Knödel und Ähnlichem) verbreitet, was im Gaststättenbereich gerne werbewirksam als regionale Besonderheit verwendet wird (Abb. 3).

Als letztes Beispiel seien nur einige der Bezeichnungen für die Libelle13 aufgeführt, in der sich menschliche Fantasie und Beobachtungsgabe vereinen. Zartheit und Reinheit, wie bei Jungfer/Jungfrau, Lebensbereich und Lebensweise, vgl. Seejungfer, Wasserjungfer, Spinnjungfer, Himmelspferdchen, Aussehen, Lebensweise und Begegnungen mit dem Menschen, so bei Dickkopf, Doppeldecker, Sommerpuppe, Speckpferdchen, Himmelsziege, Speckfresser, Warzenbeißer, Schillerbock, Schillerbold und anderes, werden in ganz unterschiedlicher Weise kombiniert und lassen so die Faszination der Menschen für diese besonderen Wesen bis heute erkennen.

Wenn auch seit Jahrzehnten das Märkische zunehmend aus dem aktiven Sprachgebrauch schwindet, so gibt es doch noch immer genug Dialektsprecherinnen und -sprecher. Unzählige literarische und regionalgeschichtliche Texte, Urkunden und insbesondere das »Brandenburg Berlinische Wörterbuch« sind wichtige Quellen, die »nicht nur den überlieferten Sprachschatz vor dem Vergessen bewahren, sondern Nutzern, die sich mit Sprach- und Siedlungsgeschichte, mit Sach- und Volkskunde und mit Heimatgeschichte befassen, wertvolles Material bereitstellen«.14 Ebenso können die seit jüngerer Zeit verstärkten Maßnahmen zum Schutz und zur Revitalisierung der märkischen Dialekte als Bestandteil der Regionalsprache Niederdeutsch dazu beitragen, dieses Kulturgut zu bewahren, denn auch in einem vielsprachigen Europa bleibt heimatliche und eben auch sprachliche Bindung ein wesentliches Fundament für ein gemeinsames Zusammenleben.

Anmerkungen

1 Ludolf Parisius, Mittelmärkisches Plattdeutsch im Grenzsaum zum Nordmärkischen aus Lunow an der Oder, Niebüll 2005, S. 11.

2 Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen, Straßburg 5. November 1992, hier Teil I, Art 1a. https://rm.coe.int/168007c089 [zuletzt: 10.04.2021].

3 Wolfgang Dost, Untersuchungen zu den sprachlichen Existenzformen Mundart und Umgangssprache im Raum Wittstock unter Einschluß eines nördlichen Vorlandes, Diss. Rostock 1975, S. 152.

4 Ebd., S. 151.

5 Brandenburg-Berlinisches Wörterbuch, 4 Bde., Berlin 1976/2001.

6 Ernst Hadermann, Das Brandenburg-Berlinische Wörterbuch, in: Beilage zum Mitteilungsblatt für die Schulen und Volksbildungsämter des Landes Brandenburg 4 (1950), Nr. 14, S. 1– 4, hier S. 1.

7 Hans Krahe, Unsere ältesten Flußnamen, Wiesbaden 1964, S. 34.

8 Die im Text angeführten etymologischen Angaben werden etwas vereinfacht angegeben und verweisen vor allem auf die zentralen Bedeutungen, wie sie in Reinhard. E. Fischer, Die Ortsnamen der Länder Brandenburg und Berlin. Alter – Herkunft – Bedeutung, Berlin 2005, angeführt sind. Ergänzend wird das vierbändige Brandenburg-Berlinische Wörterbuch (wie Anm. 5) herangezogen. Insgesamt ist die Literatur zu einzelnen Wörtern des Märkischen außerordentlich umfangreich. Bedeutungsangaben erfolgen in einfachen Anführungsanstrichen.

9 Max Bathe, Lichtervelde – Lichterfelde, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock. Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 4 (1954/55)/II, S. 95 –121.

10 Vgl. Hermann Teuchert, Die Sprachreste der niederländischen Siedlungen des 12. Jahrhunderts, Neumünster 1944; Ders., Die Mundarten der brandenburgischen Mittelmark und ihres südlichen Vorlandes, Berlin 1964.

11 Anneliese Bretschneider, Die Havel und ihr Name in alter und neuer Zeit, in: Brandenburgische Blätter 3 (1981), S. 71–80, hier S. 76.

12 Brandenburg-Berlinisches Wörterbuch (wie Anm. 5), Bd. 2 (1985), hier S. 883ff.

13 Ebd., Bd. 3 (1994), hier S. 108.

14 Joachim Wiese, Das Brandenburg-Berlinische Wörterbuch (BBW). Geschichte und Publikationsergebnisse, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 54 (2003), S. 219–230, hier S. 230.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 Stadtverwaltung Storkow (Mark), PD-Coa-Germany.

Abb. 2 Joachim Schildt/Hartmut Schmidt, Berlinisch. Geschichtliche Einführung in die Sprache einer Stadt, 2. Aufl., Berlin 1992, S. 240.

Abb. 3 Autorin

 

Der Beitrag erschien in:

Asche, Matthias / Czech, Vinzenz / Göse, Frank / Neitmann, Klaus (Hrsg.): Brandenburgische Erinnerungsorte - Erinnerungsorte in Brandenburg. Band 1 (= Einzelveröffentlichungen der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V., Band 24). Berlin 2021, S. 27-27.


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