Schinkel

Eva Börsch-Supan

Karl Friedrich Schinkel (13. März 1781–9. Oktober 1841) war der bedeutendste Architekt der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Nach seinem Wirkungskreis und, soviel wir wissen, auch nach seinem Selbstverständnis, war er ein Staatsdiener des Königreichs Preußen und fühlte sich zugleich zugehörig zur internationalen Elite der Architektenschaft. Was bedeutete ihm sein Geburtsort Neuruppin, was die preußische Provinz Brandenburg, die diesen umgab? Welche Spuren seines Wirkens sind in ihr noch sichtbar, und gibt es Orte, die ohne sichtbare Werke Schinkels doch an ihn erinnern oder erinnern sollten?

Die meisten Bauten Schinkels stehen in der Hauptstadt Berlin und in der von ihm, Peter Joseph Lenné und Friedrich Wilhelm IV. gestalteten Landschaft der Insel Potsdam. Hier, in Charlottenhof, Glienicke, Babelsberg ist die Erinnerung an Schinkel noch selbstverständlich gegenwärtig, ebenso bei der Nikolaikirche in Potsdam, bei deren langer dramatischer Bau- und Restaurierungsgeschichte sein Name die Leistungen der anderen Baumeister und -techniker überstrahlt. In dieser vor allem nach klassisch-italienischem Ideal gestalteten Schlösserlandschaft ist ein schon von Natur aus besonders reizvoller Teil der Mark Brandenburg gewissermaßen aus ihr herausgehoben, daher wird dieser in Wort und Bild vielfach dargestellte, heute zum Weltkulturerbe gehörende Bereich in unserer Darstellung ausgespart.

Auch Paul Ortwin Rave dachte wohl nicht an diese exzeptionellen Bauten, als er Schinkel in dem ihm gewidmeten Heft der »Brandenburgischen Jahrbücher« einen »Sohn der Mark« nannte.1 Er dachte nicht nur an die Prägung in seiner Kindheit, sondern sah auch eine Seelenverwandtschaft zu den aus dem Nordosten (allerdings nur zum Teil aus der Mark) stammenden Vertretern der Klassik und Frühromantik, die ihn in der Jugend beeinflusst hatten. Eher als diese geografische Festlegung eines Zeitphänomens dürfte doch das aufklärerisch-philanthropische Schulwesen in Neuruppin2 als echter lokaler Einfluss gelten.

Überzeugender ist Raves Hinweis auf Schinkels Sachlichkeit als landschaftstypischen Charakterzug. Nicht zuletzt durch diese Eigenschaft wirkt er mit seinen Werken und grundlegenden Gedanken bis in die Gegenwart. Auch mag die bescheidene, an Ressourcen und spektakulären Reizen arme Landschaft der Mark (»Streusandbüchse des Heiligen Römischen Reiches«) seinen Blick für die menschliche Leistung der Kultivierung, die er oft hervorhob, geschärft haben, ebenso seinen praktischen Sinn, mit dem er neben künstlerischen Zielen auch konkrete Verbesserungen in anderen Bereichen erstrebte. Bei seiner amtlichen Tätigkeit seit 1810 in der Oberbaudeputation, der zentralen staatlichen Kontrollbehörde für das Bauwesen,3 war die Mark Brandenburg eine Provinz unter anderen. Und doch nicht so ganz: Hier, in der steinlosen Mark, wurzelte sein Einsatz für den unverputzten Ziegelbau, und hier plante er Kirchen als Monumente der Befreiungskriege.

Neuruppin

Ein Jahr nach dem Tod Friedrichs des Großen, der seinerzeit dem Ort Glanz verliehen hatte, am 26. August 1787, brannte Neuruppin fast vollständig nieder. Schinkel, sechsjährig, verlor seinen Vater, der sich bei Hilfeleistungen den Tod geholt hatte. Wie tief dieser Kindheitseindruck wirkte, zeigt der Titel eines 1828 für die Treppenhalle seines Museums geplanten Wandbildes: Aufopferung für Andere bei gefährlichen Naturereignissen.

In seinen Kinderjahren, bis die Familie 1794 nach Berlin zog, erlebte Schinkel den anfangs schnellen, von König und Staatsbehörden großzügig betriebenen Wiederaufbau der Stadt, der ein Neubau auf weiträumigem Straßennetz war. Dass Schinkels späterer Sinn für städtebauliche Zusammenhänge bereits hier erwachte, ist nicht anzunehmen, aber der ständige Baubetrieb dürften dem Knaben gezeigt haben, was handwerkliche Leistung, handwerkliches Können bedeuten.

Die Planung oblag dem Oberbaudepartement, der Vorgängerbehörde von Schinkels späterer Wirkungsstätte. Die wichtigsten Gebäude: die Marienkirche, das zentral gelegene schlossartige Gymnasium, das Rathaus, eine Irrenanstalt und mehrere Wohnhausfassaden entwarf Oberbaurat François Philipp Berson in frühklassizistischen Formen mit sparsamer Ornamentik.4 Die monumentale Kirche, 1801/06 als queroblonger Predigtsaal der letzte Bau dieses barocken Typus, ist durch eine Kuppel über dem Mittelrisalit des Eingangs ausgezeichnet. Dies war eine Reminiszenz an den – damaligen – Berliner Dom.

Als Schinkel später, am 24. Juni 1823, ein Gutachten zur notwendigen Reparatur der Kirche schrieb, nannte er sie ein Bauwerk, das in vieler Beziehung misslungen sei, für das jede nicht ganz dringende Ausgabe zu vermeiden und nur das Allernotwendigste zur Erhaltung anzuordnen sei.5 Die Summe von 3.054 Talern sei viel zu bedeutend, besonders, weil andererseits die gotische Franziskanerkirche, die den Brand überstanden hatte, verfallen sei. Das harte Urteil über ein Werk der eben vergangenen Epoche, das noch keinen historischen, denkmalhaften Wert hatte, ist charakteristisch. 1883 ehrte die Stadt ihren großen Sohn mit einem Standbild von Max Wiese.

Neuhardenberg

Der Ort von Schinkels frühester umfangreicher Bautätigkeit, der davon noch heute geprägt ist, enthält Erinnerungsstoff bereits in seinem Namen: Neuhardenberg, das bis 1814 Quilitz hieß und von 1945 bis 1990 Marxwalde. Hier ließ 1792 Bernhard von Prittwitz das wohl früheste Denkmal Friedrichs des Großen errichten, dem er diesen Besitz verdankte. Auch hier hat ein verheerender Brand – am 9. Juni 1801 – den Wiederaufbau in einer weiträumigeren Ortsstruktur erfordert.

Der junge Schinkel, als Schüler von David und Friedrich Gilly sowohl in der zweckbetonten Landbaukunst des Vaters, wie auch in der monumentalen Formensprache des Sohnes bewandert, war der ideale Architekt für diese Aufgabe.6 War für die Anlage traufseitiger Bauernhäuser entlang der breiten Dorfstraße das wenige Jahre zuvor von David Gilly und Friedrich Rabe gestaltete königliche Dorf Paretz Vorbild, so sollten die zentralen Hauptgebäude Kirche, Pfarr- und Schulhaus Solitäre sein. Die auf den Grundmauern des ausgebrannten Barockbaues errichtete Kirche erhielt einen markanten Turm, auf dessen breitem, nur mit ganz feinen Fugen linear gegliederten Massiv kontrastierend ein durchfenstertes ovales Glockengeschoss steht. Beim Schulhaus versuchte Schinkel erstmals, dem Bautypus eine spezifische, ausdrucksstarke, durch strenge Symmetrie fast monumentale Gestalt zu geben. Drei Eingänge lagen zwischen den beiden weit vorspringenden, mit Halbkreisfenstern beleuchteten Klassenräumen.

Beide Entwürfe mussten aus Kostengründen vereinfacht werden, ein Schicksal, das Schinkel immer wieder ereilte. In den folgenden Jahren beugte er sich zunehmend der in Preußen gebotenen Sparsamkeit und entwarf dafür besonders für Kirchen neue, teilweise großartige Typen, die bis weit in das 19. Jahrhundert wirkten.

Unter den Quilitzer Gutsbauten hebt sich das Molken- und Verwalterhaus im Vorwerk Bärwinkel heraus, wo Schinkel mit Elementen romanischer Kirchenarchitektur ein völlig neuartiges, vermutlich als Rekonstruktion des Salomonischen Tempels gedachtes Haus, eine Basilika mit breitem Eingangsriegel, schuf.7 Dabei verwendete er den in der Gegend anstehenden Raseneisenstein, und für Rahmungen und Verzierungen Ziegel. Das Haus ist durch privates Engagement zu einem kleinen Museum, einem Erinnerungsort an den jungen Schinkel geworden (Abb. 1).

Als 1814 der Staatskanzler Karl August Fürst von Hardenberg den Besitz erhielt, ließ er dem Ort durch Schinkel einen repräsentativeren Charakter geben. Das Prittwitzsche Schloss, eine eingeschossige Dreiflügelanlage, wurde 1820/22 aufgestockt. Eine elegante Brüstung, die das Dach versteckte und über dem Portal mit Inschrift »Gratia regis«, Eisernem Kreuz und Preußischem Adler die Schenkungsgeschichte verbildlichte, gab dem Bau eindrucksvolle Geschlossenheit. Die Brüstung wurde indes schadhaft und musste 1852 abgetragen werden. Vor allem wurde bis 1817 die Kirche neu ausgestattet.8 Schinkel baute an der Altarwand eine halbrunde Apsis ein, die in einer Mittelnische die Kanzel enthält, in den Seitenfeldern Darstellungen der vier Evangelisten von Joseph Bertini nach italienischen Vorbildern. Ihre Rahmung durch Pilaster fügt sich in das architektonische Gliederungssystem aus zwei Geschossen von Pfeilern ein, die die Emporen beziehungsweise die Decke tragen. Die Decke erscheint als streng geometrisch geordneter Sternenhimmel.

Nach Hardenbergs Tod 1822 baute Schinkel als Gedächtnishalle an die Rückseite der Kirche die Front eines Antentempels an, die statt der geplanten Statue eine Gedenktafel erhielt. Der Vorplatz wurde zur Grablege der Familie Hardenberg.

Zwischen Schinkels früher Tätigkeit für Quilitz und andere Orte im Oderbruch und seiner späteren in der Mark Brandenburg, lagen mehrere Jahre mit für seine Entwicklung wesentlichen Ereignissen: 1803/05 die Italienreise, während der er sich von der Dominanz Gillys befreite; 1806 der Zusammenbruch des preußischen Staates samt seiner Bautätigkeit, was ihn zum Broterwerb unter anderem durch Diorama-Entwürfe zwang; 1809 die Heirat mit Susanne Berger aus Stettin; Ende 1809 die Rückkehr des Königspaares aus dem Königsberger Exil, was Schinkel Zimmereinrichtungen für Königin Luise ermöglichte; schließlich 1810 die Anstellung in der Oberbaudeputation, der zentralen Kontrollbehörde für das Bauwesen. Hier war Schinkel für das ästhetische Fach zuständig, d. h. er hatte alle eingereichten Entwürfe in dieser Hinsicht zu prüfen, eventuell zu korrigieren. Sein spezielles Ressort aber, das er vollständig zu bearbeiten hatte, waren der Kirchenbau und die ›Erhaltung der vaterländischen Altertümer‹.9 Beides prägte nun auch seine Tätigkeit in Brandenburg.

Chorin – Denkmalerfassung und Denkmalpflege

Wirklich aktiv wurde er hier erst nach Beendigung der Kriege 1815. Begeistert von der Fülle bedeutender mittelalterlicher Bauten in den neu erworbenen preußischen Provinzen Rheinland und Sachsen verfasste er im August sein grundlegendes Denkmalpflege-Memorandum, dem König Friedrich Wilhelm III. mit der Kabinettsordre vom 4. Oktober 1815 folgte.10

Ein hervorragendes hochgotisches Bauwerk in der Mark Brandenburg, das 1273 bis 1319 erbaute Zisterzienserkloster Chorin, kannte Schinkel, da es als »sehr angenehme Landschaft« mit, wie David Gilly 1797 schrieb, »in Ruinen übergehendem Gemäuer«11 an der Straße nach Stettin lag, auf der er unter anderem 1809 zu seiner Hochzeit fuhr (Abb. 2). Eine Gruppe von siebzehn Zeichnungen,12 teils sorgfältig ausgeführte Ansichten, teils Aufnahmen einzelner Bauglieder, lassen vermuten, dass er die gesamte Anlage systematisch erfassen und – außer einem quadrierten, wohl für ein Diorama bestimmten landschaftlich dominierten Blatt – publizieren wollte. Zur Ausführung fehlte wohl bei zunehmenden Dienstgeschäften die Zeit. Schon Anfang 1816, als Schinkel für die Restaurierung der Marienburg im Gespräch war, ist er in Berlin unabkömmlich. Durch seine Untersuchungen vor Ort kannte Schinkel aber auch den bedenklichen Zustand der als Staatsdomäne genutzten, also auf ökonomischen Ertrag und keineswegs auf Schonung der Bausubstanz ausgerichteten Gebäude. Hier einzuschreiten versuchte er mit einem Schreiben vom 8. Januar 1817 an das Finanzministerium, damals die der Oberbaudeputation übergeordnete Behörde. Er nennt die »bedeutenden Überreste« des Klosters »in vieler Hinsicht als Werke deutscher Baukunst merkwürdig«, die »besonders in Rücksicht auf Konstruktion mit gebrannten Steinen als Muster dienen können.« Zu ökonomischen Zwecken genutzt, sei selbst die Kirche zur Scheune und Holzablage eingerichtet. »Bei der Seltenheit solcher Denkmäler in dieser Provinz wird die Erhaltung […] zur Pflicht.« Das Ministerium solle verlassen, dass diese Pflicht dem Amtmann auferlegt werde, »auch könnten sich die Baumeister der Provinz dafür interessieren, damit wenigstens das willkürliche Einreißen und Verbauen dieser Alterthümer vermieden und dem Lande der schöne Schmuck solcher Denkmäler erhalten werde.«13

Ein Ende der landwirtschaftlichen Nutzung, eine Restaurierung zu fordern, wäre unrealistisch gewesen. Für die Denkmalpflege gab es keinen eigenen Etat. Nur die schlimmsten Eingriffe wurden im Lauf der nächsten Jahre beseitigt. Ein Plan Lennés zur gärtnerischen Gestaltung, 1833, der die Anlage aufgewertet hätte, blieb stecken. Aber durch Schinkels Initiative kam Chorin dauerhaft ins öffentliche Bewusstsein, Architekten in seinem Umkreis kopierten seine Zeichnungen. Ein jüngerer, Paul Brecht, publizierte Chorin 1854 in der »Zeitschrift für Bauwesen« und als selbständige Schrift, mit eigenen Aufmaßen und minimal veränderten Zeichnungen Schinkels. 1843 wurde erstmals in einem deutschen Staat mit Ferdinand von Quast eigens für diese Aufgabe die Stelle eines Provinzialkonservators geschaffen.

Großbeeren – Kirchen und Denkmäler der Befreiungskriege

Die Mark Brandenburg war in hohem Maße Schauplatz der Befreiungskriege. Der preußische Sieg in der Schlacht bei Großbeeren am 23. August 1813 bewahrte Berlin vor der Besetzung durch die Truppen Napoleons. Daher wurde auch hier eines der sechs von Friedrich Wilhelm III. gestifteten, von Schinkel entworfenen Gefallenendenkmäler an den Orten bedeutender Schlachten errichtet, ein zweites in Dennewitz.

Diese ab Ende 1816 in der Berliner Eisengießerei hergestellten Denkmäler haben die Gestalt einer steilen, mit dem Eisernen Kreuz bekrönten Turmspitze über einem von Wimpergen (Giebeln) gerahmten Sockelgeschoss. Schinkel, der zunächst vielseitige Pfeiler für Namensinschriften der Gefallenen skizziert hatte, war bei der gebotenen Vereinfachung wohl von dem kurz zuvor gesehenen gotischen Hochkreuz bei Bonn angeregt.

In Großbeeren wurde anlässlich der jährlichen Gedächtnisfeiern und der Denkmalaufstellung 1817 auch Geld für den Neubau der Kirche bewilligt, die im Siebenjährigen Krieg 1760 zerstört worden war. Schinkel, vom Oberpräsidenten der Provinz direkt mit dem Entwurf beauftragt, erklärte, diese Kirche müsse ebenfalls ein Monument14 werden. Daher, und weil er zugleich die Ortsanlage auf das Gefallenendenkmal ausrichtete, entwarf er einen Zentralbau mit dem Charakter einer Kapelle. Seine Idee, in einer perspektivischen Zeichnung von hinreißender Gegenwärtigkeit dargestellt, ist ebenso schlüssig wie die Ausführung kompliziert gewesen wäre. Aus einem idealen Quadrat entwickelt, staffeln sich vier Flügel über dem Grundriss eines griechischen Kreuzes mit eingestellten Treppentürmen bis zum mittleren Achteckturm auf, unter dem der Altar unter einem Rippengewölbe in Form des Eisernen Kreuzes stehen sollte. Gleichartige Formen, Fensterrosen, leicht spitzbogige Fenster, mäßig steile Dächer, halten den vielteiligen Baukörper zusammen. Der geniale Entwurf war zu teuer. Von ihm blieb im reduziert ausgeführten Plan nur der Zentralbaugrundriss des Griechischen Kreuzes, dem nun in der Straßen- und Denkmalachse ein regelrechter durchaus anspruchsvoller Turm vorgesetzt wurde.

Das Kirchengebäude selbst zeigt mit breiten Giebelseiten, den großen gotisierenden Fenstern und etwas plumpen aufgesetzten Fialentürmchen einen freundlich-ländlichen Charakter. Denkmalhaft wirkt nur der Turm. Durch dessen Form- und Sichtbeziehung zum Gefallenendenkmal entstand auf dem ursprünglichen Kirchhof, dem Schauplatz erbitterter Kämpfe, ein eindrucksvoller Erinnerungsort (Abb. 3).

Auch in den folgenden Jahren entwarf Schinkel Kirchtürme als Monumente der Befreiungskriege: 1819 für Müncheberg (nicht ausdrücklich, aber durch aufgestaffelte gotische Formen an Großbeeren anknüpfend) und für die Gertraudenkirche Berlin, 1821 für Rathenow, 1822 für Stralau. Sie wurden nicht oder nur stark verändert ausgeführt. In Rathenow wählte er als Schmuck »den Erzengel Michael, wie dieser den Teufel besiegt, als allgemeines schönes Symbol für den Sieg des Guten über den Bösen«.15

Der unverputzte Ziegelbau

Die gotischen Kirchen in Brandenburg sind Ziegelbauten. Im steinarmen Land baute man auch in den folgenden Epochen mit Ziegeln, versteckte das Material aber zugunsten homogener Wände mit Werkstein andeutender Putzgliederung. Das tat auch Schinkel in seiner Frühzeit bei höheren Bauten wie Schloss Buckow oder der Kirche in Neuhardenberg. Die Gutsgebäude jedoch waren unverputzt aus erreichbarem Material, Feldstein, Raseneisenstein, oft mit Ziegeln für Kanten und Einfassungen erbaut. Auch das konnte eine eigene Ästhetik ergeben.

Unverputzter Ziegelbau verlangt besondere Sorgfalt und Güte des Materials, ist dafür aber äußerst haltbar. Beides bemerkte Schinkel auf der Italienreise 1804 an der Burg in Ferrara und fand es »für uns sehr anwendbar«.16 Zurück in der Heimat nannte er hier die entsprechenden Vorbilder, wie Chorin, als »Muster für unsere Zeit« und suchte ihnen zu folgen. Das gelang bei dem 1818/19 erbauten Kirchturm in Letschin, nachdem Schinkel den Entwurf von 1815 mit hohen eleganten Spitzbogenfenstern 1817 der Belastbarkeit des Materials entsprechend kleinteiliger gegliedert hatte. Bis in die Spitze hinein gemauert, also auch feuersicher, hielt der Turm dem Beschuss im Zweiten Weltkrieg stand. Auch bei Schinkels neugotischem Entwurf für Müncheberg 1819 sollten die drei Spitzen mit gut gebrannten Klinkern gemauert werden, was auch für den gewählten Stil passend sei.17 Das galt für Schinkels eher einfache, kaum verzierte scharfkantige Bauformen. Wenn er 1825 schrieb, die Gotik eigne sich nicht für den Ziegelbau, die Dome seien in Werkstein errichtet, vereinfacht aber habe dieser Stil etwas sehr Rohes,18 so zeigt das vor allem den Wandel seiner eigenen Kunstauffassung an.

Leidenschaftlich setzte sich Schinkel für sein Turmprojekt für Rathenow 1821 ein, das der Magistrat der Stadt bestellt, dann aber abgelehnt hatte. Angesichts des »so vorzüglichen […] Materials, welches an Ort und Stelle gewonnen wird und dessen Fabrikation durch den Bau auf einen noch höheren Stand zu bringen« sei, entwarf er einen monumentalen, in fünf Geschosse gegliederten, von kannellierten Rundpfeilern gerahmten Turm, der mit einer Halle an die bestehende Kirche anschließen sollte. Dieser Turm, so Schinkel, »ist für die Ewigkeit, wenn das Material und die Arbeit einigermaßen sorgsam ausfallen.«19 Dennoch lehnte man die eindrucksvollen neuartigen Formen ab; schließlich bat man Schinkel noch, auf einen Teil seines Honorars zu verzichten.

Verwirklicht wurde Schinkels letzter märkischer Ziegelbau, die Kirche in Petzow, 1839 (Abb. 4). Dabei half das Interesse des Kronprinzen Friedrich Wilhelm (IV.), der auch die landschaftswirksame Lage auf dem Grellberg durchsetzte. Wenige Schmuckformen akzentuieren den einfachen Bau, eine Zwerchgalerie »nach den altrheinischen Gebäuden« an der Apsis, Arkaden am Turm, der vom Kirchenschiff getrennt steht. Auf den Einwand der Regierung in Potsdam, dies fände allgemein keinen Beifall, antwortete Schinkel in der Oberbaudeputation, danach könne man sich nicht richten, sondern müsse diese Anordnung als zweckmäßig empfehlen, »und es in Betracht der Form unser Bestreben sein muß, durch Aufstellung guter Musterbaue auf allgemeine Bildung eines guten Geschmacks hinzuwirken.«20 Hier zeigt sich Schinkels Auffassung von seiner Rolle als Erzieher in Fragen der Kunst.

Seine bahnbrechenden Ziegelbauten, Feilnerhaus, Bauakademie, Magazine, entstanden in Berlin, erst die Schüler beziehungsweise die Enkelschüler, folgten in Brandenburg, so Martin Gropius mit der Irrenanstalt in Eberswalde. Für Schinkel selbst trat mit den höfischen und öffentlichen Großbauten ab 1818 der klassische Formenkanon mit Stein andeutender Putzgliederung in den Vordergrund und im Kirchenbau eine verwandte typenbildende Rundbogenarchitektur. Ein großartiges Beispiel hierfür ist die Kirche in Straupitz, ein bescheiden schönes die Kirche in Annenwalde – in dem von Friedrich Wilhelm III. 1827 geforderten Typ der Normalkirche.

Tegel

Ein Kleinod der Erinnerungskultur ist das 1820/24 von Schinkel für Wilhelm von Humboldt erbaute Schloss Tegel.21 Seit 1920 in Berlin eingemeindet und dort der einzige unbeschädigte Schinkelbau, war es zur Bauzeit ein idyllisch gelegener Landsitz in Brandenburg. Das Schloss ist die früheste, und neben Charlottenhof schönste von Schinkels klassizistischen Residenzen, und in Form und Inhalt ein Zeugnis für die Antikenverehrung des Bauherrn wie des Architekten (Abb. 5).

Schon mit seiner Baugestalt, der man die Überformung des Gutshauses aus dem 16. Jahrhundert kaum noch ansieht, zitiert Schinkel Erinnerungen: mit den vier Türmen die an einen idealen Villenentwurf Palladios, mit den Reliefs der Windgötter die an den Turm der Winde in Athen. Auch das Vestibül deutet ein römisches Atrium an, mit einem Brunnen (Pozzo) zwischen Säulen anstelle eines Impluviums.

Als sich Humboldt 1819 dauerhaft hier niederließ, plante er einen Familienwohnsitz, der zugleich ein Museum seiner in Rom und London erworbenen Sammlung antiker Abgüsse werden sollte. Zum geplanten Antikensaal schrieb er seiner Frau Caroline am 14. Juli 1820, man könne darin die Figuren schön und sicher aufstellen, »man stiftete seines Namens Gedächtnis, da niemand sonst in der Gegend ein Museum besitzt«, und daß man »über tausend Jahre in Tegel wie in Rom griechische Torsen finden kann, und sie können nicht eher mit Anstand da unter die Erde kommen, ehe wir sie nicht da über die Erde bringen.«22 Schinkel gestaltete diese Symbiose bis ins Einzelne: klar, streng geordnet und harmonisch. Dieser Geist, diese Schönheit wirkt noch heute.

Als Caroline von Humboldt bereits 1829 starb und gegenüber dem Schloss am Ende der langen Parkwiese beigesetzt wurde, entwarf Schinkel eine weiträumige halbrunde Steinbank nach dem Vorbild des Grabes der Mamia in Pompeji, in deren Mittelpunkt Thorvaldsens Statue der Spes (Hoffnung) auf einer ionischen Säule steht. Auch dieser Friedhof, der noch immer die Verstorbenen der Familie aufnimmt, ist bis heute ein Ort des Gedenkens.

Zwei ursprüngliche Teile der Mark Brandenburg gehören heute nicht mehr zu ihr; die Neumark seit 1945 zu Polen, die Altmark, die 1815 mit den neuerworbenen sächsischen Gebieten zur Provinz Sachsen vereinigt wurde, seit 1990 zu Sachsen-Anhalt. Noch ehe Schinkel 1835 die Altmark auf einer Dienstreise näher kennenlernte, informierte ihn sein Schüler Johann Heinrich Strack 1832 über den bedenklichen Zustand mittelalterlicher Backsteinbauten in Stendal und Tangermünde. Sofort setzte sich Schinkel mit Briefen und Eingaben für die »kunstgemäße Herstellung«23 der Baudenkmäler ein, was endlich ab 1841 zu Instandsetzungsmaßnahmen führte.

Das Wirken dieses Sohnes der Mark reicht bis in unsere Zeit. Seine Ziegel-Ästhetik hat das Antlitz von Brandenburg geprägt, das arm an alternativem Baumaterial ist. Unverputzte Klinkerbauten der Neuen Sachlichkeit und Moderne greifen darauf zurück. Er hat vielfältige stilistische Muster gefunden für unterschiedliche funktionale Aufgaben und Monumente. Bis heute nennt ihn das Brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege den ›Erfinder der staatlichen Denkmalpflege‹24 und erinnert das Nationalkomitee für Denkmalschutz mit dem Schinkelring, seinem höchsten Preis, an diese Pionierleistung.

Anmerkungen

1 Paul Ortwin Rave, Schinkel, ein Sohn der Mark, in: Ders., Schinkel in der Mark, Potsdam/Berlin 1937, S. 5 –12. Grundlegend zum Thema: Hans Kania/Hans-Herbert Möller, Karl Friedrich Schinkel. Lebenswerk, Bd. 10: Mark Brandenburg, Berlin/München 1960.

2 Mario Alexander Zadow, Karl Friedrich Schinkel. Ein Sohn der Spätaufklärung, Stuttgart/London 2001, bes. S. 14 – 60.

3 Paul Ortwin Rave, Schinkel als Beamter. Ein Abschnitt preußischer Bauverwaltung, in: Zentralblatt der Bauverwaltung 62 (1932), S. 88–94 [wiederabgedruckt in: Helmut Börsch-Supan/Lucius Grisebach (Red.), Karl Friedrich Schinkel, Architektur, Malerei, Kunstgewerbe. Orangerie des Schlosses Charlottenburg, 13. März bis 13. September 1981, Berlin 1981, S. 75 –94].

4 Ulrich Reinisch, Der Wiederaufbau Neuruppins, in: Christoph Martin Vogtherr/Susanne Evers (Red.), Friedrich Wilhelm II. und die Künste. Preußens Weg zum Klassizismus, Berlin 1997, S. 112–114.

5 Kania/Möller, Karl Friedrich Schinkel (wie Anm. 1), S. 240.

6 Frank Augustin/Goerd Peschken (Hgg.), Der junge Schinkel 1800 –1803, München/Berlin 2006.

7 Goerd Peschken, Schinkels Salomonischer Tempel auf Bärwinkel. Berlin/München 2015.

8 Sibylle Badstübner-Gröger, Die Schinkel-Kirche in Neuhardenberg, 2. Aufl., Berlin/München 2009.

9 Rave, Schinkel als Beamter (wie Anm. 3).

10 Hierzu zuletzt Hans Junecke/Martina Abri/ Dieter Dolgner/Eva Börsch-Supan/Torsten Kahlbaum, Karl Friedrich Schinkel. Lebenswerk, Bd. 22: Die preußische Provinz Sachsen, Berlin/ München 2014, S. 497–505.

11 Zitiert nach: Ernst Badstübner, Denkmalpflege in Chorin, in: Ders./Hannelore Sachs (Red.), Denkmale in Berlin und in der Mark Brandenburg. Ihre Erhaltung und Pflege in der Hauptstadt der DDR und in den Bezirken Frankfurt/Oder und Potsdam, 2. Aufl., Weimar 1988, S. 303 –311, hier S. 303.

12 Iris Berndt, Chorin. Die Zeichnungen Karl Friedrich Schinkels zum Kloster, in: Brandenburgische Denkmalpflege 6 (1997), S. 31– 42; Badstübner, Denkmalpflege in Chorin (wie Anm. 10); Helmut Börsch-Supan, Karl Friedrich Schinkel – Lebenswerk, Bd. 20: Bild-Erfindungen, Berlin/München 2007, S. 422– 428.

13 Kania/Möller, Karl Friedrich Schinkel (wie Anm. 1), S. 232.

14 Kania/Möller, Karl Friedrich Schinkel (wie Anm. 1), S. 137–144; Eva Börsch-Supan, Kirchen als Monumente der Befreiungskriege, in: Karl Friedrich Schinkel. Architekt, Maler, Möbelgestalter, Bühnenbildner und Kunstphilosoph, Berlin 2006 (= Die Mark Brandenburg. Zeitschrift für die Mark und das Land Brandenburg 61), S. 17–23.

15 Kania/Möller, Karl Friedrich Schinkel (wie Anm. 1), S. 146.

16 Zit. nach Eva Börsch-Supan, Dauerhaft – vaterländisch – historisch. Ziegelbauten Schinkels und seiner Schüler, in: Jahrbuch für Brandenburgische Landesgeschichte 69 (2018), S. 117–133, hier S. 119.

17 Kania/Möller, Karl Friedrich Schinkel (wie Anm. 1), S. 174.

18 Ebd., S. 149.

19 Zit. nach ebd., S. 149 f.

20 Zit. nach ebd., S. 212.

21 Rave, Schinkel (wie Anm. 1), S. 31– 45 u. 285 –294; Ders., Wilhelm von Humboldt und das Schloß zu Tegel, 2. Aufl., Berlin 1956.

22 Kania/Möller, Karl Friedrich Schinkel (wie Anm. 1), S. 174.

23 Junecke/Abri/Dolgner/Börsch-Supan/Kahlbaum, Karl Friedrich Schinkel (wie Anm. 9), S. 673 – 694 (Dienstreise), S. 674, 677, 681 (Briefe 1832).

24 https://bldam-brandenburg.de/mosaik-comic-zu-denkmalpflege-erschienen/ [zuletzt: 28.01.2021]

Abbildungsnachweis

Abb. 1 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Molkenhaus_auf_b%C3%A4rwinkel_20150511_0002.jpg#mw-jump-to-license (Foto: Regulus Velin - CC BY-SA 4.0).

Abb. 2 Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, SM 17b. 1.

Abb. 3 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Obelisk_Schlacht_bei_Grossbeeren_1813_01.jpg?uselang=de (Foto: Clemens Franz - CC BY-SA 4.0).

Abb. 4 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Dorfkirche_Petzow_S%C3%BCdansicht_01.jpg (Foto: Assenmacher - CC BY-SA 4.0).

Abb. 5 Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, SM 21c.105.

 

 

Der Beitrag erschien in:

Asche, Matthias / Czech, Vinzenz / Göse, Frank / Neitmann, Klaus (Hrsg.): Brandenburgische Erinnerungsorte - Erinnerungsorte in Brandenburg. Band 1 (= Einzelveröffentlichungen der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V., Band 24). Berlin 2021, S. 233-244.


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