Soldatenkönig

Frank Göse

Es mag auf den ersten Blick überraschend anmuten, einen frühneuzeitlichen Herrscher unter der Rubrik eines Erinnerungsortes zu behandeln. Gleichwohl können sich die mit einer historischen Persönlichkeit verknüpften Assoziationen durchaus mit einem auch räumlich genau zu konturierenden ›Ort‹ verbinden, an dem gleichsam deren Aura nachempfunden werden kann. Im Falle unseres Protagonisten, des zumeist unter dem Namen des »Soldatenkönigs« bekannten preußischen Monarchen Friedrich Wilhelm I., dürfte das Jagdschloss Königs Wusterhausen dafür besonders geeignet erscheinen. Das bekannte und neuerdings eingängig analysierte Ölgemälde »Das Tabakskollegium« vermittelt dem heutigen Betrachter mit dem dort dargestellten spartanischen Ambiente und einer auch dem rustikalen Genuss nicht abholden Form von Geselligkeit viel von diesem Kolorit.1

Ansonsten lassen sich die erhaltenen Denkmäler des zweiten preußischen Königs, die ja in gewisser Beziehung auch als Gradmesser für seine Relevanz als personifizierter Erinnerungsort angesehen werden könnten, an einer Hand abzählen. Wenn man einmal von der ihn abbildenden Statue im Ensemble der Hohenzollern-Denkmäler in der ehemaligen Berliner Siegesallee absieht, bliebe nur das überlebensgroße Standbild des Königs in Berlin-Rixdorf (Abb. 1), das 1912, anlässlich des 175. Jahrestages der Ansiedlung der Böhmen in Berlin, von den drei dortigen böhmischen Gemeinden gestiftet worden war, oder eine recht versteckt liegende Gedenktafel in Berlin-Zehlendorf, mit der an den Empfang der Salzburger Exulanten durch den König im Mai 1732 erinnert wurde.

Diese vergleichsweise schwache Repräsentanz des Königs ist nun aber nicht etwa vorrangig auf ›bilderstürmerische‹ Aktivitäten in den Jahren nach 1945 zurückzuführen, als etliche an das ›Alte Preußen‹ erinnernde Denkmäler abgetragen oder mutwillig zerstört wurden. Auch vordem hatten nur wenige solcher Stätten an den zweiten preußischen König erinnert, wenn man dies etwa mit der Vielzahl an steinernen Zeugen seines berühmten Sohnes oder gar mit den über ganz Deutschland verteilten Bismarck-Statuen und -Türmen vergleicht. Wir werden auf diese Beobachtung zurückkommen.

Eine Zuordnung dieses Herrschers zu den brandenburgischen Erinnerungsorten erfordert zudem eine weitere Begründung: Schließlich regierte er über ein territorial weit verstreutes Königreich, dessen Gebiete sich von den niederrheinischen Territorien bis an die Grenzen des Baltikums erstreckten, so dass man Friedrich Wilhelm I. daher vielleicht eher in die Erinnerungskultur eines weiter zu setzenden Bezugsrahmens, eben des gesamtpreußischen Staates, einzuordnen hätte. Die Mark Brandenburg erscheint dabei zwar nur als einer der Herrschaftsräume dieses Monarchen, gleichwohl nahm diese aber als Zentralprovinz eine besondere Stellung ein. Wenn man zudem ein Itinerar dieses Königs erstellen würde, dürfte rasch deutlich werden, dass die Berlin-Potsdamer Residenzlandschaft seinen wichtigsten Aktionsradius bildete und er sich hier auch die längste Zeit seines Lebens aufgehalten hatte. Hier befanden sich mit den Berliner und Potsdamer Stadtschlössern die beiden Hauptresidenzbauten, hier lagen aber auch mit Kossenblatt, Groß Machnow, Stern (bei Potsdam) und dem bereits erwähnten Königs Wusterhausen jene Schlösser beziehungsweise Jagdhäuser, in die er sich zurückzog, um dort einem von ihm besonders geliebten Zeitvertreib nachzugehen – der Jagd. Nicht zuletzt spiegelt sich diese enge Beziehung bis heute in der baulichen Struktur der Potsdamer Innenstadt wider, die maßgeblich auf seine Initiative im Rahmen der beiden barocken Stadterweiterungen zurückgeht.

Eine Kultur des Erinnerns setzte in gewisser Weise bereits zu seinen Lebzeiten ein, was auch die zuweilen kontroversen Bewertungen seiner Person einschloss. In den wenigen überlieferten Drucken schienen neben der damals üblichen Panegyrik2 aber schon jene Versatzstücke auf, die sein Bild auch in den folgenden Jahrhunderten prägen sollten, so zum Beispiel die Manier des Königs, großgewachsene Männer für sein Königsregiment zu rekrutieren.3 Allerdings waren es oftmals seine grotesken Charakterzüge und Absonderlichkeiten, die in den zeitgenössischen Lebensbeschreibungen für mitteilsam erachtet und nicht selten mit einer Mischung aus Erstaunen, Bewunderung und Abscheu bedacht wurden.4 Und auch in den nach seinem Tode erschienenen und zumindest für den alphabetisierten Teil der Bevölkerung zugänglichen Lebensbeschreibungen stand eher das zumeist ins Anekdotische überhöhte Andersartige dieses Herrschers im Mittelpunkt.5 Andererseits reizte die dem 18. Jahrhundert eigene Verehrung der Antike zuweilen dazu, den zweiten preußischen König mit antiken Heldengestalten gleichzusetzen. So wurde Friedrich Wilhelm I. durch einen seiner ersten Biografen, David Fassmann, etwa mit dem Perserkönig Cyrus verglichen.6

Doch hatte es Friedrich Wilhelm I. trotz dieser literarischen Ehrerbietungen im Vergleich zu seinem berühmten Sohn und Nachfolger schwer mitzuhalten. Friedrich der Große galt bekanntlich bereits zu seinen Lebzeiten als ein begnadeter Fachmann seiner Selbstinszenierung und genoss deshalb auch in der Nachwelt einen ungleich größeren Widerhall. Wenn man die Fülle an Lebensbeschreibungen, Anekdotensammlungen, aber auch ein breites Spektrum an Miniaturen, wie Tabakdosen oder Münzen, zur Kenntnis nimmt, offenbaren sich die großen Unterschiede in der öffentlichen Wahrnehmung beider Monarchen.

Vor allem aber hatten die im Jahre 1810 veröffentlichten Memoiren seiner ältesten Tochter Wilhelmine, der späteren Markgräfin von Brandenburg-Bayreuth, die Vorstellung von einem Tyrannen geprägt, der auch vor Misshandlungen nicht zurückgeschreckt hätte und zugleich noch einmal in prononcierter Weise die Abhängigkeit des Urteils über Friedrich Wilhelm I. vom Bild seines berühmten Sohnes vor Augen geführt. Und in der Tat: Als Maßstab für seinen Platz in der öffentlichen Wahrnehmung und damit auch innerhalb der brandenburgischen Erinnerungskultur diente lange Zeit die Leistungsbilanz seines Nachfolgers. Zudem hatte Friedrich der Große in seinen »Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg« selbst die Lesart vorgegeben, wie die Regierungszeit seines Vaters gesehen werden sollte und dieser waren lange Zeit auch viele Historiker und Publizisten gefolgt. Demnach bildete die Herrschaft Friedrich Wilhelms I. eine Vor- beziehungsweise »Zwischenstufe einer Entwicklung […], die erst unter Friedrich dem Großen ihre volle geschichtliche Höhe erreicht« habe.7

Indes bildete gerade die dramatische Züge aufweisende Beziehung zwischen diesen beiden Königen eine wichtige Facette in der Wahrnehmung Friedrich Wilhelms I., vor allem war der Vater-Sohn-Konflikt mit seiner Zuspitzung im Umfeld der gescheiterten Flucht und der Hinrichtung des Leutnants von Katte aus dem historischen Bewusstsein, nicht nur der bildungsbürgerlichen Haushalte, nicht mehr wegzudenken. Die bekanntlich gegen den Willen Friedrichs erfolgte Bestattung seines Sarkophages an der Seite seines Vaters in der Potsdamer Garnisonkirche war die gleichsam postume Fortsetzung der ambivalenten Beziehung dieser beiden doch so ungleichen Herrscher und stellte für deren sich zumeist parallel gestaltende öffentliche Wahrnehmung einen kaum zu unterschätzenden symbolischen Wert dar.

Dass Friedrich Wilhelm I. dann besonders im Umfeld der preußischen Reformbewegung eine gewisse öffentliche Aufwertung erfuhr, die sich zum Beispiel in seiner Titulierung als »größter innerer König« widerspiegelte, kam nicht von ungefähr.8 Er und seine Zeit schienen damals in gewisser Weise zu einem Gegenbild zum zunehmend in die Kritik geratenen alt-preußischen Staat der spätfriderizianischen Zeit geworden zu sein. Vor diesem Hintergrund dürfte es auch nicht allzu sehr verwundern, dass dieser zuweilen zum ›Bürgerkönig‹ stilisierte Herrscher einige Jahrzehnte später besonders durch Kreise des nationalliberal gesinnten Bürgertums eine positivere Bewertung erfuhr. Vor allem bei Johann Gustav Droysen, einem der maßgeblichen Historiker der sogenannten ›kleindeutschen Schule‹, ist dies zu studieren. Es war die in seinen Augen erkennbare Modernität des preußischen Staates, die Friedrich Wilhelm I. als Herrschergestalt so heraushob. Seine im Vergleich zu den Vorgängern, aber auch zu seinem Nachfolger adelskritischen Einlassungen dürften solche Sympathien jedenfalls ebenso beflügelt haben wie seine Volkstümlichkeit. Freilich, auch der ›Alte Fritz‹ erfreute sich einer solchen Popularität, aber im Gegensatz zu seinem Vater wirkte dies beim »Philosophe de Sanssouci« auf Grund seiner geistigen Verortung in der Welt des honnête homme und seiner mit zunehmendem Alter bewusst zur Schau gestellten Misanthropie stets etwas gekünstelt.

Bekanntlich war es dann vor allem Theodor Fontane, der diese zeitgeistigen Stimmungen in der ihm eigenen Art zum Klingen gebracht hatte. Besonders eingängig gelang ihm dies in seinem Roman »Der Stechlin«, in dem er den Pfarrer Lorentzen sagen ließ: »Wir haben, wenn wir rückblicken, drei große Epochen gehabt. […] Die vielleicht größte, zugleich die erste, war die unter dem Soldatenkönig. Das war ein nicht genug zu preisender Mann, seiner Zeit wunderbar angepaßt und ihr zugleich voraus. Er hat nicht bloß das Königtum stabiliert, er hat auch, was viel wichtiger, die Fundamente für eine neue Zeit geschaffen […].«9

Aber ungeachtet der unter der nicht geringen Schar der an der brandenburgisch-preußischen Geschichte Interessierten verbreiteten positiven Sicht über den zweiten preußischen König fand dieser ein im Ganzen geringes mediales Echo. Eine Suche nach den großen ›Würfen‹, die sowohl in der Gelehrtenwelt, als auch in der Breite des historisch interessierten Publikums Anerkennung gefunden hätten, bestätigt diesen Eindruck.10 Im Gegensatz zu Friedrich dem Großen, zu dem eine stattliche Zahl an wissenschaftlich soliden Biografien vorgelegt wurde, nahm man sich Friedrich Wilhelm I. allenfalls in populärwissenschaftlichen Lebensbeschreibungen an.11 Dabei galten seine Persönlichkeit, mehr aber noch seine Regierungstätigkeit innerhalb der Universitätshistorie seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, vor allem aus der Perspektive der sogenannten ›Schmoller-Schule‹ mit ihrem nationalökonomisch-sozialwissenschaftlichen Ansatz, durchaus als dankbarer Forschungsgegenstand, was sich vor allem in dem seit dieser Zeit vorangetriebenen verdienstvollen Editions-Unternehmen der »Acta Borussica« niederschlug. Zwar handelte es sich hierbei um wissenschaftsinterne Entwicklungen, allerdings strahlte diese sich besonders mit der Wirtschafts- und Verwaltungspolitik des Soldatenkönigs beschäftigende Forschungsrichtung auch auf eine breitere Öffentlichkeit aus. Es war das auf Gustav Schmoller zurückgehende Paradigma von der »sozialen Mission der Hohenzollern«, das vor allem in den mittleren und östlichen preußischen Provinzen einen vergleichsweise großen Widerhall erfuhr.12 Demnach hätte das preußische Königtum eine Politik über alle ständischen beziehungsweise Klasseninteressen hinweg »im Interesse des Allgemeinwohls getrieben und von dieser Position aus schrittweise soziale Reformen durchgeführt«.13 Diese gerade am Beispiel der Regierungspraxis Friedrich Wilhelms I. besonders eingängig vorgeführte Denkfigur geriet zunehmend im politischen Tagesgeschäft des Kaiserreiches zu einem oft genutzten Argumentationsmuster der verschiedenen politischen Lager, auch in ihrer Antithese. Durch die Instrumentalisierung der Regierungspraxis Friedrich Wilhelms I. im Sinne der hinter Schmoller stehenden sogenannten ›Kathedersozialisten‹ mit ihrer sozialkonservativen Programmatik erfuhr der König eine zeitweise kaum zu unterschätzende öffentliche Aufwertung. Schließlich schien der scheinbar spartanische Herrschafts- und Lebensstil dieses gegenüber den (Un-)Tugenden des Ancien Régime abholden ›Bürgerkönigs‹ dafür besonders geeignet zu sein. Auf sozialdemokratischer Seite versuchte hingegen insbesondere Franz Mehring gegen dieses Konstrukt ebenso wie gegen die Vorstellung zu polemisieren, Friedrich Wilhelm I. hätte »die Krone fest wie einen rocher de bronze« gegen den Widerstand des Adels verteidigt.14

Auch wenn die vergleichsweise geringe Zahl an Denkmälern Friedrich Wilhelms I. bereits angesprochen wurde, wird man die ihm in der Zeit um 1900 gewidmeten Projekte mit dem gewachsenen öffentlichen Interesse an diesem preußischen Herrscher und seiner Regierungspraxis in Beziehung setzen können. Am repräsentativsten und publikumswirksamsten dürfte sicher seine im Jahre 1900 von Rudolf Siemering geschaffene Statue als Teil der den brandenburgischen und preußischen Herrschern gewidmeten Figurengruppen in der Berliner Siegesallee (volkstümlich deshalb auch als ›Puppenallee‹ bezeichnet) angesehen werden (Abb. 2). Die leicht zerstörte Figurengruppe wird derzeit in der Zitadelle Spandau aufbewahrt.15

Angesichts der mit der Kriegsniederlage von 1918 einhergehenden Traumatisierung bot die Erinnerung an die klassische Zeit des ›Alten Preußen‹ für einen nicht geringen Teil der preußischen Bevölkerung, so auch in der Provinz Brandenburg, eine Möglichkeit, ihr sichtliches Unbehagen an der Gegenwart ebenso zu artikulieren, wie sie auch als ein Mobilisierungsarsenal für alternative Politik- und Gesellschaftsentwürfe dienen konnte. Eine kaum zu unterschätzende Breitenwirkung für jene sich gerade in den Kernlanden der untergegangenen Hohenzollernmonarchie konzentrierende Bevölkerungsgruppe, die eine besonders große Affinität gegenüber der untergegangenen Ordnung aufwies, nahm das auf Oswald Spengler zurückgehende Paradigma von »Preußentum und Sozialismus« ein. In der gleichnamigen und in vielen Auflagen erschienenen Schrift wollte Spengler den Nachweis antreten, dass »Friedrich Wilhelm I. und nicht Marx [...] der erste bewußte Sozialist« gewesen sei – ein Argument, dessen sich dann recht zeitig die nationalsozialistische Bewegung bedienen sollte.16

Es blieb nicht aus, dass mit dem Aufkommen des Massenmediums Film das Preußen-Thema auch in diesem Genre seinen Niederschlag fand. Allerdings stand Friedrich Wilhelm I. auch hier im Schatten seines Sohnes. Gemessen an den insgesamt vierzehn Fridericus-Rex-Filmen, die seit Beginn der 1920er Jahre in den Ufa-Studios in Potsdam-Babelsberg produziert worden waren, fand der Soldatenkönig nur in zwei Streifen seine Berücksichtigung. Während seine durch Albert Steinrück verkörperte Rolle im ersten Teil der 1922/23 uraufgeführten Film-Tetralogie »Fridericus Rex« noch eher in der gewohnten Interpretationslinie als gestrenger, sich im Konflikt zwischen Alt und Jung bewegender Vater bewegte, wollte der 1935 uraufgeführte Film »Der alte und der junge König« genau jenes Bild prägen, das im Sinne des nationalsozialistischen Führerkultes gewünscht war. Hier sollte Friedrich Wilhelm I. als der einem höheren Prinzip folgende, harte Entscheidungen treffen müssende Landesvater dargestellt werden, denen seine Untertanen – vor allem auch der eigene Sohn und künftige Herrscher – bedingungslos zu folgen hätten.17 Die zeitgeistige Nähe zentraler Aussagen dieses Filmes zu dem erst kurz zurückliegenden sogenannten ›Röhm-Putsch‹ vom 30. Juni 1934 war unverkennbar, als das von Friedrich Wilhelm I. gefällte Todesurteil gegen den Leutnant von Katte ebenso mit einem höheren ›Staatsnotstand‹ legitimiert wurde wie die fast wortgleiche Begründung der ohne Gerichtsurteil vollzogenen Erschießungen der vermeintlichen Opposition im Namen des ›Führers‹. Nur wenige Zeitgenossen artikulierten ihr Befremden über diesen mit Emil Jannings durchaus hochkarätig besetzten Film, wie etwa Jochen Klepper: »Hier war keine Kritik mehr. Hier war nur noch Apotheose«, gab dieser zu dieser Zeit an seinem später vielbeachteten Roman »Der Vater« arbeitende Schriftsteller seinem Eindruck anlässlich des Besuches im Berliner UFA-Palast am Zoo Ausdruck.18

Es hatte mehrere Gründe, dass Friedrich Wilhelm I. nach 1933 wieder stärker in den Fokus des geschichtspolitischen Interesses rückte, ja geradezu eine Aufwertung erfuhr, wie am Beispiel »Des alten und des jungen Königs« schon angedeutet wurde. Es war vor allem der sogenannte ›Tatmensch‹, der – wenn auch nicht mit expansiven Plänen und genial konzipierten Feldzügen, so doch aber – auf Grund seiner scheinbar so voluntaristisch gefällten Entscheidungen und Kompromisslosigkeit faszinierte und zudem als Vorbild für eine wiederhergestellte ›deutsche Staatsgesinnung‹ herzuhalten hatte.19 Innerhalb der damaligen Propagandamaschinerie hat man sich des Preußen-Themas in einer sehr »selektiv instrumentalisierten Rezeption« bedient.20 Das »Aufbauwerk und die sparsame Haushaltsführung« Friedrich Wilhelms I. wurden dabei besonders herausgestrichen, was insofern Sinn machte, als in »der Zeit zunehmender Stabilisierung des nationalsozialistischen Systems […] Preußen zum Vorbild eines geordneten Staatswesens« erkoren wurde.21 Und wenig überraschend erschien auch die Betonung seiner Rolle als Heeresorganisator im Umfeld des Aufbaus der Wehrmacht. Von daher war es zum Beispiel folgerichtig, dass das Oberkommando der Wehrmacht die 1938 im Berliner Zeughaus gezeigte Ausstellung anlässlich des 250. Geburtstages des Soldatenkönigs aufwändig ausgerichtet hatte.22

Die rücksichtslose Instrumentalisierung Preußens durch die Nationalsozialisten konnte nach 1945 nicht ohne Folgen bleiben, und sie sollte deshalb einige Jahrzehnte hindurch die Haltung zu Friedrich Wilhelm I. beeinflussen – eine Entwicklung, die sich im östlichen Teil Deutschlands aufgrund der dort einsetzenden grundstürzenden politischen Veränderungen natürlich in wesentlich schärferen Konturen vollzog. Weit über die marxistisch-leninistische Lesart hinaus dominierte zunächst eine im Sinne der ›Misere-Theorie‹ stehende Interpretation einer scheinbar geraden Linie vom altpreußischen Staat über das wilhelminische Reich bis hin zu Hitler in »die deutsche Katastrophe«. Der Buchtitel eines amerikanischen Historikers: »The Potsdam Fuehrer. Frederick William I. Father of Prussian Militarism«23 sprach in dieser Hinsicht für sich und verhinderte vor dem Hintergrund der in den Nachkriegsjahrzehnten dominierenden ›Abrechnungsliteratur und Gesinnungshistorie‹ eine vorurteilsfreie Beschäftigung mit diesem Preußenkönig.24 Und in den ehemaligen Gebieten der preußischen Zentralprovinz, die nun in die neuen DDR-Bezirke Potsdam, Frankfurt (Oder) und Cottbus aufgegangen waren, fiel es deshalb wesentlich schwerer, an die historischen Traditionen der Vorgängerterritorien anzuknüpfen als etwa in den aus den alten Ländern Sachsen und Thüringen hervorgegangenen Bezirken.

Doch trotz dieser im Ganzen »negativen Einfärbung« des Preußenbildes, das von Seiten der für die offiziell vorgegebene marxistisch-leninistische Geschichtsdeutung zuständigen Funktionäre als eine Art von »Anti-Tradition gezeichnet« wurde, taten sich durchaus gewisse »Freiräume und Nischen« auf, die auf subtile Weise genutzt werden konnten.25 Dass bei einem Teil der historisch interessierten Bevölkerung ungeachtet der zunehmenden Indoktrinationsversuche eines ›sozialistischen Geschichtsbildes‹ immer noch Sympathien für die altpreußische Geschichte und ihre Herrschergestalten bestanden, war offenkundig.26 Dieses Interesse konnte auf vielfältige Weise ausgelebt werden. Entgegen kam dieser Entwicklung eine gewisse Popularisierung der preußischen Geschichte in der DDR der 1970er Jahre, wovon zum Beispiel die Biografie über Friedrich Wilhelm I. aus der Feder des Hallenser Historikers Heinz Kathe zeugte.27 Angesichts der großen Bedeutung, die der Konsum des ›Westfernsehens‹ durchgängig für die DDR-Bevölkerung spielte, konnte das Interesse an der preußischen Geschichte und ihrer Herrscher auch auf diesem Wege befriedigt werden. Auf große Resonanz stießen der zweiteilige Fernsehfilm »Der Thronfolger« (1979) mit Günter Strack in der Hauptrolle oder die Romanverfilmung »Der König und sein Narr« von 1981, in der Götz George den noch recht jugendlich dargestellten König spielte. Auf Heinrich Manns Roman-Fragment »Die traurige Geschichte von Friedrich dem Großen« basierte wiederum eine von Alexander Lang erarbeitete und viel beachtete Bühnenfassung, die 1982 in der Berliner Akademie der Künste uraufgeführt und ein Jahr später für das DDR-Fernsehen aufgezeichnet wurde. Auch hier stand eher die Persönlichkeit des jungen Friedrich im Mittelpunkt des Interesses.

An dem nun schon mehrfach beschriebenen Zurücktreten des zweiten preußischen Königs in der erinnerungspolitischen Wahrnehmung gegenüber seinem berühmten Sohn und Nachfolger hat sich auch nach der Wiedervereinigung nicht allzu viel geändert. 1991 wurden zwar die Särge beider Preußenkönige nach Potsdam überführt, aber die feierliche Zeremonie war eindeutig auf Friedrich den Großen zugeschnitten, während sich dagegen die Beisetzung des Sarkophages Friedrich Wilhelms I. in der Friedenskirche eher unspektakulär vollzog. Diese Tendenz setzte sich fort und fand ihren Höhepunkt in dem vor allem in Brandenburg und Berlin mit einer außerordentlich großen öffentlichen Resonanz zelebrierten 300. Geburtstag Friedrichs des Großen 2012. Sein Vorgänger und Vater hingegen blieb allenfalls für die an der altpreußischen Geschichte Interessierten eine feste Größe, was sich etwa in der konzeptionellen Gestaltung einiger Museen im heutigen Land Brandenburg niederschlug, allen voran natürlich das zur Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg gehörende und im Jahre 2000 wiedereröffnete Schloss Königs Wusterhausen, aber zum Beispiel auch in dem privat finanzierten Brandenburg-Preußen-Museum Wustrau, wo insbesondere auf die positive Leistungsbilanz des zweiten preußischen Königs in Wirtschaft und Verwaltung verwiesen wird. Zudem fanden sich stets genügend Nischen in Gestalt von Vereinen, in denen der Soldatenkönig präsent blieb. So wäre hier etwa an prominenter Stelle der von Potsdam aus wirkende, 1990 gegründete Verein zur Förderung und Pflege der Tradition der Potsdamer Riesengarde »Lange Kerls« e.V. zu nennen.

Auch in der alltäglichen Vermarktung der Geschichtskultur zieht Friedrich Wilhelm I. gegenüber seinem Nachfolger bis heute den Kürzeren, was etwa ein Blick auf das Angebot der Touristik-Shops des Berlin-Potsdamer Raumes belegt, in denen man durch Friedrich- ›Devotionalien‹ schier erschlagen zu werden droht. Mit einem gewissen Augenzwinkern könnte Friedrich Wilhelm I. lediglich die Genugtuung für sich beanspruchen, dass sich das auf ihn zurückgehende Potsdamer Stangenbier bis heute wachsender überregionaler Anerkennung erfreut (Abb. 3), während das Potsdamer Rex-Pils mit einem Etikett des Konterfeis Friedrichs des Großen, inzwischen auf Grund sinkender Nachfrage nicht mehr verkauft wird.

Die schon von den Zeitgenossen bei Friedrich Wilhelm I. beobachteten und teils mit Verwunderung, teils mit Abscheu wahrgenommenen Attitüden, die ihn auch im historiographischen Urteil oftmals als ›Bilderstürmer‹ erscheinen ließen, standen und stehen mitunter Pate für etwas gewagte tagespolitische Vergleiche. In Anspielung auf den gleichermaßen auf Ablehnung stoßenden Politikstil eines amerikanischen Präsidenten wurde Friedrich Wilhelm I. mit der wenig schmeichelhaften Etikettierung eines »Trump des 18. Jahrhunderts« bedacht.28

Doch ungeachtet solchen medialen Strohfeuers bleibt die Erinnerung an jenen preußischen Monarchen in der gegenwärtigen öffentlichen Wahrnehmung relativ blass. Nur im Zusammenhang von wenigen Jubiläen, wie etwa dem 275. Jahrestag der im August 1739 unter dem französischen Namen Grande École eingeweihten Großen Stadtschule Potsdam trat er in den Genuss einer begrenzten öffentlichen Wahrnehmung (Abb. 4). In gewisser Weise polarisiert er weiterhin, wenn auch nicht mehr in solch scharfen Formen wie früher. Es sind dann eher die mit ihm in Verbindung gesetzten Traditionen, die ihn zu einer Projektionsfläche für gegenwärtige geschichtspolitische Debatten werden lassen.29 Vor dem Hintergrund der ohnehin teilweise sehr erbittert geführten Diskussionen über die Gestaltung der historischen Mitte Potsdams erschien deshalb die 2016 von der Stadtverwaltung entschiedene Ablehnung eines Projektes, das die Wiedererrichtung des einst im dortigen Lustgarten stehenden Denkmales Friedrich Wilhelms I. plante, nicht allzu überraschend.30 So wird man sich also damit abzufinden haben, dass der zweite preußische König zwar durchaus einen sicheren Platz innerhalb der brandenburgischen Erinnerungskultur einnimmt, was sich etwa am Interesse an populärwissenschaftlichen Veranstaltungen und Publikationen widerspiegelt, sich dabei aber im Vergleich zu anderen Geschichtsgrößen »im oberen Mittelfeld der zählbaren Resonanz« einreiht.31 Doch damit würde ER gewiss leben können, denn galt nicht auch das Diktum vom ›Mehr Sein als Schein‹ einst als ›preußische Tugend‹?

Anmerkungen

1 Vgl. dazu die instruktive Beschreibung von Jürgen Kloosterhuis, Liebe Kinder, gute Kameraden. Friedrich Wilhelms I. Tabakskollegium als Sehnsuchtsort, Berlin 2020.

2 »Denn Friedrich Wilhelms Eigenschaft ist majestätisch tugendhaft«; Johann Andreas Rüdiger, Das frolockende Berlin, Oder Historische Nachricht Dererjenigen öffentlichen Freudens-Bezeigungen und sinnreichen Jlluminationen, Die bey hoher Anwesenheit Jhro Königl. Majestät in Pohlen, Und Dero Königl. Printzens Hoheit Daselbst angestellet worden. Nebst einem Anhange aller auf diese fröliche Begebenheit verfertigter Gedichte, Berlin 1728, Anhang Nr. 6.

3 Vgl. hierzu den Artikel von Jürgen Kloosterhuis in diesem Band.

4 Vgl. hierzu detailliert Gustav Wallat, Geschichtsschreiber, Memoiren und Literatur zur Geschichte Friedrich Wilhelms I. Königliches Gymnasium zu Deutsch-Krone. Wissenschaftliche Beilage zum Programm Ostern 1899, Deutsch-Krone 1899.

5 Vgl. Karl Friedrich von Beneckendorf, Charakterzüge aus dem Leben König Friedrich Wilhelms I. nebst verschiedenen Anecdoten von wichtigen unter seiner Regierung vorgefallenen Begebenheiten und zu der damaligen Zeit sowohl im Militär- als Civil-Stande angestellt gewesenen merkwürdigen Personen, 12 Bde., Berlin 1787/98 [ND Wiesbaden 1982].

6 David Fassmann, Leben und Thaten des Allerdurchlauchtigsten und Großmächtigsten Königs von Preußen Friederici Wilhelmi, Hamburg 1735 [ND Bad Honnef 1982].

7 Stephan Skalweit, Friedrich Wilhelm I. und die preußische Historie, in: Otto Büsch/Wolfgang Neugebauer (Hgg.), Moderne Preußische Geschichte 1648 –1947. Eine Anthologie, Berlin/New York 1981, S. 105 –130, hier S. 110.

8 Diese Zuschreibung soll auf den damaligen ostpreußischen Oberpräsidenten Theodor von Schön zurückgehen.

9 Theodor Fontane, Der Stechlin, Berlin/Weimar 1984, S. 256 f.

10 Die einzige große wissenschaftliche Biografie bis 1945 blieb ein Torso und hatte auf Grund ihres Erscheinens mitten im Zweiten Weltkrieg keine allzu große öffentliche Resonanz erfahren: Carl Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. König in Preußen. Eine Biographie, Jugend und Aufstieg, Hamburg 1941.

11 Vgl. hier nur Ottokar Schupp, Friedrich Wilhelm I. König von Preußen. Ein Lebensbild für die Jugend und das Volk, Wiesbaden 1874; Ernst Schreck, Friedrich Wilhelm I. von Preußen. Das Leben und Wirken des Soldatenkönigs für Jung und Alt, Minden 1888.

12 Vgl. hierzu nur Gustav Schmoller, Die Epochen der preußischen Finanzpolitik bis zur Gründung des Deutschen Reiches, in: Ders., Umrisse und Untersuchungen zur Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte besonders des Preußischen Staates im 17. und 18. Jahrhundert, Leipzig 1898, S. 104 –264.

13 Jürgen Mirow, Das alte Preußen im deutschen Geschichtsbild der Reichsgründung, Berlin 1981, S. 64.

14 Franz Mehring, Zur Geschichte Preußens im 18. Jahrhundert, in: Ders., Zur deutschen Geschichte, Bd. 1, Berlin 1964 (= Gesammelte Schriften 5), Berlin 1964, S. 485 –518, hier S. 494.

15 Vgl. Uta Lehnert, Der Kaiser und die Siegesallee. Réclame Royale, Berlin 1998, S. 198 f.

16 Oswald Spengler, Preußentum und Sozialismus, München 1921, S. 42.

17 Vgl. dazu ausführlich Jürgen Kloosterhuis, Der alte und der junge König. Warnungen vor einem »Preußen- Film«, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz, 42 (2005), S. 245 –264.

18 Zit. nach Jochen Klepper, Unter dem Schatten deiner Flügel. Aus den Tagebüchern der Jahre 1932– 1942, Stuttgart 1956: Eintrag vom 10. März 1935.

19 Vgl. Richard Fester, Friedrich Wilhelm I., Friedrich der Große und die Anfänge deutscher Staatsgesinnung, Köln 1934. Die Begeisterung für die brutale Ausübung seines Herrscheramtes zeigt sich besonders in dem damals vielgelesenen Buch von Friedrich von Oppeln-Bronikowski, Der Baumeister des preußischen Staates. Leben und Wirken des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I., Jena 1934.

20 Frank-Lothar Kroll, Preußenbild und Preußenforschung im Dritten Reich, in: Wolfgang Neugebauer (Hg.), Das Thema »Preußen« in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik des 19. und 20. Jahrhunderts, Berlin 2006, S. 305 –329, hier S. 312.

21 Manfred Schlenke, Nationalsozialismus und Preußen/Preußentum. Bericht über ein Forschungsprojekt, in: Otto Büsch (Hg.), Das Preußenbild in der Geschichte. Protokoll eines Symposions, Berlin/ New York 1981, S. 247–264, hier S. 257.

22 Staatliches Zeughaus. König Friedrich Wilhelm I. Amtlicher Führer. Zur 250. Wiederkehr seines Geburtstages, veranlaßt v. Oberkommando der Wehrmacht, Berlin 1938.

23 Robert Reinhold Ergang, The Potsdam Fuehrer. Frederick William I. Father of Prussian Militarism, Oxford 1941.

24 Vgl. Wolfgang Neugebauer, Preußens Geschichte als gesellschaftliche Verantwortung. Historiographie vom Mittelalter bis zum Jahr 2000, Paderborn 2018.

25 Bärbel Holtz, Das Thema Preußen in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik der DDR, in: Neugebauer, Das Thema »Preußen« (wie Anm. 20), S. 329–354, hier S. 340 u. 331.

26 Vgl. Manfred Bogisch, Über die Wandlung der Geschichtsauffassung bei Menschen bürgerlicher Herkunft, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 12 (1964), S. 1206 –1220.

27 Heinz Kathe, Der »Soldatenkönig«. Friedrich Wilhelm I. 1688 –1740. Eine Biographie, Berlin 1976.

28 So Barbara Stolberg-Rilinger in einem im Januar 2020 gehaltenen Vortrag; vgl. Ostsee-Zeitung vom 27. Januar 2020.

29 Vgl. dazu jüngst Frank Göse, Von den Mühen historischer Deutungen. Der »Soldatenkönig« im Widerstreit der Meinungen, erscheint demnächst im Portal »Lernort Garnisonkirche« www.lernort-garnisonkirche.de [zuletzt: 23.04.2021].

30 Ein unbekannter Gönner hatte der Stadt Potsdam testamentarisch 50.000 Euro für eine Statue dieses Königs vermacht, die der Potsdamer Magistrat ausschlug. Vgl. dazu den Bericht in der Märkischen Allgemeinen Zeitung vom 26. Oktober 2016.

31 Jürgen Kloosterhuis/Frank Göse, Mehr als nur Soldatenkönig, in: Dies. (Hg.), Mehr als nur Soldatenkönig. Neue Schlaglichter auf Lebenswelt und Regierungswerk Friedrich Wilhelms I., Berlin 2020, S. 7–12, hier S. 7.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 Foto: Susanne Kähler – CC-BY-4.0.

Abb. 2 Uta Lehnert, Der Kaiser und die Siegesallee. Réclame Royale, Berlin 1998.

Abb. 3 Foto: Thomas Köhler – Eigenes Werk.

Abb. 4 Foto: Karla Fritze – Eigenes Werk.

 

 

Der Beitrag erschien in:

Asche, Matthias / Czech, Vinzenz / Göse, Frank / Neitmann, Klaus (Hrsg.): Brandenburgische Erinnerungsorte - Erinnerungsorte in Brandenburg. Band 1 (= Einzelveröffentlichungen der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V., Band 24). Berlin 2021, S. 141-151.


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