Von der Webeschule zur Ingenieurschule - Textilfachschule Forst

Krönert, Gertraute / Leibger, Heide

Der 1870 in Forst gegründete lokale Fabrikantenverein hatte damals schnell erkannt, dass mit der Industrialisierung der Tuchmacherei die zunftmäßige Ausbildung des Nachwuchses nicht mehr genügt. Eine fortschreitende Spezialisierung, immer neue, moderne Musterungen usw. verlangten qualifizierte Fachleute. Deshalb entstand auf Betreiben des Fabrikantenvereins 1885 die Privat-Webeschule des Webelehrers Theodor Weiche. Sie war vorwiegend eine Sonntags- und Abendschule. Nach langwierigen Verhandlungen wurde sie 1890 als „Werkmeisterschule für Weber“ von der Stadt übernommen; 1891 konnte sie in ein neues zweigeschossiges Gebäude am Stadtpark einziehen (Abb. 1). Bald auch stärker von der preußischen Regierung gefördert, wurde sie 1895 in „Königliche Webeschule“ und, nachdem die Ausbildung erweitert und u. a. eine Färbereiabteilung eingerichtet worden war, 1899 in „Preußische Fachschule für Textilindustrie zu Forst i. L.“ umbenannt.

Bald kam eine Dessinateurabteilung (1900) hinzu, denn die Tuchfabrikanten brauchten Leute, die neue Muster entwerfen und ganze Kollektionen zusammenstellen konnten. Ergänzt wurde das Ausbildungsprogramm durch eine Stopferei und kaufmännischen Unterricht, letzteren vor allem für die Söhne der Fabrikanten.

Ab 1911 konnte ein neues Hauptgebäude genutzt werden (Abb. 2), 1912 ein Shedbau für die Spinnereiausbildung.

Schließlich nahm 1913 noch ein Textilwarenprüfungsamt seine Arbeit an der Lehranstalt auf. Davon hatten vor allem die Tuchfabrikanten Vorteile, da sie Wert darauf legten, qualitativ hochwertige Waren auf den Markt zu bringen. Das Amt übernahm gegen tarifmäßige Gebühren Aufträge zur Prüfung von Garnen, loser Wolle, Geweben, gefärbter Ware usw.

Als im 1. Weltkrieg die Rohstoffknappheit immer größere Ausmaße annahm, wurden an der Schule auch - ziemlich erfolglose - Versuche unternommen, Ginster, Brennessel usw. als Faser nutzbar zu machen. Mehr Erfolg hatte das Verspinnen von Zellulose mit Wolle, Baumwolle, Flachs und Seidenabfällen.

Über viele Jahre änderte sich das Ausbildungsprofil der Schule nur unwesentlich, ausgebaut wurden aber die sogenannten Fortbildungsklassen. Sie erhielt mit der Verordnung über die allgemeine Berufsschulpflicht der Lehrlinge (1920) den Status einer Textilberufsschule.

In den dreißiger Jahren wurden weitere Shedbauten errichtet, auch noch unter dem NS-Regime. Letzterem kam die von Direktor Völkel geleitete Zellstoffforschung sehr zupasse, spielte doch die Rohstoffersatzproduktion bei der Kriegsvorbereitung eine bedeutende Rolle.

Der Beginn des II. Weltkrieges hatte verheerende Wirkungen auf die Fachschule. 1937 hatte sie noch 320 Studierende und Schüler, am 1. 11. 1939 nur noch 145, und bald arbeiteten nur noch ältere Lehrer an der Bildungseinrichtung. Die Schüler waren 16- und 17jährig, die Forschung wurde stark eingeschränkt und die Erziehung „zum Dienst an Volk und Staat im nationalsozialistischen Geiste" oberstes Gebot.

Das Ende des II. Weltkrieges sah die Schule stark beschädigt. „An der östlichen Seite hatte das Hauptgebäude in Höhe der Aula einen Granateinschlag. Die Mauem zeigten viele Beschädigungen durch Splitter oder leichte Geschosse. Von allen Fenstern, aber auch von den Sheddächern war das Glas total zertrümmert und lag in den Räumen auf dem Fußboden, den Maschinen und Geräten. Keine Maschine war funktionstüchtig. Die Antriebsriemen fehlten, anderes Lederzeug war von den Maschinen geschnitten, die Tuche von den Webmaschinen gerissen und die Garnvorräte gestohlen. Selbst Fensterflügel waren ausgehängt und verschleppt. Die Akten und früheren Abschriften der Zeugnisse lagen rund um die Schule verstreut. Vom Hauptportal führte ein Schützengraben in den Stadtpark und weiter zu den Stellungen an der Neiße ... ". So hieß es in einer 1985 zum 1OOjährigen Bestehen der Lehranstalt herausgegebenen Schrift von Dr. Richard lhlo. Bereits 1945 begannen die Aufräumungsarbeiten, ab 1946 wurden die ersten Textillehrlinge unterrichtet. Im Sommer 1947 hatte die Schule 59 Studenten und 55 Lehrlinge. 1948 wurde die Anstalt umbenannt in Textilingenieurschule Forst (Lausitz). Mit dem Jahr 1949 liefen die bis dahin noch üblichen Halbjahreslehrgänge aus, es begann die Ingenieurausbildung in sechs Semestern.

Weitsicht bewies damals der Fachschullehrer Heinrich Schönefeld. Obwohl sich die Forschung vorwiegend auf das Gebiet der synthetischen Fasern konzentrierte, beschäftigte er sich mit Naturfasern, legte auf dem Schulgelände einen Faserpflanzengarten mit Flachs, Kenaf, Ramie, Kandir, Aslepias usw. an und erklärte, ,,daß die synthetischen Fasern wohl Einzeleigenschaften zeigen, worin sie die Naturfasern übertreffen; die Summe ihrer Gesamteigenschaften erreichen sie jedoch nicht. Gewisse Artikel wird man nach wie vor aus Bastfasern erzeugen oder evt. durch den Zusatz von synthetischen Fasern ergänzen. Die Bastfaser dürfte noch auf geraume Zeit ihren Wert und ihre Wichtigkeit behalten und auf bestimmten Ge­bieten unersetzlich sein." (H. Schönefeld „Neuere einheimische Bastfasern", aus der Jubiläumsschrift 1951).

1951 wurde in der DDR die Ausbildung von Studenten an Ingenieurschulen der Textilindustrie zentralisiert und in diesem Zusammenhang die Zahl der Schulen von 12 auf 3 reduziert. Für die traditionsreiche Cottbuser Fachschule war das Ende gekommen, dafür wurde die in Forst erweitert (Abb. 3, 4). Zu diesem Zeitpunkt konnte letztere schon auf 56 erfolgreiche Jahre zurückblicken. Nachdem die Textilfachschule in Cottbus geschlossen worden war, verdoppelte sich in Forst die Zahl der Studenten auf 150 und die der Lehrkräfte stieg auf 23. 1975 hatte die Fachschule 645 Direkt- und 235 Fernstudenten, 1978 waren es 588 bzw. 208.

Die ersten Behelfsinternate wurden in den ehemaligen Gaststättenräumen „Lerchenfeld" und „Zur Eisenbahn" sowie im Sportlerheim (Wehrinsel-Sportplatz) eingerichtet. Von 1956 bis 1975 stand die ausgebaute ehemalige Fabrikruine von Neubarth als Internat zur Verfügung, neben weiteren Teillösungen in der Skurumer Straße und Am Waldgürtel. 1972/73 entstand dann auf dem Schulgelände an der Richard-Wagner­Straße ein modernes Wohnheim mit 380 Plätzen, 1983 ein weiteres. 1974 war die Schule erweitert worden um ein Gebäude in der Heinrich-Heine-Str. 14. Alle Studenten bekamen damals, unabhängig vom Einkommen der Eltern, ein Grundstipendium; dazu kamen Leistungsstipendien je nach den Studienergebnissen.

1985 wurden an der Ingenieurschule für Textiltechnik Technologen in folgenden Fachrichtungen ausgebildet:

Weberei, Wirkerei/Strickerei, Vliesstoff/Folie, Textilveredlung, Chemiefaserstoffherstellung, Textilreinigung, Automatisierung der Verfahrenstechnik

sowie Lehrkräfte für den berufspraktischen Unterricht (Textil- und Bekleidungstechnik).

Die Studenten arbeiteten in der Regel eng mit Betrieben zusammen und lösten gemeinsam mit ihnen bzw. für sie wissenschaftlich-technische Forschungsaufgaben, so u. a. Entwicklung, Bau und Erprobung eines Flockentrockners. Sie stellten einen Katalog von Farbrezepturen für Futterstoffe aus PA-S Flachkettengewirke zusammen, beschäftigten sich mit der Entwicklung von thermisch fixierten Mützen und Hüten aus Gestricken usw.

In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre begann die Umstellung auf die Ausbildung von Technikern und Wirtschaftlern, die durch die Wende jäh abgebrochen wurde. Ab 1991 ging die Abwicklung der Ingenieurschule in raschestem Tempo vor sich. Damit wurde eine Tradition auf eine Weise beendet, die durchaus der raschen Liquidierung der Niederlausitzer Textilindustrie insgesamt entsprach. Einige der Ausbildungsgegenstände sind in ein Oberstufenzentrum (Abb. 5) übernommen bzw. dem Textilmuseum zur Verfügung gestellt worden. Aber leider wurden auch viele historisch wertvolle Maschinen verschrottet, und so manche Anschauungsstücke und Unterlagen existieren nicht mehr.

Übrigens setzte sich der Abwärtstrend bei der Ausbildung in Textilberufen auch in den folgenden Jahren fort. Die Zahl von Studenten an technischen Hochschulen und Universitäten, Ingenieur- und Fachhochschulen sowie Fachschulen für Textil und Bekleidung nahm BRD-weit rapide ab; eine Ausnahme bildete lediglich der Bereich Textildesign.

Den stärksten Rückgang an Auszubildenden wiesen Fachschulen für Textil- und Bekleidung auf. Gegenüber 1992 ging die Zahl der Fachschüler von 1823 auf 1437 im Jahre 1993 zurück.

 

Der Text erschien in:

Krönert, Gertraute/ Leibger, Heide: Tuchstädte der Niederlausitz gestern und heute. Forst, Guben, Spremberg, Finsterwalde. Dokumentarisches Auf und Ab in einem traditionsreichen Berufszweig. Cottbus 1995, S. 36-38.

Literatur

125 Textilfachschule Forst (Lausitz). Ausstellungskatalog. Forst 2010.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 Ludwig, C.: Forst (Lausitz) und seine Industrie in Wort und Bild. Forst 1907.

Abb. 2, 5 Gemeinfrei.

Abb. 3 SLUB / Deutsche Fotothek / Kurt Heine

Abb. 4 Krönert / Leibger 1995.

Empfohlene Zitierweise

Krönert, Gertraute / Leibger, Heide: Von der Webeschule zur Ingenieurschule - Textilfachschule Forst, publiziert am 08.04.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)


Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.