Olympisches Dorf 1936

Emanuel Hübner

Circa 15 Kilometer westlich des Berliner Olympiastadions befinden sich die Reste des Olympischen Dorfes, der Gemeinschaftsunterkunft der männlichen Teilnehmer der Olympischen Sommerspiele von 1936. Heute gehören sie zu der brandenburgischen Gemeinde Wustermark, Ortsteil Elstal.

Unterbringung der Olympiateilnehmer bis 1932

Seit den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit 1896 in Athen stiegen die Teilnehmerzahlen bis 1936 von wenigen Hundert auf mehrere Tausend. Es ergab sich dadurch immer mehr die Notwendigkeit, neben der Organisation der Wettkämpfe auch die Unterbringung der Aktiven und ihrer Betreuer durch das jeweilige Organisationskomitee (OK) zentral zu regeln. Den Hauptgrund bildete der Wunsch, für die Sportler kostengünstige und athletengerechte Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen, d.h. Unterkünfte in denen sie Ruhe und Erholung vor den Wettkämpfen finden sowie eine adäquate Ernährung erhalten konnten. Das US-amerikanische OK für die Olympischen Sommerspiele 1932 schlug erstmals eine „Olympic Village“ genannte Gemeinschaftsunterkunft vor. Das Internationale Olympische Komitee (IOC), der Veranstalter aller Olympischen Spiele, begrüßte diese Art der Unterbringung, da gerade während der Weltwirtschaftskrise viele Nationen eine kostengünstige Unterkunftsmöglichkeit für ihre Olympiateilnehmer gesichert wissen wollten. Die Idee einer Gemeinschaftsunterkunft fand jedoch anfangs nicht nur Befürworter. Der Gedanke, Angehörige aus im Ersten Weltkrieg verfeindeten Nationen gemeinsam unterzubringen, weckte Vorbehalte; ebenso die Befürchtung, dass durch diese Art der Unterbringung Trainingsgeheimnisse preisgegeben werden könnten. Trotz dieser Befürchtungen wurde das Olympische Dorf zu einem großen Erfolg der Olympischen Spiele 1932 (Hübner 2015, 21-32).

Planungen für ein Olympisches Dorf 1936

Das IOC wählte 1931 Berlin zum Austragungsort der Olympischen Sommerspiele 1936. Es bestand seitens der deutschen Organisatoren zunächst der Plan, in der Nähe des Berliner Messegeländes ein Olympisches Dorf einzurichten. Im Frühjahr 1933 zeigte sich jedoch, dass ein Olympisches Dorf nicht kostendeckend zu bauen war; die Ausgaben für die Spiele sollten ungefähr so hoch ausfallen wie die zu erwartenden Einnahmen. Stattdessen wurde nun die Reichswehr gebeten, ein bestehendes, aber nur temporär belegtes Militärlager am Truppenübungsplatz Döberitz, westlich von Berlin für die Athletenunterbringung zur Verfügung zu stellen. Da die Reichswehr umgehend der Bitte des OK entsprach, schien die Unterbringungsfrage schnell erledigt (Hübner 2015, 32-36, 38-39).

Als jedoch Carl Diem, der Generalsekretär des Berliner OK, im Sommer 1933 den Official Report, d.h. den Rechenschaftsbericht des OK von Los Angeles erhielt, war er von der Schilderung des Olympischen Dorfes so beeindruckt, dass er sich an seinen alten Sportvereinskameraden Oberst Walter von Reichenau wandte. Jener amtierte zu dieser Zeit als Chef des Ministeramtes im Reichswehrministerium (RWM, ab 1935: Reichskriegsministerium – RKM), was dort der Stellung eines Staatssekretärs entsprach, und war zudem Mitglied im Vorstand des Berliner OK. Auch im Bereich der Sportlerunterkünfte solle man deutscherseits bei der Ausrichtung Olympischer Spiele den USA nicht nachstehen, so Diem. Offensichtlich ist von Reichenau es dann gewesen, der eigenmächtig die Idee eines neu zu bauenden, vom RWM zu finanzierenden Olympischen Dorfes am Militärstandort Döberitz entwickelt und den Reichswehrminister Werner von Blomberg von dieser Idee überzeugt hat. Dieser wiederum holte persönlich von Hitler die Genehmigung dazu ein, dass das RWM eine Kaserne errichten dürfe, die zunächst als Athletenunterkunft für die Olympischen Spiele genutzt werden sollte. Das OK und das IOC konnten damit zufrieden sein, das RWM dazu gebracht zu haben, ein Olympisches Dorf finanzieren und bauen zu lassen. Andererseits konnte sich die Reichswehr (ab 1935 Wehrmacht) auf diese Weise in der nationalen aber gerade auch in der internationalen Wahrnehmung als Friedensarmee präsentieren und von der beginnenden Aufrüstung ablenken. Auf der jährlichen IOC-Sitzung stellte die deutsche Delegation bereits im Frühjahr 1934 erste Planungsergebnisse für das Olympische Dorf vor. Dass die Anlage direkt an einem Truppenübungsplatz entstehen sollte, störte die IOC-Mitglieder offenkundig nicht (Hübner 2015, 46, 48-51, 53).

Als hauptverantwortlicher Architekt für das Olympische Dorf wurde Werner March bestimmt, der auch das Reichssportfeld mit dem Olympiastadion entwarf. Zusammen mit zwei weiteren Architekten – seinem Bruder Walter March und Georg Steinmetz – sowie dem Gartengestalter Heinrich Friedrich Wiepking-Jürgensmann bildete er die „Arbeitsgemeinschaft Olympisches Dorf“. Unterstützt wurde diese Arbeitsgemeinschaft von Mitarbeitern des RWM/RKM. Zudem entwarf der finnische Architekt Erik Bryggman drei für das Olympische Dorf vorgesehene Saunabäder. Insgesamt gesehen wurden die geltenden Militärbaurichtlinien trotz der beabsichtigten militärischen Nachnutzung bei der Errichtung des Olympischen Dorfes nur teilweise eingehalten (Hübner 2015, 71-78, 172-174).

Bauphase

Die bauvorbereitenden Erdarbeiten begannen im Herbst 1934. Neben der Entwurfsplanung für die Gebäude wurde auch für die Landschaftsgestaltung und die gärtnerischen Anlagen ein großer Aufwand betrieben, u.a. in Form von Lebendbaumverpflanzungen. Die Errichtung der Gebäude durch private Baufirmen begann im April 1935. Auf einem Areal von 55 Hektar wurden 135 ein- und fünf zweigeschossige Unterkunftsgebäude für circa 3.500 Betten errichtet (Abb. 1). Zentrales Gestaltungselement der Anlage war eine langgestreckte Rasenfläche, die sich quer über das gesamte Areal des Olympischen Dorfes zog, die sogenannte Dorfaue (Abb. 2). Neben den Unterkünften wurden auch einige Wirtschaftsgebäude errichtet. Die größten waren ein viertelkreisförmiges Empfangsgebäude (Abb. 3) und ein mehrstöckiger, im Grundriss mandelförmiger Bau, der als sogenanntes Speisehaus der Nationen der Verpflegung der Olympiamannschaften dienen sollte (Abb. 4). Die Anlage verfügte auch über einen Sportplatz sowie eine Schwimm- und eine Turnhalle. Der vorhandene Waldbestand wurde nicht beseitigt, sondern die Häuser in diesen hineingebaut (Hübner 2015, 66, 78, 97-117, 190).

Für die Unterkunftsgebäude war eine künstlerische Ausgestaltung vorgesehen. Das OK schrieb hierzu Bürgermeister in ganz Deutschland an – ausgewählt nach historischer, kultureller und/oder wirtschaftlicher Bedeutung ihrer Stadt – und bat diese um finanzielle Unterstützung. Als Gegenleistung sollte ein Haus den Namen der Stadt tragen. Die Kommunen wurden aufgefordert, auf ihre Rechnung einen Künstler zu entsenden, um großformatige Wandgemälde mit Ansichten der Stadt zu schaffen. Zudem sollten die Kommunen dreimal 26 Satz Bettwäsche mit eingesticktem Wappen oder Namen der Stadt leihweise zur Verfügung stellen sowie 24 großformatige Photographien mit Stadtansichten stiften. Das OK ging zunächst von einer breiten Zustimmung der Kommunen zu diesem Projekt aus. Es zeigt sich jedoch schnell, dass nur sehr wenige bereit waren, sich in größerem Umfang zu beteiligen; lediglich 17 von 140 Kommunen entsandten eigene Künstler. Die beiden Gründe, die immer wieder von den Bürgermeistern für eine ablehnende Haltung gegenüber der Anfrage angeführt wurden, waren die zerrüttete kommunale Haushaltslage und der sich ihnen nicht erschließende touristische Mehrwert. Um die Ausmalung der Wohngebäude sicherzustellen, musste schließlich der Reichsminister für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung einspringen und die deutschen Kunstschulen damit beauftragen, die Gebäude im Olympischen Dorf auszugestalten (Hübner 2015, 127-165).

Im Januar 1936 zeigte sich, dass die Anmeldezahlen alle Erwartungen und Berechnungen des OK übertreffen würden. Durch die Einbeziehung einer 1935 fertiggestellten, dem Olympischen Dorf westlich benachbarten Flak-Kaserne konnte die Belegzahl um circa 1.000 auf 4.500 Betten erhöht werden (Hübner 2015, 94-96). Unter hohem Zeitdruck gelang es, das Olympische Dorf fertigzustellen, so dass Mitte Juni 1936 einige deutsche Leichtathleten als erste Bewohner einziehen konnten. Kurz darauf folgten mit Japanern und Australiern die ersten ausländischen (Hübner 2015, 118, 188).

Olympische Spiele 1936

Die deutsche Presse berichtete häufig über das Olympische Dorf. Gerade im Vorfeld und auch noch während der Olympischen Spiele wurden dabei zwei Umstände immer wieder hervorgehoben: Zum einen, dass die Errichtung des Olympischen Dorfes ein Beweis für den Aufbauwillen des neuen, d.h. nationalsozialistischen Deutschlands sei. Zum anderen wurde betont, dass die Errichtung ein Beleg für den Friedenswillen der deutschen Wehrmacht sei. Während der Olympischen Spiele lag der Schwerpunkt dann auf der Schilderung der Internationalität der Einwohnerschaft des Olympischen Dorfes und ihrem friedlichen Zusammenleben (Hübner 2015, 207-219).

Die Mehrheit der in- und ausländischen Bewohner des Olympischen Dorfes war von der Unterbringung positiv beeindruckt. In den erhaltenen Selbstzeugnissen äußern sich viele begeistert (Hübner 2015, 193-194; Hübner 2017, 135-136). Dabei muss allerdings offenbleiben, ob der positive Eindruck stets mit der Spezifik des Olympischen Dorfes von 1936 zusammenhing oder an sich mit dem Aufenthalt in einem Olympischen Dorf während Olympischer Spiele. Aber nicht allen Sportlern gefiel die Unterkunft. So schrieb der britische Leichtathlet Godfrey Brown – mit der 4 x 400-Meter-Staffel Gewinner einer Goldmedaille und Silbermedaillengewinner über 400 Meter – zurück in Großbritannien in einem Leserbrief:

„The Germans were rightly proud of the Olympic Village, but even this had its drawbacks. We were nearly ten miles from the Stadium, fifteen from the city, and were surrounded by a high wire fence. Nor did the fact that when we left, the Village would become a place where Germans would learn the latest ways of killing us increase our appreciation of their hospitality, for which we had to pay six marks a day. […] The fact is that some of us went to Berlin with the mistaken idea that we were going to watch or take part in a Sports meeting; instead we were treated to a piece of political propaganda.“ (Brown 1936, 5)

Das IOC fällte über das Olympische Dorf ein uneingeschränkt positives Urteil. Im November 1936 hielt der im Bulletin des IOC veröffentlichte Offizielle Bericht anerkennend fest: „Im olympischen Dorf haben die Athleten die Bequemlichkeiten eines Heims und die Vorteile eines Clubs gefunden.“ (IOC 1936, 40) Der zumeist positive Eindruck, den die IOC-Mitglieder von den Berliner Spielen hatten, übte noch 1966 auf die Vergabe der Olympischen Sommerspiele an München für 1972 seinen Einfluss aus (Schiller/Young 2012, 91-104).

Auch das RKM wird die Einrichtung des Olympischen Dorfes als Erfolg verbucht haben. Die Omnipräsenz des Militärs, das einen Großteil des Personals stellte, und die beabsichtigte militärische Nachnutzung der Anlage wurden gegenüber den ausländischen Bewohnern nicht verborgen und von diesen mehrheitlich wohl auch nicht kritisch gesehen. Zeitgenössische Photographien zeigen, dass die Sportler in der Regel wohl keine Berührungsängste gegenüber Angehörigen der Wehrmacht hatten (Abb. 5). In dieser Hinsicht gelang es durchaus, mit der Einrichtung des Olympischen Dorfes ein friedliebendes Bild der Wehrmacht zu vermitteln.

Nach den Olympischen Spielen

Nach dem Ende der Berliner Spiele wurde das Olympische Dorf für die militärische Nachnutzung vorbereitet und diente dann bis 1945, in zwei Bereiche unterteilt, einerseits – unter Beibehaltung des Namens „Olympisches Dorf“ – als Standort für die Infanterieschule der Wehrmacht der Offiziersausbildung (Abb. 6) und andererseits unter der Bezeichnung „Olympia-Lazarett“ als Reservelazarett (Hübner 2015, 238-242).

In architektonischer und städtebaulicher Hinsicht gab es nur eine sehr eingeschränkte Rezeption. Die Planungen für das Olympische Dorf der Sommerspiele 1940 in Tokio lehnten sich in hohem Maße an die Döberitzer Anlage an, wurden allerdings nie ausgeführt, da das japanische OK noch vor Baubeginn die Beauftragung zur Ausrichtung dieser Olympischen Spiele 1938 an das IOC zurückgab (Hübner 2015, 250-252).

Im April 1945 besetzte die Rote Armee den Militärstandort Döberitz und nutze ihn weiter militärisch (Hübner 2015, 248). Schon ab den 1950er Jahren erfolgten tiefgreifende Veränderungen der überkommenen landschaftlichen und architektonischen Gestaltung. Erst 1991/1992 verließen die Armee-Einheiten den Standort; die ab jetzt nicht mehr militärisch genutzten Anlagen fielen an die Bundesrepublik Deutschland. Seit 1993 stehen die Reste des Olympischen Dorfes unter Denkmalschutz. 2009 wurden sie in das Denkmalpflegeprogramm „National wertvolle Kulturgüter“ der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen (Hübner 2015, 269-271, 273). Während die Gebäude der westlich angrenzenden Flak-Kaserne in der Folgezeit einer zivilen Wohnnutzung zugeführt wurden, fehlte für das Olympische Dorf lange Zeit ein tragfähiges Nutzungskonzept (Abb. 7). Erst 2017 erfolgte der erste Spatenstich für ein umfangreiches, sogenanntes Integriertes Quartiersentwicklungskonzept, das nun auch das ehemalige Olympische Dorf schrittweise einer zivilen Wohnnutzung zuführen soll. Hierin soll nicht nur die bestehende historische Bausubstanz einbezogen, sondern an den Standorten der zu sowjetischer Zeit abgebrochenen Gebäude von 1936 neue Wohnhäuser errichtet werden (dpa 2017).

Literatur

Brown, Godfrey: The Olympic Games. In: The Granta, 7.10.1936, 5-6.

Hübner, Emanuel: Das Olympische Dorf von 1936. Planung, Bau und Nutzungsgeschichte. Paderborn 2015.

Hübner, Emanuel: Olympia in Berlin. Amateurfotografen sehen die Olympischen Spiele 1936. München 2017.

IOC: Offizieller Bericht der Spiele [der XI. Olympiade]. In: Offizielles Organ des Internationalen Olympischen Komitees, Nr. 32 bis (11. Jg.), November 1936, 40-41.

Schiller, Kay/Young, Christopher: München 1972. Olympische Spiele im Zeichen des modernen Deutschland. Göttingen 2012.

dpa: Ehemaliges Olympisches Dorf wird für Wohnzwecke saniert. In: Süddeutsche Zeitung, 4.7.2017 [siehe: Hier, letzter Zugriff am: 4.5.2018].

Abbildungsnachweis

Abb. 1-7 Archiv Emanuel Hübner

Empfohlene Zitierweise

Hübner, Emanuel: Olympisches Dorf 1936, publiziert am 08.05.2018; in: Historisches Lexikon Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de/ (TT.MM.JJJJ)

Kategorien

Epochen: Preußische Provinz - Land / DDR-Bezirke - Land Brandenburg
Themen: Archäologie und Siedlung - Bildung und Kultur


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