Stendaler Aufruhr 1530

Felix Engel

Hintergründe

Kurfürst Joachim I. (Abb. 1) sperrte sich Zeit seines Lebens gegen alle reformatorischen Bestrebungen in seinen Landen. Denn neben der grundsätzlichen Sorge um den Erhalt der Religion und die Einheit der abendländischen Christenheit trieb ihn die sich aus der Religionsspaltung ergebende Kriegs- und Aufstandsgefahr für das eigene Land schon zeitig um. Die Ausbreitung der lutherischen Bewegung bereitete in seinen Augen den Boden für Chaos und Ungehorsam, wie ihn etwa das benachbarte Kursachsen 1524–26 im Deutschen Bauernkrieg erlebte. Mit erheblichem Aufwand gelang es Joachim I., das Übergreifen des Bauernkriegs auf die Mark Brandenburg zu verhindern, und in der Tat erwies sich die kurfürstliche Politik der Aufstandsverhütung als weitgehend erfolgreich. Denn während seiner Regierungszeit sollte sich in Brandenburg nur ein einziger Fall zweifelsfrei religiös motivierter Unruhen ereignen, und zwar genau zu dem Zeitpunkt, als sich Kurfürst Joachim I. 1530 auf dem Reichstag zu Augsburg befand, wo die protestantischen Stände Kaiser Karl V. die Confessio Augustana überreichten, um ihre Glaubensüberzeugungen darzulegen.

Am 26. Juli 1530 forderte der Stendaler Franziskanermönch Lorenz Kuchenbäcker während einer Predigt die Kirchgänger auf, zu singen, „wie man in Magdeburg und in vielen anderen Städten sünge“ (Lenz 1748, S. 5). Das im nahen Erzstift gelegene Magdeburg hatte sich schon in den frühen 1520er Jahren der lutherischen Reformation angeschlossen. Vor allem unter den Handwerksgesellen, die die lutherischen Lieder anscheinend bestens beherrschten, fand das Ansinnen Kuchenbäckers größten Anklang, sodass sie trotz Verbots durch den Stendaler Rat in den folgenden Wochen damit fortfuhren. (Abb. 2)

Ablauf

Am 14. August traf wegen dieser Angelegenheit der Hauptmann der Altmark Busso von Bartensleben mit weiteren kurfürstlichen Räten in der altmärkischen Metropole ein, ließ die Bürger vor dem Rathaus versammeln und nahm ihnen wie auch Kuchenbäcker das Versprechen ab, das Singen reformatorischer Lieder zu unterlassen. Am frühen Abend des 15. Augusts statteten die landesherrlichen Beamten dem Franziskanerkloster einen Besuch ab, um den Guardian anzuweisen, auf die Predigttätigkeit Kuchenbäckers ein Auge zu haben, und um diesen selbst noch einmal zu ermahnen. Den Mönch ergriff aber nun die Angst ob der nahenden Räte, zumal nachts zuvor einige Schustergesellen festgesetzt worden waren, er floh aus dem Kloster und verständigte die vermutlich anlässlich Mariae Himmelfahrt versammelten Gesellen. Dass es sich um die Tuchmacherknechte gehandelt hätte, die ihr Pantaleonsfest begingen, wie häufig zu lesen ist, dürfte unzutreffend sein, da der Gedenktag des Heiligen Pantaleon auf den 27. Juli fällt. (Der Verfasser dankt sehr herzlich Silke Junker vom Altmärkischen Museum Stendal für diesen wertvollen Hinweis.)

Kuchenbäckers Hilfeersuchen nährte aber das ohnehin schon kursierende Gerücht, dem Prediger solle Gewalt geschehen, sodass vor dem Rathaus, in das sich städtischer Rat und kurfürstliche Räte geflüchtet hatten, ein Auflauf entstand. Es wurde „mit Steinen geworffen vnnd buchssenn geschossenn“, das Rathaus schwer demoliert (CDB A 15, S. 527). (Abb. 3) Die per Sturmglocke hinzugerufenen Bürger konnten – oder wollten – dem Treiben kaum Einhalt gebieten, bis sich die Wut der Menge gegen die in der Stadt lebenden Kleriker richtete. Es wurden „die priesterschafft vnnd geistlichen on alle vrsach“, so Joachim I. später, „geplundert, Inen das Ire entpfremdet, Ir thurn vnnd fenster zerschlagenn vnnd also manichfaltig gross gewalt“ angetan (CDB A 15, S. 527).

Am nächsten Tag, dem 16. August, nötigten sechs von Gilden und Gewerken bestimmte Bevollmächtigte den städtischen Rat und die kurfürstlichen Räte, auf dem Rathaus einen Forderungskatalog zu bewilligen, dessen Inhalte heute leider unbekannt sind. Vermutlich betrafen sie sowohl die Zulassung der lutherischen Predigt als auch eine Beteiligung am Stadtregiment. Im Anschluss wurden die landesherrlichen Beamten Stendals verwiesen.

Konsequenzen

Bis zur Reaktion der Landesherrschaft sollten allerdings einige Monate vergehen. Sechs der Rädelsführer, darunter der Stadthauptmann Matthias Schönwald, ließ Kurprinz Joachim [II.], der am 13. Dezember 1530 in Stendal mit angeblich eintausend Reitern einrückte, köpfen. Andere wurden später mit Landesverweis bestraft.

Am 23. März 1531 legte Kurfürst Joachim I. Gewerken und Gemeinde, deren Abgesandte er zu sich nach Berlin vorgeladen hatte, schwere Bußen auf: Sie hatten ihm zehntausend Gulden zu zahlen – zur Hälfte entschädigungslos, zur anderen Hälfte als mit sechs Prozent verzinsliches Darlehen – und mussten den angerichteten Schaden voll ersetzen. Die gesamte Stadt verlor ihre Zollfreiheit. Den Tuchmachern wurde verboten, zukünftig das Pantaleonsfest zu begehen, „Inn ansehung, das diese vffruhr auss dem pantaleonen entstanden vnnd sich gemheret hat“ (CDB A 15, S. 528). Damit war wohl gemeint, dass am Abend vom 26. zum 27. Juli zum ersten Mal verbürgt lutherische Lieder unter reger Beteiligung der Tuchmachergesellen in Stendal erschollen waren und den Hintergrund für die nach und nach eskalierende Situation gebildet hatten.

Bewertung

Im Ergebnis sicherte sich der Landesherr einen noch festeren Zugriff auf die Stadt und stärkte das Regiment des Rates über die Stadtbürger, indem jener in eine noch vorteilhaftere Position im innerstädtischen Machtgefüge gerückt wurde. Der Stendaler Aufruhr steht zwar singulär für die Frühzeit der Reformation in Brandenburg, als sich lutherisches Gedankengut im Verborgenen und gegen den ausdrücklichen Willen der Landesherrschaft verbreitete. Doch folgte er den Mustern der Bürgerkämpfe des 15. Jahrhunderts gegen die städtische und landesherrliche Obrigkeit, von denen die Altmark wegen ihres verhältnismäßig urbanen Charakters mit dem ökonomischen Potential, dem hohen bürgerschaftlichen Organisationsgrad und der sozialen Ungleichheit besonders stark betroffen gewesen war. Gleichzeitig bewegte sich das Handeln der Landesherrschaft ganz im Rahmen der von den Hohenzollern erprobten Maßnahmen, mit denen sie im 15. Jahrhundert die aufrührerischen Städte unter ihre Botmäßigkeit gezwungen hatten. Die Motive hatten sich vor dem Hintergrund der Religionsspaltung verschoben, soziale wie ökonomische Momente aber nicht gänzlich an Bedeutung verloren. So verwiesen die Bürger und Gewerke in ihrer Rechtfertigung gegenüber Markgraf Joachim [II.], den sie um Fürsprache bei dessen Vater ersuchten, ausdrücklich auf den Umstand, dass sich zu diesen Teuerungszeiten ungewöhnlich viele arme Leute und wanderndes Volk in Stendal aufgehalten hätten, die sich maßgeblich an den Unruhen beteiligten.

Zwar scheint es parallel zu den Stendaler Unruhen im benachbarten Tangermünde ebenfalls zu einem Aufstand der Zünfte und der Gemeinde gegen Rat und Landesherrschaft gekommen zu sein, doch bleibt eine etwaige religiöse Motivation bzw. eine Schädigung der städtischen Geistlichkeit unerwähnt, sodass diese – wenn überhaupt – eine untergeordnete Rolle gespielt haben dürfte. Bis auf die Ratsfamilien hatte jeder Bürger der auferlegten Strafe von 1.500 Gulden seinen Teil beizusteuern. Die gefangenen oder flüchtigen Aufrührer sollten doppelt (mit jeweils zwei Gulden) belastet werden. Die auffallende Milde, mit der Kurfürst Joachim I. hier verfuhr, lässt offen religiöse Motive bei den Tangermünder Vorkommnissen höchst unwahrscheinlich erscheinen. Aus diesem Grunde schließlich ist lediglich der Tumult zu Stendal zu einer festen Größe im unverzichtbaren Repertoire der brandenburgischen Reformationsgeschichtsschreibung avanciert.

Quellen

Codex diplomaticus Brandenburgensis: Sammlung der Urkunden, Chroniken und sonstigen Quellenschriften für die Geschichte der Mark Brandenburg und ihrer Regenten. 4 Hauptteile A-D mit 35 Bde. 1 Supplement-Bd. 5 Register-Bde. Herausgegeben von Adolph Friedrich Riedel. Berlin 1838-1869, hier A 15, S. 526, Nr. 613 (8. Februar 1531); S. 527f., Nr. 614 und S. 529f., Nr. 615 (beide 23. März 1531); Suppl.-Bd., S. 417f., Nr. 47 und S. 418, Nr. 48 (beide 15. August 1530) [Zitiert als CDB] [Siehe: Hier]

Lenz, Samuel: Fortgesetzte Anweisung zu einer Stendalschen Chronick, betreffend die Kirchen- und Reformations-Historie derselben Stadt. Halle 1748, S. 3–9 (o.D.) [Siehe: Hier]

Stadtarchiv Tangermünde, I/4 Stadtbuch, Bl. 21v–23r (28. April 1531) = CDB A 16, Nr. 178, S. 143–145. [Siehe: Hier]

Literatur

Bekmann, Johann Christoph/Bekmann, Bernhard Ludwig: Historische Beschreibung der Chur und Mark Brandenburg nach ihrem Ursprung, Einwohnern, Natürlichen Beschaffenheit, Gewässer, Landschaften, Stäten, Geistlichen Stiftern etc. […], Bd. 2. Berlin 1753, T. 5, Buch 1, Kap. 2, Sp. 228–232. [Siehe: Hier]

Creutzburg, Reinhard: Martin Luthers Lieder und Justus Jonas’ Predigt als Anstöße zur Reformation in Stendal. In: Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 70, 2015, S. 30–50, hier S. 34–39 und 47.

Engel, Felix: Stadt und Reformation in der Mark Brandenburg. Berlin 2020.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lucas_Cranach_(I)_-_Joachim_I_Nestor.jpg

Abb. 2 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Stendal-1640-Merian.jpg

Abb. 3 Druckmanufaktur Hartmut Holz e.K.

Empfohlene Zitierweise

Engel, Felix: Stendaler Aufruhr 1530, publiziert am 19.01.2021; in: Historisches Lexikon Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

Kategorien

Epochen: Konfessionelles Zeitalter
Themen: Ereignisse - Religion und Kirche - Stadt und Bürgertum


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