Tractatus de urbe Brandenburg

Christina Meckelnborg

Der „Tractatus de urbe Brandenburg“, der „Traktat über die Burg(stadt) Brandenburg“, ist das älteste erhaltene Zeugnis brandenburgischer Geschichtsschreibung. Er entstand in den 1170er Jahren unter Markgraf Otto I. von Brandenburg (1123/25–1184). Es ist ein kleines Werk im Umfang von rund 530 Wörtern, in dem erzählt wird, wie die Brandenburg von dem Slawenfürsten Pribislaw/Heinrich (gest. 1150) in den Besitz Markgraf Albrechts von Brandenburg (um 1100–1170) überging.

Bisher war der Traktat nur durch eine sehr unzuverlässige Magdeburger Handschrift aus der Mitte des 16. Jahrhunderts bekannt (Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Cop. Kopiare und andere Amtsbücher, Nr. 390, Blatt 57v–60v) (Abb. 1). Er ist dort eingefügt in eine Sammlung von Texten zu dem Prämonstratenserstift Leitzkau. Schon seit Langem stand fest, dass der „Tractatus“ der Magdeburger Handschrift mit Zusätzen versehen, das heißt interpoliert ist. Das Ausmaß der Interpolationen ließ sich jedoch nicht feststellen. Dies wurde erst durch den Fund eines neuen Textzeugen in einer Weimarer Handschrift möglich, der sich aufgrund von Wasserzeichen und Schrift in das dritte Viertel des 15. Jahrhunderts datieren lässt (Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. O 157, Blatt 278v–279r und 280r–281r) (Abb. 2). Darin ist der „Tractatus“ in einer reineren und bedeutend besseren Version überliefert, die aber ebenfalls nicht frei von Interpolationen ist. Mithilfe der Weimarer Fassung konnten nicht nur die Zusätze der Magdeburger Handschrift genau bestimmt werden, sondern es konnte auch die verlorene Originalfassung des „Tractatus“ rekonstruiert werden, so dass man damit jetzt drei Fassungen unterscheiden kann, die zu verschiedenen Zeiten entstanden sind und unterschiedlichen politischen und rechtlichen Interessen dienten.

Unter diesen Umständen wurde eine Neuedition des Werkes notwendig, die 2015 zusammen mit einer Textanalyse erschien (Meckelnborg 2015). Enno Bünz schreibt in seiner Rezension zu dieser Neuedition bezüglich der drei Fassungen (Bünz 2016, S. 307): „Neueditionen von erzählenden Quellen führen vielfach zu stellenweise verbesserten Texten, haben aber selten so grundstürzende Folgen, wie in diesem Fall. Nun stehen der Forschung drei Textstufen derselben Quelle aus dem 12. und 13. Jahrhundert zur Verfügung, und die Brandenburgische Landesgeschichtsforschung wird sehen müssen, welche Konsequenzen dies für die Frühzeit des Landes hat.“

Der Inhalt des „Tractatus de urbe Brandenburg“

Im Folgenden wird der Inhalt des „Tractatus de urbe Brandenburg“ nach der rekonstruierten Originalfassung wiedergegeben: Pribislaw, ein zum Christentum übergetretener Slawe, der den Taufnamen Heinrich trug, hatte gemäß rechtmäßiger Erbfolge die Herrschaft über die Brandenburg und das ganze angrenzende Gebiet erlangt. Dieser Pribislaw/Heinrich bemühte sich, sein Volk vom heidnischen Götzendienst abzubringen. Da er keinen natürlichen Erben hatte, setzte er Markgraf Albrecht zum Erben seiner Herrschaft ein und übertrug Albrechts Sohn Otto bei dessen Taufe die ganze Zauche. Nachdem Pribislaw/Heinrich die Heiden zurückgedrängt und ringsum im Land Ruhe hergestellt hatte, führte er mit seiner Frau Petrissa ein gottgeweihtes Leben. Aus Liebe zu Gott verzichtete er auf die königlichen Insignien und brachte seine und Petrissas Krone Gott dar. Als sein Ende nahte, erinnerte er seine Frau daran, die Brandenburg nach seinem Tod Markgraf Albrecht zu übergeben, wie er es versprochen hatte. Eingedenk dieser letzten Ermahnungen hielt Petrissa den Tod ihres Mannes drei Tage lang geheim und rief unterdessen Markgraf Albrecht herbei, den er als seinen Erben eingesetzt hatte. Dieser kam sofort mit einer starken Schar Bewaffneter, nahm die Brandenburg gleichsam nach Erbrecht in Besitz und veranstaltete ein prächtiges Leichenbegängnis für Pribislaw/Heinrich. Nachdem Albrecht also das uneingeschränkte Verfügungsrecht auf der Brandenburg erlangt hatte, vertrieb er die Heiden und überließ die Bewachung der Burg kriegserprobten Männern seines Vertrauens, und zwar gleichermaßen Slawen und Deutschen. Die Kunde von diesen Vorgängen erreichte den polnischen Fürsten Jaczo, einen Onkel Pribislaws/Heinrichs, der sich um sein Erbe betrogen sah. Der bestach die Bewohner der Burg und drang nachts mit einem großen Heer in die Burg ein. Als Markgraf Albrecht dies hörte, sammelte er seinerseits ein großes Heer, zog vor die Brandenburg und belagerte sie. Als die Belagerten ihre aussichtslose Lage erkannten, übergaben sie die Brandenburg dem Markgrafen, nachdem ihnen mit Handschlag freier Abzug zugesichert worden war. So gewann Markgraf Albrecht die Brandenburg am 11. Juni 1157 wieder zurück.

Die Originalfassung des „Tractatus de urbe Brandenburg“

Die Originalfassung des „Tractatus“ lässt sich aus der Weimarer Fassung gewinnen, wenn man die Interpolationen im Text aufspürt und entfernt. In der so bereinigten Fassung ist der „Tractatus“ ein sprachlich-stilistisch und erzähltechnisch gelungenes Werk eines Autors, der mit dem klassischen Latein vertraut war. Er gestaltet die Handlung sehr schlicht, lässt nur vier Personen, nämlich Pribislaw/Heinrich, Petrissa, Markgraf Albrecht und Jaczo, agieren, nennt als Ort der Handlung nur die „urbs Brandenburg“, bleibt ansonsten bezüglich Orts- und Gebietsangaben sehr vage und beschränkt sich auf unbestimmte oder relative Zeitangaben („im Laufe der Zeit“, „sofort“, „nach kurzer Zeit“, „am festgesetzten Tag“). Konkret wird er nur im Schlusssatz, auf den die ganze Erzählung ausgerichtet ist: „So gewann also der oben genannte Markgraf Albrecht im Jahr der Fleischwerdung des Herrn 1157 am 11. Juni die Burg Brandenburg mit Hilfe göttlicher Gnade sehr siegreich zurück; er hielt mit großem Gefolge freudig Einzug, und nachdem er an einem erhöhten Ort die Fahne aufgestellt hatte, stattete er Gott, der ihm den Sieg über die Feinde gebracht hatte, mit Recht Dank ab.“ Konkret wird der Autor aber auch dort, wo es um Rechtliches geht: In den kurzen Text sind viele Hinweise auf die Besitzverhältnisse der Brandenburg unmerklich eingestreut. Es wird beispielsweise berichtet, dass Pribislaw/Heinrich die Herrschaft über die Brandenburg und das ganze angrenzende Gebiet „gemäß rechtmäßiger Erbfolge“ innehatte, dass er Markgraf Albrecht „zum Erben seiner Herrschaft“ machte, dass dieser die Brandenburg „gleichsam nach Erbrecht in Besitz nahm“ und „das uneingeschränkte Verfügungsrecht auf der Brandenburg erlangte“.

All dies dient dem Zweck, die Inbesitznahme der Brandenburg durch Markgraf Albrecht am 11. Juni 1157 nachträglich zu legitimieren. Denn tatsächlich hatte Markgraf Albrecht keinerlei Besitzrechte an der Brandenburg. Diese gehörte vielmehr seit ottonischer Zeit als Reichsburg dem König. Allerdings hatte König Otto I. in der Gründungsurkunde des Bistums Brandenburg von 948/949 die eine Burghälfte der Kirche übertragen, so dass sich seither König und Bischof den Besitz teilten. Die askanischen Markgrafen gaben sich mit dieser besitzrechtlichen Situation nicht zufrieden. Albrechts Sohn Markgraf Otto I. setzte in den 1170er Jahren alles daran, das uneingeschränkte Verfügungsrecht auf der Brandenburg zu erlangen. In diesen Kontext fügt sich der Traktat gut ein, da er Albrecht genau dieses Verfügungsrecht bestätigt, das sein Sohn und Nachfolger Otto I. erstrebte.

Die Weimarer Fassung des „Tractatus de urbe Brandenburg“

Die Originalfassung aus den 1170er Jahren wurde ein halbes Jahrhundert später mit Zusätzen versehen, die den Text ungefähr um ein Drittel erweitern. Sie handeln überwiegend von den Brandenburger Bischöfen Wigger (amt. 1138‒1160) und Wilmar (amt. um 1161‒1173), aber auch von dem Magdeburger Erzbischof Wichmann (amt. 1152/54‒1192) und einzelnen brandenburgischen Kirchen. Beispielsweise wurde nach der Mitteilung, dass Pribislaw/Heinrich ringsum im Land Ruhe hergestellt hatte, ein langer Satz eingefügt, in dem es heißt, dass dieser mit Hilfe Bischof Wiggers Prämonstratenser-Chorherren von einer Peterskirche herbeigeholt und sie an der St.-Gotthardt-Kirche in der Vorstadt der Brandenburg angesiedelt habe. Als Ort des Kronopfers bestimmt der Interpolator einen Petersschrein in St. Gotthardt, der jedoch erwartungsgemäß nirgends bezeugt ist. Als Zusatz erweist sich auch der ganze Schlussabsatz, in dem über die Aktivitäten Bischof Wilmars im Jahr 1165 berichtet wird: „Hierauf hat nun nach Ablauf von acht Jahren (d. h. 1165) Wilmar würdigen Angedenkens, der 14. Brandenburger Bischof, der beschlossen hatte, den Kathedralsitz auf jede Weise zu errichten und die Burg gegen die hinterlistigen Angriffe der Heiden zu schützen, nach langer Beratung mit den Mitbischöfen und auch mit Markgraf Albrecht und seinen Söhnen die Kanoniker des Prämonstratenserordens, die damals in der Kirche des heiligen Gotthardt in der Vorstadt der Brandenburg lebten, in feierlicher Prozession und unter dem Geleit des Volkes in die oben erwähnte Burg geführt und sie am 8. September sehr umsichtig an seinem Bischofssitz angesiedelt und ihnen die Dörfer Garlitz, Mützlitz, Buckow und Kieck übertragen, um ihre Zustimmung zu dem Umzug zu gewinnen, damit nach Beseitigung aller unflätigen Götzenbilder Gott genau dort unablässig gelobt würde, wo schon viele tausend Jahre lang den Dämonen nutzlos gedient wurde. In demselben Jahr hat der erwähnte Bischof Wilmar, weil er ein gutes Beginnen zu einem noch besseren Ende bringen wollte, die Basilika des heiligen Petrus, des Apostelfürsten, auf einem Fundament von 24 Fuß am 11. Oktober im Namen unseres Herrn Jesus Christus ehrfürchtig gegründet.“ Mit der schlichten Erzählung der Originalfassung haben die langen, verschachtelten Sätze dieses Absatzes nichts gemein. Auch seine auffällige Detailfülle und die sachlichen Fehler, die er enthält, indem er beispielsweise ein falsches Datum für die Übertragung einiger der genannten Dörfer angibt oder eine anachronistische Bischofszählung anwendet, bestätigen, dass er nicht zum ursprünglichen „Tractatus“ gehört. Dass dieser nicht über das Ereignis am 11. Juni 1157 hinausging, beweist auch das Incipit in der Weimarer Handschrift, das von dem Interpolator einfach aus der Originalfassung übernommen wurde: „Es beginnt der Traktat über die Burg Brandenburg, wie sie zuerst vom Heidentum zum Christentum bekehrt wurde und später von Jaczo, einem Fürsten Polens, hinterlistig erobert, doch schließlich von Markgraf Albrecht durch lange Belagerung in Besitz genommen wurde.“

Als Quellen der Interpolationen lassen sich drei Urkunden des Domstifts Brandenburg ausmachen, nämlich Wilmars Urkunde aus dem Jahr 1161 über die Einsetzung des Domkapitels auf der Brandenburg, die zu gleicher Zeit ausgestellte Bestätigungsurkunde Erzbischof Wichmanns von Magdeburg und eine weitere Urkunde Wilmars vom Anfang des Jahres 1166, in der dieser die Überführung des Domkapitels auf die Brandenburg bekannt gibt (Meckelnborg 2015, S. 47‒53). Der Interpolator, der vermutlich ein Angehöriger des Brandenburger Domstifts war, griff aus diesen Urkunden einzelne Formulierungen oder Satzteile heraus und stellte sie in einen anderen syntaktischen und inhaltlichen Zusammenhang. Nimmt man die Zusätze der Weimarer Fassung zusammen, erhält man eine Geschichte der Wiederherstellung des Bistums Brandenburg als Ergänzung zum politischen Geschehen, auf das sich die Erzählung des ursprünglichen „Tractatus“ allein konzentrierte. Dies legt auch sogleich eine Antwort auf die Frage nach der Datierung und Intention der Interpolationen nahe. Sie passen in die 1230er Jahre, das heißt in die Zeit des Brandenburger Zehntstreits (Schultze 1961, S. 118‒127), und könnten eine Reaktion von bischöflicher Seite auf die Argumentation der Brandenburger Markgrafen im Prozess vor der römischen Kurie sein. Diese begründeten nämlich ihre Ansprüche auf den Zehnten damit, dass sie allein das Land christianisiert und die Bischöfe es daher ihnen zu verdanken hätten, dass sie den Bischofssitz auf der Brandenburg wiedererrichten konnten. Wenn der Traktat jedoch „bewies“, dass auch die Bischöfe einen Anteil an der Inbesitznahme der Brandenburg hatten, war damit der markgräflichen Argumentation die Grundlage entzogen. Ob das kleine Werk jedoch in irgendeiner Weise Einfluss auf den Vergleich hatte, der 1237 zwischen den Markgrafen und dem Bischof zustande kam, ist nicht bekannt.

Die Magdeburger Fassung des „Tractatus de urbe Brandenburg“

Auf der Weimarer Fassung basiert die Fassung der Magdeburger Handschrift. Darin steht der Traktat inmitten von Texten zu dem Prämonstratenserstift Leitzkau, die ein Kompilator, der sich als Angehöriger des Stifts zu erkennen gibt, durch überleitende Texte miteinander verbunden und mit eigenen Texten aufgefüllt hat. Für die Einbindung in die Leitzkauer Textsammlung wurde der Traktat, in dem Leitzkau bislang mit keinem Wort erwähnt worden war, von dem Kompilator „leitzkautauglich“ gemacht. Entstanden ist auf diese Weise „ein wahrhaft betrübliches Machwerk“, das „in einem bisher nicht geahnten Grade als unzuverlässig anzusprechen ist“ (Kahl 1964, S. 407, 461). Schon im Vorspann zum „Tractatus“ versichert der Leitzkauer Kompilator, der Autor habe darlegen wollen, „dass die Kirche des heiligen Petrus ebendieser Burg“ – gemeint ist die Brandenburg – „eine Tochtergründung von St. Marien in Leitzkau ist, wovon sich alle Leser in der folgenden Schrift überzeugen können“. Entsprechend lässt er keine Gelegenheit aus, Leitzkau in größeren oder auch kleineren Zusätzen im „Tractatus“ zu erwähnen, um dadurch das höhere Alter und die Vorrangstellung des Leitzkauer Mutterklosters gegenüber dem Brandenburger Domstift zu beweisen. Dahinter steht die Absicht, die domkapitularen Rechte, die Leitzkau seit der Wahl Bischof Wiggers 1138 bis zur Einsetzung des Domkapitels auf der Brandenburg 1161 besaß, wiederzuerlangen, vor allem das Bischofswahlrecht, das in den 1260er und 1270er Jahren, in denen die interpolierte Magdeburger Fassung des Traktats vermutlich entstand, Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen Leitzkau und Brandenburg war.

Der Autor des „Tractatus de urbe Brandenburg“

Einzig im Vorspann zum „Tractatus“ in der Magdeburger Handschrift wird als Autor ein gewisser „Henricus dictus de Antwerpe“ genannt. Dort schreibt der Leitzkauer Kompilator in pseudowissenschaftlicher Manier: „Nach dem Ablauf von Jahren stellt sich oft die Frage nach dem Vergangenen, wenn die Sache selbst nicht durch das Zeugnis eines Schreibenden bestätigt worden ist. Daher hat Heinrich, genannt von Antwerpen, Prior in Brandenburg unter Propst Alberich, aufgezeichnet, als er ein junger Mann war, dass die Burg Brandenburg, nachdem zuerst die Slawen von dort vertrieben worden sind, jetzt im Besitz der Christen ist und dass die Kirche des hl. Petrus derselben Burg eine Tochtergründung von St. Marien in Leitzkau ist, wovon sich alle Leser in der folgenden Schrift überzeugen können, wobei er folgendermaßen schrieb: [Es folgt der Traktat].“ In der Tat gab es unter Alberich, der von 1216/17 bis 1231 das Amt des Brandenburger Dompropstes innehatte, einen „Heinricus prior“, der in Urkunden der Jahre 1216/17 bis 1227 mehrmals als Zeuge vorkommt (Meckelnborg 2015, S. 58‒60). Ihn identifizierte man in der Forschung des 19. und 20. Jahrhunderts allzu leichtfertig mit dem Autor des „Tractatus de urbe Brandenburg“, obwohl bei dem urkundlich bezeugten Heinrich nichts auf Antwerpen als Herkunftsort hinweist. Hätte man bereits damals den „Tractatus“ nicht isoliert, sondern als Teil der Leitzkauer Textsammlung betrachtet, hätte man erkennen können, dass der Vorspann nicht originaler Bestandteil des Traktats, sondern ein Verbindungstext des Kompilators und somit Teil seines „Machwerks“ ist. Dies hätte schon ausreichen müssen, um die Geschichte von dem jungen „Heinrich genannt von Antwerpen“ als Autor des „Tractatus“ als Erfindung abzutun, umso mehr als die Namensform „Henricus dictus de Antwerpe“ anstelle des einfachen Herkunftsnamens „Henricus de Antwerpe“ Ende des 12. /Anfang des 13 Jahrhunderts, der Lebenszeit des urkundlich bezeugten „Heinricus prior“, noch unüblich war. Eine Bestätigung dafür, dass der Autor tatsächlich fingiert ist, liefert der Weimarer Handschriftenfund: Im Incipit der Weimarer Fassung, die ja die ältere Überlieferung repräsentiert, erscheint sein Name nicht. Es ist außerdem undenkbar, dass der Traktat, der die Besitzrechte des Brandenburger Domstifts gänzlich ignoriert, ausgerechnet von einem späteren Konventualen dieses Stifts verfasst worden sein soll. Vielmehr muss man annehmen, dass der Leitzkauer Kompilator den echten Brandenburger Domprior Heinrich mit dem fingierten Autor Heinrich von Antwerpen verknüpfte, um seine Darstellung, wonach Leitzkau gegenüber Brandenburg die älteren Rechte beanspruchen konnte, glaubwürdiger zu machen. Aus demselben Grund verlegte er auch die Abfassung des Traktats in die Jugend des Autors, denn dadurch rückte er diesen in größere Nähe zum Geschehen. Damit bediente er sich eines in den Vorworten fiktionaler und historiographischer Literatur nicht seltenen Kunstgriffs, durch Beibringung eines fiktiven Gewährsmannes seiner eigenen Erzählung eine höhere Glaubwürdigkeit zu verschaffen (Meckelnborg 2015, S. 57‒61). Zu dem tatsächlichen Autor lässt sich nur so viel sagen: Er war ein im Lateinischen versierter Geschichtsschreiber, der den „Tractatus de urbe Brandenburg“ in den 1170er Jahren für Markgraf Otto I. von Brandenburg oder sogar in dessen Auftrag schrieb. Man könnte an Ottos Kaplan „Wiricus Francigena“, d. h. Wirich aus Frankreich, denken, den Schreiber und Verfasser des Zollprivilegs Markgraf Ottos I. für die Brandenburger Bürger vom Jahr 1170, der in diese Urkunde eine kurze historische Erzählung („Es geschah aber, dass ...“) nach Art des „Tractatus“ eingeflochten hat (Partenheimer S. 156‒159). Angesichts des geringen Textumfangs und der unterschiedlichen Thematik lässt sich die Identität mit dem Verfasser des „Tractatus de urbe Brandenburg“ jedoch nicht beweisen. Die Autorfrage muss daher offenbleiben.

Quellen

Meckelnborg, Christina: Tractatus de urbe Brandenburg. Das älteste Zeugnis brandenburgischer Geschichtsschreibung. Textanalyse und Edition (= Schriften der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg; Neue Folge 7). Berlin 2015.

Literatur

Bünz, Enno: [Rezension von] Christina Meckelnborg, Tractatus de urbe Brandenburg ..., Berlin 2015. In: Neues Archiv für sächsische Geschichte 87 (2016), S. 306‒307.

Kahl, Hans-Dietrich: Slawen und Deutsche in der brandenburgischen Geschichte des zwölften Jahrhunderts. Die letzten Jahrzehnte des Landes Stodor. 1. Halbband: Darlegungen, 2. Halbband: Materialien. Köln u.a. 1964.

Partenheimer, Lutz: Die Entstehung der Mark Brandenburg. Mit einem lateinisch-deutschen Quellenanhang. 1. und 2. Aufl. Köln u.a. 2007.

Schultze, Johannes: Die Mark Brandenburg. Bd. 1: Entstehung und Entwicklung unter den askanischen Markgrafen (bis 1319). Berlin 1961.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 Landesarchiv Sachsen-Anhalt Cop. Kopiare und andere Amtsbücher, Nr. 390, Blatt 57v

Abb. 2 Landesarchiv Thüringen ‒ Hauptstaatsarchiv Weimar, EGA, Reg. O 157, Blatt 278v

Empfohlene Zitierweise

Meckelnborg, Christina: Der „Tractatus de urbe Brandenburg“, publiziert am 07.03.2018; in: Historisches Lexikon Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de/ (TT.MM.JJJJ)

Kategorien

Epochen: Ur- und Frühgeschichte - Zeit der Askanier
Themen: Herrschaft und Verwaltung


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