Landesarchäologie

Thomas Kersting, Franz Schopper

In Brandenburg begann die Vorgeschichtswissenschaft schon früh, die erste Frankfurter Universität (1506–1811) bot dazu das humanistisch-akademische Umfeld. Erste Grabungen mit Darstellungen von Funden aus dem Oderraum unternehmen Martin Friedrich Seidel (1621–1693) mit dem „Thesaurus Orcivus Marchicus“ („Märkischer Totenschatz“) und Johann Christoph Beckmann (1641–1717) mit den „Memoranda Francofurtana […]“, wo man erstmals archäologische Funde als Quellen mit historischem Erkenntniswert behandelt. Posthum erscheint Beckmanns „Historische Beschreibung der Chur- und Mark Brandenburg […] “ (1751 und 1754). Mit Fundbeschreibungen und vor allem qualitätvollen Zeichnungen ist es ein frühes Standardwerk der Landesarchäologie. Nach eineinhalb Jahrhunderten eher zufälliger, romantischer Beschäftigung mit Archäologie beginnt um 1900 eine ausgedehnte Grabungs- und Forschungstätigkeit, durch den Ersten Weltkrieg nur kurz unterbrochen. Großes Aufsehen – sogar das Interesse des Kaisers - erregen die Burgwall-Grabungen auf der Potsdamer Römerschanze (Abb. 1) durch Carl Schuchardt und in Lossow bei Frankfurt (Oder). Wichtige Funde des 19. und frühen 20. Jahrhundert befinden sich heute leider im Ausland; prominentes Beispiel ist der Goldschatz von Eberswalde, der sich als „Beutekunst“ im Puschkinmuseum in Moskau befindet.

Der wohl berühmteste Fund Brandenburgs blieb in der Region: das Inventar des „Königsgrabes von Seddin“ (Abb. 2) kam ins Märkische Museum Berlin. Der Grabhügel, der größte seiner Zeit (800 v.Chr.) in ganz Deutschland, blieb mit seiner Steinkammer erhalten und ist mit anderen Bodendenkmalen der Prignitz im Rahmen der „Zentralen Archäologischen Orte“ (ZAO) touristisch gut erschlossen.

In den 1920er und 30er Jahren begann Wilhelm Unverzagt mit der systematischen Aufnahme der auffälligsten Bodendenkmale, der slawischen Burgwälle, westlich und östlich der Oder. Mit einem Landesamt für Vor- und Frühgeschichte sollte 1938 die archäologische Arbeit unter Lothar Zotz auf eine institutionelle Basis gestellt werden, was durch den Zweiten Weltkrieg verhindert wurde. Der Krieg hat gerade in Brandenburg auch für die Archäologie katastrophale Folgen: umfangreiche und wichtige Sammlungen und Akten werden oft fast völlig zerstört oder auf verschiedene Institutionen in Ost und West verstreut. In dieser Umbruchszeit sorgt Wilhelm Unverzagt für Kontinuität, sein Name ist mit der Neuorganisation der Bodendenkmalpflege in der DDR verbunden. Mit der Gründung des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam 1953 beginnt die Landesarchäologie neu, unter Leitung von Sieglind Kramer und dann Bernhard Gramsch (vgl. Beitrag Friesack in diesem Heft).

Neben der Betreuung von Bauplanungen befasste man sich auch mit langfristigen Forschungen: Für den Westen des Landes sind die Grabungen auf der Dominsel in Brandenburg (Abb. 3) an der Havel zu nennen, die neue Erkenntnisse zu einem frühstädtischen Zentrum aus slawischer Zeit brachten. Im Osten sind es Untersuchungen auf dem ebenfalls slawischen Burgwall von Wiesenau, Landkreis Oder-Spree, die unter anderem einen sehr gut erhaltenen hölzernen Hakenpflug lieferten. Im Süden des Landes standen mit den vielfältigen Aufschlüssen im Tagebauvorfeld vor allem bronze- und eisenzeitliche Gräberfelder sowie slawische Burgwälle wie Tornow und Schönfeld (Abb. 4) im Mittelpunkt. Bis heute müssen dort Gräberfelder und Siedlungen vor dem Braunkohlebagger dokumentiert werden. In der nachgebauten „Slawenburg Raddusch“ (Abb. 5) im Spreewald kann man seit 2003 auf interessante Weise die Archäologie der Lausitz und der Tagebaue sowie insbesondere der Slawenzeit erleben – auch „live“ bei zahlreichen Veranstaltungen.

Mit dem Bauboom der 1990er Jahre nach der „Wende“ bei neuer Rechtslage erhält die Archäologie eine ganz neue Qualität und Quantität. Bis heute ermöglichen buchstäblich tausende von Ausgrabungen in Begleitung der verschiedensten Infrastruktur- und Baumaßnahmen neue Einblicke in die historischen Stadt- und Dorfkerne von Ortrand in der Lausitz bis Lychen in der Uckermark, von Ziesar im Westen bis Frankfurt (Oder) im Osten (Abb. 6, 7). Heute liegen Grabungsdokumentationen aus allen ca. 130 Stadtkernen im Lande vor. Die fachliche Einordnung der vor der Zerstörung geretteten Informationen wird wohl noch Jahre dauern. Erste resümierende Tagungen und Publikationen sind erschienen, die ein neues, detailliertes Bild der mittelalterlichen Stadt entwerfen, das weit über Brandenburg hinaus wirkt.

Gerade bei Stadtkerngrabungen ergab sich auch eine zeitliche Erweiterung der Archäologie, da mit dem neuen Denkmalschutzgesetz von 1991 kein Altersvorbehalt für Bodendenkmale mehr gegeben ist. Bodenfunde als Quellen sind gesetzlich geschützt, unabhängig vom Alter, also auch z.B. Schlachtfelder des 17. Jahrhunderts, Spuren nationalsozialistischer Konzentrationslager (Abb. 8, 9), Waldlager der Roten Armee 1945 oder DDR-zeitliche Grenzanlagen mit Fluchttunneln (Abb. 10). Der exemplarischen Rolle der Landesarchäologie Brandenburgs trägt auch der Tagungsband „Archäologie und Gedächtnis – NS-Lagerstandorte Erforschen-Bewahren-Vermitteln“ (Kersting u.a. 2006) Rechnung.

Im Rahmen der Denkmallistenführung gilt es, etwa 35.000 archäologische Fundplätze im Auge zu behalten und durch das Landesamt zu inventarisieren. Voraussetzung ist dafür, die frühe Geschichte unseres Landes in seinem europäischen Umfeld zu verstehen, daher arbeitet die Landesarchäologie neben der baubedingten „Verursacher-Archäologie“ auch als Partner bei vielen universitären Forschungsprojekten mit - vom Ende der Eiszeit bis in das hohe Mittelalter, die sich mit z.T. altbekannten, aber auch neuen Fundplätzen befassen. In die mittlere Steinzeit (ca. 8000-5000 v. Chr.) gehört ein europaweit bekannter Fundplatz bei Friesack, von dem u.a. eines der ältesten Netze der Menschheit stammt. Etwa 10.000 Jahre alt, ist es heute im Archäologischen Landesmuseum Brandenburg zu besichtigen.

Einem ebenfalls europaweit bekannten Fundplatz widmen sich die Forschungen in Seddin. Vom Kreis Prignitz maßgeblich unterstützt, wird hier das Umfeld des Königsgrabes (Abb. 11) erforscht, um es in ein kulturtouristisches Konzept einzubinden (ZAO, s.o.) sowie, um das landesweit erste Grabungs-Schutzgebiet einzurichten. Angesichts der Bedeutung des Platzes und seines umgebenden Ritualraumes ist die hohe Identifikation der Bevölkerung mit seiner Geschichte auch ein Indikator für gelungene Öffentlichkeitsarbeit.

Seit über 100 Jahren regen die Funde auf dem Burgwall von Lossow bei Frankfurt (Oder) die Fantasie an - die Opferschächte mit ihren Keramikpackungen, Tierknochen und menschlichen Skeletteilen lassen viele Interpretationsansätze aufkommen. Der Fund eines Bronzewidders konnte bisher unbekannte Bezüge nach Griechenland aufzeigen (Abb. 12).

Dass Brandenburg bereits in vorchristlicher Zeit bei Innovation und Technik ganz vorn mit dabei war, zeigen die Grabungen der Freien Universität Berlin bei Waltersdorf und Glienick auf dem Teltow (Abb. 13). Dort konnte die älteste Eisenproduktion im nördlichen Mitteleuropa (ca. 300 v. Chr.) nachgewiesen werden.

Im Nordwesten widmete sich ein Projekt der slawischen Besiedlung in der Prignitz. Lenzen an der unteren Mittelelbe bildet hier mit seinen Burgen und den Erwähnungen in den historischen Quellen ein wichtiges Zentrum (Abb. 14). Die Erforschung von Landschaft, Kultur und Geschichte ist heute ohne Naturwissenschaften nicht mehr möglich. Für das BLDAM ist die eigene archäobiologische Abteilung dabei ein großer Vorteil.

Die Erforschung der Dörfer Diepensee und Horno (Abb. 15, 16) durch archäologische Grabungen erfolgte, weil beide Orte modernen Eingriffen weichen mussten: Diepensee dem Airport Berlin-Brandenburg-International, Horno dem Braunkohletagebau. Siedlungs- und Wirtschaftsweise, Dorfstruktur, Kirche, Viehhaltung, Handwerk, Herkunft und Gesundheit der Bevölkerung sind nur einige Aspekte, die dabei im Mittelpunkt stehen. Erste Publikationen liegen vor und eine erfolgreiche Wanderausstellung zeigte schon an vielen Stationen die Ergebnisse.

Dass auch mittelalterliche Städte wüst fielen, also aufgegeben wurden, liess sich bei Grabungen in Freyenstein, Prignitz nachweisen; die Ergebnisse lassen sich im Archäologischen Park in Freyenstein auf unterhaltsame Weise nachvollziehen – er gehört auch zur Tourismusroute der ZAO.

Das zeitlich jüngste Forschungsprojekt behandelt den 30jährigen Krieg. 2007 wurde erstmals ein Massengrab auf einem Schlachtfeld dieses Krieges untersucht. Die etwa 120 Toten waren bei Wittstock nach der Schlacht 1636 bestattet worden. Archäologen, Anthropologen und Gerichtsmediziner beleuchten verschiedene Aspekte ihres Lebens und Sterbens – dokumentiert in einem Tagungsband und einer sehr erfolgreichen Wanderausstellung.

Eine neue Strategie der Landesarchäologie besteht – auch in Reaktion auf die gesellschaftliche Einforderung von Partizipation - seit einigen Jahren in der Einbindung von ausgebildeten, lizensierten Metallsuchern als ehrenamtlichen Helfern. Nach frühen vereinzelten Spezialeinsätzen (Abb. 17) hat mittlerweile das Heranwachsen (und ständige Weiterwachsen) einer vertrauenswürdigen, erfahrenen, engvernetzten und hochaktiven Gruppe lizensierter Sondengänger zu überwältigenden Erfolgen geführt. Es ist zu erkennen, dass ihre Tätigkeit nicht nur zu einem exponentiellen Anwachsen von Metallfunden führt, sondern auch den methodischen Zugang verändert. Der Blick auf manche Epoche ändert sich: wir sind uns heute einer viel stärkeren Präsenz kaiser- bzw. völkerwanderungs-zeitlicher Metallfunde bewusst (Abb. 18). Ein viel stärkerer Wikingereinfluss in der Slawenzeit – obwohl weit im Hinterland der Ostsee – dokumentiert sich in mittlerweile fast regelmäßigen einschlägigen Funden (Abb. 19). Große Schatzfunde unterstreichen den intensiven wirtschaftlichen Austausch (Abb. 20), bei dem es vor allem um Sklavenhandel ging, wie die ebenfalls mittlerweile häufigen arabischen Münzen (Dirhem), die Währung der Abnehmer, zeigen. Der zeitweilige Wohlstand der märkischen Bauern im Hochmittelalter wird in mehreren neuen, umfangreichen Schatzfunden von Silbermünzen (Abb. 21) sichtbar.

Schließlich verdanken wir der Metallsuche auch Funde neuester Zeit: sowohl spezifischer neuer Fundmaterialen, wie der sog. ADREMA-Tafeln aus der Lohn- und Adress-Verwaltung der Lager (Abb. 22), als auch völlig „neuen“ Bodendenkmal-Kontexten: die Geschichte der Waldlager der Roten Armee nach Kriegsende 1945 in Brandenburg wäre nach wie vor unbekannt.

Dank Partnern wie dem Archäologisch-Technischen-Zentrum in Welzow kann heute auch ein experimental-archäologischer Zugang zur Vergangenheit erprobt werden. Das Projekt des originalgetreuen Nachbaues samt Inbetriebnahme eines slawischen Einbaumbootes aus Ziesar (Abb. 23) erfreute sich großen Medieninteresses; der Nachbau kommt der Stadt Ziesar, die das Projekt förderte, zugute.

Die Archäologie in Brandenburg ist vielfältig und wird es auch bleiben, denn das Land liegt mitten in Europa und über Jahrtausende trafen sich hier kulturelle Einflüsse aus Nord, Süd, Ost und West. Publikumswirksamer Bestandteil der Vermittlung der Erkenntnisse ist das Schaufenster der Landesarchäologie: das Archäologische Landesmuseum im sanierten Paulikloster in Brandenburg a. d. Havel (www.paulikloster.de) (Abb. 24). Auf 2.000 Quadratmetern werden in zehn Abteilungen Funde und Forschungsergebnisse präsentiert. Durch Texte, Bilder und diverse Medien ergänzt, beginnen die Objekte aus Metall, Keramik, Holz, Leder und Glas vom Leben unserer Vorfahren zu sprechen. Landesarchäologische Arbeit und Denkmalpflege insgesamt bleiben eine wichtige Säule des Selbstverständnisses unseres Kulturlandes Brandenburg.

Der Beitrag erschien 2017 im Heft 107 von: Die Mark (Archäologie in der Mark), unter dem Titel: Kersting, Thomas / Schopper, Franz: „Brandenburger Landesarchäologie – Zukunft für Vergangenheit“.

Literatur

Über alle hier erwähnten Themen, Funde und Grabungen informieren die aktuellen und populären Jahrbücher „Archäologie in Berlin und Brandenburg“ seit 1993 und vor allem der jüngst erschienene Tagungsband „Feuerstein, Fibel, Fluchttunnel - Archäologie in Berlin und Brandenburg seit der Wende“ (= Denkmalpflege in Berlin und Brandenburg, Arbeitsheft 5), hrsg. von Michael Meyer, Franz Schopper und Matthias Wemhoff, Petersberg 2017.

Kersting, Thomas u.a. (Hrsg.): Archäologie und Gedächtnis. NS-Lagerstandorte Erforschen-Bewahren-Vermitteln. Interdisziplinäre Konferenz im Archäologischen Landesmuseum Brandenburg an der Havel 17. bis 19. September 2015 (= Denkmalpflege in Berlin und Brandenburg; Arbeitsheft 4). Petersberg 2016.

Abbildungsnachweis

Abb. 1, 6 J. Wacker.

Abb. 2, 4, 9, 24 D. Sommer.

Abb. 3 Zeichnung B. Fischer.

Abb. 5, 7, 17, 21-23 Th. Kersting.

Abb. 8 G. Wetzel.

Abb. 10 T. Dressler.

Abb. 11 Grafik Th. Hauptmann.

Abb. 12 F. Fabert.

Abb. 13 M. Brumlich.

Abb. 14 Archäologie Manufaktur.

Abb. 15, 16 A. Marx.

Abb. 18, 19 F. Biermann.

Abb. 19 K. Sommer.

Abb. 20 F. Slawinski.

Empfohlene Zitierweise

Kersting, Thomas / Schopper, Franz: Landesarchäologie, publiziert am 03.10.2023; in: Historisches Lexikon Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

Kategorien

Epochen: Ur- und Frühgeschichte - Land / DDR - Bezirke
Themen: Archäologie und Siedlung


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