Zwangsarbeiterlager Sebaldushof

Thomas Kersting, Miriam Weßels

1.

Erforschung

Die Archäologische Denkmalpflege ist – genau wie in den ur- und frühgeschichtlichen Perioden – gerade auch für die Epoche der jüngeren Geschichte auf Hinweise interessierter Bürger angewiesen, fehlt doch eine systematische Erfassung von Bodendenkmalen dieser Zeit von historischer Seite.

Der 2012 mit dem Brandenburgischen Denkmalpflegepreis ausgezeichnete Helmut Päpke aus Treuenbrietzen, widmete sich in fast 30jähriger Beschäftigung diesem Thema am Beispiel des Sebaldushofes nördlich von Treuenbrietzen. Er wurde 1805 als Papierfabrik errichtet, Ende der 1920er /Anfang der 1930er Jahre aber entstand auch hier eine Munitionsfabrik, das sogenannte „Werk A“, in welchem von 1942 bis zur Befreiung am 21.4.1945 zahlreiche Zwangsarbeiter zur Arbeit gezwungen wurden, und bei dem sich ein Lager für Kriegsgefangene und aus dem KZ Sachsenhausen abgeordnete Insassen befand.

Als langjährigem Geschichtslehrer am Treuenbrietzener Gymnasium gelang es H. Päpke in einer „Geschichtswerkstatt“ mehrere Schülergenerationen für sein Thema zu begeistern. Die Recherchen zu den Orten und den dort gefangengehaltenen Menschen wurden durch Schüler schriftlich zusammengefasst und in mehreren Beiträgen 2003 zum „Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten“ eingereicht. Am Ort des Lagers Sebaldushof wurde im Wald in Abstimmung mit der Forstbehörde ein Rundgang eingerichtet, Informationstafeln errichtet und eine kontinuierliche Pflege und Schutz der Bodendenkmalsubstanz sichergestellt. Eine besondere Dimension gewinnen diese Aktivitäten durch den Umstand, dass in den letzten Kriegstagen ganz in der Nähe bei Nichel ca. 150 italienische Militär-Internierte ermordet wurden, die auch im Sebaldushof arbeiten mussten. Durch das jährliche Gedenken an diese Opfer kam eine Städtepartnerschaft zwischen Treuenbrietzen und dem Heimatort eines der Überlebenden zustande.

Die vom Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege als Bodendenkmale geführten Zwangsarbeiter- oder Gefangenenlager-Standorte sind während der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus entstanden. Da das Terrorregime die Schaffung bzw. Erhaltung von Beweismaterialien bewusst vermieden hat, liegt hier eine sog. atypische Quellenlage vor, d.h. es existieren nur wenige schriftliche Quellen, Pläne, Karten und Bildmaterial. Wegen des zeitlichen Abstands ist auch das Versiegen mündlicher Quellen absehbar. Somit sind die im Boden erhaltenen Funde und Befunde ein unerlässliches Zeugnis der Handlungen sowohl der Opfer als auch der Täter. Mit dem Bodendenkmal ist darüber hinaus ein außerordentlicher Anschauungs- und Demonstrationswert verknüpft. Dieser überragenden wissenschaftlichen, geschichtlichen und vor allem aber auch gesellschaftlichen Bedeutung war sich H. Päpke bewusst, und hat sich persönlich neben den Aktivitäten am Ort mehrfach an die zuständigen Denkmalschutzbehörden gewandt, und damit entscheidend dazu beigetragen, dass die genannte Anlage in die Denkmalliste des Landes Brandenburg eingetragen wurde.

Dies alles geschah ohne einen „Spatenstich“ oder archäologische Untersuchungen, lediglich ein Luftbild von 1945 zeigt noch die komplette Lagerbebauung (Abb. 1), von der heute obertägig fast nichts mehr vorhanden ist – nur das Digitale Geländemodell lässt die Strukturen wie Werkshallen- und Barackenstandorte sowie Splitterschutzgräben deutlich erkennen.

ADREMA-Matrizen

Immerhin hatten die Schüler bei den Pflege-Aktionen im Wald im Bereich der Lagerverwaltung knapp 100 kleine Metallplättchen mit Namen, Adressen, Geburts- und anderen Daten gefunden, deren Anzahl bei Begehungen in den letzten beiden Jahren durch den Ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger S. Wolter nochmal um das Doppelte vermehrt werden konnte.

Es handelt sich bei diesen 11,5 mal 5 cm großen Platten um sog. Adrema-Matrizen, die einen „analogen Datenspeicher“ bilden, dessen Daten maschinell mit einer Adressier-Maschine (ADREMA) – auch in Auswahl – ausgedruckt werden konnten (Abb. 2).

Das System „ADREMA“ beruht auf der Automatisierung wiederholter Schreibarbeiten mit Führung eines zentralen Registers – vollautomatische Maschinen leisten das Hundertfache des handschriftlichen Adressierens, also ideal für alle größeren Betriebe und Verwaltungen. Es arbeitet mit Metallplatten, in die Anschriften und andere kurze Daten eingeprägt sind und die in laufender Folge zum Abdruck benutzt werden. Der Arbeitsablauf ist vollkommen mechanisch und kann schnell und zuverlässig von einer einfachen Hilfskraft bewältigt werden. Der Abdruck entspricht der Schreibmaschinenschrift, denn „ADREMA“ arbeitet mit Metall-Buchstaben und Farbband wie eine Schreibmaschine. Die Prägung der Texte erfolgt auf einer Prägemaschine, die Prägevorlagen konnten die Betriebe selbst herstellen oder bei größeren Mengen direkt bei der Firma „ADREMA“ in Auftrag geben. Dafür unterhielt sie in Berlin und in der ganzen Welt Prägestellen; allein in der Berliner Zentrale konnten täglich 50.000 solcher Platten geprägt werden. Die Metallplatten konnten am oberen Rand (der entsprechende Aussparungen aufweist) mit bis zu 12 aufsteckbaren Reitern versehen werden, um beim Druckvorgang zu bestimmen, welche Datenauswahl auf den Ausdruck gelangt. Der Erfinder dieses Systems zur Adressierung von Massenbriefen, Julius Goldschmidt, hatte 1913 in Berlin die Adrema-Maschinenbaugesellschaft gegründet. 1935 sah er sich als Jude in Deutschland gezwungen, die Firma zu verkaufen und zu emigrieren. Zumindest bis in die 1950er Jahre waren solche Maschinen in Gebrauch.

Die ca. 300 bislang gefundenen Adrema-Platten vom Sebaldushof enthalten offenbar Daten der Firmenmitarbeiter der Munitionsfabrik „Werk A“, in damaliger Diktion also der „Gefolgschaft“ – zu der nicht nur Leitung, Verwaltung, reguläre Arbeiter etc. gehörten, sondern in gut bürokratischer Manier auch die dort seit 1942 eingesetzten Zwangsarbeiter. Die Stücke sind unterschiedlich gut lesbar, manche wirken fast wie neu, andere sind stark verkrustet, offenbar auch durch Einfluss von Brand und Lagerung in Asche. Oft aber ist durch scharfe Einprägung die Rückseite (gespiegelt) besser zu erkennen. Manche (wenige) Stücke sind ungeprägt, andere lassen eine mehrfache Überprägung, also Wiederbenutzung erkennen. Manchmal ist die Oberfläche so gut erhalten, dass in ganz feiner Prägung eine offenbar voreingeprägte Zeilen- und Spalten-Numerierung zu erkennen ist, oben links auf dem Rahmen ein Kreuz in einem Kreis und rechts die Abkürzung D.R.P. für Deutsches Reichs-Patent.

Erfasst sind im zentralen Hauptfeld neben Vor- und Familiennamen eine laufende Nummer (bis knapp an die 10.000), und, falls es sich um deutsche Mitarbeiter handelt, eine Adresse meist aus der näheren Umgebung im hohen Fläming.

Bei den ausländischen Zwangsarbeitern steht hier eine Einsatzort-Angabe, wie z.B. meistens Treuenbrietzen Sebaldushof, Treuenbrietzen Lager oder Kriegsg. Lager, aber auch z.B. Belzig Lager oder Belzig Stelterhof. Anscheinend wurde dieses Lager von hier aus mitverwaltet?

Hier findet sich häufig eine Berufsbezeichnung, auch bei ausländischen Zwangsarbeitern (Stellmacher, Feinmechaniker, Metallpol., Schlosser, Dreher, Arbeiter, Arbeiterin, Masch. Arbeiterin, Hilfsarbeiterin, Sortiererin, Küchenhilfe). Auch für einige wenige deutsche Beschäftigte – anscheinend mit speziellen Funktionen - ist als Adresse eines der genannten Lager (Schlosser, Wachmann, KHD-Maid etc.)  angegeben.

In ein bis zwei Zeilen am oberen Rand sind Nummer und Familienname, Geburtsort und –datum, manchmal das Heimatland, offenbar das Datum der „Arbeitsaufnahme“ (i.d.R. Daten der 40er Jahre) und – bei Deutschen wie Ausländerinnen – der Familienstand (z.B. vh/2: verheiratet, zwei Kinder) erfasst.

Diese Angaben sind aber nie gleichermaßen alle vollständig enthalten. Interessanterweise treten bisweilen auch Angaben staatlicher Funktionen oder Untergliederungen wie Pg (Parteigenosse), DAF (Deutsche Arbeitsfront), HJ (Hitlerjugend), K.H.D. Maid (Kriegshilfsdienst), o.ä. hinzu.

Am rechten Rand befinden sich offenbar tarifliche Angaben (Stundenlohn?) in numerischer Form wohl in Reichsmark, fast immer mindestens zwei bis drei Angaben im Bereich 0,39 bzw. 0,42 bei den Frauen bis zu 0,51 bzw. 0,60 bei Männeren, wobei es offenbar auch Altersabstufungen gab.

Unter dem Hauptfeld finden sich ggf. zusätzliche Bemerkungen wie 1,50 Lagergeld, 1,50 Trenn.geld, 10,00 Verpflegungszulage, 4,50 Kaution, Invalide, Militär, spart 0,50 tägl., spart 13,00 monatl. etc.

Unten links schließlich sind manchmal Ortsnamen vermerkt, die weder Geburts- noch Wohnort sind: Berlin, Perleberg, Jüterbog, Beelitz, Aussig (heute Tschechien) – handelt es sich hier möglicherweise andere/vorangehende Einsatzorte?

An Heimatländern anhand der erwähnten Herkunftsorte – falls sie nicht separat erwähnt sind, was mehrfach vorkommt – erschließbar sind Russland, Polen, Ukraine, Kroatien, Serbien, Litauen, Frankreich, Italien, Holland, Belgien.

Etwa die Hälfte der bis jetzt gefundenen Adresstafeln gehört zu ausländischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, eine davon trägt übrigens den Namen Giuseppe Monticchiani, der zu den Opfern von Nichel zählt. Sie stellen eine einzigartige, bislang nicht ausgewertete Quelle dar zur Identifizierung und Rehabilitation – wenn auch wohl nicht mehr zur Entschädigung – von Opfern der NS-Zwangsherrschaft. Zumindest einem kleinen Teil der namenlosen Menge kann damit die Identität zurückgegeben werden, was auch mit einer

Mitteilung an die heute zuständigen Behörden der (ehem.) Heimatländer verbunden ist. Zu diesem Zweck wurden alle lesbaren Namen von Zwangsarbeiterinnen (die große Mehrzahl) und Zwangsarbeitern – zusammen mit allen auf den Tafeln genannten Angaben – in einer Datenbank erfasst und diese an den Internationalen Suchdienst (International Tracing Service) in Bad Arolsen übermittelt (heute Arolsen Archives). Aber auch die Namen deutscher Mitarbeiter und ihre Funktionen in Fabrik und Lager sind von historischem Interesse und wurden ebenfalls erfasst, sind sie eine wichtige Quelle zur sozialen Zusammensetzung der Belegschaft einer Firma unter Bedingungen der Kriegsproduktion und einer Terrorherrschaft. Über die Massenfunde von Adrema-Matrizen, die einmaliges Datenmaterial über die deutsche Belegschaft und vor allem die ausländischen Zwangsarbeitenden einer Munitionsfabrik in der NS-Rüstungsproduktion liefern, ist mehr zu erfahren auf der Hompegage (https://arolsen-archives.org/stories/schicksale-auf-blech/).

Einige Italienern zuzuordnende Tafeln wurden dem Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide überlassen, das Ende 2016 die Erweiterung seiner Dauerausstellung zum „neuen“ Thema der italienischen Militär-Internierten eröffnet, wo die Stücke zu sehen sein werden.

2.

Archäologische Ergebnisse

Eine Oberflächenabsuche von 2019 auf dem Gelände des Zwangsarbeitslagers, das zum Munitionswerk Treuenbrietzen „A“ gehörte, konnte mittlerweile teilweise ausgewertet werden. Die Funde einer fachlich begleiteten Jugendaktion wurden in zwei vergleichsweise kleinen Abschnitten des Werks- bzw. Verwaltungsbereichs und des Lagers geborgen, vor allem im Bereich einer Baracke (Bar. 2), wie die Überlagerung der eingemessenen Koordinaten mit dem entzerrten Luftbild ergibt (Abb. 3).

Dabei zeigte sich, dass die Funde sehr gut den bisher auch an anderen vergleichbaren Fundplätzen festgestellten Kategorien entsprechen. Immer wieder finden sich Dinge, die ganz bestimmten Lebensalltags-Sphären entstammen, die durch Bedingungen von Mangel, Zwang und Gewalt geprägt sind. Auch hier im Sebaldushof waren dies Gegenstände, Überreste und Spuren von

  • Infrastruktur, Ausstattung und Verwaltung: Im Bereich des Verwaltungsgebäudes (gelb) fanden sich u.a. typische Büro-Funde wie Ordner-Mechaniken (Abb. 4), Deckel von Tintenfläschchen deutscher und italienischer Hersteller (Gimborn, Emmerich, damals schon zu Pelikan gehörend, und Aug. Leonardi, Bologna) und die Adrema-Matrizen (Abb. 5). Reste von Sicherheitsglastüren sowie eine große Präzisionsuhr der „Dehomag“ (einer IBM-Tochterfirma, Abb. 6), Kleiderbügel, Heizplatten und Schürhaken gehörten zur komfortablen Ausstattung.
  • Bewachung, Gewalt: Stiefelabsatzbeschläge und zwei Karabiner der Wachtruppen, in einer LKW-Plane vergraben, und ein vom Koppelschloss abgetrenntes SA-Abzeichen (Abb. 7) belegen die gewaltsame Atmosphäre sowie das Bemühen der Täter am Kriegsende, sich belastender Dinge zumindest vorübergehend zu entledigen.
  • Produktion und Ausbeutung: Aus der Produktion stammen Geschosshülsen, schwere Metallguss-Stücke, Eisenpatten, Schienen- und Rohr-Abschnitte, zerschnittene Bleche und Lötzinn-Draht. Auch ein Chemie-Fachbuch auf Französisch scheint in diesen Bereich zu gehören.
  • Umnutzung und Umarbeitung: dies sind vor allem aus der Produktion abgezweigte Materialien, die man gebrauchte um sich dringend benötigte Gegenstände selbst zu improvisieren. Aus Blechresten und Lötzinn fertigte man z.B. behelfsmäßig Becher und einen Trichter (Abb. 8), der mit einem Nagel aufgehängt wurde um Wasser aufzufangen, was die auch aus anderen Lagern bekannte Mangelsituation an Frischwasser beleuchtet. Die Stücke verraten angesichts ihrer unprofessionellen Fertigung, dass keine Experten am Werk waren. Auch metallene Schraubdosen, die als Zünderbüchsen gedient hatten, wurden gerne als Behälter genutzt (Abb. 9)
  • Ablenkung und Identitätsbehauptung: überall in den Lagern bestand das Bedürfnis nach nicht lebensnotwendigen Dingen, die Ablenkung vom Alltag boten. Sie gehören zu den typischen Lagerfunden, weil sie in gewisser Weise auch Selbstbestätigung gaben. So fanden sich bunte Tierfiguren aus Keramik – die nicht unbedingt die Anwesenheit von Kindern belegen (Abb. 10), und eine gläserne, dunkelblaue Schachfigur eines Bauern (Abb. 11). Auch Schmuck in Form eines runden gläsernen Anhängers und Ringen wurde gefunden, u.a. ein selbstgemachter von einem Stahlrohr abgesägter Fingerring (Abb. 12, li.).
  • Krieg, Kampf und Befreiung: Auf die aus Treuenbrietzen bekannten Verbrechen am Endes des Krieges, die Ermordung von 127 italienischen Militärinternierten, die vom Sebaldushof in eine nahe Sandgrube bei Nichel getrieben wurden, verweist eine unscheinbare Münze: es handelt sich um ein italienisches 20-Centesimi-Stück aus dem Jahr 1918, das sicherlich für den Besitzer einen besonderen Andenkenwert hatte (Abb. 12, re.). Auf starke Hitzentwicklung und Brandgeschehen, wohl infolge von Kriegseinwirkung, weist eine kleine, komplett erhaltene Flasche hin, die völlig zerschmolzen aber noch erkennbar ist (Abb. 13).
  • Zur Verpflegung und Nahrung im Zwangsarbeitslager Sebaldushof ist mittlerweile eine studentische Abschlussarbeit unternommen und im Jahr 2021 abgeschlossen worden, die auch die räumliche Verteilung der Funde auf den Verwaltungs- und Barackenbereich in Betracht zieht (im Folgenden nach M. Weßels).

Die Überlebenschance der Zwangsarbeitenden hing von der Architektur, der Ausstattung und Organisation der jeweiligen Lager, sowie von der Herkunft und dem Status ihrer Insassen ab. Dabei divergierten die Nahrungsrationen enorm. Während westeuropäische Zwangsarbeiter*innen mehr und qualitativ höherwertige Nahrung erhielten, mussten Gefangene aus Osteuropa mit deutlich weniger Nahrung auskommen. Am wenigsten erhielten die Menschen, die mit dem Stigma der „minderwertigen Rassen“ versehen wurden. Dazu gehörten jüdische Gefangene, Sintiza und Sinti und Romnja und Roma. Funde wie Koch- und Essgeschirr zählen zu den häufigsten Fundgattungen bei Ausgrabungen auf den Arealen ehemaliger Baracken in Zwangsarbeitslagern. Alle Objekte wurden mittels GPS in einem bestimmten Areal des Lagers kontextualisiert. Die Funde aus dem Barackenkontext konzentrieren sich größtenteils auf die Baracke 2.

Die Fundkategorie Essgeschirr ist im Barackenareal sehr vielfältig. Sie reicht von Tassen, Untertassen, Tellern, Bechern sowie Schalen/Schüsseln in unterschiedlichsten Formen (Abb. 14, 15) aus Porzellan über Tassen sowie große Schüsseln und Bestecke aus Metalllegierungen. Sogar Feinporzellan befindet sich unter dem Fundmaterial. Die Tassen aus Porzellan und die Untersetzer legen nahe, dass die Inhaftierten auf dem Areal der Baracke 2 Zugang zu Heißgetränken hatten, oder diese selbst erzeugen konnten. Porzellanfunde werden als Spuren „der Bewacher“ gedeutet, das Feinporzellan im Barackenkontext könnte also für eine besondere Stellung der Personen in Baracke 2 sprechen. Hierher gehört auch ein tiefer Teller im Design des „Amtes für Schönheit der Arbeit“, zusätzlich mit MTA (Munitionswerk Treuenbrietzen A) (Abb. 16) gekennzeichnet, der sicher eigentlich für das Werkspersonal gedacht war.

Eine Tasse aus Feinporzellan aus dem Verwaltungskontext hebt sich in Machart und Form nicht von den Objekten aus dem Barackenareal ab. Lediglich die auffällige Verzierung der der Tasse unterscheidet sich von den Tassen aus den Baracken. In der Fundkategorie Essgeschirr ist keine signifikante Unterscheidung zwischen den Fundkontexten feststellbar.

Heizspulen, Kohle, Kochtöpfe, sowie Deckel und Kochplatten lassen vermuten, dass auf dem Areal der ehemaligen Baracke Lebensmittel von den Gefangenen selbst zubereitet wurden. Eine Vielzahl an Töpfen unterschiedlicher Größen, Formen und Farben zeichnet das Bild einer regelrechten Kochkultur. Die Heizspule legt nahe, dass in der Baracke 2 sogar die Möglichkeit bestand, Lebensmittel im Backofen zuzubereiten. Besonders hervorzuheben ist ein Aluminiumteller. Er weist am Boden starke Verbrennungsspuren auf, die nahelegen, dass er des Öfteren auf einem Herd oder einer Feuerstelle gestanden hat (Abb. 17). Da es sich bei diesem Objekt weder um einen Kochtopf oder eine Pfanne handelt, die normalerweise zur Zubereitung von Lebensmitteln dienen würden, bestand offenbar die Notwendigkeit, den Teller zum Erhitzen von Speisen zu verwenden. Ob dies bedeutet, dass von Speisen übrig Gebliebenes später erneut erwärmt wurde, oder aber im Gegenteil ein Indiz für Lebensmittelmangel vorliegt, indem man zusätzliche Nahrung erwärmte, kann derzeit nicht entschieden werden.

Alle Objekte aus der Kategorie Kochgeschirr im Verwaltungskontext, bestehend aus einem Kochtopf, einer Kochplatte und einer Kochplattenfassung, weisen die gleiche bläulich-grau-weiße Marmorierung aus Emaille auf. Diese findet sich auch im Barackenkontext. Eine Unterscheidung anhand der Machart zwischen den beiden Fundkontexten ist nicht möglich. Auch die Kochplatte aus dem Verwaltungskontext ist derjenigen aus dem Barackenareal sehr ähnlich. Auch in dieser Kategorie ist ein zu erwartender Unterschied im Fundmaterial, z.B. eine bessere Ausstattung des Verwaltungskontextes gegenüber dem Barackenkontext, nicht gegeben.

Vereinzelte Knochen aus dem Barackenkontext sind wohl keine Speisereste, zumal alle Oberflächenfunde sind und Bearbeitungs- bzw. Schnittspuren fehlen. Es handelt sich um Wildtiere (Hase und Vögel) sowie Schaf, die wohl auf dem Areal des Lagers verendet sind.

Eine besondere Stellung nehmen die BONA-Käsetuben ein, die als kalorienhaltige Nahrungsration für Soldaten der Wehrmacht dienten (Abb. 18). Zahlreiche dieser Fragmente wurden im gesamten Areal der Baracken, nicht jedoch im Verwaltungskontext gefunden. Dass diese dünnwandigen Aluminium-Tuben z.T. sorgfältig in der Mitte geteilt worden waren, lässt vermuten, dass sie vielleicht auch als Behälter (Trinkbecher?) weiterverwendet werden sollten.

Zahlreiche Flaschen, zu denen auch welche für Wein und Sekt gehören, wurden im Barackenareal gefunden. Auch hier herrscht wie bei den Porzellanobjekten keine Einheitlichkeit. Die Flaschen und damit vermutlich auch ihr Inhalt, variieren in Form, Farbe und Größe. Wenn der Inhalt tatsächlich Sekt und Wein war, würde sich für Baracke 2 ein privilegiertes Lagerleben abzeichnen (soweit nach M. Weßels).

Dennoch lassen sich auch deutliche Hinweise auf Mangel erkennen: die selbst gefertigten Becher und Trichter aus Blechabfällen und die mögliche Weiterverwendung der Bona-Käsetuben sprechen für eine Notsituation, was die Wasserversorgung und die Ausstattung mit Trinkgefäßen betrifft.

Potential des Fundplatzes

Methodisch ist anzumerken, dass alle diese Beobachtungen und Überlegungen ausschließlich anhand der Funde und ihrer Verbreitungsmuster erfolgen, da bislang (noch) gar keine Befunde dokumentiert wurden. Dies ist in Zukunft ist bei weiteren Untersuchungen im Gelände zu berücksichtigen. Ein Plan aus der Bauzeit von Werk und Lager(n) ist offenbar nicht erhalten, aber das Luftbild von 1945 zeigt noch das Werk mit allen Gebäuden und die komplette Lagerbebauung, von der heute obertägig fast nichts mehr vorhanden ist (vgl. Abb. 1). Es gibt aber Erinnerungen mehrerer Zeitzeugen, die auch einzelne Pläne zeichneten. Darunter ist ein sehr detailreicher Plan der ehemaligen Insassin Vera Kutusova aus St. Petersburg (aus dem Jahr 2002) hervorzuheben, der sich trotz der individuellen „Handschrift“ sehr gut mit dem Luftbild abgleichen lässt (Abb. 19). Sie hatte Zugang zu Werk und Lager, die Zweiteilung ist in ihrem Plan gut nachzuvollziehen. Die quer verlaufende Lagerstraße, die Autostraße, der Wald, die Stacheldraht-Umzäunung von Werk und Lager, die unterschiedliche Ausrichtung der angedeuteten Baracken sind zu erkennen. Vor allem sind die Nationalitäten der Insassen benannt: Polen, Italiener, Franzosen (links) sowie der Vermerk „Ost“ (Mitte und rechts) finden sich. Nach diesem Plan wäre die Baracke 2 mit polnischen InsassInnen belegt gewesen. Am linken Rand sind Verwaltung und Direktion vermerkt, am Eingang zum Lager mit den quadratisch angedeuteten Torpfeilern steht wohl „Werks-Ausweis“. Oben am Werks-Zaun steht „Beobachtungsturm“ – von dem Fundamentreste noch heute aus dem Boden ragen. Zwischen Werk und Lager ist ein Gebäude als „Konzertsaal“ bezeichnet – auf den Adrema-Matrizen ist als Angestellter ein Piano-Techniker genannt. Weitere zahlreiche schriftliche Kommentare sind nicht alle entziffert bzw. verstanden, „ich hier Arbeit“ bezeichnet den Einsatzort von Vera Kutusova.

Diese Planskizze zeigt das enorme archäologisch-wissenschaftlichen Potential des Fundplatzes: mit ihrer Hilfe könnte es gelingen, bei weiteren Absuchen unterschiedliche Lebensbedingungen in verschiedenen Lagerzonen nachzuweisen, die den rassistischen NS-Kategorien Rechnung trugen. Gerade in Verbindung mit dem umfangreichen Namenmaterial der Adrema-Matrizen ist die Verortung der Nationalitäten im Lager von besonderem Interesse. Hierin liegt gerade auch die große Bedeutung des Sebaldushofs in Hinsicht auf erinnerndes Gedenken am originalen Ort, und damit sein Potential für die politische Bildung nachfolgender Generationen.

Das sehr markante Trafohaus, immer noch erhalten und auch auf dem Luftbild gut zu sehen, aber außerhalb von Werk und Lager gelegen, fehlt natürlich auf dem Plan. Es wird aktuell, nachdem der Abriss durch den Stromversorger abgewendet werden konnte, als Vogel- und Fledermausquartier erhalten bleiben können. Als einziges obertägig original erhaltenes Gebäude der ganzen Anlage kann es auch künftig als Informationsträger und Ankerpunkt einer Weiterentwicklung als Gedenkort dienen.

 

Der erste Teil dieses Beitrages erschien unter dem Titel:

Kersting, Thomas: Zwangsverwaltet – die ADREMA-Kartei vom Lager Sebaldushof bei Treuenbrietzen in Brandenburg. In: Gedenkstättenrundbrief Nr. 186, 6 (2017), S. 23-26.

Der zweite Teil unter dem Titel:

Kersting, Thomas / Weßels, Miriam: Lagerstandort mit Aussagekraft. Funde vom Sebaldushof bei Treuenbrietzen, Lkr. PM. In: Archäologie in Berlin und Brandenburg 2021. Darmstadt 2023, S. 157-161.

Literatur

Grywno, R. / Päpke, P. / Sandner, J.: Die Zwangsarbeiter der Metallwarenfabrik Treuenbrietzen. Wettbewerbsbeitrag zum Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten 2002/2003. Weggehen-Ankommen-Migration in der Geschichte. Treuenbrietzen 2003.

Kersting, Thomas: Eingeprägte Identität. Die Zwangsarbeiterkartei vom Sebaldushof, Treuenbrietzen, Lkr. Potsdam-Mittelmark. In: Archäologie in Berlin und Brandenburg 2015. Darmstadt 2017, 154-157.

Kersting, Thomas: Jugend forscht - und findet. In: Archäologie in Berlin und Brandenburg 2019. Darmstadt 2021, S. 33-36.

Weßels, Miriam: Nahrung im Zwangsarbeitslager Sebaldushof. Kochgeschirr, Essgeschirr und Lebensmittel aus dem Baracken- und Verwaltungsareal. Bachelor-Arbeit FU Berlin 2021.

Abbildungsnachweis

Abb. 1   Sammlung K. Blitz, Treuenbrietzen–online.de.

Abb. 2-18 Th. Kersting.

Abb. 19 V. Kutusova, in: Grywno u.a. 2003.

Empfohlene Zitierweise

Kersting, Thomas / Weßels, Miriam: Zwangsarbeiterlager Sebaldushof, publiziert am 03.11.2023; in: Historisches Lexikon Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

Kategorien

Epochen: Preußische Provinz - Land Brandenburg
Themen: Archäologie und Siedlung - Herrschaft und Verwaltung


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