VEB Spremberger Textilwerke „Spreetuch“
Vinzenz Czech
Spremberg war am Ende des Zweiten Weltkrieges zu großen Teilen zerstört. Dies betraf auch die hiesigen Industrieanlagen, Tuchfabriken und andere Produktionsstätten. Noch vorhandene Maschinen wurden fast vollständig als Reparationsleistung abgebaut und an die Sowjetunion ausgeliefert.
Die „Tuchfabrik Adolf Greischel“, als modernster Ringspinnereibetrieb in den 30er Jahren neu erbaut und mit modernsten Maschinen ausgestattet, lag 1945 etwa zum Großteil in Trümmern. Vorerst unter Aufsicht sowjetischer Militärangehöriger nahm der Betrieb mit alten Selfaktorspinnmaschinen die Produktion von Garnen auf, die für sowjetische Uniformen vorgesehen waren. Im Herbst 1945 begann auch in anderen ehemaligen Tuchfabriken der Stadt eine bescheidene Produktion. Bis weit in das Jahr 1947 hinein mussten die produzierten Tuche fast vollständig als Reparationsleistungen in die Sowjetunion geliefert werden (Schulz 1994, 44).
Die meisten Betriebe der Spremberger Textilindustrie sind damals nach und nach enteignet und einer zentralen Aufsicht unterstellt worden. Vier der noch existierenden ehemaligen Tuchfabriken wurden am 1. September 1951 zum „VEB Spremberger Textilwerke“ zusammengefasst und verschiedenen Werksabteilungen eingegliedert:
Werksabteilung I - ehemals Tuchfabrik W. Heinze (Abb. 1)
Werksabteilung II - ehemals Tuchfabrik 0tto Müller, davor Levy
Werksabteilung III - ehemals Tuchfabriken Greischel
Werksabteilung IV - ehemals Tuchfabrik Hanko
Der an das Werk I anschließende ehemalige Tuchbetrieb Schnab'l wurde 1951/52 als Lehrwerkstatt eingerichtet. Weitere Spinnerei-Teilbetriebe, wie die in der Pfortenstraße und Bautzener Straße, fasste man in der Forster Straße zusammen (Krönert/Leibger 1995, 76).
Zu diesem Zeitpunkt soll es in der Spremberger Tuchindustrie bereits wieder 320 Webstühle und 12.600 Selfaktor- und 2.000 Zwirnspindeln gegeben haben. Die Belegschaftsstärke des „VEB Spremberger Textilwerke“ betrug laut einer statistischen Erhebung aus dem Jahre 1952 genau 1.087 (davon 60,2 % Frauen); dazu kamen 136 Lehrlinge (Krönert/Leibger 1995, 76) (Abb. 2).
Viele Gebäude und Anlagen waren in keinem guten Zustand, sodass Werksteile recht bald stillgelegt und Maschinen verlagert wurden. Das betraf u.a. zunächst die Werksabteilung IV (Weberei in der Karl-Marx-Str. 9/10), die Appretur in der Heinrichstraße usw.
Den Spremberger Textilwerken wurden im Laufe der Jahre weitere kleinere Unternehmen angegliedert, deren Besitzer entweder aufgaben oder Repressalien ausgesetzt waren und die DDR verließen. Der Rest wurde verstaatlicht. Mit Wirkung vom 1. März 1953 überführte etwa Erich Bischoff seine Färberei in der Petristraße in die Spremberger Textilwerke. Mit den Maschinen und Gerätschaften wurde im Werk II eine Färberei eingerichtet. Erich Bischoff wurde Leiter über beide Färbereien der Textilwerke im Werk I und II. Auch die Spinnerei Otto Wünsche, deren Besitzer die DDR verlassen hatte, wurde 1953 eingegliedert. Als letztes Unternehmen ist 1975 der Betrieb Hypko & Klausch angeschlossen worden, und zwar als Werk IV (Krönert/Leibger 1995, 77f.).
Der Volltuchcharakter der Werke l und II blieb bis Anfang der 1960er Jahre erhalten. Dann konzentrierte man zwischen 1960 und 1965 im Werk l Spulerei, Weberei, Färberei (mit Ringbahn und V4A-Stück- und Flocke-Färbeapparaten) sowie Veredlung. Die Spinnerei wurde 1968 aus dem Werk I herausgenommen, Spinnereibetrieb wurde das Werk II mit modernen Ringspinnern (zwischen 1976 und 1980 wurde auch die Zwirnerei dorthin verlegt). 1975 zog die Verwaltung, die bis dahin im Werk II angesiedelt war, in Werk I. Während noch 1969 der ganze Betrieb mit mechanischen Webstühlen ausgerüstet war (Abb. 3), wurden dann in den darauffolgenden zehn Jahren bis 1979 insgesamt 67 mechanische Webstühle gegen 26 Greiferschützen-Webautomaten 4405 und 32 STB 2 bzw. STB 4 ausgetauscht (Krönert/Leibger 1995, 78).
Im Jahr 1975 hatten die Textilwerke folgende Struktur:
Werk I Berliner Straße: Spulerei, Weberei, Veredlung
Werk II Georgenstraße: Spinnerei, Wolferei, Krempelei (Abb. 4)
Werk Ill Gärtnerstraße: STB-Automatenweberei
Werk IV Gartenstraße: (ehemals Hypko/Klausch): Weberei (stillgelegt 1979).
Dazu kamen noch die Kamenzer Volltuchwerke mit drei Produktionsstätten, die 1975 den Spremberger Textilwerken angeschlossen worden waren.
Ab 1974 vollzog sich in den Textilwerken die nächste Etappe der Rekonstruktion. Es wurden für das Werk II 12 neue Ringspinner sowie moderne BEF AMA-Krempelsätze angeschafft (bezogen aus Polen, das nach den Festlegungen des RGW alleiniger Hersteller von Maschinen für die Spinnerei sein sollte) und 1980/81 eine neue Produktionshalle errichtet. Mit der Rekonstruktion erhöhte sich auch die Produktivität. So erzeugte man etwa das gleiche Produktionsvolumen mit weniger Maschinen und etwa einem Drittel weniger Arbeitskräften (Krönert/Leibger 1995, 79).
Bis ungefähr 1960 sind in den Textilwerken neben Streichgarngeweben auch noch Kammgarn- und Halbkammgarngewebe gefertigt worden. Doch mit der Rekonstruktion erfolgte die Konzentration auf Streichgarngewebe (Wolle/Zellwolle).
Der „VEB Spremberger Textilwerke" hatte einen guten Ruf bei den Konfektionsbetrieben der DDR; ebenso war Spremberger Ware im Export gefragt. Die Tuche wurden in die BRD, nach Österreich, in die Schweiz, nach Frankreich, Belgien, Holland oder nach England exportiert. Der bekannteste Artikel der 1950er/60er Jahre war der sogenannte „Baikal-Tweed" aus Grobgarnwolle, eine aus Kasachstan stammende Wollqualität mit besonderen Eigenschaften (Schulz 1994, 47).
Vor der Wende arbeiteten in den drei noch existierenden Werken der Spremberger Textilwerke rund 500 Beschäftigte (darunter 20 vietnamesische Vertragsarbeiter in den Abteilungen Färberei und Spinnerei). Dazu kamen 60 Lehrlinge (Krönert/Leibger 1995, 81).
Im Juli 1990 wurde aus dem VEB die „Spremberger Textilwerke GmbH i.G.“ nachdem zuvor die endgültige Trennung vom früheren Textilkombinat und die Zuordnung zur Treuhandanstalt erfolgt war. Mit der Währungsunion setzte jedoch eine rapide Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage ein. 1992 gingen die Textilwerke in Liquidation.
Literatur
Krönert, Gertraute/ Leibger, Heide: Tuchstädte der Niederlausitz gestern und heute. Forst, Guben, Spremberg, Finsterwalde. Dokumentarisches Auf und Ab in einem traditionsreichen Berufszweig. Cottbus 1995.
Schulz, Walter: Die Entwicklung der Spremberger Textilindustrie. Aufstieg, Untergang, Neuanfang und Ende einer ortsansässigen 200 Jahre alten schöpferischen Arbeitswelt. In: Heimatkalender Stadt Spremberg und Umgebung 1994, S. 39-47.
Abbildungsnachweis
Abb. 1, 3 Heimatkalender Stadt Spremberg und Umgebung 1994.
Abb. 2, 4 Krönert / Leibger 1995.
Empfohlene Zitierweise
Czech, Vinzenz: VEB Spremberger Textilwerke „Spreetuch“, publiziert am 07.04.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)