Albrecht der Bär

Timo Bollen

Wenn man nach Stendal reist und dann zum Marktplatz geht, ist ein Ensemble, bestehend aus der Marienkirche, dem Roland und dem Rathaus, zu erblicken. Im Rathaus befindet sich auch die Tourismusinformation, in der neben vielen anderen Souvenirs ein Stoffteddybär zu erwerben ist, der ein T-Shirt in – je nach Präferenz – unterschiedlichen Farben trägt, auf dem aber stets »Albrecht« steht. Es fällt nicht schwer, eine Assoziation zu Albrecht dem Bären, dem ersten Markgrafen von Brandenburg, zu schaffen.1 Aber nicht nur in Form eines Teddybären ist Albrecht in Stendal präsent – das würde ihm wohl auch nicht gerecht werden –, sondern auch in dem 2010 fertiggestellten Justizzentrum Albrecht der Bär.2

Albrecht, eigentlich Adalbert, um 1100 geboren, war der Sohn des Grafen Otto des Reichen von Ballenstedt († 1123) und der Billungerin Eilika. Er war mit Sophia († 1160) verheiratet, mit der er mindestens sieben Söhne und vier Töchter hatte.3 Direkt nach dem Tod seines Vaters setzte Albrecht mit Zustimmung des sächsischen Herzogs Lothar von Süpplingenburg, ab 1125 römisch-deutscher König, die Erweiterung seiner Gebiete durch. 1123 erhielt er von Lothar die Lausitz, die dieser ihm 1131 wieder, jetzt als König, abnahm. 1134 wurde er Markgraf der Nordmark. Vier Jahre später übertrug König Konrad III. aufgrund eines Konfliktes des Staufers mit den Welfen Albrecht das Herzogtum Sachsen, das dieser aber militärisch gegen den eigentlich für das Herzogsamt vorgesehenen Heinrich den Stolzen nicht halten konnte, sondern vielmehr große Zerstörungen in seinen Ländern hinnehmen musste. 1142 verzichtete er auf das Amt und konzentrierte sich fortan vor allem auf die Nordmark. 1147 nahm er am Wendenkreuzzug teil. Ab der Rückeroberung der Brandenburg 1157 nannte er sich ›Markgraf von Brandenburg‹. Diese Formulierung ist seitdem auch in den Urkunden und auf den Siegeln überliefert. Ein Jahr später unternahm er eine Pilgerreise ins Heilige Land. 1170 starb Albrecht der Bär und wurde wohl in Ballenstedt beigesetzt.4

An dieser, auf die wichtigsten Daten und Ereignisse beschränkten Auflistung ist bereits zu erkennen, dass über die Persönlichkeit Albrechts wenig bekannt ist. Gerade die Quellenarmut trug sicher auch dazu bei, dass auf seine Person viele Geschichtsbilder projiziert werden konnten – je nach zeithistorischen Gegebenheiten. Im Folgenden soll versucht werden, den Wandel in der Bewertung und Deutung des Bären nachzuzeichnen.

Jacob Paul von Gundling, Präsident der Königlichen Preußischen Sozietät der Wissenschaften, publizierte 1730 die erste historische Studie zu Albrecht den Bären. Dieses 55 Seiten starke Werk bietet den ersten größeren biografischen Überblick.5 Auch wenn es das erklärte Ziel Gundlings war, die Irrtümer über Albrecht den Bären auszuräumen, ist durch seine heroisierende Darstellungsform am Ende das Bild eines idealen Fürsten entstanden, der unter anderem das Christentum in Brandenburg eingeführt hatte.6 Der Markgraf war, wie Gundling am Ende resümierte, »einer der größten Fürsten seiner Zeit […]. Man leget ihm den Ruhm bei, daß er ein gottsfürchtiger, weiser und tapfferer Fürst gewesen, und die Chur-Marck-Brandenburg hat ihm ihre Einrichtung zu dancken, da vorhers dieses Land eine andere Beschaffenheit gehabt.«7

Für die Albrechtsforschung ist die erste größere wissenschaftliche Biografie über den Markgrafen durch Otto von Heinemann aus dem Jahre 1864 jedoch bedeutender.8 Zwar erfüllt Heinemanns ereignisgeschichtliches Werk nicht die Erwartungen an moderne wissenschaftliche Biografien, aber sein Verdienst war die erstmalige Hinzuziehung zahlreicher, zuvor nur archivalisch überlieferter Originalquellen. Heinemann ging es in seiner Pionierstudie – anders als in den Albrechts-Biografien des früheren 20. Jahrhunderts – weniger um die Eroberungszüge Albrechts in den Osten, sondern er wollte vielmehr dessen Itinerar aufzeigen, also dessen Herrscheraufenthalt nachzeichnen, um ein stimmiges Gesamtbild zu entwerfen. Obwohl das Werk Heinemanns bis heute als Grundlage der Albrechts-Forschung angesehen werden muss, finden sich bereits hier einige bemerkenswerte Deutungen, die in späteren Studien weiter fort und ausgeschrieben wurden, etwa das vermeintliche Verlangen des Markgrafen, »den Wenden für diesen räuberischen Einfall die verdiente Züchtigung angedeihen zu lassen«.9

Während bei Otto von Heinemann die religiöse Komponente Albrechts des Bären noch nicht im Vordergrund stand, wird genau dieses Bild in den brandenburgischen Schulbüchern Abb. 1: W. Scott: Denkmal Markgraf Albrechts des Bären in der Zitadelle Spandau Albrecht der Bär 67 des späteren 19. Jahrhunderts akzentuiert: Danach wurde die Ausbreitung des Christentums als die große Leistung des Markgrafen hervorgehoben. Allerdings geschah dies in unterschiedlicher Weise. Bei immerhin 2.552 Treffern zum Stichwort ›Albrecht der Bär‹ auf der Homepage des Georg-Eckert-Instituts wird der Gegensatz zu den heutigen Unterrichtsbüchern deutlich,10 in denen Albrecht der Bär in keinem brandenburgischen Lehrbuch mehr Erwähnung findet. So zeichnet beispielsweise Johann Josef Klein in seinem Lesebuch »Bilder aus der vaterländischen Geschichte« aus der Kaiserzeit das Bild eines Markgrafen, dessen Ziel es war, »dem Christenthume den Sieg zu verschaffen«, wozu er Ordensritter und Templer in sein Land geholt habe.11 Daneben wurde aber auch bereits am Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend der Fokus auf die Bedeutung Albrechts für die Verbreitung der deutschen Kultur gelegt, wenn Richard Schillmann betonte, dass Albrecht das Wendenland nicht nur erobert, sondern es auch »zu einem deutschen« gemacht habe.12 Exemplarisch ist auch Ludwig Hahn hier zu nennen, wonach Albrecht »in sich die Kraft« fühlte, die »Grenzen des neu gewonnenen Landes zu erweitern«.13 Kraftvolle Eroberung sowie nachhaltige Verbreitung von Deutschtum und Christentum wurden so bereits am Ende des 19. Jahrhunderts zum bestimmenden und wirkmächtigen Koordinatensystem, um die Politik Albrechts zu charakterisieren. Nach der Reichsgründung wurde der Markgraf – ganz in der Tradition der kleindeutsch-borussischen Tradition – an den Anfang der langen Reihe brandenburg(-preußischer) Herrscher gestellt, durch deren Wirken schließlich das Deutsche Reich entstehen konnte. Eindrücklich schreibt beispielsweise Hermann Krabbo: Albrecht habe es nicht ahnen können, »daß das Staatswesen, das er östlich der Elbe errichtete, einmal berufen sein sollte, der Mittelpunkt des Deutschthums überhaupt« werden sollte. »Aber dadurch, daß er seine Aufgabe als Kolonisator mit der Energie, die alle seine Handlungen auszeichnet, auffaßte und angriff, hob er sofort die Mark Brandenburg auf eine Achtung gebietende Höhe und wies seinem Geschlecht den Weg […] der ostwärts in Slavenland vordringenden Germanisation.«14

Genau diesen Argumentationskontext bedient auch das Denkmal Albrechts an der Berliner Siegesallee. Die Denkmalgruppen, 1895 von Kaiser Wilhelm II. in Auftrag gegeben, verdeutlichen nicht nur die nationalen Bezüge, sondern zeigen vor allem den Markgrafen als den Anfangspunkt der brandenburgisch-preußischen Herrschertradition – auch wenn er kein Hohenzoller war.15 Die Siegesallee steht in dieser Form heute nicht mehr, einige Figuren wurden zerstört, einige sind verschollen, mittlerweile befinden sie sich in der Zitadelle Spandau, wo auch Albrecht der Bär heute einen Platz gefunden hat (Abb. 1). In der ursprünglichen, von Walter Schott entworfenen und am 6. Mai 1898 enthüllten Gruppe stand der immerhin 3,5 Meter hohe Albrecht in der Mitte umgeben von Bischof Wigger von Brandenburg (reg. 1138–1159/61) und Bischof Otto von Bamberg (reg. 1102–1139), die mit jeweils 1,24 Metern deutlich kleiner ausfielen. Nach Uta Lehnert hätten beide Bischöfe »sich bei der Missionierung Verdienste erworben«,16 wobei freilich gerade die Bezüge bei Otto von Bamberg als dem Missionar Pommerns zu Albrecht unhistorisch sind. Die zusätzliche Heroisierung erfolgte im Bau weiterer Denkmäler, beispielsweise in Ballenstedt und Werben an der Elbe. Mittlerweile stehen in Ballenstedt sogar zwei Denkmäler des Markgrafen – eines von Arthur Schulz angefertigt, 1997 neu errichtet, befindet sich im ehemaligen Stadtpark auf dem kleinen Ziegenberg. Hier steht Albrecht auf einem hohen Sockel. Man sollte zu ihm »aufblicken« und sich an ihm »orientieren«.17 Die zweite Statue wurde erst kürzlich eingeweiht, dazu später mehr (Abb. 2).

Wohl nur wenigen, selbst den eingefleischtesten Brandenburgerinnen und Brandenburgern dürfte heute noch das im Sommer 1911 auf dem Pichelswerder bei Spandau aufgeführte Festspiel »Albrecht der Bär« geläufig sein, das Eberhard König verfasst hatte.18 Die Aufführung geschah auf Veranlassung der Brandenburgia, der 1892 gegründeten Gesellschaft für Heimatkunde der Provinz Brandenburg. Dies zeigt die Bemühung, eine Albrechts-Memoria auch außerhalb Berlins zu popularisieren und den Markgrafen in eine spezifisch ›brandenburgische‹ Tradition einzuordnen. Inwieweit dies gelang, ist unklar – immerhin erschien 1920 noch eine zweite Auflage der Broschüre. Im Festspiel wurde die tiefe Religiosität des Markgrafen betont – er selbst hat nur verhältnismäßig wenig Redeanteile im Stück. So wird in dem Moment, als Albrecht die gefallenen Anhänger betrauert, die nationale Gesinnung des Autors deutlich, denn es sei »teueres Sachsenblut« oder gar »deutsches Blut« geflossen.19 Ansonsten ist das Festspiel nahezu frei von deutschtümelnden Tönen. Albrecht geriet also auch in der Weimarer Republik nicht in Vergessenheit, wie eine Schützenmedaille zum VII. Unterharzer Bundesschießen 1924 im anhaltinischen Ballenstedt belegt, auf der ein Standbild des dort begrabenen Markgrafen abgebildet ist.20

Einen gewissen Höhepunkt der Albrechts-Memoria markierte 1934, das Jahr der 800-jährigen Belehnung Albrechts mit der Nordmark, der an einigen Orten gedacht wurde. Die Bedeutung wird nicht nur durch eine Festschrift, verfasst vom Beelitzer Heimatforscher Bernhard Elsler,21 sondern auch durch Gedenkprägungen deutlich, wie ein Wappensouvenir aus Halberstadt zu Ehren des Festtages belegt. Auf dessen Umschrift wird der Belehnung des Markgrafen gedacht, wobei Albrecht als starke Persönlichkeit mit Schwert und Gesetzesrolle abgebildet ist. Oben auf dem Wappen wird auf die »800 Jahr-Feier d. Reichstages zu Halberstadt 1934 2+3 Juni« hingewiesen (Abb. 3).

In der Festschrift wird Albrecht ganz in den Dienst der nationalsozialistischen Ideologie gestellt: »Die Kolonisation war unbestreitbar die größte Tat des deutschen Volkes im Mittelalter.« Über Albrecht heißt es, er sei der »Wegbereiter des Deutschtums«.22 Sein Ziel sei es gewesen, durch eine »friedvolle Durchdringung des Landes mit deutschen Menschen, deutscher Sprache und deutscher Kultur« den neuen »Besitz zu einem wertvollen Bestandteil seines Grenzreiches werden« zu lassen.23 Am Ende der Festschrift werden die Ziele des Nationalsozialismus mit denen Albrechts gleichgesetzt: »Darum hat der Nationalsozialismus unserer Tage begonnen, wo das Geschlecht der Askanier aufgehört hat: bei der Ostraumbesiedlung.«24 Ähnliche Deutungen fanden sich auch in der wissenschaftlichen Forschung. Der Mediävist Helmut Beumann stellte in einem frühen Aufsatz die These auf, dass es nach der Eroberung das Ziel Albrechts gewesen sei, »das Deutschtum, nicht die christliche Lehre allein einzupflanzen.«25 Albrechts Ahnen seien »Sachsen von reinstem Blut«26 gewesen.

In der Zeit des Nationalsozialismus dürfte die Popularisierung der Albrechts-Memoria am größten gewesen sein. Hinzuweisen ist exemplarisch einerseits auf einen historischen Roman und andererseits ein Jugendbuch über Albrecht den Bären, verfasst von Werner May: »Um Ostlands heilige Erde. Eine Erzählung aus der Zeit Albrechts des Bären«.27 Werner May war Theologe und Pädagoge und ab 1942 Pfarrer in der Braunschweiger Landeskirche. In diesem Jugendbuch finden sich die zeittypischen Stichworte, wenn beispielsweise Albrecht die »Männer bat, die bereit seien, im Osten dem deutschen Volk Raum zu gewinnen und die deutsche Kultur hineinzutragen in Ödenei und Wildnis«.28 Bezeichnenderweise steht das Bild von den deutschen Kulturträgern gegen die pejorative Zuschreibung der ,Wenden‹, die sich in ihrem eigenen Moor verirren: »[J]a, kannten die [die Wenden; d. Verf.] nicht einmal die Gefahren ihrer nächsten Umgebung?«29 Demgegenüber wurde in der historischen Erzählung »Albrecht der Bär. Roman um den ersten Markgrafen von Brandenburg«30 aus der Feder von Rudolf Ramlow, dem Presseleiter der NS-Kulturgemeinde,31 das Bild eines tiefreligiösen Markgrafen gezeichnet, der zu einem Kreuzzug nach Osten aufbrach, um die Wenden zu bekehren. Von einer Erweiterung des ›Lebensraumes im Osten‹ findet man hingegen keine Zeile.

Zu einer regelrechten nationalsozialistischen Weihestätte umgestaltet wurde im Jahre 1938 die Gruft Albrechts des Bären im Schloss Ballenstedt.32 Der Architekt Paul Schultze-Naumburg33 wurde mit der Neukonzeption des Grabmals Albrechts des Bären betraut, wobei Abb. 2: A. Schulz: Denkmal Albrechts des Bären in Ballenstedt auf dem kleinen Ziegenberg (neu errichtet 1997) Abb. 3: Wappensouvenir zur 800-Jahr-Feier des Reichstages zu Halberstadt (1934) 70 Timo Bollen aufgrund der Quellenlage kaum zu ermitteln ist, wie diese vorher aussah. Nach aktuellem Forschungsstand kann nicht sicher gesagt werden, wer der Auftraggeber war, obwohl Heinrich Himmler vermutet wird.34 Die Grabplatte ziert folgende Inschrift: »Markgraf Albrecht der Bär der Wegebereiter ins deutsche Ostland † 1170 und seine Gemahlin Sophie«. Zu Recht wies Uta Halle darauf hin, dass das Kreuz, das für sein Todesjahr auf der Grabplatte eingesetzt wurde, eine auffallende Ähnlichkeit mit dem Eisernen Kreuz hat.35 Die Inschrift verweist auf die bereits skizzierten ›Leistungen‹ des Markgrafen. Vom Architekten selbst stammt ein einschlägiger Aufsatz,36 der die Instrumentalisierung Albrechts durch den Nationalsozialismus nochmals deutlich macht.37 Die Zöglinge der nahegelegenen Nationalpolitischen Bildungsanstalt am Großen Ziegenberg hatten am Grab Albrechts den Eid auf Hitler zu schwören. Heute ist diese Grabplatte entfernt und bildet im Vorraum der Grablege ein zentrales Element der 2021 neu eröffneten Ausstellung im Schloss Ballenstedt. Stattdessen prangt nun der sogenannte »Goldene Fingerabdruck« an der Grablege. Diesen hatte die Stipendiatin und Gewinnerin des Ausschreibungswettbewerbs Margit Jäschke im Jahre 2020 entworfen. Es soll den ›Fingerabdruck‹ Albrechts in der Geschichte symbolisieren.38

Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden in beiden deutschen Staaten kaum wissenschaftliche Forschungen zu Albrecht dem Bären statt. In die Mittelalterforschung der DDR, die ja ohnehin einer biografischen Beschäftigung eher reserviert gegenüberstand, da es »das Volk [war], das die Geschichte machte«,39 passte aus ideologischen Gründen die Deutung Albrechts des Bären als christlicher Missionar, deutscher Kulturbringer und Slawen-Bezwinger nicht mehr ins Bild. Der Markgraf wurde zwar in epochenübergreifenden Darstellungen erwähnt, aber eine eigene Rolle wurde ihm nicht zugewiesen, was auch daran lag, dass in der DDR explizit Landesgeschichte bewusst nicht betrieben werden sollte. Aber auch in der Bundesrepublik fand kaum noch eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Markgrafen statt.40 Allerdings wurde Albrecht nicht nur ignoriert, sondern auch demontiert. Auf der Mühlendammbrücke in Ost-Berlin war ein Denkmal Albrechts um die Jahrhundertwende aufgestellt worden. Aufgrund der Umgestaltung der Brücke während der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Statue entfernt. Im Jahr 1951 wurde sie im Hof des Märkischen Museums aufgestellt, verschwand aber dann ganz aus der Öffentlichkeit.41

Erst in den 1980er Jahren rückten der Markgraf und die Frühgeschichte der Mark Brandenburg allmählich wieder in den Fokus der wissenschaftlichen Forschung.42 Dies ist insbesondere dem Mediävisten Helmut Assing und seinen Potsdamer Schülern zu verdanken, vor allem Lutz Partenheimer, der 2001 die maßgebliche Biografie zu Albrecht dem Bären verfasst hat.43 Der publizistische Erfolg dieses Standardwerkes führte zu einer zweiten Auflage und einem seit 2016 erhältlichen Nachdruck. Überhaupt ist seit der Wende der Markgraf und die hochmittelalterliche Mark Brandenburg als Forschungsgegenstand wieder attraktiv geworden.44

Auch außerhalb der Wissenschaft wird Albrecht wieder mehr öffentliche Aufmerksamkeit zuteil, wie etwa ein Radiobeitrag anlässlich des Todestages des Markgrafen am 18. November 2015 in der Sendung »WDR ZeitZeichen« zeigt.45 Zudem wurde an die Tradition des untergegangenen anhaltischen Hausordens wieder angeknüpft. Im Jahre 1836 wurde der Herzoglich Anhaltische Hausorden Albrechts des Bären gestiftet. Die anhaltinischen Fürsten stammen aus einem Familienzweig der Askanier, und Albrecht der Bär ist ihr erster fürstlicher Vorfahr. »Seit dem Ende der Monarchie in Anhalt am 12. November 1918 wurde und wird dieser Orden nicht mehr verliehen. Von den mit ihm Beliehenen durfte er bis zu deren Ableben weiter getragen werden.«46 Prinz Eduard, der derzeitige Chef des Hauses Anhalt, reaktivierte 2008 den Askanischen Hausorden Albrecht der Bär, in den seither Persönlichkeiten aufgenommen werden, »die sich in besonders um die Erforschung des alten Herzogtums Anhalt und der Askanier verdient gemacht haben«.47 Seit 1999 existiert auch eine Bruderschaft der Askanier mit Sitz in Berlin, deren Mitglieder sich, so die Aussage ihrer Homepage, »dem mittelalterlichen Leben und Treiben« verschreiben.48 Dass sie sich insbesondere auf den ›Askanier‹49 Albrecht den Bären beziehen, verdeutlichen die vielen Einträge und Bilder auf der Homepage zum Markgrafen.

In Ballenstedt wurde zuletzt am 14. November 2019 vor dem Schloss ein neues Albrecht-Denkmal, gefertigt vom Quedlinburger Metallkünstler Jochen Müller, enthüllt. Diese Aufstellung des »mannshohe[n] Denkmal[s]« wurde vom Hausorden und dem Kulturverein »Wilhelm von Kügelgen« gefördert. Der Markgraf ist hier nicht als thronender Herrscher dargestellt, sondern als, wie die Initiatoren angaben, »ein Mensch wie du und ich«.50 Schwierigkeiten gab es dagegen beim Plan eines möglichen Denkmals für Albrecht in Werben. Dieser wurde in den Zeitungen jahrelang thematisiert und vor allem durch den Arbeitskreis Werbener Altstadt kritisiert.51 Trotz der Befürwortung vom Ministerpräsidenten Reiner Haseloff52 wurde das Denkmal-Projekt im Mai 2020 aus finanziellen Gründen vorerst auf Eis gelegt.53 Die neuen Denkmal-Projekte zeigen nicht nur ein wiedererwachtes Interesse an Albrecht dem Bären, sondern auch dass seine Person und Memoria heute gänzlich entideologisiert sind (Abb. 4).

Anmerkungen

1 Statt einer ausführlichen Bibliografie sei an dieser Stelle nur auf die Literaturverzeichnisse verwiesen bei Lutz Partenheimer, Albrecht der Bär. Gründer der Mark Brandenburg und des Fürstentums Anhalt, Köln/Weimar/Wien 2001 [2. Aufl., Köln/ Weimar/Wien 2003; ND Potsdam 2016]; Stephan Freund/Gabriele Köster (Hgg.), Albrecht der Bär, Ballenstedt und die Anfänge Anhalts, Regensburg 2020, Literaturverzeichnis S. 252–277; Christoph Mielzarek, Albrecht der Bär und Konrad von Wettin. Fürstliche Herrschaft in den ostsächsischen Marken im 12. Jahrhundert, Wien/Köln/ Weimar 2020.

2 https://ag-sdl.sachsen-anhalt.de/amtsgericht/historie/ [zuletzt: 31.05.2021].

3 Vgl. Christoph Mielzarek, Söhne und Töchter des Markgrafen. Die Rolle von Eheschließungen und geistlichen Karrieren der Kinder für die Politik Albrechts des Bären, in: Freund/Köster, Albrecht der Bär (wie Anm. 1), S. 103–119, hier S. 103 f.

4 Zu den biografischen Daten vgl. vor allem Erich Freiherr von Guttenberg, [Art.] Albrecht der Bär, in: Neue Deutsche Biographie 1 (1953), S. 160 f.; Herbert Ludat, [Art.] Albrecht der Bär, in: Lexikon des Mittelalters 1 (1980), Sp. 316 f.; Stephan Freund, Albrecht der Bär und der Umbruch des 12. Jahrhunderts. Eine kritische Bestandsaufnahme, in: Ders./Köster, Albrecht der Bär (wie Anm. 1), S. 17–39, hier S. 26 –30; Partenheimer, Albrecht der Bär (wie Anm. 1).

5 Zu dieser Schrift vgl. zuletzt Mielzarek, Albrecht der Bär (wie Anm. 1), S. 22 f.

6 Vgl. Jacob Paul von Gundling, Leben und Thaten, Des Durchlauchtigsten Fürsten und Herrn, Herrn Albrechten des Ersten, Marggrafen zu Brandenburg, Aus dem Hause Ascharien, Und Ballenstädt. Aus den Schrifften selbiger zeit Diplomatibus und Urkunden beschrieben, Berlin 1730, S. 39 u. 46.

7 Ebd., S. 46.

8 Vgl. Otto von Heinemann, Albrecht der Bär. Eine quellenmäßige Darstellung seines Lebens, Darmstadt 1864 [ND Bernburg 2001].

9 Ebd., S. 167.

10 Vgl. die entsprechende Website des Georg-Eckert-Instituts. Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung: http://gei-digital.gei.de/viewer/ [zuletzt: 28.08.2021].

11 J[ohann Josef] Klein, Bilder aus der vaterländischen Geschichte, Bd. 3, Köln/Neuss 1873, S. 3.

12 Richard Schillmann, Unter der Herrschaft der Hohenzollern, Bd. 1, Berlin 1891, S. 4.

13 Ludwig Hahn, Geschichte des deutschen Vaterlandes, 21. Aufl., Berlin 1888, S. 11.

14 Hermann Krabbo, Albrecht der Bär, in: Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte 19 (1906), S. 371–390, hier S. 385 f.

15 Vgl. Uta Lehnert, Der Kaiser und die Siegesallee. Réclame Royale, Berlin 1998, S. 9.

16 Ebd., S. 98–100, Zitat S. 100.

17 Freund, Albrecht der Bär (wie Anm. 4), S. 30 u. 32 (dort auch die Zitate).

18 Eberhard König, Albrecht der Bär. Ein brandenburgisches Festspiel, Berlin 1911 [2. Aufl., Leipzig 1920].

19 Ebd., S. 124.

20 Vgl. die abgedruckte Fotografie bei Gerd Scharfenberg, Die Orden und Ehrenzeichen der Anhaltischen Staaten 1811–1935, Offenbach 1999, S. 166.

21 Bernhard Elsler, Albrecht der Bär, seine Bedeutung für Heimat und Vaterland. Eine geschichtliche Betrachtung zur 800-Jahrfeier am 15. April 1934, Beelitz 1934.

22 Beide Zitate ebd., S. 4.

23 Ebd., S. 6.

24 Ebd., S. 10. Zu Elsler (1899–1974), dem »Lehrer und Leiter des 1928 im Wasserturm errichteten Zauche-Museums«, vgl. Manfred Fliess/Uwe Schneider, Beelitz, Erfurt 2012, S. 8.

25 Helmut Beumann, Albrecht der Bär und der deutsche Osten, in: Bernburger Kalender 13 (1938), S. 90 –102, hier S. 99.

26 Ebd., S. 102. Im ähnlichen Tenor wie Beumann vgl. Kurt Müller, Albrechts des Bären erster Vorstoß in das Ostland, in: Otto Korn (Hg.), Zur Geschichte und Kultur des Elb-Saale-Raumes. Festschrift für Walter Möllenberg, Burg bei Magdeburg 1939, S. 23–38.

27 Werner May, Um Ostlands heilige Erde. Eine Erzählung aus der Zeit Albrechts des Bären, Stuttgart 1938.

28 Ebd., S. 37.

29 Ebd., S. 45.

30 Rudolf Ramlow, Albrecht der Bär. Roman um den ersten Markgrafen von Brandenburg, Hamburg 1939.

31 Vgl. Freund, Albrecht der Bär (wie Anm. 4), S. 38, Anm. 77.

32 Dies ist erst kürzlich wissenschaftlich aufgearbeitet worden, vgl. Uta Halle, Paul Schultze-Naumburg und die Gruft Albrechts des Bären, in: Freund/ Köster, Albrecht der Bär (wie Anm. 1), S. 191–211.

33 Ebd., S. 196.

34 Vgl. zur Diskussion ebd., S. 200 f. u. S. 208 f.

35 Vgl. ebd., S. 199.

36 Paul Schultze-Naumburg, Die Gruft Albrecht [sic!] des Bären, in: Die Kunst im Dritten Reich 2 (1938)/IX, S. 282 f.

37 Vgl. dagegen Mielzarek, Albrecht der Bär (wie Anm. 1), S. 26, der angab, dass »über Albrecht in dieser Zeit auch kaum publiziert« wurde.

38 Vgl. Hallanzeiger. Der online-Anzeiger für Halle (Saale) und Umgebung, veröffentlicht am 23. Juli 2020: https://www.hallanzeiger.de/informationen_sachsen-anhalt_halle-saale_saalekreis/23-07-2020-goldener-fingerabdruck-in-der-grablege-albrecht-des-baeren-im-schloss-ballenstedt [zuletzt: 22.03.2023].

39 Simon Groth, Albrecht der Bär, die deutsche Ostexpansion und die Mittelalterforschung der DDR, in: Freund/Köster, Albrecht der Bär (wie Anm. 1), S. 233–247, hier S. 233.

40 Zu erwähnen sind lediglich zwei Lexikonartikel, vgl. Freiherr von Guttenberg, Albrecht der Bär (wie Anm. 4); Ludat, Albrecht der Bär (wie Anm. 4).

41 Vgl. Groth, Albrecht der Bär (wie Anm. 39), S. 245.

42 Vgl. besonders die Auflistung des Forschungsstandes bei Mielzarek, Albrecht der Bär (wie Anm. 1), S. 27–31.

43 Partenheimer, Albrecht der Bär (wie Anm. 1), kritisch zu dieser Biografie zuletzt Mielzarek, Albrecht der Bär (wie Anm. 1), S. 29 f.

44 Zu erwähnen ist neben dem von Freund/Köster, Albrecht der Bär (wie Anm. 1), herausgegebenen Sammel- auch der Protokollband: Cornelia Kessler (Red.), Die frühen Askanier. Protokoll der Wissenschaftlichen Konferenzen zur politischen und territorialen Herrschaftsgeschichte sowie den sozialen und kulturhistorischen Aspekten der frühen Askanier-Zeit am 19./20. Mai 2000 in Aschersleben/Ballenstedt und am 25.05.2002 in Bernburg, Halle 2003, sowie Eckardt Opitz (Hg.), Askanier-Studien der Lauenburgischen Akademie, Bochum 2010; Anhaltinischer Heimatbund (Hg.), 800 Jahre Anhalt. Geschichte, Kultur, Perspektiven, Dößel 2012.

45 Albrecht der Bär, Markgraf von Brandenburg (Todestag 18.11.1170), von Almut Finck: https:// www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/zeitzeichen/ albrecht-der-baer-markgraf-104.html [zuletzt: 27.03.2021].

46 Gerd Scharfenberg, Dokumente zum Auszeichnungswesen Anhalts. Herzogtum – Freistaat – Bundesland Sachsen-Anhalt 1815 –2018. Verleihungsurkunden – Besitzzeugnisse – Empfangsbescheinigungen, Dessau 2019, S. 122.

47 Vgl. ebd., S. 122–128, mit zahlreichen Abbildungen der Verleihungsurkunden. Zur gesamten Ordensgeschichte vgl. Scharfenberg, Die Orden und Ehrenzeichen (wie Anm. 21).

48 Bruderschaft der Askanier. Verein zur Darstellung eines lebendigen Mittelalters: http://www.askanier-berlin.de/bruderschaft/wir-ueber-uns [zuletzt 27.03.2021].

49 Vgl. zum anachronistischen Gebrauch der Bezeichnung Askanier für die Familie Albrechts des Bären bei Ingrid Würth, König Wilhelm (1247–1256) und die Fürsten von Anhalt, in: Sachsen und Anhalt 32 (2020), S. 79–108, hier S. 79, Anm. 2.

50 Alle Zitate aus der Mitteldeutschen Zeitung, Online-Ausgabe vom 14.11. 2019.

51 Vgl. u. a. den Artikel von Ingo Gutsche vom 14.02.2018 aus der Volksstimme.de: https://www.volksstimme.de/lokal/osterburg/albrecht-der-baerklares-ja-zum-denkmal [zuletzt: 29.03.2021].

52 Vgl. den Artikel von Karina Hoppe vom 13.06.2018 aus der Volksstimme.de: https://www.volksstimme. de/lokal/osterburg/albrecht-der-baer-haseloff-staerkt-denkmal-projekt [zuletzt: 29.03.2021].

53 Vgl. den Artikel von Ingo Gutsche vom 06.05.2020 aus der Volksstimme.de: https://www. volksstimme.de/lokal/osterburg/albrecht-der-baerdenkmal-projekt-gescheitert [zuletzt: 29.03.2021].

Abbildungsnachweis

Abb. 1 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Albrecht_der_B%C3%A4r.jpg?uselang=de (Foto: Ulrich Waack - CC BY-SA 3.0 DE).

Abb. 2 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Albrecht_der_B%C3%A4r.jpg?uselang=de (Foto: Michael Gebert - CC BY-SA 4.0).

Abb. 3 Autor

Abb. 4 Lutz Partenheimer

 

Der Beitrag erschien in:

Asche, Matthias / Czech, Vinzenz / Göse, Frank / Neitmann, Klaus (Hrsg.): Brandenburgische Erinnerungsorte - Erinnerungsorte in Brandenburg. Band 1 (= Einzelveröffentlichungen der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V., Band 24). Berlin 2021, S. 65-73.


Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.