Provinz & Metropole

Brigitte Faber-Schmidt

»Provinz und Metropole – Metropole und Provinz«, so lautete der Titel des Themenjahres Kulturland Brandenburg 2008 anlässlich des hundertjährigen Bestehens des Märkischen Museums in Berlin. Das Motto des Themenjahres löste bereits im Vorfeld intensive Diskussionen aus. Es wurde in Frage gestellt, ob ein solcher Titel für ein Kulturland-Jahr überhaupt geeignet und nicht viel zu provokant sei. Die Reaktionen aus dem Land Brandenburg und die Vielfalt der schließlich an dem Themenjahr beteiligten Projekte bewiesen den selbstbewussten Umgang der Akteure mit dem Verhältnis von Provinz und Metropole – Metropole und Provinz, Berlin und Brandenburg.

Berlin und Brandenburg, das ist heute eine zusammenwachsende Metropolregion mit einem gemeinsamen Leitbild der »Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg«, auf dessen Grundlage aktuell ein »Strategischer Gesamtrahmen Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg« erarbeitet wird, der zu den verschiedenen Lebensbereichen beziehungsweise Handlungsfeldern von der Siedlungsentwicklung und Wirtschaft, der Kriminalitätsbekämpfung, über Mobilität, Klimaschutz, Medien, Infrastruktur, natürliche Lebensgrundlagen und Wasserversorgung, digitale Transformation, Demokratieförderung und internationale Vernetzung bis zu Wissenschaft, Forschung, Bildung und Kultur Handlungsbedarfe und Zielstellungen definieren soll.

In den vergangenen Jahren ist die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg nicht nur in der Gemeinsamen Landesplanung, sondern in vielen Bereichen und gemeinsamen Einrichtungen kontinuierlich entwickelt und weiterentwickelt worden, so zum Beispiel in gemeinsamen Sitzungen der Landesregierung und des Senats, dem Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg, dem Medienboard Berlin-Brandenburg oder auch dem rbb, dem Rundfunk Berlin-Brandenburg.

»Dennoch ist in den Köpfen der Menschen der scheinbare Gegensatz zwischen Provinz und Metropole nach wie vor vorhanden […] Schließlich ist das Misstrauen der Stadt gegenüber dem Land und der Provinz gegenüber der Metropole ein ständiger Begleiter der Beziehungsgeschichte zwischen Brandenburg und Berlin. Metropole und Provinz, das war nicht nur ein Gegensatz von Stadt und Land, es war auch ein kultureller Zwiespalt. Die Metropole war, in den Augen vieler Künstler und Lebenskünstler der Goldenen Zwanziger, ein Ort der Moderne und der Avantgarde. Anderen wiederum erschien sie als ›Sündenbabel‹ und ›Moloch‹. Immer wieder hat es aber auch Menschen gegeben, für die ein solcher Widerspruch nicht galt. Die Maler hat es aus den Städten hinaus aufs Land gezogen – sie gründeten Malerkolonien. Architekten wie Schlüter, Knobelsdorff und Schinkel waren sowohl Berliner als auch märkische Baumeister. Die Mark versorgte die Metropole nicht nur mit Baustoffen, die Menschen der Metropole sind schon früh und mit Vergnügen in die Mark gekommen.«1

An diese Gedanken knüpften sowohl das Konzept für das Themenjahr, als auch für die dazu herausgegebene Begleitpublikation an, deren Titel »Stoffwechsel. Brandenburg und Berlin in Bewegung« lautete. Viele Brandenburger und Berliner lebten und leben in beiden Welten, mit beruflichen und privaten Verbindungen in Stadt und Land. Menschen, Baustoffe, Lebensmittel, Energie und weitere Güter sind Teil dieses intensiven Stoffwechsels, aber auch Ideen, Inspirationen, Innovationen und kulturelle Wechselwirkungen.

Die wechselvolle Beziehung zwischen Berlin und Brandenburg war und ist zudem mit besonderen Herausforderungen konfrontiert, die zusätzliche Hürden für ein gemeinsames Handeln und die Entwicklung einer gemeinsamen Identität darstellen. Nicht zuletzt bei dem gescheiterten Versuch einer Länderfusion zu einem Bundesland wurde dies sehr deutlich. 1996 scheiterte ein von beiden Landesregierungen vereinbarter und von beiden Landesparlamenten ratifizierter Fusionsvertrag an der fehlenden Zustimmung der wahlberechtigten Bürger im Land Brandenburg.

Dazu Matthias Platzeck, brandenburgischer Ministerpräsident von 2002 bis 2013 und Schirmherr des Themenjahres von Kulturland Brandenburg 2008: »Über allem dürfen wir nicht vergessen: Was in anderen Metropolregionen eine Selbstverständlichkeit ist, war und ist in Brandenburg und Berlin ein hartes Stück Arbeit. Schließlich haben Teilung und Mauerbau die Entwicklung einer wettbewerbsfähigen Region über viele Jahrzehnte verhindert. Umso wichtiger ist es nun, die Weichen zu stellen für eine zukunftsfähige Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg. Und daran zu erinnern, dass das kulturelle Erbe – Schlösser, Gärten und Parks, industrielle und Kulturlandschaften – immer ein gemeinsames Erbe war und sein wird.«2

Der Anlass, das Themenjahr Kulturland Brandenburg 2008 dem Thema ›Provinz und Metropole‹ zu widmen, war das hundertjährige Bestehen des Neubaus des Märkischen Museums in Berlin, in dem sich die Wechselwirkungen zwischen Berlin und Brandenburg im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts exemplarisch widerspiegeln. Der Verein für die Geschichte Berlins, der 1865 gegründet wurde, trug über Appelle an seine Mitglieder, aber auch über Aufrufe in der Presse eine umfangreiche Sammlung zur Stadtgeschichte zusammen, die zunächst in Teilen in Privatwohnungen der Vorstandsmitglieder des Vereins und im neuen Rathaus untergebracht wurde, das bereits bei der Gründung des Vereins als Ort eines zu gründenden Museum Berolinense in den Blick genommen wurde.

1873 wurde beim Einzug in das neue Rathaus wiederum die Sammlung des Magistrats gegründet, deren Leitung Stadtrat Ernst Friedel als Kommissarius für Archiv, Bibliothek und Sammlungen übernahm, der als Mitglied der von Rudolf Virchow gegründeten Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte auf Reisen durch die Provinz Brandenburg prähistorische, naturkundliche und historische Objekte in die städtische Sammlung einbrachte. Schließlich wurden beide Sammlungen zusammengeführt und am 9. Oktober 1874 das Märkische Provincial-Museum der Stadtgemeinde Berlin gegründet. Durch erfolgreiche Rundschreiben und Aufrufe an unterschiedliche Einrichtungen in Berlin, aber auch an märkische Kommunen und Gesellschaften wurden zahlreiche Objekte gespendet, so dass die Sammlung bereits ein Jahr nach ihrer Gründung über rund 20.000 Objekte verfügte, deren Großteil aus der märkischen Provinz stammte. 1890 waren es bereits über 64.000 Objekte, die nicht zuletzt auch durch Exkursionen der Brandenburgia als Gesellschaft für Heimatkunde der Provinz Brandenburg zusammengetragen wurden, die auf Initiative ihres Gründers Ernst Friedel auszog, um unter anderem durch Ausgrabungen in der Mark den Museumsbestand zu erweitern.

In dem rasanten Prozess, in dem sich Berlin im 19. Jahrhundert zu einer durch die Industrialisierung umgestalteten Metropole entwickelte, stieg auf der anderen Seite das Bedürfnis nach dem Bewahren des Vergehenden und den Resten der eigenen Vergangenheit. »In dem Maße, in dem die Zeugnisse der Berliner Stadtgeschichte der Zerstörung preisgegeben wurden, ging der Blick über die Stadtgrenzen hinaus in die Mark, deren Städte und Dörfer weder diese Entwicklung noch die damit verbundene Zerstörung erfahren zu haben schienen. Sie boten nicht nur den durch Theodor Fontane vorbereiteten imaginären Raum der Zuwendung zur Vergangenheit, sondern auch den Fundus für die museale Rekonstruktion der märkischen Geschichte der Stadt Berlin. Wie groß das Bedürfnis nach märkischer Geschichtssimulation war, wurde spätestens mit dem Neubau für das Märkische Museum deutlich, den Stadtbaurat Ludwig Hoffmann von 1899 bis 1908 errichtete.«3

Bei dem Neubau bediente sich der Entwurf unterschiedlicher Vorbilder der märkischen Backsteinarchitektur, so dass schließlich ein Gebäude entstand, das nicht die Entwicklung Berlins zur Industriemetropole widerspiegelt, sondern vielmehr die Verbindung zur Geschichte der Mark Brandenburg herstellt. »Unterstützt wird dieser Eindruck durch die Heterogenität der Bauglieder, ihre ›malerische‹ Fügung, die suggeriert, es sei durch sukzessive Erweiterungen im Laufe von Jahrhunderten erst zu der Form gekommen, die es dem Betrachter bietet.« (Abb. 1)4

Stadtbaurat Ludwig Hoffmann reflektiert in seinen Lebenserinnerungen äußerst positiv den Prozess zur Vorbereitung des Museumsbaus im Duktus Theodor Fontanes, indem er beschreibt, wie er sich Anregungen auf Reisen durch die Mark und bei Vor-Ort-Besichtigungen holt und diese mit der Lektüre der »Wanderungen« Fontanes durch die Mark Brandenburg – auch als emotionale Anreicherung – auflädt. »Mag sein, dass der Hinweis auf Fontane eine nachträgliche Stilisierung ist; er passt aber genau zu der Tatsache, dass Hoffmanns Märkisches Museum die architektonische Verkörperung der ›Wanderungen‹ ist, deren Autor durch einen Teilnachlass eng mit diesem Museum verbunden ist. Bei der Eröffnung des Neubaus im Juni 1908 konnten die Besucher ein Fontane-Zimmer bewundern, eine Art Kapelle des Kults um den märkischen Wanderer, der, wie der langjährige Direktor des Museums, Walter Stengel, 1949 sagte, der ›Hausgott […] des Museums genannt werden‹ könne.«5

Die Beziehung zwischen Berlin und Brandenburg als Beziehung zwischen den Gegensätzen von Metropole und Provinz, die spätestens mit dem Ausbau der Residenz zum herrschaftlichen und wirtschaftlichen Zentrum ab Ende des 17. Jahrhunderts ihren Anfang nahm, bekam zu Beginn des 19. Jahrhunderts größere Dynamik. Nach der Neuordnung Europas durch den Wiener Kongress 1815 wurden große Teile der alten Mark Brandenburg gemeinsam mit dem Markgraftum Niederlausitz und ehemaligen sächsischen Gebieten zur neu gestalteten Provinz Brandenburg zusammengefasst. Berlin als preußische Garnisons- und Residenzstadt wurde als preußische Kommune von den Behörden des brandenburgischen Regierungsbezirks Potsdam aus regiert. Erst 1881, nachdem Berlin bereits seit der Gründung des Deutschen Reiches zehn Jahre dessen Hauptstadt war, schied es aus dem Provinzialverband Brandenburg aus und erhielt einen eigenen Stadtkreis.

Von 1871 an erfuhr Berlin als Hauptstadt des Deutschen Reiches einen erheblichen Entwicklungs- und Wachstumsschub, der die Stadt in fünfzig Jahren zu einer Weltstadt mit vier Millionen Einwohnern machte – damals nach New York und London die drittgrößte Stadt der Welt. »Der Aufstieg Berlins war gleichbedeutend mit dem Bedeutungsverlust der Mark. Erst mit Theodor Fontanes ›Wanderungen durch die Mark Brandenburg‹ gelingt es, beide Lebenswelten wieder miteinander ins Gespräch zu bringen. Fontanes Reisebilder und Geschichtslektionen machen die bis dahin eher als Einöde empfundene Mark zu dem, was sie uns heute noch ist – eine zauberhafte Landschaft aus Flüssen, Seen und Wäldern sowie eine Geschichtslandschaft, deren Schlösser, Herrenhäuser, Klöster und Kirchen zu unserem kulturellen Erbe gehören.«6

Im 19. Jahrhundert, weiter befördert durch die Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur, insbesondere den Ausbau der Eisenbahnverbindungen, begannen die Großstadtbewohner, ihre Umgebung zu erkunden, und begründeten den Ausflugs- und Tagestourismus in die Region. Nach den Zäsuren des Zweiten Weltkriegs, der Nachkriegszeit und der Teilung Deutschlands und Berlins konnte erst nach dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung wieder an diese Entwicklungen angeknüpft werden. In einem vielfältigen und wechselvollen Prozess traten Stadt und Land in einen Austausch, ein neues regionales Bewusstsein entwickelt sich.

Im Jahr 2020 wurde in einem umfangreichen Veranstaltungsprogramm die Bildung von Großberlin 1920 gewürdigt, mit der schließlich ein einheitlicher Verwaltungsraum für Stadt-, Verkehrs- und Flächenplanungen geschaffen wurde. Dem war ein jahrzehntelanger konfliktreicher Prozess vorausgegangen, in dem der Versuch lange scheiterte, eine Verwaltungsstruktur zu schaffen, die dem Wachstum der Metropole Berlin über ihre administrativen Grenzen hinweg Rechnung tragen könnte. So bestand bis zum Ersten Weltkrieg lediglich ein loser Zweckverband, der ebenfalls äußerst umstritten war und abgelehnt wurde. Exemplarisch ist der mit Spandau verbundene Slogan: »Mög schützen uns des Kaisers Hand vor Großberlin und Zweckverband«.7 Die mit der Bildung Großberlins verbundenen Entwicklungen und die Metropole Berlin fanden ihr Ende in den Zäsuren durch den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg. Die historisch gewachsenen Beziehungen zwischen der Stadt und ihrem Umland brachen ebenfalls ab.

»Was nun folgte, sucht auch im europäischen Maßstab seinesgleichen: die Aufteilung Berlins in Besatzungszonen, die Übertragung der Souveränität an den Alliierten Kontrollrat, die Gründung der beiden deutschen Staaten, der Bau der Mauer und die Teilung der Stadt. Nur noch aus der Vogelperspektive war Berlin eine europäische Großstadt. Politisch, wirtschaftlich, kulturell und auch räumlich war es aufgeteilt und zerlegt. Als am 9. November 1989 die Mauer fiel und das Ende der Teilung Deutschlands besiegelt wurde, traf diese neuerliche Zäsur einen Stadtraum, an dem die Tendenzen der vergangenen Dekaden – räumlicher Ausgleich, Angleichung der Lebensverhältnisse von Stadt und Land – vorbeigegangen waren. Nun sollte wieder zusammenwachsen, was fast 50 Jahre nicht mehr zusammengehört hatte.« (Abb. 2)8

In dem 1990 wiedererstandenen Bundesland Brandenburg gab es in der Folgezeit unterschiedliche Ansätze, das Verhältnis zwischen Berlin und dem Land, aber auch zwischen den Regionen innerhalb des Landes zu regeln und einen Ausgleich in den Lebensverhältnissen zu schaffen. Zunächst lautete das Leitbild »Dezentrale Konzentration«, das die Stärkung eines äußeren Städtekranzes als Gegenpol zum wachsenden ›Speckgürtel‹ um Berlin zum Ziel hatte. Als dieses Modell nicht verfing, wurde im Rahmen der Weiterentwicklung des Leitbildes für die »Metropolregion Berlin-Brandenburg« das Entwicklungsziel »Stärken stärken« ausgerufen.

Derzeit wird ein strategischer Rahmen für die Zusammenarbeit und die Schwerpunktsetzungen für die Entwicklung und Zukunftsfähigkeit der Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg zwischen beiden abgestimmt, flankiert durch ein breit angelegtes Beteiligungsverfahren. Am 20. April 2021 wurde dieser strategische Rahmen von den Kabinetten der beiden Länder verabschiedet. In den Fachressorts erfolgt nun die jeweilige konkrete Untersetzung. In dem Rahmenplan (Stand 28. September 2020) heißt es: »Die enge Verflechtung der beiden Länder wird sich angesichts der digitalen Transformation, des hohen Fachkräftebedarfs, der zunehmenden Flächenknappheit in Berlin sowie des notwendigen regionalen Zusammenhalts weiter intensivieren. Berlin und Brandenburg können diese Herausforderungen besser gemeinsam bestehen und hierbei voneinander profitieren. In diesem Gesamtprozess soll bei der Bearbeitung aller Handlungsfelder die Umsetzung der Agenda 2030 der Vereinten Nationen mit ihren 17 Zielen für eine nachhaltige Entwicklung stets mitberücksichtigt werden.«9

Das Themenjahr Kulturland Brandenburg 2008 hat, wie alle anderen Jahre auch, dazu eingeladen, das Land Brandenburg unter neuen Aspekten weiter kennenzulernen, aber auch dazu, als BewohnerIn des Landes vor der eigenen Haustür neue Perspektiven einzunehmen und das, was uns alltäglich umgibt, mit einem frischen Blick wahrzunehmen und wertzuschätzen. Dieses Jahr war jedoch auf besondere Weise geeignet, sich mit der eigenen Geschichte und der eigenen Identität auseinanderzusetzen, was letztlich weder Provinz noch Metropole ohne die Reflektion aus der jeweils anderen Perspektive gelingen kann.

In dem Kulturland-Jahr kamen in den Projekten Aspekte zum Tragen, durch die Wechselwirkungen zwischen Berlin und Brandenburg beleuchtet und die interessierten Besucher zu den entsprechenden Orten geleitet wurden. Im Folgenden werden nur exemplarisch einige Aspekte des vielfältigen »Stoffwechsels« zwischen Berlin und Brandenburg angerissen.

Stoffwechsel: Material und Bauen

Die natürlichen, durchaus begrenzten Ressourcen im Land Brandenburg waren die Grundlage für den intensiven Austausch, den Stoffwechsel zwischen Metropole und Umland. Insbesondere Tonvorkommen und der Abbau von Kalk trugen zum Aufbau der wachsenden Metropole Berlin bei. Ein Baumaterial, das in dem wachsenden Berlin benötigt wurde, jedoch auch exportiert wurde, war Zement aus Rüdersdorf.

Seit dem Mittelalter wurde an diesem Ort Kalk gebrochen. 1884 entstand die Zementfabrik Guthmann & Jeserich, die 1902 mit einem zweiten Werk noch erweitert wurde. Heute können interessierte BesucherInnen im Museumspark Rüdersdorf der Industriegeschichte erlebnisorientiert nachspüren. Insbesondere die Schachtofenbatterie ist bei einem Rundgang über das Gelände eine eindrucksvolle ›Landmarke‹, die sich einprägt (Abb. 3).

In Velten zeigt das Ofen- und Keramikmuseum, nach dem Zukauf und Erschließen der bis vor kurzem noch aktiven Kachelofenfabrik besonders anschaulich, wie von Velten aus nicht nur Berlin, sondern auch Europa mit Kachelöfen versorgt wurde. Das angeschlossene Hedwig Bollhagen-Museum verdeutlicht, welche Bedeutung die künstlerische und kunsthandwerkliche Produktion in Marwitz ab den 1930er Jahren über die DDR-Zeit bis heute entfaltet.

Die Ziegelproduktion wiederum wird im Ziegeleipark Mildenberg den BesucherInnen nachvollziehbar und mit hohem Erlebniswert vermittelt. In Glindow jedoch, in der Ziegeleimanufaktur, wo es wie in Mildenberg mehrere Hoffmannsche Ringöfen zu sehen gibt, werden bis heute noch Ziegel von Hand und im intakten Ringofen produziert – wenn auch nur für Spezialaufträge, vor allem aus dem Bereich der Denkmalpflege. In Projektbeiträgen zu Kulturland-Themenjahren hat Glindow immer wieder die Wurzeln der Ziegelei-Geschichte und die eigenen Produktionsprozesse erlebbar gemacht. Dazu wurde Bezug genommen auf einen Text Theodor Fontanes, der anschaulich die Ziegelproduktion in Glindow und die Technik des Hoffmannschen Ringofens beschreibt: »Was Werder für den Obstkonsum der Hauptstadt ist, das ist Glindow für den Ziegelkonsum. In Werder wird gegraben, gepflanzt, gepflückt – in Glindow wird gegraben, geformt, gebrannt; an dem einen Ort eine wachsende Kultur, am andern eine wachsende Industrie, in beiden (in Glindow freilich auch mit dem Revers der Medaille) ein wachsender Wohlstand.«10 »Der Ringofen hat seinen Namen von seiner Form; er ist ein Rundbau. Seiner Einrichtung nach könnte man ihn einen Kammer- oder Kapellofen nennen; seiner Haupteigenschaft nach aber ist er ein Sparofen. Er spart Feuerung […]. Denken wir uns also eine gewöhnliche runde Torte, aus der wir das Mittel- oder Nußstück herausgeschnitten und durch eine schlanke Weinflasche ersetzt haben, so haben wir das getreue Abbild eines Ringofens. Denken wir uns dazu die Torte in zwölf gleich große Stücke zerschnitten, so haben wir auch die Einrichtung des Ofens: sein Zwölfkammersystem. Die in der Mitte aufragende Weinflasche ist natürlich der Schornstein.

Das Verfahren ist nun folgendes. In vier oder fünf vorhandenen, durch Seitenöffnungen miteinander verbundenen Kammern werden die getrockneten Steine eingekarrt, in jede Kammer 12.000. Ist dies geschehen, so wird die Gesamtheit der erwähnten vier oder fünf Kammern durch zwei große Eisenschieber, der eine links, der andere rechts, von dem Reste der Kammern abgesperrt. Nun beginnt man in Kammer 1 ein Feuer zu machen, nährt es, indem man von oben her durch runde Löcher ein bestimmtes Quantum von Brennmaterial niederschüttet, und hat nach vierundzwanzig Stunden die 12.000 Steine der ersten Kammer völlig gebrannt. Aber (und darin liegt das Sparsystem) während man in Kammer 1 eine für 12.000 Steine ausreichende Rotglut unterhielt, wurden die Nachbarsteine in Kammer 2 halb, in Kammer 3 ein Drittel fertig gebrannt, und die Steine in Kammer 4 und 5 wurden wenigsten ›angeschmoocht‹, wie der technische Ausdruck lautet […] wohin auch immer das Feuer kommt, findet es 12.000 Steine vor, die bereits drei Tage lang, und zwar in wachsender Progression, durch eine Feuerbehandlung gegangen sind […] Der Prozeß, solange die Brenncampagne dauert, ist ohne Ende; das Feuer rückt von Kammer zu Kammer, bis es herum ist, und beginnt dann seinen Kreislauf von neuem.«11

Stoffwechsel: Lebensmittel

Denkt man an die Versorgung Berlins mit Lebensmitteln, so drängt sich sofort das historische Bild der Stadt Werder an der Havel und der Obstkähne an der Friedrichsbrücke am Berliner Dom auf. Fontane beschreibt die Situation so: »Mit dem ersten Juni beginnt die Saison. Sie beginnt, von Raritäten abgesehen, mit Erdbeeren. Dann folgen die süßen Kirschen aller Grade und Farben; Johannisbeeren, Stachelbeeren, Himbeeren schließen sich an. Ende Juli ist die Saison auf ihrer Höhe. Der Verkehr läßt nach, aber nur, um Mitte August einen neuen Aufschwung zu nehmen. Die sauren Kirschen eröffnen den Zug; Aprikosen und Pfirsich folgen; zur Pflaumenzeit wird noch einmal die schwindelnde Höhe der letzten Juliwochen erreicht. Mit der Traube schließt die Saison. […] Die Knupperkirsche einerseits, die blaue Pflaume andererseits – sie sind es, die über die Saison entscheiden.«12 Und Fontane nimmt auch Bezug auf die den Werderschen nachgesagte Geschäftstüchtigkeit, nachdem er ausführlich den Absatz der Produkte aufgelistet hat: »Sie [die Zahlen, d. Verf.] richten auf – in erster Reihe natürlich die Werderschen selbst, die die entsprechende Summe einzuheimsen haben, und in der Tat, auf dem Werder und seinen Dependenzien ist ein solider Durchschnittswohlstand zu Hause. Aber man würde doch sehr irregehn, wenn man hier, in modernem Sinne, großes Vermögen, aufgespeicherte Schätze suchen wollte. Wer persönlich anfaßt und fleißig arbeitet, wird selten reich […].«13

Das Obst der »Werderschen« wurde bereits in vorindustrieller Zeit in Berlin geschätzt und verzehrt, im 19. Jahrhundert schlossen sich die Obstbauern aus Werder zusammen und optimierten – heute würde man sagen – ihr Management und ihre Lobbyarbeit, um der gestiegenen Nachfrage gerecht werden zu können. Umgekehrt nutzte man das positiv besetzte Image der Produkte, um es für das Marketing der Stadt Werder nutzbar zu machen. Begünstigt durch den Anschluss an die Berlin-Magdeburger Eisenbahn wurde im Jahr 1879 erstmals im Frühling zum Baumblütenfest nach Werder eingeladen, um in einer zehntägigen Veranstaltung mit Verkostungsangeboten vor allem auch für den Werderschen Obstwein zu werben. Die Tradition des Baumblütenfestes konnte bis in die heutige Zeit getragen werden. Das Fest ist jedoch mittlerweile zu einer Massenveranstaltung mit vielen negativen Begleiterscheinungen geworden, so dass die Stadt Werder seit 2019 intensiv an einem zeitgemäßen, nachhaltigen Konzept arbeitet. Allerdings musste das Baumblütenfest, wie viele andere Traditionsveranstaltungen, in den Jahren 2020 und 2021 wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden. Auf die erste Ausgabe des Festes unter neuen Vorzeichen dürfen wir gespannt sein.

Weitere Regionen, durch die Berlin mit Lebensmitteln versorgt wurde, waren das Oderbruch, vornehmlich mit Gemüse und Fisch, sowie die Prignitz und die Uckermark, die bis zum Ersten Weltkrieg die wesentliche Milchversorgung über die Eisenbahnverbindungen abdeckten, insbesondere aber auch der Spreewald mit Eingelegtem, unter anderem mit Zwiebeln, Rettich, Kürbis und Gurken. Der Spreewald war gleichzeitig eine frühe, hochgeschätzte touristische Destination, vor allem für Tagesausflüge. Auch diese Tradition erfreut sich bis ins 21. Jahrhundert großer Beliebtheit. Im Freilichtmuseum Lehde kann man die landwirtschaftlichen und handwerklichen Traditionen der Region auf einem idyllischen Museumsareal anschaulich erleben und im Spreewald-Museum in Lübbenau werden auch die Anfänge des Spreewald-Tourismus nachvollziehbar (Abb. 4).

Der heutige Zeitgeist fördert den hier beschriebenen Stoffwechsel auf besondere Weise, saisonale und regionale Lebensmittel, möglichst ökologisch produziert, stehen hoch im Kurs. Es ist insbesondere in Berlin, aber auch in Brandenburg selbst ein Bedarf entstanden, dem kaum entsprochen werden kann – bei allen Errungenschaften und nachhaltigen Ansätzen, die in den letzten Jahren erfolgreich erprobt und umgesetzt worden sind. Auch hier kann an historische Wurzeln angeknüpft werden: Orte der Lebensreform, Gartenstädte, Ansätze für alternative Modelle des Lebens und Arbeitens jenseits der Metropole mit ungesunden Lebensbedingungen Anfang des 20. Jahrhunderts, dafür finden sich zahlreiche Beispiele im Land Brandenburg, so zum Beispiel Eden, die Gartenstädte Marga und Plaue oder auch die Kunsthandwerkersiedlung Gildenhall bei Neuruppin.

Stoffwechsel: Menschen und Ideen

Die sich in Berlin sehr dynamisch entwickelnde Industrie bedurfte vieler günstiger Arbeitskräfte; die Menschen aus dem Umland pendelten oder siedelten sich in Berlin an, um ihre Arbeitskraft in den Fabriken zur Verfügung zu stellen – in der Hoffnung, in der Stadt eine bessere Existenzgrundlage finden zu können. Aber auch der Bedarf an ›Personal‹ in den adeligen und zunehmend auch in den bürgerlichen Haushalten in Berlin stieg an, der in erster Linie aus dem Umland gedeckt wurde. Vor allem junge Frauen versuchten, auf diese Weise ein Auskommen zu finden. Ein besonderes Ansehen erlangten die Ammen aus dem Spreewald, dessen Image als gesunde Region auf die Ammen übertragen wurde. Diese trugen quasi als Markenzeichen ihre sorbische Tracht und waren somit im Stadtbild deutlich erkennbar.

Es gab ebenso die Gegenbewegung, dass die Berliner, insbesondere die, die es sich leisten konnten, sich auch im Umland ansiedelten, zumindest eine Dependance errichteten oder erwarben. Rund um Berlin entstanden Herrenhäuser und vor allem Villen, bis hin zu den attraktiven Orten wie Bad Saarow, Wandlitz oder Buckow. Die Familie Borsig errichtete im havelländischen Groß Behnitz, das selbstverständlich mit Berlin per Bahn verbunden war, ein Mustergut, in dem moderne Verfahren, zum Beispiel bei der Viehhaltung, erprobt wurden. Heute knüpft das Landgut Stober an diese Wurzeln an, nicht nur, indem die vorhandenen Gebäude saniert und neuen touristischen sowie gastronomischen Nutzungen zugeführt wurden, sondern auch, indem ein nachhaltiges, ökologisches Hotel neu errichtet wurde, das dazu beiträgt, die touristische Infrastruktur im Havelland zu stärken.

Architekten und Künstler zog es ebenfalls ins Brandenburgische, die einen, um neue Entwürfe unter anderem mit den natürlichen Ressourcen der Region zu erproben, die anderen, um in der ländlichen Idylle einen entspannten Ausgleich zur umtriebigen Stadt, aber auch andere, neue Sujets zu finden. Im Themenjahr 2008 wurde in Ferch das Museum der Havelländischen Malerkolonie eröffnet; in der Schau des kleinen Ausstellungshauses wurde der Entstehung der Malerkolonie nachgegangen, der Karl Hagemeister und Carl Schuch in den 1870er Jahren den ersten Impuls gegeben haben. Obwohl die Havelländische Malerkolonie eher ein Malerdorf mit temporären Arbeitsaufenthalten von KünstlerInnen war, ist es den AkteurInnen im weiteren Verlauf gelungen, in den internationalen Verbund der Malerkolonien, zu denen Worpswede, Ahrenshoop und Schwaan gehören, aufgenommen zu werden. Ein schöner ›Ritterschlag‹ für das bürgerschaftliche Engagement, das bis heute diesen besonderen Ort trägt.

Ebenfalls am Schwielowsee konnte die Biografie einer interessanten Frau zunehmend ermittelt werden, Marie Goslich, die im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert bereits als Journalistin und Fotografin arbeitete und zwischen Berlin und der Region pendelte. Dabei fotografierte sie die Landschaft und die Menschen vor Ort, aber auch das fahrende Volk, das regelmäßig mit seinen Waren durch die Dörfer zog (Abb. 5). Und sie schrieb Zeitungsartikel, in denen sie auch die sozialen Fragen der Zeit intensiv behandelte. Es gab Ausstellungen und mehrere Publikationen zu dieser interessanten Entdeckung, die mit einem Fund von Glasnegativen in der traditionellen Ausflugsgaststätte in Baumgartenbrück ihren Anfang genommen hatte.

Bis heute pendeln die Menschen zwischen Berlin und Brandenburg, viele leben in beiden Welten. Berlin und Brandenburg, auch, wenn es immer wieder die eine oder andere Verwerfung, ja Beziehungskrise gibt, gehören zusammen und ergänzen sich auf besondere Weise. Beide profitieren von der jeweils anderen Existenz, Lebensart und Perspektive. Derzeit gibt es, da es in Berlin immer enger und teurer wird, ein wachsendes Interesse, gerade bei jungen Kreativen, sich nach Brandenburg zu orientieren, um jenseits von Berlin einen neuen Lebens- und Arbeitsmittelpunkt zu finden. Wenn die digitale und die analoge Infrastruktur stimmen, kann dies eine attraktive Alternative sein und für das Land Brandenburg eine Bereicherung – an Ideen und frischen Impulsen.

Anmerkungen

1 Matthias Platzeck, Vorwort, in: Uwe Rada (Red.), Stoffwechsel. Brandenburg und Berlin in Bewegung, Leipzig, 2008, S. 7–10, hier S. 7.

2 Ebd., S. 7.

3 Hans Wilderotter, Die Erfindung der Mark Brandenburg, Theodor Fontane, die Wanderungen und ihre Folgen, in: Andreas Bernhard/Hans Wilderotter, Mark und Metropole, Berlin-Brandenburg 1871 bis heute, Köthen 2008, S. 7–29, hier S. 27.

4 Ebd., S. 28.

5 Ebd., S. 29.

6 Uwe Rada, Provinz – Metropole – Region. Zur Beziehungsgeschichte von Brandenburg und Berlin, in: Ders., Stoffwechsel (wie Anm. 1), S. 11–23, hier S. 12.

7 Ulrich Roeske, Das »nominelle« Groß-Berlin 1909–1912. Beitrag zur Initiative 100 Jahre (Groß-) Berlin, Berlin 2020; das Zitat nach: Jürgen Grothe, Spandau im Wandel der Geschichte, Berlin 2000, S. 112.

8 Ebd., S. 14.

9 Strategischer Gesamtrahmen Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg [Stand: 28.09.2020], in: https://www.berlin-brandenburg.de/

10 Theodor Fontane, Große Brandenburger Ausgabe. Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Bd. 3: Havelland, 2. Aufl., Berlin 2011, S. 463.

11 Ebd., S. 469 f.

12 Ebd., S. 454 f.

13 Ebd., S. 455.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 bpk/Kunstbibliothek, SMB, Photothek Willy Römer Foto: Willy Römer).

Abb. 2 bpk/Bundesstiftung Aufarbeitung (Foto: Klaus Mehner).

Abb. 3, 4 Kulturland Brandenburg 2018 (Foto: Frank Gaudlitz / frank-gaudlitz.de [zuletzt: 09.10.2021]).

Abb. 5 Privatarchiv Albrecht Herrmann mit freundlicher Unterstützung von Krystyna Kauffmann (Foto: unbekannt).

 

 

Der Beitrag erschien in:

Asche, Matthias / Czech, Vinzenz / Göse, Frank / Neitmann, Klaus (Hrsg.): Brandenburgische Erinnerungsorte - Erinnerungsorte in Brandenburg. Band 1 (= Einzelveröffentlichungen der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V., Band 24). Berlin 2021, S. 343-355.


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