Raubritter

Clemens Bergstedt

Das Thema ›Raubritter‹ erfreut sich bis heute einer erstaunlichen Bekanntheit, was zum einen am Genre grausiger Erzählungen über ritterliche Missetäter liegt, das bis heute seinen festen Platz auf dem Buchmarkt behauptet. Hier wirkt ein Geschichtsbild nach, das Ende des 19. Jahrhunderts große Popularität erlangte. Zum anderen bedienen solche Schauergeschichten eine Erwartungshaltung, die das Mittelalter als ›dunkel und düster‹ beschreibt.1 Erleichtert nimmt der Leser zur Kenntnis, dass diese Zeiten vorbei und solche Formen der Konfliktregelung überwunden sind. Diesem Muster folgend, werden Erscheinungen der Gegenwart, von denen man sich grundlegend und grundsätzlich distanziert, als ›mittelalterlich‹ diffamiert.2 In diesen Kontext gehört auch der Begriff des Raubritters. Als er aufkam, und zwar Ende des 18. Jahrhunderts, war das landesherrliche Gewaltmonopol längst Realität und die Ritterfehde bereits kriminalisiert worden.3

Die Quellen des Spätmittelalters kennen keine ›Raubritter‹, sondern vor allem – auch in Dokumenten, die die Verhältnisse in der spätmittelalterlichen Mark Brandenburg betreffen – den ›Räuber‹ oder ›Straßenräuber‹. Damit wurde zunächst einmal behauptet, dass die des Raubes Beschuldigten im Unrecht gewesen wären. Bei der Straßenräuberei schwang darüber hinaus der schwere Vorwurf des Landfriedensbruchs mit, da die Straßen unter dem Schutz der jeweiligen Landesherren standen. Man ist daher gut beraten, genau zu prüfen, wer und mit welcher Absicht derartige Termini in den Quellen benutzte.4 Da der Begriff ›Räuber‹ bereits im 15. Jahrhundert überwiegend negativ besetzt war und vorrangig im Zusammenhang mit Fehdezügen erscheint, ist zunächst einmal die Fehde als »zentrales Bauprinzip politischen Lebens«5 der mittelalterlichen Gesellschaft kurz zu erläutern, um Fehlinterpretationen, wie sie im 19. Jahrhundert aus dem Unverständnis der Gesellschaftsstrukturen des Spätmittelalters erwuchsen, vorzubeugen.

Die Fehde war eine legitime Möglichkeit zur Rechtsdurchsetzung, wenngleich bei weitem nicht die Einzige. Als gewaltsame, aber regelgebundene Form der Selbsthilfe bedurfte sie eines rechtlichen Grundes. Bevor man jedoch zu diesem Mittel griff, musste zuvor auf dem Rechtsweg der Versuch einer friedlichen Konfliktbeilegung unternommen worden sein. Erst wenn dieser scheiterte, durfte Gewalt angewendet werden mit dem Ziel, den Gegner wieder an den Verhandlungstisch zu zwingen. Die Fehde stellte also eine Form der rechtlichen Auseinandersetzungen dar, deren Praxis vornehmlich im Ausplündern der gegnerischen Untertanen bestand. Die Schadensrechnungen, die in großer Zahl überliefert sind, geben davon ein anschauliches Bild. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das sogenannte Schadentrachten in der Regel nicht der Zweck einer Fehde war.6 Die Vielzahl an Fehden, die im gesamten Reichsgebiet vor allem im 15. und 16. Jahrhundert belegt sind, zeigen Raub und Brandschatzung als selbstverständliche und unvermeidliche Realität (Abb. 1).7

Solche Verhältnisse fordern nach Erklärungen, und die Forschung hat verschiedene Modelle vorgeschlagen. Gegenwärtig scheint sich die Interpretation durchzusetzen, nach der die adlige Fehde als Mobilisierung sozialer Netzwerke beschrieben wird, um die Stellung des Adels gegen die wachsende Macht der Bürger und Bauern auf der einen und gegen die Bestrebungen der Landesherren, ihre Macht auf Kosten des Adels mit Hilfe von Friedensordnungen und Fehderegulierungen zu stärken, auf der anderen Seite zu behaupten.8 Das alles gilt es zu bedenken, wenn man sich mit dem Thema ›Ritterfehde‹ beschäftigt. Sie war eben nicht ein ziel- und planloses Brandschatzen oder – modern ausgedrückt – eine sinnlose Vernichtung von Ressourcen, wie es die Schadensberichte suggerieren. Fontane hat diesen Eindruck, der sich beim Lesen solcher – in diesem Fall brandenburgischer – Quellenberichte aufdrängt, folgendermaßen beschrieben: »Es gibt nichts Langweiligeres als immer wieder Strausberg und Liebenwalde, als immer wieder Bötzow und Köpenick, als immer wieder Pommern- oder Sachsenherzog, als immer wieder ›auspochen‹ und Kühe wegtreiben und Schulmeister totschlagen und […] absagen und Ritterpflicht und Fehderecht [...].«9 Fontane war mit der Materie gut vertraut, denn im fünften Band seiner »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« hatte er sich im Kapitel »Quitzöwel« ausführlich mit den Quitzows befasst.10 Damit sind wir in der Mark Brandenburg angelangt, und mit den Quitzows, d.h. den Brüdern Dietrich und Johann von Quitzow, sind zwei Namen gefallen, die als Prototyp der Raubritter in der Mark Brandenburg gelten.11

Den Grundstein für dieses Geschichtsbild legte Engelbert Wusterwitz aus der Neustadt Brandenburg, ein Zeitgenosse der Quitzow-Brüder und wichtigster Chronist der Ereignisse an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert.12 Seine Aufzeichnungen, die weder ein Auftragswerk noch eine städtische Chronik darstellen, bestehen aus zwei Teilen. Den ersten Teil, der den Zeitraum zwischen 1391 und 1410 umfasst, brachte er Ende des Jahres 1410 zu Papier. Den zweiten Teil, der den Beginn der Hohenzollernherrschaft in der Mark zum Gegenstand hat, schrieb Wusterwitz wahrscheinlich zwischen 1420 und 1424 während seiner Dienstzeit als Syndicus der Altstadt Magdeburg.13 Der Schreiber aus der Neustadt Brandenburg hatte die wachsende Adelsmacht unter einer vorrangig aus der Ferne agierenden und somit als schwach empfundenen Landesherrschaft als Hauptkonflikt seiner Zeit ausgemacht, was sich in einer dezidiert antiadligen Perspektive seiner Darstellung niederschlug. Am Beispiel der Quitzow-Brüder, die er aus eigenem Erleben kannte, illustrierte er diesen Konflikt. Das führte nicht nur zu einer einseitig negativen Charakterisierung des Brüderpaars, sondern als Konsequenz der Figurenanlage zu einer Überhöhung ihrer Gegenspieler: im ersten Teil des Herzogs von Sachsen und im zweiten Teil des Hohenzollern Friedrich.14 Es handelte sich also um ein Idealbild, das Wusterwitz entwarf, die Wirklichkeit sah anders aus.15

Der Gegensatz zwischen den Quitzow-Brüdern und dem ersten Hohenzoller in der Mark Brandenburg, Burggraf Friedrich VI. von Nürnberg beziehungsweise Markgraf Friedrich I., wurde von nachfolgenden Geschichtsschreibern, die die Wusterwitz-Aufzeichnungen entweder direkt oder indirekt rezipierten, übernommen. Aber es gab auch etliche Autoren, die Wusterwitz’ Aufzeichnungen nicht kannten, und dementsprechend ist in ihren Geschichtswerken nichts vom Kampf zwischen dem Hohenzoller und den Quitzow-Brüdern zu finden. Bis ins 17. Jahrhundert war diese Phase brandenburgischer Geschichte für die Bewertung der Hohenzollerndynastie noch nicht grundlegend geworden.16 Mit dem Aufstieg Brandenburg-Preußens zur europäischen Großmacht im 18. Jahrhundert nahm auch das Interesse an den Anfängen der Hohenzollernherrschaft in Brandenburg zu.

Jacob Paul Gundling schrieb aus Anlass des 300-jährigen Jubiläums der Hohenzollernherrschaft in Brandenburg ein Buch über »Leben und Thaten Friederichs des Ersten«, erschienen 1715. Er benutzte dafür auch die Aufzeichnungen des Engelbert Wusterwitz, und dementsprechend erscheinen bei ihm die Quitzows als Häupter der Verschwörung gegen Friedrich. Samuel Buchholtz befasste sich im zweiten Teil seines Werkes »Versuch einer Geschichte der Churmarck Brandenburg« (1765) ausführlich mit Friedrich und den Quitzows und griff dafür auf die Wusterwitz-Aufzeichnungen in der Überlieferung des Peter Hafftitz zurück.17 Es war weniger Buchholtz’ Darstellung der Auseinandersetzungen, sondern vielmehr ein von ihm stammender Zusatz, der wirkungsmächtig wurde: Bei der Belagerung der Quitzow-Burgen Friesack und Plaue kam ein Riesengeschütz zum Einsatz, dem der Lychener Pfarrer den Namen »Faule Grete« gab.18 Die »Faule Grete« wurde zum Inbegriff des hohenzollernschen Sieges über die adligen Frondeure, er avancierte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Sinnbild einer Zeitenwende. Davon später mehr (Abb. 2)!

Trotz der Zunahme der negativen Beurteilungen der Quitzow-Brüder gab es unter den Historikern des 19. Jahrhunderts eine bemerkenswerte Ausnahme. Georg Wilhelm von Raumer veröffentlichte 1831 einen für seine Zeit bemerkenswerten Essay, den er in einem Urkundenbuch den Diplomen Friedrichs I. vorangestellt hatte.19 Ausgehend von der parteiischen Darstellung des Wusterwitz, hinterfragte er den Vorwurf der Räuberei kritisch und betonte, dass den Fehden rechtliche Normen zugrunde lagen. Die Motive des adligen Widerstands sah von Raumer in dem Versuch des Adels, seine Rechte zu bewahren, und im Misstrauen gegenüber dem neuen, landfremden Machthaber. Seine gerechtere Beurteilung des brandenburgischen Adels stellte jedoch seine grundsätzliche Parteinahme zugunsten des Hohenzollers nicht in Frage. Den Ansichten von Raumers widersprach am heftigsten Adolph Friedrich Riedel in seinem 1851 erschienenen Buch »Zehn Jahre aus der Geschichte der Ahnherren des preußischen Königshauses«.20 Der Monarchist Riedel sah – gerade nach den Erfahrungen der 1848er Revolution – in der adligen Revolte eine frevelhafte Auflehnung gegen die Staatsordnung, und so ließ er kein gutes Haar an den vermeintlichen Aufrührern, die nach seinem Verständnis die Obrigkeit in Frage stellten. Fontane bezog im fünften Band seiner »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« zu beiden Exponenten Stellung.21 Er stellte sich auf die Seite von Raumers und gelangte damit für die damalige Zeit zu einer bemerkenswert objektiven Beurteilung in dieser Streitfrage.22 Solch differenzierte Bewertungen bildeten allerdings eine Ausnahme. Die Mehrheit der Historiker interpretierte den Aufstieg Brandenburg-Preußens, vor allem seit der Reichseinigung von 1871, als historische Vorherbestimmung, die sich bereits in den Anfängen hohenzollernscher Herrschaft in Brandenburg zeigte.23 Dementsprechend sah man die historische Leistung Friedrichs I. in der Wiederherstellung von Recht und Ordnung, mit der er das Land befriedete und den selbstherrlichen Adel in die Schranken wies. Bei einer solchen Lesart ließ die Überhöhung des Herrschers nicht lange auf sich warten. So geriet beispielsweise Riedels schon erwähntes Werk von 1851 zu einem einzigen Lobgesang auf den ersten Kurfürsten aus dem Hause Hohenzollern.

Dieses Narrativ herrschte auch in der Literatur und in der Bildenden Kunst vor. Eine besondere Stellung nimmt dabei Karl Friedrich Klöden ein, dessen vierbändiges Werk über die Quitzows (1836/37) sehr erfolgreich war und 1888/89 seine dritte Auflage erlebte.24 Zum 500-jährigen Jubiläum des Machtantritts der Hohenzollern in der Mark Brandenburg erschien 1913 Klödens Werk zum vierten Mal, nunmehr bearbeitet und auf 800 Seiten gekürzt, als Volks- und Jugendausgabe. Über ein solches Projekt würde heutzutage ein Verleger nicht einmal mehr nachdenken! Als 1837 der vierte und letzte Band von Klödens Werk erschien, sah sich der Autor zu einer Klarstellung hinsichtlich seiner Arbeitsweise genötigt, weil beim Publikum die Ansicht aufgekommen war, er hätte einen Roman geschrieben, was der Verfasser vehement zurückwies. Klöden benutzte historische Quellen, die Lücken ergänzte er – nach seiner Auffassung – im Geiste der dargestellten Zeit. Diese Mischung aus Geschichtsschreibung und Erdachtem machte den Erfolg dieses Werkes aus, denn Klöden gab nicht nur historische Fakten wieder, sondern er entwarf zugleich ein lebendiges Zeit- und Sittengemälde.25 Das war sicher einer der Gründe dafür, dass sich viele Autoren bei Klöden bedienten – neben Karl May eine Vielzahl heute in Vergessenheit geratener Schriftsteller.26 Und sie übernahmen das von Klöden vorgezeichnete Bild. Gegenüber den herrschsüchtigen, grausamen, ehrgeizigen, gefährlichen sowie hass- und rachsüchtigen Quitzow-Brüdern bildete der Hohenzoller Friedrich mit seinen überragenden Eigenschaften den Gegenentwurf: »Durchgängig galt er als der schönste Fürst seiner Zeit, von kräftigem Körperbau und stattlichem Ansehen. Ein heller durchdringender Verstand, und eine seltene Beurtheilungsgabe, vereinigten sich in ihm mit tiefer Menschenkenntnis. Dabei besaß er die Gabe der Rede in ausgezeichnetem Maaße und in einer Fertigkeit, die allgemein bewundert wurde. Er liebte Pracht und Anstand, und wußte sich durch Freigebigkeit Freunde zu machen. Stattliche Leute zog er gern in seinen Dienst, und gelehrte Leute achtete er hoch, und hatte sie gern um sich, um auf ihren Rath zu hören. Sein bescheidenes, würdevolles und gütiges Wesen wurde von Allen gelobt, die ihm nahe standen. Billigkeit und Gerechtigkeit achtete er über Alles, und nie rieth er zum Kriege, wo die Sache auf güthlichem Wege zu schlichten war. Ein Freund der Religion, wußte er Heuchelei von der Gottesfurcht scharf zu unterscheiden. Seinen Pflichten suchte er nach bestem Vermögen und mit Aufopferung seiner Kräfte zu genügen, und in allen seinen Verpflichtungen erwies er sich als beständig, treu und gerecht.«27

Auch in der Dramatik wurde der Kampf zwischen Friedrich und den Quitzows thematisiert. Am bekanntesten dürfte das Stück »Die Quitzows« aus der Feder Ernst von Wildenbruchs sein, das 1888 am Königlichen Schauspielhaus in Berlin Premiere feierte und zum Erfolgsstück beim bürgerlich-konservativen Publikum avancierte (Abb. 3). Die Hauptfiguren entsprechen dem Klödenschen Bild: Während der Hohenzoller als eine Art Übervater erscheint, ist Dietrich von Quitzow als dessen Gegenspieler der negative Held. Gesetz und Pflicht auf der einen Seite stehen Eigensinn und Eigennutz auf der anderen Seite gegenüber.28

In der Bildenden Kunst setzten Maler wie Anton von Werner, Ludwig Burger, Georg Bleibtreu, Carl H. Steffeck, Richard Knötel oder Carl Röhling die Auseinandersetzungen ins Bild, und zwar verdichtet im Motiv der Beschießung der adligen Burgen, die als Zeitenwende angesehen wurde. Das Wandgemälde »Markgraf Friedrich I. von Hohenzollern wirft die Quitzows und Genossen nieder«, das Josef Scheurenberg 1890 in der Vorhalle des Magistratssitzungssaales des Berliner Rathauses zur Ausführung brachte, erlangte als Zigarettenbild einen hohen Bekanntheitsgrad (Abb. 4). Die Assoziation ›Raubritter‹ lag bei diesem Motiv für die Zeitgenossen auf der Hand, wie die Besprechung des Bildes in der »Zeitschrift für bildende Kunst« aus dem Jahr 1897 belegt, wo die Szenerie als »Übergabe einer Raubritterburg« beschrieben wird.29

Die Verehrung der Hohenzollerndynastie fand vor allem nach der Reichseinigung von 1871 im öffentlichen Raum ihren sichtbaren Niederschlag, und Friedrich I. als Ahnherr der brandenburgischen Hohenzollern erhielt dabei seinen festen Platz. Zwei geschichtsträchtige Orte boten sich in besonderer Weise zum Gedenken an: Brandenburg an der Havel und Friesack. In der Havelstadt vollzog Friedrich – damals noch als Landesverweser – im Juni 1412 seine erste Regierungshandlung auf märkischem Boden, und in Friesack nahm die Niederwerfung des frondierenden Adels mit der Beschießung und Einnahme der Burg ihren Anfang. 1894 wurde dort ein Friedrich-Standbild im Beisein des Kaisers eingeweiht. Geschaffen hatte es auf ausdrücklichen Wunsch Wilhelms II. einer seiner Lieblingsbildhauer, Alexander Calandrelli, der bereits für das 1880 eingeweihte Kriegerdenkmal in der Stadt Brandenburg eine entsprechende Statue gestaltet hatte (Abb. 5).

Überhaupt besaß die Chur- und Hauptstadt Brandenburg darüber hinaus mit dem Kurfürstenbrunnen, zwei Reliefs und einem Gedenkstein eine beachtliche Zahl an Friedrich-Denkmälern.30 Diese erinnerten an seine historischen Leistungen und damit auch an die Niederwerfung des frondierenden märkischen Adels, an die Bezwingung der Raubritter. Heute sind die Denkmäler für Friedrich I. aus dem Stadtbild in Brandenburg verschwunden, 2012 wurde hier nicht einmal mehr des 600-jährigen Jubiläums des Beginns der Hohenzollernherrschaft gedacht! Doch das im 19. Jahrhundert geformte Geschichtsbild wirkt – trotz einiger nach 1918 aufkommender Neuakzentuierungen – bis heute nach, und zwar nicht mehr so sehr hinsichtlich der ersten Hohenzollern in der Mark, sondern vielmehr bezüglich der QuitzowBrüder, der Raubritter.

Einen brandenburgischen Erinnerungsort an die Raubritter findet der Geschichtskundige seit jüngster Zeit wieder in Friesack. Vor der nicht mehr erhalten gebliebenen Burg wurde 2003 ein hölzernes Standbild Dietrich von Quitzows aufgestellt, das Tobias Wollenberg geschaffen hat. Wenige Jahre später, 2012, gelangte das 1946 zur Buntmetallgewinnung abgebaute Standbild Friedrichs I. – nach einer historischen Postkartenansicht in Thailand modelliert und gegossen – zur Wiederaufstellung. Wenngleich die Bronzestatue die Lücke im Ortsbild wieder schloss, so bleibt die Sinnstiftung beider Denkmäler doch fraglich. Das schließt jedoch nicht aus, dass eine Person wie Dietrich von Quitzow in Zeiten zunehmenden Staatsversagens als Sinnbild eigenständigen Handelns, als jemand, der sein Schicksal in die eigenen Hände nimmt und sich nicht auf eine fragwürdige Ordnungsmacht verlässt, für die historische Vergewisserung produktiv gemacht wird. Gegenwärtig mag eine solche Möglichkeit ausgeschlossen erscheinen, aber Klio hat sich schon immer launisch gezeigt.

Anmerkungen

1 Niklas Frank, Raubritter. Das erschröckliche und geheime Leben der Heckenreit und Wegelagerer, München 2002. Das ganze Buch ist ein beredtes Zeugnis für ein völlig unsinniges Verständnis vom Mittelalter, insonderheit von der Fehde. Jan Feustel, Die Quitzows. Raubritter und Gutsherren, 2. Aufl., Berlin 2008. Bezeichnenderweise heißt es dort, dass die Quitzow-Brüder bis heute Synonym für das düstere, grausame Mittelalter seien, vgl. S. 116.

2 In der Politik wird das Bild vom rückständigen Mittelalter oft bedient. Cem Özdemir, Bündnis90/ Die Grünen, sprach in seiner Bundestagsrede am 14.11.2019 davon, dass er sich an den Teil des Plenums wende, der nicht im finsteren Mittelalter lebe. Christian Lindner, FDP, sagte am 23.4.2020, die Corona-Pandemie würde mit Instrumenten bekämpft, die seit dem Mittelalter bekannt seien. Tino Chrupalla, AfD, bezeichnete am 17.12.2020 Pläne, Dörfer in Sachsen wegen der Corona-Pandemie abzuriegeln, als mittelalterliche Methoden.

3 Kurt Andermann, Raubritter – Raubfürsten – Raubbürger? Zur Kritik eines untauglichen Begriffs, in: Ders. (Hg.), »Raubritter« oder »Rechtschaffene vom Adel«? Aspekte von Politik, Friede und Recht im späten Mittelalter, Sigmaringen 1997, S. 9–29, hier S. 9 u. 27.

4 Otto Brunner, Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Südostdeutschlands im Mittelalter, 2. Aufl., Brünn/München/Wien 1942, S. 10, 51, 63 f. u. 94 f.

5 Ebd., S. 31 u. 38. – Zum Bedeutungswandel des Begriffes ›Raub‹ siehe ebd., S. 95 –97.

6 Einen guten Einstieg zum Thema bietet nach wie vor ebd., S. 21–123.

7 Ebd., S. 95; Christine Reinle, Fehdeführung und Fehdebekämpfung am Ende des Mittelalters, in: Joachim Emig/Wolfgang Enke/Guntram Martin/ Uwe Schirmer/André Thieme (Hgg.), Der Altenburger Prinzenraub 1455. Strukturen und Mentalitäten eines spätmittelalterlichen Konflikts, 2. Aufl., Beucha 2008, S. 83–124, hier S. 92.

8 Reinle, Fehdeführung (wie Anm. 7), S. 112–123; Gadi Algazi: »Sie würden nach hinten so gail.« Vom sozialen Gebrauch der Fehde im späten Mittelalter, in: Thomas Lindenberger/Alf Lüdtke (Hgg.), Physische Gewalt. Studien zur Geschichte der Neuzeit, Frankfurt am Main 1995, S. 39–77, hier S. 51–75; Joseph Morsel, Überlegungen zum sozialen Sinn der Fehdepraxis am Beispiel des spätmittelalterlichen Franken, in: Dieter Rödel/Joachim Schneider (Hgg.), Strukturen der Gesellschaft im Mittelalter. Interdisziplinäre Mediävistik in Würzburg, Wiesbaden 1996, S. 140 –167, hier S. 150 –167.

9 Paul Schlenther (Hg.), Theodor Fontane, Causerien über Theater, Berlin 1905, S. 265 –270, hier S. 270.

10 Theodor Fontane, Fünf Schlösser. Altes und Neues aus Mark Brandenburg, Berlin/Weimar 1987, S. 11–105.

11 Willy Hoppe, Die Quitzows, in: Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte 43 (1930), S. 22– 43; Jan Feustel, Die Quitzows. Raubritter und Gutsherren, Berlin 1998 [2. Aufl., Berlin 2008]; Uwe Michas, Mit Fehde, Pfand und Schwert. Die »Quitzowzeit« in der Mark Brandenburg, Berlin 2002; Clemens Bergstedt, Die Quitzows. Legenden und Wirklichkeit, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Prignitz 6 (2006), S. 5 –12; Ders., Schuldscheine und Intrigen. Aufstieg und Fall der Quitzow-Brüder, in: Ders./ Heinz-Dieter Heimann/Knut Kiesant/Peter Knüvener/Mario Müller/Kurt Winkler (Hgg.), Im Dialog mit Raubrittern und Schönen Madonnen. Die Mark Brandenburg im späten Mittelalter, Berlin 2011, S. 306 –311.

12 Wolfgang Ribbe, Quellen und Historiographie zur mittelalterlichen Geschichte von Berlin-Brandenburg, Berlin 1977, S. 16.

13 Clemens Bergstedt, Untersuchungen zum Entstehungsprozess der Aufzeichnungen des Engelbert Wusterwitz, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 67 (2016), S. 47–73. Die derzeit grundlegende Edition stammt von Wolfgang Ribbe, Die Aufzeichnungen des Engelbert Wusterwitz. Überlieferung, Edition und Interpretation einer spätmittelalterlichen Quelle zur Geschichte der Mark Brandenburg, Berlin 1973, S. 61–166.

14 Clemens Bergstedt, »Alle preisen seinen Namen.« Markgraf Friedrich I. in der Darstellung des Engelbert Wusterwitz, in: Peter Knüvener/Dirk Schumann (Hgg.), Die Mark Brandenburg unter den frühen Hohenzollern. Beiträge zu Geschichte, Kunst und Architektur im 15. Jahrhundert, Berlin 2015, S. 60 –73.

15 Clemens Bergstedt, Burggraf Friedrich VI. von Nürnberg als Verweser der Mark Brandenburg, in: Mario Müller/Georg Seiderer (Hgg.), Burggraf Friedrich VI. von Nürnberg und die Belehnung der Burggrafen von Nürnberg mit dem Kurfürstentum Brandenburg im Jahre 1417, Ansbach 2019, S. 69–115

16 Clemens Bergstedt, Die Quitzows im Bild der märkischen Geschichte, Berlin 2011, S. 17–21.

17 Jacob Paul Gundling, Leben und Thaten Des Durchlauchtigsten Fürsten und Herrn, Herrn Friderich des Ersten, Marggrafens zu Brandenburg, des Heil. Römischen Reiches Ertz-Kämmerers und Burggrafens zu Nürnberg. Welcher um ersten Die Chur- und Marck-Brandenburg Anno 1415 nunmehro vor drey hundert Jahren auf das jetzo Glorwürdige Königliche Hauß gebracht, Halle 1715, S. 37– 47. Der Text nach Peter Hafftitz ist ediert bei Ribbe, Quellen und Historiographie (wie Anm. 12).

18 Samuel Buchholtz, Versuch einer Geschichte der Churmarck Brandenburg von der ersten Erscheinung der deutschen Sennonen an auf die jetzigen Zeiten. Zweyter Theil: Mittlere Geschichte, Berlin 1765, S. 563–580. Zur Faulen Grete, S. 576.

19 Georg Wilhelm von Raumer (Hg.), Codex diplomaticus Brandenburgensis continuatus. Sammlung ungedruckter Urkunden zur Brandenburgischen Geschichte, Erster Theil, Berlin/Stettin/Elbing 1831, S. 35 – 42.

20 Adolph Friedrich Riedel, Zehn Jahre aus der Geschichte der Ahnherren des preußischen Königshauses. Das Aufsteigen des Burggrafen Friedrich VI. von Nürnberg zur kurfürstlichen Würde und zur Reichsstatthalterschaft in Deutschland, Berlin 1851. Siehe auch Bergstedt, Die Quitzows im Bild (wie Anm. 16), S. 22 f.; Felix Engel, Adolph Friedrich Riedel. Historiograph der brandenburgischen Geschichte oder Historiograph der Hohenzollern?, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 64 (2013), S. 59–84, hier S. 68 f. u. 72–74.

21 Fontane, Fünf Schlösser (wie Anm. 10), S. 76 –88.

22 So das Urteil von Wolfgang Ribbe, Zeitverständnis und Geschichtsschreibung bei Theodor Fontane, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 20 (1969), S. 58–70, hier S. 62.

23 Zum Beispiel Julius Heidemann, Die Mark Brandenburg unter Jobst von Mähren, Berlin 1881, S. 249 f.: »Die Einnahme von Plaue beendete für die Mark nicht nur die traurige Zeit des Markgrafen Jobst, sondern auch das Jahrhundert politischer Ohnmacht, welches der Tod Waldemars eingeleitet hatte. Der Burggraf Friedrich nahm jetzt die von den Anhaltinern in der Mark begonnene Kulturarbeit wieder auf, und eine lange Reihe hohenzollernscher Regenten setzte sie mit einem Erfolge fort, den wir heute mit freudigem Staunen überblicken. Das Landesgebiet zwischen Elbe und Oder, welches politisch gänzlich zerrüttet und materiell verkommen dem Burggrafen zufiel, ist unter der Pflege seiner kurfürstlichen und königlichen Nachfolger zum Mittelpunkte eines grossen und selbständigen Staatswesens und jetzt des neuerstandenen deutschen Reiches geworden.«

24 Karl Friedrich Klöden, Die Mark Brandenburg unter Kaiser Karl IV. bis zu ihrem ersten Hohenzollernschen Regenten oder: Die Quitzows und ihre Zeit, 4 Teile, Berlin 1836/37.

25 Bergstedt, Die Quitzows im Bild (wie Anm. 16), S. 28–30.

26 Ebd., S. 30 –39 u. 64 – 68; Ders., Die »Quitzows« in Geschichtsschreibung und Literatur, in: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 2012, S. 229–258.

27 Klöden, Die Quitzows und ihre Zeit, Teil 3 (wie Anm. 24), S. 110.

28 Bergstedt, Die Quitzows im Bild (wie Anm. 16), S. 40 – 44.

29 Ebd., S. 9–11 u. 56 –59.

30 Ebd., S. 47–53; Ders., Hohenzollernkult im Kaiserreich. Zur Verehrung Kurfürst Friedrichs I. in der Stadt Brandenburg an der Havel, in: Rüdiger von Schnurbein (Hg.): Altlust. 1000 Jahre Nachnutzung im Dom zu Brandenburg, Berlin 2017, S. 98– 102.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 Staatliches Museum Schwerin, G 892.

Abb. 2 Richard Sternfeld, Die Hohenzollern in Wort und Bild, Berlin 1899, S. 56.

Abb. 3 Illustrirte Zeitung (Leipzig), Bd. 92/1 vom 30. März 1889, S. 310 f.

Abb. 4 Bilder deutscher Geschichte, 1936 - http://digital.slub-dresden.de/id1774660857.

Abb. 5 Ansichtskarte, um 1900.

 

Der Beitrag erschien in:

Asche, Matthias / Czech, Vinzenz / Göse, Frank / Neitmann, Klaus (Hrsg.): Brandenburgische Erinnerungsorte - Erinnerungsorte in Brandenburg. Band 1 (= Einzelveröffentlichungen der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V., Band 24). Berlin 2021, S. 75-84.


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