Rüdersdorf (Landkreis Märkisch-Oderland) - mittelalterliche Wüstung Altena
Thomas Kersting
Im Jahre 1934 waren auf der Trasse der Reichsautobahn bei Rüdersdorf mehrere dunkel verfüllte Gruben dokumentiert worden, die Steine und Keramik enthielten. Schon eine Notiz aus dem Jahr 1886 weist auf das Vorhandensein von mittelalterlichen Siedlungsresten auf freiem Feld hin; unter anderem soll damals noch ein Brunnen sichtbar gewesen sein. Trotz genauer Kilometerangabe in den Akten war die Stelle jedoch wegen einer zwischenzeitlich erfolgten Änderung der Kilometermarkierung erst nach einer Streckenprospektion im Sommer 1994 erneut zu lokalisieren. Voruntersuchungen im Sommer und Winter 1995 in einem etwa 500 m langen geplanten Parkplatzareal konnten die Fundstelle auf der Ostseite des Berliner Ringes A 10 eingrenzen. Dies führte im Frühling und Sommer 1996 zur abschließenden Flächengrabung (Abb. 1) (Kersting, Wüstung Altena, 2001).
Topographie
Die Autobahn durchquert in diesem Abschnitt den großflächigen Rüdersdorfer Staatsforst und überwindet unmittelbar südlich des geplanten Parkplatzes den Absatz vom Berliner Urstromtal zur Hochfläche des Barnim, einer Grundmoränenplatte im Nordosten Berlins. Diese zeichnet sich - auch im engeren Umkreis des Fundplatzes - durch wellig-flachhügelige Lehm- und Sandplatten mit überwiegend schweren, lehmigen Böden aus. Eine Gliederung erfolgt durch nach Süden ins Urstromtal entwässernde Rinnentäler - wie hier unweit westlich in Form einer Seenkette (Rüdersdorfer Kalksee). Von Bedeutung ist der Umstand, dass sich nur ca. 2 km nordöstlich (Alt-)Rüdersdorf mit seinen Muschelkalk-Steinbrüchen befindet; diese beuten den einzigen an die Oberfläche tretenden Gesteinsrücken im seit der Eiszeit mit Sand und Lehm bedeckten Brandenburg aus (Schultze 1955, 155f.; Krenzlin 1979, 1-41).
Die lokale Topographie ist gekennzeichnet von einer im Süden gelegenen markanten Geländekuppe, welche die Autobahn durchschneidet. Hier konnten bei den archäologischen Untersuchungen Reste von spätbronzezeitlicher bis eisenzeitlicher Besiedlung beziehungsweise von einem Bestattungsplatz nachgewiesen werden. Durch spätere landwirtschaftliche Nutzung des Areals wurden die urgeschichtlichen Befunde hier allerdings weitestgehend zerstört.
Die Grabungsfläche befindet sich am nördlichen Ende des Planungsareals am Hangfuß auf einer terrassenähnlichen Ebene zwischen zwei offenen Entwässerungsgräben. Ein weiterer verfüllter Graben wurde auf der Fläche angetroffen.
Befundlage
Auf der 80 mal 30 Meter großen Grabungsfläche (Abb. 2) konnten zahlreiche Befunde dokumentiert werden: 62 Befundnummern, die zum Teil in mehrere Einzelbefunde zerfallen. Ihre Verteilung lässt vermuten, dass der Bereich ihrer Konzentration im Wesentlichen erfasst werden konnte. Unter der Autobahn selbst wären nach der Dokumentation aus den 1930er Jahren etwa sechs weitere Befunde zu ergänzen.
Aufgrund des überwiegend geringen Durchmessers (0,3 bis maximal 1,0 Meter), auch wegen einiger zum Teil aufwendiger Steinverkeilungen lassen sich die meisten als Pfostengruben ansprechen. Ihre Tiefe reicht von wenigen Zentimetern bis zu 0,8 Meter. Sie lassen sich allerdings nicht zu erkennbaren konstruktiven Einheiten zusammenfassen. Immerhin scheinen sie sich andeutungsweise im zentralen Bereich der Streuung zu konzentrieren, so dass hier mit dem Vorhandensein von überdachten Arealen zu rechnen ist. Typischerweise enthielt diese Befundgruppe nur relativ wenig Fundmaterial.
Mehr oder weniger peripher um diese Zone herum gruppieren sich Grubenbefunde, die in Form und Abmessungen recht einheitlich erscheinen. Es handelt sich um große, runde Gruben von bis zu 2,0 Meter Durchmesser und ca. 1,0 Meter Tiefe, die tief in den anstehenden zähen Lehm reichen. Ihre senkrechten Wände greifen meist im unteren Teil weiter aus, besitzen also den größten Durchmesser kurz oberhalb der - meist ebenen - Sohle. Regelmäßig sind sie dunkelbraungrau bis schwarz verfüllt. Sie werden wegen ihrer Form und des Untergrundes sicherlich als Lehmentnahmegruben gedient haben, die dann später mit Abfall verfüllt wurden. In diesen Gruben fand sich denn auch die Masse der Funde.
Von diesen zu differenzieren sind ähnlich verbreitete, aber im Planum rechteckig gestaltete Gruben, deren ebenfalls steile, mitunter senkrechte Wände im Profil zum Teil abgestuft erscheinen, und in einem Falle auch eine Pfostenspur aufweisen. So lässt sich vermuten, dass sie - trotz ihrer geringen Ausmaße - zeitweise begehbar waren. Eine spezielle Zweckbestimmung ist für Gruben mit dicht benachbarten Pfostenspuren und/oder Steinversturz in der Füllung zu vermuten, zumal wenn gebrannter Lehm hinzutritt. Dieser kann von einer Ofenanlage stammen, ohne dass man die in Frage kommenden beiden Befunde selbst als Öfen ansprechen könnte. Ein schmales, im Bogen verlaufendes Gräbchen, im Profil nur flach U-förmig erhalten, mag wohl als Rest eines eingefriedeten Areals zu interpretieren sein, innerhalb dessen weitere Befunde fehlen. Abgesetzt im Norden finden sich zwei größere Verfärbungen (Durchmesser bis ca. 7,0 Meter, eine davon vom Entwässerungsgraben gestört), die nur wenige Zentimeter stark erhalten waren, und deren starker Holzkohlenanteil auf eine Nutzung im Zusammenhang mit Feuer deutet. Von zwei großflächigen Befunden am Nordostrand der Fläche entpuppte sich der nördliche als eine größere Senke, die mit Kolluvium zugeschwemmt war. Die andere, etwa 12 Meter lange Verfärbung ließ sich bei der Untersuchung in einen mehrphasigen Komplex aus vier aufeinander folgenden Erdeingriffen untergliedern, dessen erster ein durchaus regelmäßiger, rechteckiger Erdkeller mit senkrechten Wänden und ebener Sohle war. Mit 1,0 x 2,0 Meter Fläche und ca. 1,0 Meter Tiefe ist er allerdings als recht klein zu bezeichnen.
Fundmaterial
Zahlreiches Fundmaterial - in erster Linie eine große Menge Keramik - ermöglicht eine Datierung ins „deutsche“ Hoch- bzw. Spätmittelalter. Es handelt sich fast ausschließlich - mit ca. 98 % der insgesamt knapp 3000 Keramikscherben - um Überreste harter Grauware beziehungsweise von Kugeltopfware, auch blaugraue Ware genannt; die Fragmente sind weit überwiegend von geringer Wandstärke und klingend hart gebrannt. Praktisch alle geborgenen Randstücke und Fragmente von Halspartien gehören zu Gefäßen mit ausgeprägten Halszonen, die meistens mit umlaufenden Riefen verziert sind. Die Ränder sind durchweg von einfacher Ausführung: Es handelt sich um Lippenränder mit wenigen Varianten, darunter auch schwach ausgeprägten Deckelrasten. Nur die Ränder und Halspartien sind beurteilbar; die sicher mit der Zeit auch Wandlungen unterworfenen Gefäßproportionen entziehen sich einer Ansprache, da vollständige Gefäße fehlen beziehungsweise nicht rekonstruiert wurden (Abb. 3). Ein Datierungsspielraum vom 13. bis zum beginnenden 15. Jahrhundert steht fest, zumal frühe Formen der Kugeltopfkeramik und später auftretende Warenarten - zumindest im freigelegten Ausschnitt - fehlen (vgl. Kirsch 1994, 33ff.; Mangelsdorf 1994, 58ff.).
Ganz vereinzelt sind bandförmige Henkel und Ausgusstüllen vorhanden, wobei unter letzteren ein röhrenförmiges Exemplar hervorzuheben ist. Diese Stücke passen in den genannten Zeitraum und zum allerdings spärlichen Formenspektrum der Kugeltopfkeramik. Es fehlen jedoch andererseits gänzlich Formen wie Dreiknubbenkannen oder Grapen, die durchaus erwartet werden könnten.
Verschwindend gering ist daher auch die Anzahl von Standböden; bezeichnenderweise treten sie bei zwei faststeinzeugartigen Gefäßfragmenten einer Machart ähnlich der bekannten Siegburger Ware auf (Abb. 3). Da beide aber flache, von der Töpferscheibe mittels einer Drahtschlinge abgetrennte Böden besitzen, deren Ränder als wellenförmig gekniffene Standringe ausgestaltet wurden, sind sie zur sächsischen Waldenburger Ware zu rechnen. Diese stellte eine weitgehend perfekte ostdeutsche Imitation der Siegburger Keramik dar (Kirsch 1994, 70).
Ein Fuß eines Pokalgefäßes (eventuell handelt es sich aber auch um ein Deckelfragment) aus blaugrauer Ware gehört ebenfalls hierher, es trägt auf der flachen Seite ebenfalls Spuren der Drahtschlinge (Abb. 3).
Verzierung tritt auf den Gefäßen - abgesehen von der fast durchgängig vorhandenen Halsriefung - nur ausnahmsweise auf, und auch dann nur auf kleinsten Fragmenten. So sind mehrere verschiedene Rollstempelabdrücke (quadratisch, dreieckig, rautenförmig) belegt, die auch mit der Waldenburger Ware in Verbindung gebracht werden (Abb. 3) (Kirsch 1994, 76f.).
Von Interesse ist ein kleines Fragment einer ziegelroten Ware, welches auf der glasierten Schauseite plastischen Schmuck in Form so genannter Brombeernoppen trägt. Das Stück ist hier ein Unikat, belegt aber gleichwohl das Vorhandensein früher glasierter Irdenware, wie es sonst aus städtischem oder klösterlichem Umfeld bekannt ist - Spandau, Köpenick, Freyenstein, Berlin, Kloster Seehausen. (vgl. Kirsch 1994, 59ff. Abb. 39) Immerhin ist mit den stempel- und noppenverzierten Fragmenten sowie den Waldenburger Behältnissen - doch wohl Krügen - ein gewisser Anteil an gehobenem Tafelgeschirr fassbar.
Nur vereinzelte Keramikscherben typisch spätslawischer Prägung mit Gurtfurchenverzierung (Abb. 3) reichen allerdings wohl kaum aus, um für diesen Platz eine slawische Vorbesiedlung beziehungsweise einen entsprechenden Bevölkerungsanteil in der Siedlung zu belegen, zumal der Barnim erst mit der Ostsiedlung aufgesiedelt wurde; die slawische Besiedlung mied die Hochfläche (Hofmann 1992). Sie liefern also nicht mehr als ein Indiz für Kontakte zwischen der einheimischen Bevölkerung der Umgebung und den „Kolonisatoren“.
Weitere Fundgegenstände wie die in diversen Befunden angetroffenen flachen, planen Kalksteinplatten von etwa 10 bis 20 cm Durchmesser können ihre Herkunft aus dem nahe gelegenen Rüdersdorfer Kalksteinbrüchen nicht verleugnen. Ihre Funktion bleibt jedoch unklar. Anzeichen, dass an Ort und Stelle Kalk gebrannt wurde, gibt es jedenfalls nicht. Dagegen bezeugen zwei Ofensauen - Schlackerückstände - eine Metallverarbeitung am Ort, wenn auch der direkte Nachweis eines entsprechenden Ofens fehlt. Einige wenige Dachziegelfragmente in gebogener und flacher Form (Mönch-Nonne) weisen auf fest gedeckte Behausungen in der Nähe. Zwei kleine, völlig abgeschliffene Mahlsteinbruchstücke aus Basaltlava seien schließlich als Zeugnisse landwirtschaftlicher Tätigkeit erwähnt.
Funde aus Metall sind selten; die Eisenfunde decken aber, soweit in derzeit noch unrestauriertem Zustand erkennbar, die häufig anzutreffende Palette von Erzeugnissen aus dem Haus- und Hofbereich ab. Es fanden sich neben einigen Eisennägeln und mehreren Messer- und Sichelfragmenten auch Bruchstücke von Schlössern und Scharnieren auch Hufeisen und ein Gegenstand (Gewicht?) aus Blei.
Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist das Auftreten von Fundstücken gehobener Qualität in Form dreier Schnallen und eines Beschlages aus Buntmetall (wohl Bronze). Es handelt sich in allen drei Fällen um ringförmige Schnallenrahmen. Zwei bandförmige sind aus Blech ausgeschnitten, einer ist rundstabig. Letzterer gehört zur einzigen vollständig erhaltenen Schnalle, die durch einen flach-bandförmigen, spitzen Schnallendorn ergänzt wird (Abb. 4, 5). Sehr wahrscheinlich zugehörig scheint ein dabei gefundenes, etwa rechteckiges Bronzeblech mit zentraler Durchbohrung, welches als Beschlag auf dem Gürtelriemen vorstellbar ist (Abb. 4, 5). Ganz entsprechende Stücke sind aus mittelalterlichen Bestattungen der nicht weit entfernt gelegenen Kirche von Tasdorf (ebenfalls zu Rüdersdorf gehörig) bekannt geworden (Wittkopp 1997). Interessanterweise sind austauschbare Exemplare neuerdings in slawischem Fundzusammenhang aufgetreten, in Gollwitz im Havelland wurde ein gleichartiges Fundstück zusammen mit mittel- und spätslawischer Keramik aus einer Grube gefunden (Kersting, Versehen 2001).
Einer der bandförmigen Schnallenrahmen ist nur etwa zur Hälfte überliefert und einseitig mit zickzackförmig eingepunzten Linien verziert (Abb. 4, 5).
Der interessanteste Schnallenrahmen ist vollständig erhalten. Er besitzt eine Aussparung für den nicht mehr vorhandenen Dorn. In der oberen Hälfte trägt das Stück eine Inschrift aus gotischen Kapitalien, ähnlich einer Münzumschrift. Entziffern lassen sich ohne größere Schwierigkeit die Buchstaben „A N R V E S T“, wobei das S - wenn es sich bei dem schlaufenartigen Gebilde um ein solches handelt - liegend dargestellt ist (Abb. 4, 5). Wenn hieraus auch kein Sinngehalt zu rekonstruieren ist, ist doch nicht davon auszugehen, dass die Inschrift eventuell nur zur Hälfte erhalten sein könnte: auf dem unteren Teil sind keinerlei Reste auszumachen und die Oberfläche erscheint völlig gleichmäßig. Die Schnalle gehört zu einer umfangreichen Gruppe hochmittelalterlicher Schnallen, die als „Ave-Maria-Schnallen“ bezeichnet werden, worunter auch Schnallen mit abweichenden Inschriften subsumiert werden - auch die Inschrift „Amor vincit Omnia“ ist häufig belegt (Heindel 1990, 12f.). Vielleicht lässt sich aber in den Buchstaben auf unserem Stück ein Anklang an den „Englischen Gruß“ fassen (Heindel 1986, 65-79), besonders seine „4. Gruppe: abgekürzte, heute nicht mehr verständliche Legenden“, die der hier vorgelegten zum Teil recht nahekommen: A N R U A N und Varianten. Auch eine Deutung als „Mariae Vestis“, dem Ordensgewand in seiner Bedeutung als Bekleidung der Nonnen, kommt in Frage.
Bislang bietet nur ein Vergleichsstück südlich von Berlin exakt dieselbe Lesart, ein Oberflächenfund von der Wüstung Wierigsdorf bei Mittenwalde (Landkreis Dahme-Spreewald). (Fischer 1973).
Interessanterweise stammen zwei der Schnallen - nämlich die unvollständigen bandförmigen - zusammen aus dem als Erdkeller zu interpretierenden Befund am Rande der Grabungsfläche. Wenn auch eine mögliche Herstellung an Ort und Stelle nur spekulativ erwogen werden kann, finden sich doch immerhin eindeutige Hinweise auf Metallverarbeitung auf der Fläche anhand der erwähnten Ofensauen.
Die Verbreitung des Schnallentyps „rund um die Ostsee im skandinavischen, baltischen und westslawischen Bereich“ (Heindel 1986) dürfte durch die Überlieferung bedingt sein, wie bei anderen Buntmetallerzeugnissen der Zeit; ähnliches lässt sich für die Fundgruppe der so genannten „Hanseschalen“ verzeichnen. Sie gelangten nämlich aufgrund der dortigen Bestattungssitten noch in Gräber, als dies andernorts schon längst nicht mehr praktiziert wurde (U. Kersting 1997, 117). Die Zeitstellung im 12. bis 14. Jahrhundert ist auch aufgrund bildlicher Darstellungen gesichert; dabei legen Darstellungen und Lagebeobachtungen in Gräbern eine Trageweise der Schnallen vorwiegend auf der Brust - offenbar als Mantelverschluss - nahe (Heindel 1990, 13).
Die Träger derartiger Schnallen dürften allerdings eher in einem sozial gehobenen Milieu zu suchen sein, wie es entweder in adligem, städtischem oder eben klösterlichem Umfeld anzutreffen ist. Dies legen auch die wenigen Funde aus dem Land Brandenburg nahe, die trotz einer immensen Vielzahl von archäologischen Maßnahmen in mittelalterlichen Dorf- und Stadtkernen nicht gerade zum üblichen Fundspektrum gehören. Wobei längst nicht alles zutage gekommene Material derzeit zugänglich ist. Weitere Stücke gibt es zum Beispiel aus Gartz an der Oder, dem Verließ im Storchenturm (Brandenburgisches Landesmuseum) und passenderweise aus dem Kloster Seehausen (Jaitner/Kohn 1996, 66 f.).
Landesgeschichte
Im Ergebnis gelang hier die Freilegung eines kleinen Ausschnittes aus der Peripherie einer mittelalterlichen Ansiedlung, nämlich wohl eines im weitesten Sinne Ver- und Entsorgungszwecken dienenden Areals. Hinweise auf Materialgewinnung, Abfallentledigung, Produktions- und Speicherfunktionen wurden angetroffen. Der eigentliche Wohnbereich des später wüst gefallenen Dorfes wurde offensichtlich nicht erfasst, er liegt östlich außerhalb des Planungsareals - seine Nähe scheint sich in dem kleinen Erdkeller am Rande der Grabungsfläche anzudeuten. Diese letztlich unspektakulären Grabungsergebnisse im engeren Sinne gewinnen jedoch an Bedeutung angesichts des Umstandes, dass trotz Verursacherprinzip und großflächigen Erschließungsmaßnahmen Einblicke in die Struktur mittelalterlicher Wüstungen in der Mark Brandenburg bisher nur punktuell gelangen, von moderner Aufarbeitung und Publikation nicht zu reden. An umfangreicheren Wüstungsgrabungen - abgesehen von den anders zu beurteilenden Dorfkernuntersuchungen im Braunkohlegebiet oder der Stadtwüstung Freyenstein (Plate 1989) - sind zu nennen: Göritz bei Rädel (Mangelsdorf 2003), Miltendorf bei Reetz (Warnke 1995), Berlin-Düppel (v. Müller 1991); in jüngerer Zeit wurde Damsdorf bei Ludwigsfelde in großen Teilen untersucht (Kersting, Wüstung Damsdorf 2001).
Darüber hinaus erscheinen die hier gewonnenen Einblicke vor einem lokal- und regionalhistorischen Hintergrund in besonderem Licht, ist die Wüstung doch namentlich aus Urkunden bekannt. Sie gehört zu den zahlreichen Lokalitäten der Mark Brandenburg, die (erst spät) im Landbuch Kaiser Karls IV. von 1375 Erwähnung finden, und wird dort Altena genannt. Einige Zeit später, im Jahre 1471, erscheint sie - offensichtlich slawisiert in Angleichung an slawische Ortsnamen - als Altenow (Enders/Beck 1980, 6f.).
Der Ort befand sich im Besitz des Zisterzienserklosters Zinna im Lande Jüterbog, südlich von Berlin im Fläming. Dieser Ort war spätestens seit 1157 im Besitz des Magdeburger Erzbistums und das Kloster war 1170 von Erzbischof Wichmann gegründet worden. Damit zählt es zu den ältesten Klostergründungen der Mark; seine ersten Mönche waren aus Altenberg bei Köln gekommen. Der Erzbischof hatte die so genannten „weißen Mönche“ im Zuge der hochmittelalterlichen Ostsiedlung in die Mark gerufen, so wie es wenig später auch Albrecht der Bär als Begründer der askanischen Dynastie in der Mark Brandenburg anlässlich der Gründung von Kloster Lehnin tat.
Das Kloster war - abgesehen von Erwerbungen in seiner engeren Umgebung - in den Jahren um 1230 auf dem Barnim um Rüdersdorf zu umfangreichen Besitzungen gekommen, die ihm von den askanischen Markgrafen zugewiesen worden waren, um es an eben ihre Herrscherdynastie zu binden. In dieser Zeit setzt hier - ohne dass die historische Situation im Einzelnen aufgeklärt wäre - die deutsche Zuwanderung und Aufsiedlung ein, allem Anschein nach unter anderem in Trägerschaft der Zisterzienser, wie auch Ortsnamensparallelen zwischen dem Barnim und dem Jüterboger Land beziehungsweise Teltow zeigen (Brather 1996, 77ff.).
In Rüdersdorf - auch in diesem Ortsnamen selbst dokumentiert sich das Zinnaer Ausgreifen unter dem Abt Roderich - diente ein Klosterhof als Sitz des Zinnaer Vogtes, welcher von hier aus den Klosterbesitz auf dem Barnim verwaltete. Die Zisterziensermönche waren die ersten, die die nachmals auch geologisch berühmt gewordenen Rüdersdorfer Kalksteinlager im Tagebau nutzten und den Kalkstein als Baumaterial brechen ließen. Aus dem dabei erzielten Erlös soll vielleicht sogar die Errichtung von Klosterkirche und -gebäuden in Zinna vorangetrieben worden sein. Zinna war eine der wenigen Zisterzen in Ostelbien, die über reiche Bodenschätze verfügte und sie auch ausbeutete (vgl. Schich 1980; Schmidt 1996, 84ff.).
Bereits um 1471 wird Altena allerdings als wüst bezeichnet. Zwei Erwähnungen 1446 und 1454 lassen schon Zweifel daran, ob das Dorf noch besetzt war; diverse Einwohner aus Rüdersdorf haben nun Besitz an der Altenaer Feldmark. In einer Flurkarte von 1724 ist sie als blockförmiger Rest einer alten, planmäßig angelegten Hufengewannflur innerhalb der späteren Langstreifenflureinteilung noch gut zu erkennen (in einer Kopie von 1767 überliefert im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin-Dahlem: Bliss 1981, 161, Nr. 553-554). Brachflächen innerhalb des Blockes scheinen noch die alte Bebauung einschließlich der Kirche sowie den Dorfteich zu markieren (Abb. 6, 7). (Krenzlin 1952, Abb. 8).
Eine Projizierung des heutigen Autobahnverlaufes mit dem Rastplatz in die Karte lässt erkennen, dass die Trasse die Feldflur der Wüstung im westlichen Teil schneidet - das Zentrum liegt wohl weitgehend ungestört noch unter den heute aufgegebenen Ackerflächen.
Eine Beziehung des Ortes zu einem unweit vorbeiziehenden alten Handelsweg kann hier abschließend nur als Möglichkeit angedeutet werden. Eine „via vetus“ wird 1247 in einer Urkunde des Zinnaer Klosters genannt. Sie verbindet im Mittelalter den Berliner, genauer den Köpenicker Raum mit der Oder, die sie bei Wriezen erreicht, und stellt damit letztlich eine Fernverbindung mit der Ostsee sowie nach Pommern her (Herrmann 1989, 33). (Abb. 8) Ein Niederschlag dieses Handels- und Verkehrsweges könnte vielleicht auch in Form der hier gefundenen, etwas deplaziert wirkenden Bronzeschnallen zu sehen sein.
Dass der Name, der so wie hier oder auch als „Altona“, in mehreren weiteren Belegen sowohl in Brandenburg (bei Chorin und Fürstenwalde) als auch in Nord- und Westdeutschland existiert, einen Hinweis auf die Herkunft der deutschen Siedler erlaubt, ist nicht anzunehmen. Vielmehr wird die rekonstruierte mittelniederdeutsche Grundform *Altona mit der Bedeutung „allzunahe“ unterlegt. Somit hätte die unmittelbare Nachbarschaft zum bereits 1308 genannten und sicher älteren Hauptort Rüdersdorf hier Pate gestanden, wobei in der Betonung „zu großer Nähe“ allerdings das Scheitern der Gründung bereits vorweggenommen wäre. Interessant ist immerhin der Hinweis, dass der Name auch als alter Wirtshausname belegt ist, der „dem sozialen Bereich der Fuhrleute angehört“ (Schlimpert 1984, 93f.). Damit wäre der Bezug auf die Fernverkehrsstraße noch einmal deutlich unterstrichen.
Das Scheitern der Dorfgründung mag konkret auf eine gewisse Ungunst der Platzwahl zu Siedlungszwecken zurückzuführen sein. Die beiden noch offenen, rezenten Gräben sowie der in der Grabungsfläche angetroffene verfüllte Graben weisen alle parallel nach Südwesten zur Hangkante des eingangs erwähnten, eingeschnittenen Rinnentals und dienten offensichtlich der Entwässerung des plateauähnlichen Areals. Wie bei der Voruntersuchung im Winter selbst erlebt, neigt die im Untergrund lehmige Fläche zu Staunässe, die nach Auskünften von Anwohnern noch vor wenigen Jahrzehnten zu teichartigen Wiesenüberschwemmungen führte.
Unweit nördlich der Ausgrabungsfläche von 1996 schieben sich mittlerweile schon die Rüdersdorfer Neubaugebiete in bedrohliche Nähe zur Wüstung Altena, der im benachbarten Ortsteil Hortwinkel mit einem entsprechenden Straßennamen - allerdings als „Altonaer“ Straße - Rechnung getragen wird. Möglicherweise führt also die damals wie heute verkehrstechnisch beziehungsweise infrastrukturell bevorzugte Lage der Siedlung - sozusagen mit Anschluss an das „Fernstraßennetz“ - eines Tages zur Zerstörung ihrer unterirdischen Reste; dann hoffentlich wiederum im Rahmen einer großflächigen Plangrabung.
Literatur
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Abbildungsnachweis
Abb. 1 Gemeinfrei.
Abb. 2-5 Th. Kesting.
Abb. 6, 7 BLDAM.
Abb. 8 Herrmann 1989.
Empfohlene Zitierweise
Kersting, Thomas: Rüdersdorf (Landkreis Märkisch-Oderland) - mittelalterliche Wüstung Altena, publiziert am 27.03.2024; in: Historisches Lexikon Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)
Kategorien
Epochen: Zeit der Askanier - Spätes Mittelalter
Themen: Archäologie und Siedlung