Ludwigsfelde (Landkreis Teltow-Fläming) - Außenlager des KZ-Ravensbrück

Thomas Kersting, Matthias Antkowiak

Historische Einführung

Im Jahr 1936 wurde das Großmotorenwerk der Daimler-Benz AG in der Genshagener Heide bei Ludwigsfelde errichtet (heute auf Ludwigsfelder Gemarkung). In enger Zusammenarbeit mit dem Reichsluftfahrtministerium (RLM) wurden hier Flugzeugmotoren hergestellt, um die neu zu schaffende Luftwaffe aufzubauen. Im Verlauf des Krieges zwischen 1939 und 1945 war Genshagen einer der bedeutendsten Standorte der Luftrüstungsindustrie mit einer Gesamtfläche von 375 Hektar. Ab 1940 wurden hier bereits Kriegsgefangene und zahlreiche andere Deportierte aus ganz Europa zwangseingesetzt, 1944 dann zusätzlich etwa 1.100 Frauen aus dem Konzentrationslager Ravensbrück.

Die weiblichen KZ-Häftlinge waren in einem Barackenlager, dem sogenannten Bahnhofslager in Ludwigsfelde und ab November 1944 im Keller der größten Produktionshalle des Werkes (der „Deutschlandhalle“) untergebracht (Abb. 1). Hier lebten 500 Frauen in isolierten Gruppen von zehn bis dreißig Personen in kleinen, abgeteilten Kellerräumen, die sich unter der Ostseite der Halle befanden und von SS-Aufseherinnen und Wachmannschaften aus Ravensbrück und Sachsenhausen bewacht wurden. Die Frauen, die in bis zu 48-Stunden-Schichten arbeiten mussten, konnten das Gebäude in den meisten Fällen nicht verlassen. Das Gelände um die Halle war darüber hinaus mit einem doppelten, elektrisch geladenen Stacheldrahtzaun umgeben.

Die genaue Lage und Ausdehnung des Untergeschosses der Halle, die nach 1945 demontiert und weitgehend abgerissen wurde, war zunächst unklar. Zu DDR-Zeiten diente die Freifläche als Stellplatz für die hier produzierten „W-50“, die bekannteste LKW-Marke des Landes. Nach der Wende wurde darüber hinaus die komplette Bodenplatte des Bauwerks zurückgebaut, so dass sich der ehemalige Standort heute als ein teilweise bewaldetes Wiesengelände darstellt.

Die Berichte von Zeitzeuginnen lassen jedoch keinen Zweifel an der Existenz des Kellers, und eine von ihnen, Emilia Rykiel, hat sogar 1992 akribisch mit Lineal eine Lageskizze der Produktionshalle mit Eintragung der Arbeitsbereiche und ihres Arbeitsplatzes angefertigt. Sie zeigt, wenn auch unmaßstäblich, aber mit Beschriftung in Polnisch, auch die Lage des Kellers relativ genau, denn die „Treppe zu den Schlafräumen im Keller“ ist angegeben (Abb. 2).

Der gesamte Standort der Produktionshalle war dem Fachamt lange bekannt und als Fundplatz Ludwigsfelde Nr. 4 eingetragen. Als 2022 der am Ort zuständige Ehrenamtliche Beauftragte der Landesarchäologie, Andreas Heinze, Bohrungen und andere Eingriffe in dem Areal bemerkte und sofort dem Fachamt meldete, war dies Anlass, bei der Stadt nachzufragen, was dort vorgeht.

Wie sich herausstellte, war mittlerweile das Gebiet ohne Kenntnis der Fundplatz-Eintragung zur Entwicklung und zum Verkauf als Gewerbestandort vorgesehen worden, was die Eingriffe (Grundwassermessung, Altlastenermittlung) veranlasst hatte.

Das Fachamt konnte in längeren Gesprächen mit dem Entwickler des Standortes, der GESA (einer Gesellschaft des Bundes, zur Entwicklung und Sanierung von Altstandorten), gemeinsam mit der Unteren Denkmalschutzbehörde eine Sondage-Untersuchung durchsetzen, die auch der Planungssicherheit des künftigen Investors dienen sollte. Wie uns dabei erstmals bekannte wurde, existiert ein Plan der Anfang der 2000er Jahre vorgenommenen Oberflächen-Beräumung der Fundamentplatte der Deutschlandhalle, auf dem die angetroffenen und im Boden verbliebenen (riesig dimensionierten) Streifenfundamente und Kabelschächte eingetragen sind. Zum großen Erstaunen aller Beteiligten („einen Keller haben wir damals nicht gefunden“) findet sich dort ebenfalls, genau in dem nach der Skizze der Zeitzeugin zu vermutenden Bereich ein Vermerk „Keller, verschüttet“.

Arbeiten und Zielstellung

Im Rahmen der daraufhin unternommenen Prospektion wurde im Juni 2022 der Kellerbereich der heute nicht mehr vorhandenen Halle gesucht, gefunden und untersucht. Insgesamt wurden in der ersten Phase der Untersuchung sechs Suchschnitte angelegt, um den Keller, in dem die KZ-Zwangsarbeiterinnen untergebracht gewesen waren, wieder aufzufinden.

Nach der Freilegung von Versorgungskanälen, die innerhalb der Halle lagen, wurde am Ostrand des ehemaligen Gebäudes ein tiefer, mit Abrissschutt verfüllter Keller angeschnitten, der durch weitere Suchschnitte in seiner Gesamtausdehnung verfolgt wurde. An einer Stelle wurden der Kellerboden und die komplett erhaltenen Seitenwände freigelegt. Die Ausdehnung des Kellergeschosses lag bei 160 m Länge und 9 m Breite, die verfüllten Räume waren bis zu 2,60 m tief erhalten. Die Wände des Kellers wiesen noch den originalen Anstrich mit einer erhaltenen offiziellen Aufschrift („Rauchen verboten“ in Frakturschrift) auf (Abb. 3-5). In der Ostwand konnten regelmäßig angeordnete Ausstiegsschächte, die mit doppelten, gasdichten Klappen gesichert waren, lokalisiert werden, da es sich bei dem Keller bautechnisch um einen Luftschutzkeller handelte. Am Südende des Kellers lag ein Gebäudeanbau, in dem Waschräume, eine Küche sowie ein Treppenhaus untergebracht waren, das die Verbindung von Werkhalle und Kellergeschoss bildete. Auch diese Baustrukturen waren komplett mit Schutt verfüllt und wurden bisher nur im Planum untersucht.

Befunde und Fundmaterial als historische Quelle

Der einst in unterschiedliche Räume unterteilte Keller (Unterkunft der KZ-Häftlinge) sowie der angebaute Gebäudeteil (Waschgelegenheit für die Häftlinge und Essensausgabe) werden in Erinnerungsberichten Überlebender teilweise detailliert beschrieben. Die Erinnerungen beschränken sich dabei aber jeweils auf sehr kleine Ausschnitte der Räumlichkeiten, da die Zwangsarbeiterinnen in isolierten Gruppen untergebracht und an unterschiedlichen Arbeitsstationen eingesetzt waren. Eine Gesamtrekonstruktion der Verhältnisse kann also nur durch die Zusammenführung einer kompletten Bauuntersuchung und der Berichte der Zeitzeuginnen erfolgen. Auch besteht durchaus die Möglichkeit, dass einzelne Zwangsarbeiterinnen Graffiti oder Aufschriften an den Wänden der Keller hinterlassen haben, wie es aus anderen Zwangslagern bekannt ist (z.B. KZ-Sachsenhausen, Wohnbaracken; KZ-Ravensbrück, Schneidereigebäude). Die Erhaltung der Kellerwände mit Original-Anstrich bietet für die Auffindung solch persönlicher und historischer Zeugnisse jedenfalls beste Chancen.

Bereits in der ersten Phase der Untersuchung wurden Fundstücke aus der Produktion, aber auch persönliche Gegenstände der Zwangsarbeiterinnen geborgen, die die katastrophalen Lebensumstände der Frauen verdeutlichen. Zu nennen sind hier selbstgefertigte Teller aus Aluminiumblech, die überlebenswichtig waren, um die (sehr geringen) Essensrationen entgegennehmen zu können, die direkt an der Werkbank verzehrt werden mussten (Abb. 6, 7). Um sie herzustellen bog man runde, am Rand mit Bohrungen versehene Abdeckbleche am Rand mehr oder weniger stark um, um tiefere und flachere Teller zu erhalten. Einer ist auf der Rückseite sogar liebevoll bemalt – mit blauer Farbe und weißen Tupfen (Abb. 8). Solche persönlichen, im Geheimen aus Produktionsresten hergestellten Gegenstände vergegenwärtigen schlaglichtartig die Situation der KZ-Insassinnen und stellen eine direkte Verbindung zu den Einzelschicksalen her. Solche unter Bedingungen von Mangel und Terror adaptierten, zweckentfremdeten und heimlich umgenutzten Materialien sind ein typisches Kennzeichen der Archäologie der NS-Lager - auch und gerade mit dem Aspekt einer „Verschönerung“ der Lebensumstände.

Oftmals tragen solche Gegenstände auch die Namen oder Häftlingsnummern der Besitzerinnen und können über entsprechende Überstellungslisten Personen zugeordnet werden. Daher sind solche Relikte, wie auch die Überreste der Lager selbst, nicht nur historische, durch archäologische Methoden gewonnene Quellen und Dokumente, sondern auch Nachweis für konkret an einem Ort inhaftierte Menschen. Und nicht zuletzt sind es Beweisstücke für die Verbrechen der angeblich so unpolitischen Manager der Wirtschafts- und Industriebetriebe und ihrer Angestellten.

Erhaltung und Nutzung?

Eigentlich waren weitere Untersuchungen des Kellers noch in 2022 geplant, doch nach dem nun auf einmal greifbar und dingfest gewordenen Bodendenkmal im Untergrund des Investitionsobjektes nahmen die Stadt und die Planer davon Abstand. Man wollte wohl nicht noch mehr Geld an diesem problembehafteten „Altstandort“ aufwenden - dessen Altlasten nun von ganz anderer Qualität waren als erwartet.

Zum Nachweis des Bodendenkmals und seiner exzellenten Erhaltung bedurfte es auch keiner weiteren Untersuchung. Bei einem kompletten Konzentrations-Außenlager, unterirdisch aus Beton bestens und komplett erhalten, ist der sonst häufige „Sekundär-Erhalt durch Ausgrabung“, d.h. die kontrollierte und dokumentierte teilweise Wegnahme des Bodendenkmals auch kein sinnvoller Weg. Einerseits natürlich wegen der Massivität der Ausführung in Stahlbeton, vor allem aber auch wegen der landesgeschichtlichen Bedeutung einerseits und der emotionalen Qualität eines solchen originalen Ortes andererseits, der mit Terror und Leid, mit menschlichen Schicksalen förmlich aufgeladen ist.

Der Bodendenkmalbereich der gesamten ehemaligen „Deutschlandhalle“ mitsamt dem Keller ist nun im Bebauungsplan übernommen, eingeteilt in einen Sekundärschutzbereich (unterirdische, lediglich konstruktive Reste der Produktionshalle), wo nach Dokumentation die baulichen Reste entfernt werden könnten, und einen Primärschutzbereich (der Keller als KZ-Außenlager, wo die Häftlinge leben mussten), der vollumfänglich erhalten werden muss, und noch großes Erkenntnispotential bietet.

Neben dem Denkmalschutz müsste an diesem Platz zukünftig eine Nutzung als „untertägiger Gedenkort“ ins Auge gefast werden; als ehemaliges Außenlager des KZ Ravensbrück würde es sich hier anbieten, die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten / Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück zu beteiligen.  Dies muss einer Nutzung als Gewerbestandort im Erd- und Obergeschoss gar nicht im Wege stehen. Vielleicht findet sich ja ein verantwortungs- und geschichtsbewusster Investor (warum nicht Mercedes-Benz selber?), der sich den Anforderungen dieses herausragenden deutschen Wirtschafts- und Industriestandortes mit seiner leider typischen Geschichte zu stellen weiß.

Literatur

Bauer, Helmuth Julius: Innere Bilder wird man nicht los. Die Frauen im KZ-Außenlager Daimler-Benz Genshagen. Berlin 2011.

Haubold-Stolle, Juliane / Kersting, Thomas / Theune, Claudia u.a. (Hrsg.): Ausgeschlossen - Archäologie der NS-Zwangslager. Ausstellung Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit Berlin Schönweide / Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, Berlin 2020.

Jegielka, Stephan: Das KZ-Außenlager Genshagen. Struktur und Wahrnehmung der Zwangsarbeit in einem Rüstungsbetrieb 1944/1945. Marburg 2005.

Kersting, Thomas: Lagerland – Archäologie der Zwangslager des 20. Jahrhunderts in Brandenburg. Eine Einführung. Berlin 2022.

Strebel, Bernhard: Das KZ Ravensbrück, Geschichte eines Lagerkomplexes. Paderborn 2003.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 Hist. Luftbild.

Abb. 2 Bauer 2011.

Abb. 3-8 M. Antkowiak.

Empfohlene Zitierweise

Kersting, Thomas / Antkowiak, Matthias: Ludwigsfelde (Landkreis Teltow-Fläming) - Außenlager des KZ-Ravensbrück, publiziert am 10.10.2023; in: Historisches Lexikon Brandenburgs, URL: <http://www.brandenburgikon.de/ (TT.MM.JJJJ)

 

Kategorien

Epochen: Preußische Provinz - Land Brandenburg

Themen: Herrschaft und Verwaltung - Archäologie und Siedlung - Wirtschaft


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