Potsdam - Glasproduktion am Hakendamm
Thomas Kersting
Baggerarbeiten bei der Nuthebrücke im Zuge der Bauarbeiten an der Friedrich-Engels-Straße hatten bei der Verlegung einer Regenwasserleitung Holzpfähle und Balken zutage gefördert. Um den Fortgang der Arbeiten nicht etwa durch Eingreifen der Denkmalschutzbehörde bremsen zu lassen – immerhin waren die Erdarbeiten anhand einer denkmalrechtlichen Erlaubnis mit den entsprechenden Auflagen versehen worden – wollte der Baggerführer seine Funde gerade sorgfältig mit einigen Schaufeln Sand überdecken. Zum Glück fiel dies einem interessierten Bürger aus dem nahegelegenen Güterfelde auf, Herrn Peter Ernst, der zufällig zugegen war, und der sogleich den Baggerführer auf seine Pflichten hinwies. Sicherheitshalber verständigte er dann jedoch selber das Fachamt; auf die Meldung des Baggerführers hätte man dort jedenfalls vergeblich gewartet.
Bei einer Kontrolle der Baustelle durch Mitarbeiter der Landesarchäologie am nächsten Tag konnten, abgesehen von den bereits herausgezogenen Hölzern, im Planum des Grabens für die Regenwasserleitung noch intakte senkrecht im Boden steckende Holzkonstruktionen festgestellt werden. Anhand der Profile war zu erkennen, dass sie sich unter einer meterdicken Sandaufschüttung befunden hatten. Besonders auffällig aber waren die im Sand in Mengen enthaltenen Glasfragmente, die sich unter der Kelle sogleich klirrend bemerkbar machten.
Meistens kleinteilig zerscherbt, waren sie in vielen Farben vorhanden; von grün über blau und blauweiß bis weiß, auch in blaurot-marmoriert, sowohl durchsichtig als auch opak. Sie stammen offensichtlich zum Teil von repräsentativen Tafelgläsern, Pokalen und Flaschen, wie Bruchstücke von angarnierten Henkeln, Füßen, Stielen, aber auch Zubehör wie Stopfen beweisen. An vielen Stücken ließ sich erkennen, dass sie sekundär oder bei der Herstellung angeschmolzen waren, und deswegen vielleicht als Ausschuss zu betrachten sind, der weggeworfen wurde. Daneben fanden sich auch Tiegel- oder Ofenwandungsfragmente aus hellem, dichtem keramischen Material, die mit anhaftendem, angeschmolzenem Glas regelrecht überzogen sind. An weiteren Funden war frühneuzeitliche glasierte und malhornverzierte Irdenware vorhanden.
Es folgte eine reguläre Dokumentation der Befundsituation und Bergung der Funde in Verantwortung des Veranlassers der Erdeingriffe durch die Mitarbeiter der Fachfirma „Archäologie Manufaktur“.
Unter dem Fundmaterial besonders hervorzuheben sind zwei runde, dunkelblaue, sogenannte Glasmarken (Durchmesser etwa vier Zentimeter, Abb. 1, 2), die offensichtlich zu Flaschen gehörten, auf deren Schultern sie angebracht waren. Das Flaschenglas selber scheint farblos gewesen zu sein. Die eine der beiden Potsdamer Marken ist noch gut erhalten, die andere erscheint irisierend korrodiert, d.h. ihre Oberfläche hat begonnen, sich abblätternd zu zersetzen. Bei näherem Hinsehen erkennt man, dass beide je eine fünfzackige Krone tragen, darunter befindet sich ein Monogramm. Es lassen sich im Streiflicht und als Abreibung auf Papier schwach, aber noch deutlich genug die ineinander verschränkten Buchstaben „F“ und „W“ erkennen. Offenbar ist die Prägung nach dem Einstempeln in die (zu) weiche Glasmasse noch weiter auseinandergeflossen bzw. angeschmolzen, was die Deutung als Produktionsabfall oder -ausschuss unterstützt.
In einfacher „flaschengrüner“ Ausführung dienten ähnliche Marken der Identifizierung und Vereinheitlichung der damals gängigen Flaschen für Wein, Branntwein und Bier. Es hatten sich nämlich im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts Klagen über zu kleine „Quart-Bouteillen“ (ein Berliner Quart 1722 bis 1816 ca. 1,17 Liter) gehäuft, so dass per königlicher Order von 1728 an die bislang kaum zu unterscheidenden Flaschen der zahlreichen Manufakturen mit „einem von Sr. Königl. Majestät allergnädigst beliebten Zeichen marquieret“ wurden, um nur noch „richtig egale Bouteillen ... (zu) verfertigen“.
Die hier vorliegenden Marken sind jedoch keine derartigen Garantiesiegel, sondern müssen aufgrund der blauen Farbe, dem anhaftenden Kristallglas und der Größe zu Kennzeichnung von Glasgefäßen der königlichen Tafel anfertigt worden sein.
Nach Ausweis historischer Karten (Suchodoletz 1683) war die Nutheniederung zu dieser Zeit noch eine Sumpflandschaft, die über den sog. Haken-Damm überwunden werden konnte (Abb. 3). Das würde die massiven Sandaufschüttungen erklären. Die im Boden steckenden Holzpfähle könnten dann zu einem älteren Holzsteg gehören, der über den Sumpf gelegt worden war. Auf diesem Gelände befand sich südlich gegenüber der Stadt zwischen Havel und der Nuthe eine Art frühneuzeitliches Gewerbegebiet, u.a. sind auf Karten von 1683 und 1736 mehrere Mühlenstandorte verzeichnet, aber auch der Standort einer Glashütte.
Es handelt sich hierbei um die kurfürstliche, später königliche Glashütte bei Neuendorf, die als Ableger der Glashütte im benachbarten Drewitz gegründet worden war.
Der berühmteste Pächter dieser Werkstatt war seit 1679 Johann Kunckel, derselbe, der unter dem Großen Kurfürsten zum Leiter der Glashütte auf der Pfaueninsel (die ihm der Kurfürst geschenkt hatte) im Wannsee bestellt worden war. Er hatte als einziger in der Mark das Privileg, farbiges Glas zu produzieren, und experimentierte in bester alchimistischer Manier auch mit (Gold-)Rubinglas, wobei ihm 1689 die Werkstatt auf der Pfaueninsel abbrannte.
Mit Kristallgläsern dagegen hatte er in der Neuendorfer Werkstatt am Hakendamm großen wirtschaftlichen Erfolg. Nach dem Tod seines Gönners, des Großen Kurfürsten, und Zerwürfnissen mit dessen Nachfolger ging Kunckel 1693 an den schwedischen Hof, wo er seine naturwissenschaftlichen Forschungen fortsetzte.
Die Glashütte produzierte auch unter seinen Nachfolgern bis 1720 zunächst ausschließlich für den Hof, erst danach wurde auch Gebrauchsglas für den Handel hergestellt. Aus dieser Zeit werden auch unsere Funde stammen. Bei den Glasmarken, die das Monogramm Friedrich Wilhelms I. (1713-1740) tragen, handelt es sich offenbar um die ersten dieser Art bzw. dieser Werkstatt, die bekannt geworden sind.
In diesem Zusammenhang muss eine weitere, besonders schöne Glasmarke aus den Grabungen vom Alten Markt in Potsdam erwähnt werden (Abb. 4). Sie ist ebenso groß wie die beiden vom Hakendamm, aber aus grünlichem Glas, und ist wie diese bisher offenbar unbekannt. Sie zeigt ebenfalls die fünfzackige Krone und darunter die Initialen "FR", ist also unter Friedrich dem Großen gestempelt worden. Eine (schlecht lesbare) Jahreszahl ist auch dabei und datiert das Stück wohl ins Jahr 1764. Herrn Lothar Franze aus Potsdam haben wir für wichtige Hinweise zu danken.
Dieser Beitrag erschien unter dem Titel: Kersting, Thomas / Hensel, Nicola: Glück und Glas. Ausgrabung am Hakendamm in Potsdam. In: Archäologie in Berlin und Brandenburg 2004, Stuttgart 2006, S. 144–146.
Literatur
Schmidt, Robert: Brandenburgische Gläser. Berlin 1914.
Friese, Gerrit und Kerstin: Glashütten in Brandenburg. Heimatkundliche Beiträge Eberswalde-Finow 1 (1992). [Siehe: Hier]
Abbildungsnachweis
Abb. 1, 2, 4 Sommer, BLDAM.
Abb. 3 Gemeinfrei.
Empfohlene Zitierweise
Kersting, Thomas: Potsdam - Glasproduktion am Hakendamm, publiziert am 21.03.2024; in: Historisches Lexikon Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)
Kategorien
Epochen: Absolutismus / Aufklärung
Themen: Archäologie und Siedlung - Wirtschaft