Seidenbau
Silke Kamp
Seide wird aus den Kokons des Seidenspinners „bombyx mori“ gewonnen, in die sich dessen Raupen für die Verwandlung zum Falter einhüllen. Nahrungsgrundlage der Raupen sind die Blätter des Maulbeerbaumes. Um Seide zu gewinnen, braucht es also beides – Seidenraupen und Maulbeerbäume. Baum wie Insekt sind entsprechend ihrer asiatischen Herkunft an warmes, gemäßigtes Klima angepasst. In der Frühen Neuzeit waren China, Italien und Frankreich die wichtigsten Produzenten von Rohseide (Abb. 1, 2). Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts wurde Seide in Brandenburg weder kultiviert noch verarbeitet, so dass Seidenwaren für viel Geld aus den Zentren der Seidenindustrie, dem französischen Lyon oder aus Italien importiert werden mussten. Der damals vorherrschenden kameralistischen Wirtschaftstheorie folgend galt es daher, die Abhängigkeit Brandenburg-Preußens von ausländischen Seidenimporten und den damit verbundenen Kapitalfluss ins Ausland zurückzudrängen. Das ehrgeizige Ziel bestand darin, nicht nur eine Seidenindustrie aufzubauen, die die Rohseide hierzulande verarbeitete, sondern darüber hinaus auch den Rohstoffbedarf dieser Manufakturen durch in Brandenburg erzeugte Seide zu decken.
Anfänge
Auf Grund der klimatischen Gegebenheiten gestaltete es sich in der Frühen Neuzeit schwierig, Seide in Brandenburg zu kultivieren und blieb vorerst adliges Privatvergnügen, bis Kurfürst Friedrich Wilhelm um das Jahr 1685 in Frankfurt an der Oder, Peitz und Potsdam die ersten Plantagen weißer Maulbeeren anlegen ließ (Heilmeyer/Seiler 2006, 53). Zwar wurde schon seit dem 14. Jahrhundert Seide in Südfrankreich und Oberitalien kultiviert, doch die Herausforderung bestand darin, den Seidenbau an das wechselhaftere und kühlere Klima in Brandenburg anzupassen, ohne dabei mit der arbeitsintensiven Getreide- oder Heuernte zu kollidieren. Bereits Friedrich III./I. empfahl den Plantagenbesitzern daher die von ihm ins Leben gerufene Akademie der Wissenschaften als Anlaufstelle und betraute diese auch mit der Auswahl weiterer Pflanzstätten. Friedrich Wilhelm I. erklärte den Seidenbau schließlich zur wichtigen zentralen Aufgabe, um den Bedarf an Seide für die Ausrüstung der Armee zu decken. Als Futterstoff, zum Wirken von Strümpfen, Haarbändern, Borten oder zum Sticken der Orden war hier Seide wegen ihrer Elastizität und Zugfestigkeit unverzichtbar. Friedhöfe ließ man mit Maulbeerbäumen aufforsten und im Berliner Tiergarten entstanden 1717 von Réfugiés (Hugenotten) bewirtschaftete Maulbeerbaumplantagen. Bürger und Magistrate wurden zum Pflanzen von Maulbeerbäumen angehalten, die sie bei der Generalkriegs-Kasse erwerben sollten. Allein Potsdam erhielt 1.500 Setzlinge (Kamp 2011, 175f.). All diesen Bemühungen zum Trotz gab es bis zum Ende der Regentschaft Friedrich Wilhelms I. im Berliner Raum gerade einmal rund 2.000 Maulbeerbäume, mit denen ein ausschließlich von Hugenotten betriebener Seidenbau kaum mehr als 100 Pfund Rohseide gewann (Herzfeld 1994, 91).
Blütezeit
Die Ansätze Friedrichs III./I. und Friedrich Wilhelms I. verwob Friedrich II. zu einem neuen Gesamtkonzept (Kamp 2011, 177ff.). In seine Überlegungen floss auch die Erkenntnis ein, dass ein profitabler Seidenbau in Brandenburg nur mit erheblicher Professionalisierung in den Bereichen Kontrolle, Arbeitsteilung und Qualifizierung zu realisieren sei und darüber hinaus großzügiger finanzieller Unterstützung bedurfte. Bereits im ersten Regierungsjahr beauftragte Friedrich daher die Akademie der Wissenschaften mit der Ausarbeitung eines Projekts zur Förderung des Seidenbaus. Maulbeerbaumpflanzer sollten mit 50 Reichstalern jährlich bis zur ersten Ernte der Blätter für ihre Mühe belohnt werden.
Friedrich wurde nicht müde, Edikte zu erlassen, die das Abholzen von Maulbeerbäumen unter Strafe stellten. Dank obrigkeitlicher Kontrolle und Zwang zum Pflanzen und Hegen der Maulbeeren, der insbesondere auf Kolonisten ausgeübt wurde, gelang es Friedrich, den Bestand an Maulbeeren in Brandenburg bis zum Ende seiner Regentschaft auf etwa 600.000 Bäume zu steigern.
Welche Anstrengungen hiermit verbunden waren, zeigt ein Blick nach Potsdam. Obwohl hier schon zu kurfürstlicher Zeit die ersten Maulbeerbaumpflanzungen entstanden, konnten spätere Generationen von diesem Baumbestand nicht profitieren und mussten immer wieder Plantagen neu anlegen. Die Hauptursache lag wahrscheinlich in der aufwendigen Pflege der jungen Bäume. Selbst nach überstandener Baumschule konnten Wetterunbilden die ganze Mühe noch nach Jahren zunichtemachen. Die teils sandigen, teils feuchten Böden der Havelniederungen begrenzten die Anbaufläche auf höhere Lagen, die der Magistrat viel lieber als Weinberge kultiviert sah, so dass die Stadt über einen Bestand von rund 9.000 laubbaren Maulbeerbäumen nicht hinauskam (Kamp 2012, 49).
Um den Seidenbauliebhabern die mühevolle und zeitaufwendige Zucht zu erleichtern, wurden über die Steuerräte der einzelnen Landesteile die Eier des Seidenspinners (Graines) kostenlos verteilt. Für eine gute Ernte winkten Prämien. Unterstützt wurden die Kultivateure auch bei der Anschaffung von Haspelmaschinen, mit denen die Seide von den Kokons abgewickelt und zu einem Faden verzwirnt wurde (Abb. 3, 4). Dennoch kam die Seidenproduktion in Brandenburg nicht zuletzt aus Mangel an zur Verteilung vorhandenen Graines erst nach dem Siebenjährigen Krieg in Gang. Das Militärwaisenhaus war zu dieser Zeit in Potsdam der wichtigste Seidenproduzent mit einer durchschnittlichen Ernte von knapp 40 Pfund in eigens dazu errichteten Seidenhäusern (Königlich 1824, 410). 1786, als das Waisenhaus seine Plantagen bereits verpachtet hatte, wurden in Potsdam rund 86 Pfund Seide von insgesamt 16 Kultivateuren erzeugt (Stadtarchiv Potsdam 1-3/611).
Trotz dieser vergleichsweise mageren Ausbeute wuchs der Stadt Potsdam unter Friedrich II. eine Vorbildfunktion im Seidenbau zu. Die Domänenkammer verfügte 1766: „Wegen derer in Potsdam angesetzten, in der Seiden-Cultur besonders erfahrnen ausländischen Leuten […] sollte jedermann nach Potsdam kommen, und von selbigen darunter Unterricht [nehmen]“ (Schmoller/Hintze, Band 1, 507). Diese Ausbildung sollte in der zu einer Seidenbaumusteranstalt umgebauten ehemaligen kurfürstlichen Fasanerie, dem späteren Jägerhof (heute Justizzentrum), stattfinden (Abb. 5). Mit den erfahrenen Ausländern waren neben dem aus Turin stammenden Giovanni Giachetti auch Réfugiés gemeint, die in Potsdam Maulbeerbaumplantagen bewirtschafteten und als Inspektoren oder Kultivateure im Seidenbau tätig waren. Da jedoch kaum einer der 160 avisierten Personen aus Kur-, Alt- und Neumark sich zur Ausbildung nach Potsdam einfand, wurde das Projekt wenig später fallen gelassen. Der zur landesweiten Ausbildungsstätte auserkorene Jägerhof erfüllte seine Aufgabe fortan nur noch auf lokaler Ebene. Statt der angehenden Seidenkultivateure suchten hier vor allem Frauen um einen Nebenverdienst nach, ohne aber je einen eigenen Seidenbau zu betreiben.
Schon dieser kurze Einblick in die Geschichte des Jägerhofs verdeutlicht, dass der Seidenbau im friderizianischen Brandenburg keine Tätigkeit war, der man sich bereitwillig hingab, sondern in erster Linie eine saisonale Erwerbsquelle für Waisen und Bedürftige darstellte. Lukrativ und ohne Risiko war der Seidenbau allenfalls für die bestallten Seidenbauexperten auf dem Jägerhof.
Der Seidenbau in Brandenburg beruhte auf einer systematischen Fehleinschätzung. So wurde die Ursache für die mindere Qualität der in Brandenburg erzeugten Seide nicht in den klimatischen Bedingungen oder den oft schwer verfügbaren frischen Maulbeerblättern gesehen, sondern vorrangig in der schlechten Ausbildung im Seidenbau und beim Haspeln der Kokons zu Rohseide. Auch erwiesen sich die kleinen Zuchten von Privatleuten auf lange Sicht als erfolgreicher. Während die spezialisierten Seidenhäuser bei wechselhafter Witterung hätten beheizt werden müssen, um ein optimales Spinnergebnis der Raupen zu erzielen, aber das hierfür nötige Feuerholz nur selten zur Verfügung stand, konnten Bäckers- oder andere Bürgersfrauen eine von Backstube oder Küche erwärmte Kammer für den Seidenbau nutzen. Die Großprojekte des Seidenbaus beim Waisenhaus und auf dem Jägerhof erfüllten daher nicht die Erwartungen und wurden nach und nach aufgegeben.
Auch auf das ganze Land bezogen verfehlte der brandenburgische Seidenbau die hoch gesteckten Ziele deutlich. Zwar ließ sich dank allergrößter Anstrengungen und geschätzten 71.000 Reichstalern allein aus der Manufakturkasse die brandenburgische Seidenproduktion auf rund 6.000 Pfund steigern, was immerhin die Hälfte der preußischen Seidenernte ausmachte, doch deckte dies gerade einmal drei Prozent des Bedarfs (Mieck 1969, 484).
Niedergang
Die Nachfolger Friedrichs II. führten den Seidenbau nicht mit der gleichen Entschlossenheit weiter. Die drakonischen Strafen wider das Abholzen entfielen. Schlagartig reduzierte sich daraufhin die Zahl der Maulbeeren. Auch die Mode trug zum Rückgang der Seidenkultur und der Seidenverarbeitung bei. Baumwolle galt nun selbst dem Adel als standesgemäß und ließ die Seide vorläufig in den Hintergrund treten. 1810 stellte der preußische Staat zwar die Aufsicht über den Seidenbau ein, hielt aber an seiner Prämierung fest.
Vor allem Dorfschullehrer, deren Gehalt kaum zum Leben reichte, betrieben noch Seidenraupenzucht. 1825 erzeugten sie knapp 500 Pfund Seide. An die Stelle des Staates als Träger des Seidenbaus traten nun insbesondere der Regierungs- und Schulrat Karl Christian Wilhelm von Türk (1774 – 1846) und der sich 1845 gründende „Verein zur Beförderung des Seidenbaus in der Mark Brandenburg und der Niederlausitz“. Sie hielten das Wissen um die Seidenkultur wach, so dass Bedürftige hiermit ihre Armut lindern konnten (Carus 2001, 27-32; Heilmeyer/Seiler 2006, 91).
Wirtschaftlich gesehen blieb der Seidenbau in Brandenburg eine Fußnote. 1854 breitete sich mit der Pebrine eine neue Krankheit der Seidenraupe von Frankreich ausgehend auch in Brandenburg aus. Gegen diese von Parasiten verursachte Seuche gibt es bis heute kein Heilmittel. Weil befallene Falter ihre eigene Brut infizieren können, war die Pebrine ansteckender als alle bisher bekannten Seidenraupen-Krankheiten. Die meisten Seidenkultivateure gaben daher entmutigt auf.
Schlussbetrachtung
Das von Friedrich II. ehrgeizig verfolgte Ziel, Brandenburg von Rohseideimporten unabhängig zu machen, ließ sich weder von ihm noch seinen Nachfolgern ansatzweise realisieren. Zwar hatte die massenhafte Pflanzung neuer Maulbeerbäume die Versorgung der Seidenbauenden mit Futterlaub stark verbessert, wodurch die Produktion an Rohseide tatsächlich enorm gesteigert werden konnte, doch deckte die unter erheblichem Aufwand gewonnene Landseide nur einen Bruchteil des ebenfalls unter Friedrich II. gestiegenen Bedarfs.
Noch heute künden einige verbliebene Maulbeerbäume von den Bemühungen im 18. Jahrhundert, u.a. auch in Erkner (Landkreis Oder-Spree). Ab 1752 waren am Ort eine Plantage mit 1.500 Bäumen angelegt und zu deren Pflege zwei Kolonistenfamilien angesiedelt worden. Auch wenn die Plantage bis auf einen Baum wieder verschwand, hatte diese Episode Auswirkungen bis in die jüngere Vergangenheit: seit 1992 ziert ein Maulbeerbaum das Ortswappen von Erkner (Abb. 6).
Quellen
Stadtarchiv Potsdam, 1-3/611
Pomier, L.: Abhandlung von den Maulbeerbäumen, den Seidenwürmern und dem Seidenspinnen, aus dem Französischen übersetzt. Nebst einem Anhang von dem Seidenbau in Berlin und der Churmark Brandenburg. Mit Kupfern. Berlin 1756 [Siehe: Hier]
Schmoller, Gustav / Hintze, Otto (Bearb.): Die Preußische Seidenindustrie im 18. Jahrhundert und ihre Begründung durch Friedrich den Großen. Band 1-2. Frankfurt am Main 1892. [Siehe: Band 1 Hier, Band 2 Hier]
Literatur
Carus, Benno: Seidenbau in Zehlendorf im 18. und 19. Jahrhundert. In: Heimatverein für den Bezirk Zehlendorf e.V. (1886) (Hrsg.): Am seidenen Faden. Kolonisation und kulturlandschaftliche Entwicklung im Süden Berlins. Berlin 2001, S. 27-35.
Heilmeyer, Marina / Seiler, Michael: Maulbeeren. Zwischen Glauben und Hoffnung. Potsdam 2006.
Kamp, Silke: Die verspätete Kolonie. Hugenotten in Potsdam 1685 – 1809 (= Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Band 42). Berlin 2011.
Herzfeld, Erika: Preußische Manufakturen – großgewerbliche Fertigung von Porzellan, Seide, Gobelins, Uhren, Tapeten, Waffen, Papier u.a. im 17. und 18. Jahrhundert in und um Berlin. Bayreuth 1994.
Kamp, Silke: Am seidenen Faden. Die Hasplerin Anne Marie Baral. In: Götzmann, Jutta (Hrsg.): Friedrich und Potsdam. Die Erfindung (s)einer Stadt, Katalog zur Ausstellung. München 2012, S. 48-53.
Königlich Potsdamsches Militärwaisenhaus (Hrsg.): Geschichte des königlichen Potsdamschen Militärwaisenhauses von seiner Entstehung bis auf die jetzige Zeit. Berlin/Posen 1824.
Meier, Brigitte: Jüdische Seidenunternehmer und die soziale Ordnung zur Zeit Friedrichs II. Moses Mendelssohn und Isaak Bernhard Interaktion und Kommunikation als Basis einer erfolgreichen Unternehmensentwicklung. Berlin 2007.
Mieck, Ilja: Preußischer Seidenbau im 18. Jahrhundert. In: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 56 (1969), S. 478-498.
Schmoller, Gustav / Hintze, Otto (Bearb.): Die Preußische Seidenindustrie im 18. Jahrhundert und ihre Begründung durch Friedrich den Großen. Band 3. Frankfurt am Main 1892. [Siehe: Band 3 Hier]
Abbildungsnachweis
Abb.1 https://www.metmuseum.org/art/collection/search/659740.
Abb. 2 https://www.metmuseum.org/art/collection/search/659742.
Abb. 3 Pomier, L.: Abhandlung von den Maulbeerbäumen […], 1756.
Abb. 4 Johann Aunants gründliche Anweisung zum Seidenbau […], Leipzig 1749 (Titelkupferstich).
Abb. 5 https://brandenburg.museum-digital.de/index.php?t=objekt&oges=5807&cachesLoaded=true (Potsdam Museum - Forum für Kunst und Geschichte / Potsdam Museum (CC BY-NC-SA).
Empfohlene Zitierweise
Kamp, Silke: Seidenbau, publiziert am 02.07.2019; in: Historisches Lexikon Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)
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Epochen: Absolutismus/Aufklärung - Preußische Provinz
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