Stadtansichten

Iris Berndt

Stadtansichten sind Darstellungen von topographisch bestimmbaren Örtlichkeiten. Auch der Begriff Veduten (ital. Veduta) hat sich für solche Ansichten eingebürgert. Meist bezeugt eine Bildunterschrift mit der Bezeichnung des Motivs den topographischen Charakter. Vor allem in der Zeit vor der Verbreitung der Fotografie, aber erstaunlicherweise auch über diese hinaus, bilden sie eine wichtige, noch immer unterschätzte Bildquelle. Die Anerkennung der Historischen Bildkunde als Historische Hilfswissenschaft wurde erst im 20. Jahrhundert gefordert (Tolkemitt/Wohlfeil 1991). Sie ist durch eine Vielfalt von vor allem regionalen Initiativen vorangetrieben worden (Beiträge zur Vedutenforschung 1983/2001), jedoch noch immer nicht fester Bestandteil der universitären Ausbildung von Historikern. Auch die kunsthistorische Forschung widmet sich ihr nur am Rande, da sie in Stadtansichten in erster Linie historische Quellen sieht. Sie betrachtet diese „mit Recht als Sonderfall der Landschaftsdarstellung, welche durch die ästhetische bildhaft-künstlerische Wiedergabe der realexistierenden Umwelt für die Weltsicht und das Weltverständnis von großer Bedeutung ist“ (Jakob 1982, 14).

Das Mittelalter kannte keine Vedute. Als erste europäische Darstellung eines topographisch bestimmbaren Landschaftsausschnittes gilt das Gemälde „Der wunderbare Fischzug“ aus dem Jahr 1444 von Konrad Witz. Es zeigt eine Partie am Genfer See. Witz war von altniederländischer Kunst beeinflusst, die als erste topographisch bestimmbare Elemente in religiöse Darstellungen einflocht (Jakob1982, 21).

Die junge Kunst der Druckgraphik nahm sich dieser topographischen Innovation als erste an. Große Städte verfügten über genügend Potential, Selbstbewusstsein und Realitätssinn für die Darstellung ihres Gemeinwesens und die Beauftragung von Künstlern. Nicht zufällig fällt die topographische Darstellung in die Zeit der Umbrüche der Renaissance, mit denen die Frühe Neuzeit beginnt. Der Buchdruck als Katalysator der Bildungs-Revolution setzte im ausgehenden 15. Jahrhundert eine ungeahnte Fülle an Bildern frei. Eine Ansicht von Venedig, 1486 in Bernhard Breydenbachs „Die Reise ins Heilige Land“ in Mainz erschienen (Jakobs 1982, 22), ist ein großartiges frühes Beispiel, dem sich bald eine Reihe von Städtebüchern anschlossen, angefangen mit Hartmann Schedels „Weltchronik“ in Nürnberg 1493, Sebastian Münsters „Cosmographia“ in Basel 1544, bis hin zu Matthäus Merians 16 Bänden seiner deutschen Topographien unmittelbar nach dem Dreißigjährigen Krieg (Bachmann 1932, Fauser 1978).

Die Blüte der Vedutenkunst war die Zeit vom frühen 16. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Aufnahme einer Stadt mit einem realistischen Abbild setzte einen Zeichner voraus, der zu einer solchen Aufnahme fähig war: Geometrisch-mathematische Kenntnisse der Perspektive und sogar eine künstlerische Schulung waren vonnöten. Außerdem musste ein Bedarf an einem solchen Abbild vorhanden sein, denn die hochkomplexe Arbeit musste bezahlt werden. Es gibt unterschiedliche Arten von Darstellungen, die bereits viel über die Herangehensweise verraten, schließlich handelte es sich um unterschiedliche Methoden der Weltaneignung mit verschieden ausgeprägtem Bedürfnis nach Überblick. Immer bestimmten Auftraggeber und Funktion die Darstellungsweise. Eine Stadt kann als Idealbild aus der Vogelschau wiedergegeben sein, was eine aus einem Plan entwickelte Draufsicht bedeutet. Am häufigsten jedoch ist die Darstellung als Prospekt, von einem gegebenen Punkt auf der Erdoberfläche, gern von einem Berg. Aber bis in das ausgehende 18. Jahrhundert war auch die Darstellung als Prospekt eine aus mehreren Teilansichten konstruierte Gesamtschau. Erst allmählich wuchs die Zahl vor Ort tatsächlich gesehener Teilansichten, die zunehmend Bedeutung als selbständige Bilder erhielten. Die Dominanz der Stadtansichten wurde durch Darstellungen von Schlössern, Parkanlagen, Dörfern, einzelner Bauensembles des Mittelalters oder eines Marktplatzes, Bahnhofes etc., sowie durch Gedenk-, Kur- oder sonstige Ausflugsorte bereichert. Das Panorama war seit 1800 eine besondere Form der Aneignung, es steht für ein gesteigertes wissenschaftliches und künstlerisches Interesse. Kirchtürme oder Bergspitzen waren hierfür die Aussichtspunkte.

Jede Stadt, jede Landschaft hat ihre eigene Geschichte der bildkünstlerischen Wahrnehmung, die mit ihrer spezifischen historischen Entwicklung korrespondiert (Behringer 1999). Stadtansichten lassen sich nicht nur als Illustration von Büchern finden, sondern auch als einzelne Gemälde, als Wandbespannung, auf druckgraphischen Kalenderblättern oder Einzelblättern, als Blattfolge, auf Fächern, Ofenplatten, Medaillen oder Porzellan. Zu unterscheiden ist immer zwischen einer potenten Selbstdarstellung durch die Stadt selbst oder einer Fremddarstellung, die auf Initiativen von außen zurückgeht.

Von Brandenburgs Städten ist allein die Universitätsstadt Frankfurt (Oder), die über Möglichkeiten der Anfertigung von Holzschnitten in der Stadt verfügte, mit einem realistischen Abbild in der „Cosmographia“ des Sebastian Münster (ab Ausgaben 1548) vertreten (Abb. 1). Es handelt sich um die älteste druckgraphische Ansicht einer brandenburgischen Stadt (Berndt 2003). Berlins älteste druckgraphische Darstellung hingegen datiert erst 1570 (Ernst 2009).

Eine bedeutende Etappe der künstlerischen Darstellung Brandenburgs ist die 1652 erschienene Topographie des Matthäus Merian (Topographie Electorat[us] Brandenburgici et Ducatus Pomeraniae 1652), die 51 Darstellungen brandenburgischer Städte und Flecken enthält, viele davon mit ihrem frühesten Abbild (Abb. 2). Auf eine Initiative des seit 1667 an der Universität Frankfurt /Oder tätigen Bibliothekars und Historiographen Johann Christoph Bekmann zeichnete der Mathematikstudent Daniel Petzold (1686–1763) ähnlich viele Ansichten zwischen 1711 und 1713. Der Plan eines druckgraphischen Ansichtenwerkes kam jedoch aufgrund der beschränkten Mittel und dem Tod Bekmanns nicht zur Ausführung, nur einzelne Blätter hat Bekmanns Großneffe fast ein halbes Jahrhundert später ediert (Historische Beschreibung 1751/53) (Abb. 3-5). Die Zeichnungen sind in der Königlichen Bibliothek Berlin (heute Kartenabteilung Staatsbibliothek) erhalten (Meisner 1913). Von herausragender künstlerischer Qualität sind im ausgehenden 18. Jahrhundert die Radierungen Andreas Ludwig Krügers (1743-1822), eines einheimischen Künstlers (Abb. 6). In den folgenden Jahrzehnten erlebte die Vedute eine große Produktivität, bis hin zu dem ab 1850 erschienenen Brandenburgischen Album, einer Folge von 60 Darstellungen brandenburgischer Städte, einschließlich der Altmark, in Stahlstich (Abb. 7).

Darüber hinaus erfuhren einzelne Regionen zu unterschiedlichen Zeiten vermehrt Aufmerksamkeit. Die Prignitz etwa durch die Kämpfe des Dreißigjährigen Krieges (Berndt 2010) oder das Finowtal mit Neustadt-Eberswalde sowie dem benachbarten Freienwalde erlebten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Blüte der künstlerischen Bildwahrnehmung (Berndt 2002).

Ein Desiderat der Forschung sind die an der Herstellung von Veduten beteiligten Künstler, Verleger und Drucker. Auch hier spiegeln sich Potenz und Interesse sehr nachdrücklich. Die künstlerischen Techniken wie der Holzschnitt im 15. und 16., der Kupferstich im 17., die Radierung im 18. oder die Lithographie, der Stahlstich und der Holzstich im 19. Jahrhundert bedeuteten unterschiedliche Fertigungsprozesse, meist vermehrte Auflagenhöhen und verbesserte Einbindung in Vermarktungsstrategien. An der wachsenden Zahl der seit dem 19. Jahrhundert in Brandenburgs Städten selbst gefertigten Stadt- und Stadtteilansichten spiegelt sich die wirtschaftliche Entwicklung der Städte von der Ackerbürger- zur Industrie- und Handelsstadt (Berndt 2007).

Quellen

Topographia Electorat[us] Brandenburgici et Ducatus Pomeraniae. [et]c. das ist Beschreibung der Vornembsten und bekantisten Stätte und Plätz in dem hochlöblichsten Churfürstenthum und March Brandenburg, und dem Hertzogtum Pom[m]eren, zu sampt einem doppelten Anhang, 1 Vom Lande Preußen und Pomerellen 2 Von Lifflande unnd Selbige beruffenisten Orten. In Druck gegeben unndt Verlegt durch Matthaei Merian Seel. Erben. Frankfurt/Main 1652. [Siehe: Hier]

Meisner, Heinrich (Hrsg.): Ansichten märkischer und pommerscher Städte aus den Jahren 1710-1715. Nach den Originalzeichnungen Daniel Petzolds im Auftrage der Königlichen Bibliothek herausgegeben. Berlin 1913.

Historische Beschreibung der Chur und Mark Brandenburg nach ihrem Ursprung, Einwohnern, Natürlichen Beschaffenheit, Gewässer, Landschafften, Stäten, Geistlichen Stiftern [et]c. Regenten, deren Staats- und Religions-Handlungen, Wapen, Siegel und Münzen, Wohlverdienten Geschlechtern Adelichen und Bürgerlichen Standes, Aufnehmen der Wissenschafften und Künste in derselben / theils aus schriftlichen und aus Archiven hergenommenen, oder auch gedrukten urkunden, theils aus der erfahrung selbst zusammen getragen und verfasset von Johann Christoph Bekmann, ... ergänzet, fortgesetzet und herausgegeben von Bernhard Ludwig Bekmann, des Königl. Joachimsthal. Gymn. Prof. und Mitgliede der Königl. Preußischen Academie der Wissenschaften. 2 Bände. Berlin 1751/53. [Siehe: Hier]

Literatur

Bachmann, Friedrich: Die alten Städtebilder. Ein Verzeichnis der graphischen Stadtansichten von Schedel bis Merian. 2 Bände. Leipzig 1939.

Behringer, Wolfgang (Hrsg.): Das Bild der Stadt in der Neuzeit 1400 bis 1800. München 1999.

Beiträge zur Vedutenforschung = Lüneburger Beiträge zur Vedutenforschung (Beiträge zweier Veduten-Colloquien 1981 und 1983), hrsg. von Eckehard Jäger bzw. Angelika Marsch, Lüneburg 1983 (Band 1), Lüneburg 2001 (Band 2).

Berndt, Iris: Märkische Ansichten aus drei Jahrhunderten. Die Provinz Brandenburg im Bild der Druckgraphik 1550-1850. Berlin 2007.

Berndt, Iris: Frankfurt an der Oder in Stadtansichten vom 15. bis zum 20. Jahrhundert. In: Knefelkamp, Ulrich / Griesa, Siegfried (Hrsg.): Stadtgeschichte Frankfurt an der Oder 1253 – 2003. Frankfurt (Oder) 2003, S. 321-335.

Berndt, Iris: Die Prignitz in druckgraphischen Stadtansichten. In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte der Prignitz 10 (2010), S. 15-23.

Berndt, Iris: Malerische Entdeckungen. Die Romantik im Finowtal in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, bearb. von Iris Berndt, Ausstellung des Museums in der Adler-Apotheke im Rahmen von Kulturland Brandenburg 2002, Eberswalde 2002.

Ernst, Gernot / Laur-Ernst, Ute (Hrsg.): Die Stadt Berlin in der Druckgraphik 1570-1870. 2 Bände und 1 CD. Berlin 2009.

Fauser, Alois: Repertorium älterer Topographie. Druckgraphik 1486 bis 1750. 2 Bände. Wiesbaden 1978

Jakob, Frank-Dietrich: Historische Stadtansichten. Entwicklungsgeschichtliche und quellenkritische Momente. Leipzig 1982

Tolkemitt, Brigitte / Wohlfeil, Rainer (Hrsg.): Historische Bildkunde. Probleme – Wege – Beispiele (= Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 12). Berlin 1991.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 – 6 Berndt 2007  

Abb. 7 https://nat.museum-digital.de/index.php?t=objekt&oges=774870&cachesLoaded=true (Landesgeschichtliche Vereinigung für die Mark Brandenburg e.V. - Archiv CC-BY-NC-SA)

Empfohlene Zitierweise

Berndt, Iris: Stadtansichten, publiziert am 24.01.2021; in: Historisches Lexikon Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

Kategorien

Epochen: Konfessionelles Zeitalter - Absolutismus / Aufklärung - Preußische Provinz
Themen: Stadt und Bürgertum - Bildung und Kultur


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