Reichelt Metallschraubenfabrik AG, Finsterwalde

Vinzenz Czech

Ferdinand Julius Reichelt wurde am 15.03.1838 in Finsterwalde geboren. Im Jahr 1870 gründete er in Berlin die „F. J. Reichelt Metallschraubenfabrik und Facondreherei“. Hergestellt wurden Schrauben und Formteile kleinerer Abmessungen aus Eisen und Messing. In den Jahren 1880 bis 1890 erweiterten sich der Kundenkreis und die Auftragslage in Richtung Sachsen, sodass er nun einen Teil seines größer werdenden Betriebes in seine Heimatstadt Finsterwalde verlagerte. In der Nähe der Bahnhofstraße erwarb Reichelt Ackerland und begann mit dem Bau eines neuen Betriebes und seines Wohnsitzes in den Jahren 1883/84.

Charakteristisch für das ausgehende 19. Jahrhundert ist die unmittelbare Anbindung des sehr repräsentativ gestalteten Fabrikantenwohnhauses an den Produktionsbereich der Fabrik. Die Villa hatte der Bauherr als einen im spätklassizistischen Stil gehaltenen, zweigeschossigen, achsensymmetrischen Bau ausführen und mit roten Klinkern verkleiden lassen. Zusammen mit dem Wohnsitz entstanden die nordöstlich anschließenden Fertigungshallen mit Anschlussgleisen zur Bahn, die im Laufe der Jahre immer weiter ausgebaut wurden (Abb. 1, 2).

Reichelt reiht sich ein in die Reihe erfolgreicher Unternehmer, die verantwortlich dafür waren, dass sich Ende des 19. Jahrhunderts aus einer vorwiegend von der Tuchmacherei geprägten Stadt eine kleine, blühende Industriemetropole zu entwickeln begann.

Im Mai 1890 begingen Betriebsleitung und Belegschaft das 25jährige Bestehen des Betriebes mit einem Umzug samt eigener Werkskapelle und einem Fackelzug durch die Straßen von Finsterwalde. Am Fabrikgelände war ein Triumphbogen aufgestellt und auf dem Platz davor gab es ein Feuerwerk. Im Park hinter dem Werksgelände feierten die etwa 200 Beschäftigten gemeinsam mit der Betriebsleitung. Weitere „Festessen“ fanden im „Hotel Viktoria“ und im „Wolle’schen Restaurant“ statt.

Die Umwandlung der „Reichelt Metallschraubenfabrik“ in eine Aktiengesellschaft mit einem Grundkapital von 2,1 Millionen Mark erfolgte im Jahr 1900. Die Produktion bestand weiterhin vorwiegend aus Schrauben, Muttern, Bolzen und facionierten Teile aus allen Metallen für sämtliche industrielle Betriebe, u.a. Nähmaschinen-, Fahrrad-, Waffen-, Armaturen- und Maschinenfabriken, Telegrafen-, Telefon- und elektrotechnische Anstalten. Der Absatz erstreckte sich hauptsächlich auf Deutschland und Europa.

Die neuen Standortbedingungen, die besser als in Berlin waren, hatten zur Folge, dass der gesamte Betrieb schließlich von Berlin nach Finsterwalde verlagert und 1903 die Fertigung in Berlin schließlich eingestellt wurde. In Finsterwalde stieg auch die Anzahl der Arbeitskräfte deutlich an. Die Beschäftigungszahl um die Jahrhundertwende betrug etwa 300 Arbeiter. Ausdruck weiteren Wachstums waren die Einführung des Zwei-Schichtsystems 1908 oder auch die Einrichtung einer Abteilung Schwarzschraubenproduktion im Jahr darauf. Der Betrieb besaß darüber hinaus eine eigene Zieherei, Vernickelung, Verchromung und Verkadmierung (Abb. 3, 4).

Im Ersten Weltkrieg war auch die Reichelt Metallschraubenfabrik wie alle Betriebe auf die Herstellung von Munition eingestellt. Nach weiteren Vergrößerungen des Betriebes wurde eine eigene Maschinenbauhalle für die Herstellung und Reparatur der Automaten und anderer Maschinen errichtet. Die Zahl der Beschäftigten war in der Zwischenzeit auf über 1.400 im Jahr 1917 angestiegen.

Die Weltwirtschaftskrise Ende des 1920er Jahre führte auch bei der Metallschraubenfabrik zu erheblichen Rückgängen in der Produktion und bei den Beschäftigten. Im Oktober 1930 waren noch 430 Arbeiten im Unternehmen tätig. Die Zahl stieg dann in den 30er Jahren wieder deutlich an. 

Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges stellte die Firma einen Antrag auf Nachtarbeit für Frauen und Jugendliche, um einerseits die wehrpflichtigen Männer zu ersetzen, aber auch die Produktion, u.a. auch für die Rüstungsindustrie, weiter steigern zu können. Vor diesem Hintergrund wurde im Oktober 1941 sogar eine Kindertagesstätte eingerichtet, um mehr Mütter in die Fertigung einbinden zu können. Ab 1942 erfolgte die Produktion auch durch den Einsatz russischer und französischer Kriegsgefangener, deren Unterbringung in Baracken auf dem Gelände der Firma erfolgte.

Nach der Besetzung Finsterwaldes durch die Rote Armee im April 1945 begann in der Folge auch die Demontage der Maschinen der Schraubenfabrik. Die ehemalige Fabrikantenvilla wurde von der Armee besetzt und das Gebäude in ein Armeelazarett umgewandelt. Nach der Enteignung der Firma führte der „VEB Draht- und Schraubenfabrik“ die Produktion in der DDR fort.

Literatur

Thiede, Hans-Joachim: Zeittafel zur Geschichte des VEB Draht- und Schraubenwerk Finsterwalde. 1985.

Ernst, Rainer: Finsterwalde in alten Ansichten. Zaltbommel 1992.

Abbildungsnachweis

Abb. 1-3 Gemeinfrei

Empfohlene Zitierweise

Czech, Vinzenz: Reichelt Metallschraubenfabrik AG, Finsterwalde, publiziert am 06.05.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)


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