VEB Chemiefaserwerk „Herbert Warnke“ Guben

Vinzenz Czech

Ab 1956 gab es in der DDR Überlegungen zum Bau eines neuen Werkes zur Herstellung synthetischer Fasern. Nach Prüfung mehrerer Standorte beschloss die Staatliche Plankommission am 20. Januar 1959, dieses Werk in Guben zu errichten.

Ausschlaggebend dafür war, dass mit dem bereits weitgehend geräumten Gelände des am Beginn des Zweiten Weltkrieges von Berlin nach Guben verlagerten und nach 1945 enteigneten Werkes der „Rheinmetall-Borsig AG“ eine Fläche von ca. 47 Hektar, samt Bahnanschluss, guter Lage zur Neiße und unmittelbar an der Straße von Guben nach Forst vorhanden war. Weitere Vorteile waren die textile Tradition der Stadt und der Region, vor allem, was die Arbeit von Frauen in diesem Bereich betraf, die Nähe der Textilfachschulen in Forst und Cottbus sowie die benachbarten Lausitzer Kohlelagerstätten und ein möglicher Anschluss an eine Ferngasleitung (Chronik 1, 4-6). Die Grundsteinlegung fand schließlich am 7. Mai 1960 statt. Ende 1964 nahm der „VEB Chemiefaserkombinat Guben“ seinen Betrieb auf (Abb. 1, 2)

Hergestellt wurde zunächst vor allem DEDERON-Feinseide, eine Polyamidseide, wobei es sich eigentlich um keine „Seide“, sondern um ein synthetisches Filamentgarn handelte. Der Begriff DEDERON entstand bekanntlich als Kunstwort in Abgrenzung zu dem in der BRD dafür üblichen Begriff Perlon, zusammengesetzt aus „DDR“ und der Endsilbe „-on“. Zum Werk gehörten neben einem Heizhaus auch ein eigenes Kraftwerk, welches mit Braunkohle aus dem Lausitzer Revier betrieben wurde (Abb. 3).

Größter Betriebsteil, sowohl von der Produktionsmenge als auch der Anzahl der Beschäftigten, war die Feinseidenherstellung, die zunächst in zwei eigenständigen Anlagen erfolgte. Den Grundstoff für die Polymerisationsanlage zur Herstellung vom Ausgangsmaterial Polyamid 6 lieferten in flüssiger Form die Leuna-Werke. Anlage 1 funktionierte nach dem sogenannten Rostspinnverfahren. Polyamidschnitzel werden auf einer geheizten, spiralförmig gebogenen Rohrschlange aufgeschmolzen, die so entstandene Schmelze mittels einer Zahnradpumpe durch Düsen gepresst und zu endlosen Fäden gesponnen. Die Verfestigung der Fäden erfolgte dann durch Abkühlung. Die im Anschluss errichtete Anlage 2 nahm 1967 ihren Betrieb auf und funktionierte nach dem Extruderspinnverfahren, das sich durch eine Erhöhung der Aufschmelzleistung durch den Einsatz von Extrudern auszeichnete. Zu beiden Anlagen gehörten jeweils zehn Spinnmaschinen (Chronik 1, 59-66). Das synthetische Garn wurde schließlich mit Zwirnmaschinen auf Spulen aufgezogen und diese dann an die Textilindustrie ausgeliefert (Abb. 4).

Neben dem Feinseidenbetrieb erfolgte 1963 der Beschluss, Polyamidcordseide, etwa für die Nutzung als textiler Fußbodenbelag, herzustellen. Der Aufbau der dafür notwendigen Produktionsanlage verzögerte sich jedoch aufgrund notwendiger Neu- und Weiterentwicklungen der Anlagen sowie der Investitionsrealisierung, so dass die sechs Produktionsstraßen des Cord-DEDOTEX-Betriebes erst 1969/70 ihre Produktion aufnehmen konnten (Chronik 1, 70-75).

1969 begann ebenfalls der Draht- und Borsten-Betrieb. Dafür wurden Maschinen aus dem ACETA-Werk Berlin-Lichtenberg abgebaut und nach Guben umgesetzt. Die hergestellten Borsten und Drähte hatten einen Durchmesser von 0,05 - 3 mm und wurden für diverse Besen und Bürsten, technische und medizinische Drähte oder Reißverschlüsse genutzt (Chronik 1, 76/77). Auch das einzige Endprodukt, welches im Chemiefaserwerk hergestellt wurde, der unter dem Namen „Leska“ vertriebene Angeldraht, gehörte dazu (Abb. 5).

In den Jahren 1966/67 fasste die staatliche Plankommission und das Ministerium für Chemie den Beschluss für einen weiteren Ausbau des Werkes. Neben der Polyamid-Feinseidenherstellung sollte in der DDR nun auch die Produktion einer Polyester-Chemiefaser PE aufgenommen werden, um damit eine Unabhängigkeit von Importen zu erreichen. PE-Fäden wurden wegen ihrer Lichtstabilität, etwa für Fensterbekleidung, dringend benötigt. Das Ausgangsprodukt, die Terephthalsäure (Abb. 6), wurde zwar im Erdölverarbeitungswerk in Schwedt produziert. Da man jedoch nicht selbst über die technischen Voraussetzungen zum Bau einer Produktionsanlage verfügte, wurde diese schließlich von der Dortmunder Firma „Friedrich Uhde GmbH“ eingekauft, die über das Verfahrens-Know-How der „Hoechst AG“ (Verfahrensträger) in Frankfurt (Main) verfügte. 1970 begann der Aufbau der Anlage und 1972 bzw. 1973 erfolgte die Inbetriebnahme der beiden Produktionsabschnitte (Chronik 2, 18/19) (Abb. 7). Das gesponnene Garn wurde unter der Handelsbezeichnung „GRISUTEN“ vertrieben und in den Textilwerken u.a. zu Oberbekleidung verarbeitet (Abb. 8, 9).

Ein letztes großes Investitionsvorhaben begann 1984 mit der Forderung nach Polyamid-Garnen von hoher Reißfestigkeit, niedrigem und konstantem Thermoschrumpf sowie hoher Wärmebeständigkeit (Chronik 2, 48). Da es auch hier keine eigenen hinreichenden Ausrüstungen zur Produktion gab, wurde mit der italienischen Firma Techint ein Vertrag über Lieferung einer derartigen Produktionsanlage geschlossen. Nach erfolgreiche Montage erfolgte 1987 die Inbetriebnahme der insgesamt vier installierten Maschinen. Mit der Anlage produzierte das Werk hauptsächlich Polyamid-Reifencord und technische Industriegarne. Einer der Hauptabnehmer war das Reifenwerk Fürstenwalde (Chronik 2, 48-53).

Da der Arbeitskräftebedarf für das Werk nicht allein aus der Region gedeckt werden konnte, war von Beginn an der Bau neuer Wohnungen und Folgeeinrichtungen wie Kindergärten, Schulen, Läden, Gaststätten etc. notwendig. Von 1959 bis 1968 wurden insgesamt 3.775 Wohnungen gebaut, die überwiegende Mehrzahl in der nun favorisierten Plattenbauweise (Chronik 1 2009, 32). Die Warmwasserversorgung erfolgte über das werkseigene Kraftwerk.

Der Mangel an Arbeitskräften führte 1964 zur Aufstellung eines „Arbeitskräftezuführungsplanes“, der die genaue Auflistung der für das Chemiefaserwerk abzugebenden Arbeitskräfte aus Gubener und Forster Betrieben sowie weiteren Chemiefaser- und ähnlich ausgerichteten Betrieben aus der gesamten DDR umfasste. Gezielt wurden auch Hausfrauen in der Presse aufgerufen, sich für eine Ausbildung im Werk zu bewerben (Chronik 1, 38f.). 1966 begannen darüber hinaus die ersten polnischen Arbeiterinnen als Pendlerinnen ihre Tätigkeit, 1988 arbeiteten fast 800 Beschäftige aus Polen im Betrieb. In den 1970er und 80er Jahren folgten wie vielerorts in der DDR dann auch Vertragsarbeiter aus Kuba, Vietnam und Mozambique (Chronik 1, 43).

Bis zum 31. Dezember 1969 unterstand der „VEB Chemiefaserkombinat Guben“ der VVB Chemiefaser und Fotochemie Wolfen. Zum 1. Januar 1970 erfolgte die Trennung des Industriezweiges Chemiefaserstoffe von der fotochemischen Industrie. Der „VEB Chemiefaserwerk Guben“ gehörte von nun an zum neu gebildeten VEB Chemiefaserkombinat „Wilhelm Pieck“ Schwarza (Abb. 10). 1976 wurde dem Gubener Werk der Name „Herbert Warnke“ verliehen.

Bis 1989 war der Betrieb der größte Arbeitgeber im Kreis Guben mit etwa 8.000 Beschäftigten. Danach erfolgte die Privatisierung und der Betrieb wurde in mehrere Teilbetriebe aufgeteilt und treuhändisch verwaltet oder verkauft.

VVB – Vereinigung Volkseigener Betriebe

Quellen

Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep 903 VEB Chemiefaserwerk "Herbert Warnke" [Siehe: Hier]

Literatur

Chronik Chemiefaserwerk "Herbert Warnke" Wilhelm-Pieck-Stadt Guben. Gewidmet dem 30. Jahrestag der Deutschen Demokratischen Republik und dem 20jährigen Bestehen unseres Betriebes. Herausgegeben von der Betriebsparteiorganisation der SED. 1979.

Chronik Chemiefaserwerk "Herbert Warnke" Wilhelm-Pieck-Stadt Guben 1959-1970 (Teil 1)
Chemiegigant an der Friedensgrenze. Cottbus 2009.

Chronik Teil II zur Geschichte des VEB Chemiefaserwerkes „Herbert Warnke“ (CFG) Wilhelm-Pieck-Stadt-Guben in den Jahren 1971 – 1989. Cottbus 2009.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 SLUB / Deutsche Fotothek / Unbekannter Fotograf

Abb. 2 Bundesarchiv, Bild 183-G0830-0006-001 / Großmann / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5433580

Abb. 3 Bundesarchiv, Bild 183-E0922-0022-001 / Großmann / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5433001

Abb. 4 Bundesarchiv, Bild 183-H1204-0010-001 / Großmann / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5433914

Abb. 5 Figure19 - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=18725688

Abb. 6 Bundesarchiv, Bild 183-N0522-0303 / Sturm, Horst / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5435474

Abb. 7 Bundesarchiv, Bild 183-1983-1104-006 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5342460

Abb. 8 SLUB / Deutsche Fotothek / H. Reinecke

Abb. 9 Bundesarchiv, Bild 183-L0902-114 / Ulrich Häßler / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5365888

Abb. 10 Chronik, Teil 2.

Empfohlene Zitierweise

Czech, Vinzenz: VEB Chemiefaserwerk "Herbert Warnke" Guben; publiziert am 03.10.2023; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)


Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.