Pariser und Goldschmidt
Jüdische Fabrikanten und Wohltäter in Luckenwalde
Marie Schröder
Im Jahr 1853 wurde die sogenannte „Große Fabrik“, die erste Tuchfabrik in Luckenwalde, an die jüdische Firma Tannenbaum, Pariser & Co. verkauft. Mit Heinrich (Heymann) Pariser (1808–1878) ließ sich in der Folge erstmals ein jüdischer Fabrikant dauerhaft in der Stadt im Fläming nieder. 1869 kam es schließlich zur Gründung einer eigenen jüdischen Gemeinde, die in den folgenden Jahrzehnten langsam wuchs und zu der bald weitere Fabrikanten gehörten. Unter ihnen befand sich auch Carl Goldschmidt (1846–1911) (Abb. 1), der in der Tuchmacherstadt Luckenwalde schließlich die Hutfabrikation etablierte (Abb. 2). Heinrich Pariser und nach ihm sein Sohn und Nachfolger in der Firmenleitung, Georg Pariser (1853–1925), sind ebenso wie Carl Goldschmidt herausragende Beispiele erfolgreicher jüdischer Fabrikanten, die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert nicht nur zur industriellen Entwicklung Luckenwaldes beitrugen, sondern gleichwohl die jüdische Gemeinde und das städtische Leben prägten.
Im Bereich der jüdischen Gemeinschaft Luckenwaldes ist über die Industriellen vor allem ihre kontinuierliche Betätigung in den gewählten Gremien der Gemeindeverwaltung bekannt. Aus der „Chronik der Synagogengemeinde zu Luckenwalde und deren Vorgeschichte“, die 1919 von Joseph Freudenthal verfasst wurde, geht hervor, dass Heinrich Pariser nach seinem Zuzug nach Luckenwalde zunächst Vorsteher in der jüdischen Gemeinde Beelitz und schließlich bei den ersten Wahlen der neu gegründeten Gemeinde Luckenwalde auch in deren Vorstand gewählt wurde. Nach 1876 bekleidete er zwar keine weiteren Ämter mehr, dafür erreichte Carl Goldschmidt, seit einem Jahr mit seiner Hutfabrik in Luckenwalde ansässig, bereits die Position des stellvertretenden Vorstehers. Sein Engagement sollte der Hutfabrikant noch lange fortsetzen: In jeder weiteren Wahlperiode bis zu seinem Tod im Jahr 1911 wurde Goldschmidt in den aus drei Personen bestehenden Vorstand gewählt. Georg Pariser hatte zwischen 1879 und 1918 kontinuierlich das Amt eines von neun Repräsentanten inne (Freudenthal 1919).
Inwieweit Heinrich und Georg Pariser sowie Carl Goldschmidt über ihre administrativen Führungspositionen hinaus auch am religiösen gemeinschaftlichen Leben teilnahmen, ist unklar. Punktuell ist das Mitwirken an wichtigen Ereignissen in der Gemeinde belegt. Georg Pariser gehörte zum Beispiel der Kommission an, die während der 1890er Jahre mit den Planungen zum Bau einer Synagoge für Luckenwalde beauftragt war und beteiligte sich mit seiner Familie, genau wie die der Goldschmidts, durch Sachspenden an der Innenausstattung des 1897 eingeweihten Gebäudes (Freudenthal 1919, 71 ff.).
Zu einer weiteren bedeutenden Veränderung, an der Goldschmidt und Pariser als Vorsteher bzw. Repräsentant zumindest indirekt beteiligt gewesen sein müssen, kam es um die Jahrhundertwende. Am Beginn der 20. Jahrhunderts wurde die Mehrheit der deutsch-jüdischen Gemeinden bereits durch das sogenannte liberale Judentum dominiert, eine gegenüber der jüdischen Orthodoxie reformorientierte religiöse Strömung, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts entstanden war. Da laut Freudenthal mittlerweile auch in Luckenwalde „der größte Teil der Gemeindemitglieder einer liberal-religiösen Auffassung [ge]huldigt“ habe, beschloss die Repräsentantenversammlung die „Ausgestaltung des Gottesdienstes in diesem Sinne“ (Freudenthal 1919, 76f.). Mit der Anschaffung eines Harmoniums, der Einführung eines Gebetbuchs, das auf die traditionelle Liturgie teilweise verzichtete oder auch der Abhaltung einer regelmäßigen Predigt in deutscher Sprache hielten die typischen Elemente des liberalen Judentums Einzug (Lowenstein 2000, 106).
Das dauerhafte Engagement in der jüdischen Gemeinde beweist bereits einen ausgeprägten Sinn für das Allgemeinwohl der Industriellen Pariser und Goldschmidt. Außerhalb des rein jüdischen Kontextes bemühten sie sich darüber hinaus auf vielfältige Art und Weise, soziale Notlagen Bedürftiger in der Stadt Luckenwalde auszugleichen. Davon profitierten zum einen die Belegschaften ihrer Fabriken. Die Lebenssituationen gerade von Arbeitern waren im Brandenburg des 19. Jahrhunderts oftmals von Elend, schlechten Arbeits- und Wohnverhältnissen und mangelhafter Gesundheitsversorgung geprägt (Müller / Müller 1995, 449). Um gewisse Erleichterungen im Arbeitsalltag zu schaffen, wurden in der Tuchfabrik Tannenbaum, Pariser & Co. eine Kaffeeküche und eine Kantine eingerichtet (Freudenthal 1919, 88). Darüber hinaus kamen den Arbeitern Kapitalstiftungen, wie sie beispielsweise Georg Pariser im Jahr 1905 gemeinsam mit dem Berliner Familienzweig tätigte, zugute. Die Zinsen von 15.000 Mark, sollten hier „kranke[n] und reconvaleszente[n]“ unter ihnen zugewendet werden (Riemer 1993, 195).
Carl Goldschmidt schuf sogar ein regelrechtes Netz von sozialen Institutionen für die Angehörigen seiner Hutfabrik. Für die tägliche Grundversorgung dienten auch hier Einrichtungen wie Kaffee- und Volksküche, darüber hinaus eine Badeanstalt und ein Erholungsheim in der Nähe der Stadt. Langfristige Sozialfürsorge wurde Goldschmidts Mitarbeitern ab 1876 durch eine betriebliche Krankenkasse, noch bevor es auf staatlicher Ebene eine Versicherungspflicht gab, zuteil. Auch eine eigene Sparkasse und die Gewinnbeteiligung der Meister gehörten, neben verhältnismäßig guten Löhnen, zum Programm des Industriellen (Schubert 1925; Riemer 1996, 53).
Unabhängig von der tendenziell paternalistischen Wohltätigkeit im industriellen Bereich betätigten sich die Parisers und Carl Goldschmidt immer wieder an Hilfsaktionen, wie Bekanntmachungen in der „Luckenwalder Zeitung“ belegen (Riemer 1993, 97, 195). Ein frühes Beispiel stellte ein patriotischer Sach- und Geldspendenaufruf eines wohltätigen Vereins, der 1866 anlässlich des Preußisch-Österreichischen Krieges vor allem zur medizinischen Unterstützung verwundeter Soldaten ins Leben gerufen wurde, dar, zu dessen Unterzeichnern Heinrich Pariser gehörte (Riemer 1993, 202). 1875 hieß es allgemein über die Familie Pariser, sie werde „auch von den evangelischen Geistlichen häufig und nie ohne Erfolg um Hilfe und Unterstützung angegangen“ (Riemer 2008, 194).
Im Fall von Carl Goldschmidt ergab eine Schätzung der Summe seiner jährlichen Zuwendungen an verschiedene wohltätige Vereine der Stadt sogar einen durchschnittlichen Wert von etwa 10 000 Mark (Riemer 1996, 54). Immer wieder stach er durch besonders großzügige Stiftungen hervor wie beispielsweise noch im Jahr seines Todes, als er „der Stadt ein Kapital in der Höhe von 30 000 Mark […] mit der Bestimmung [schenkte], die Zinsen dieser Summe für die verschiedenen Zwecke des am 10. April d. J. hier gegründeten Vereins für Jugendpflege zu verwenden“ (Riemer 1993, 97). Zusammenfassend charakterisierte Luckenwaldes Bürgermeister 1911 dankbar das große soziale Engagement Goldschmidts: „Wo immer Not sich regt, springt Goldschmidt praktisch und mit Summen ein, die tatsächlich ersprießlich zu wirken geeignet sind“ (Riemer 1996, 54).
Wohltätigkeit ist ein wichtiges religiöses Gebot im Judentum, der Heinrich und Georg Pariser sowie Carl Goldschmidt reichlich genüge taten. Mit ihrer vielseitigen karitativen Aktivität in der Stadt Luckenwalde zeigten sie zudem, dass sie sowohl ökonomisch als auch kulturell zum Bürgertum gehörten. Der Aufstieg in diese gesellschaftliche Formation, den im 19. Jahrhundert ein besonders großer Teil der jüdisch-deutschen Bevölkerung vollbrachte, erforderte (das galt nicht nur für Juden) neben Vermögen die Erfüllung bürgerlicher Tugenden wie Leistungsbereitschaft oder Verantwortungsbewusstsein für das Allgemeinwohl (Schäfer 2009, 116, 128 ff.; Lässig 2004).
Dass die drei Persönlichkeiten diesen Anforderungen vollauf entsprachen und als Juden in der bürgerlichen Gesellschaft Luckenwaldes akzeptiert waren, wird auch durch das öffentliche Ansehen für ihr Engagement und ihren Erfolg sowie die Ehrenämter, die ihnen zugetragen wurden, belegt.
Heinrich Pariser erlangte als erster von ihnen Anerkennung sogar von staatlicher Seite. Unter anderem mit der Begründung, sich in der Führung eines „der bedeutendsten Etablissements in der Wollwaaren-Industrie Deutschlands“ um die Industrie der Stadt und mit seiner karitativen Tätigkeit „um das Wohl seiner Mitbürger wohl verdient“ gemacht zu haben (Riemer 2008, 194f.), wurde er für die Verleihung des begehrten Titels eines Königlichen Kommerzienrates vorgeschlagen, die im Jahr 1875 erfolgte.
Anders als sein Vater, der keine öffentlichen Funktionen außerhalb der jüdischen Gemeinde wahrnahm, trat Georg Pariser in der Oberschicht der Stadt und der Region stark in Erscheinung. Neben seiner Laufbahn als Fabrikant verfolgte er noch einige weitere Tätigkeiten, zu denen der Vorsitz in der Norddeutschen-Textil-Berufsgenossenschaft, im Luckenwalder Bauverein, die Mitgliedschaft im Geschäftsführenden Ausschuss der Handelskammer Potsdam und im Bezirks-Eisenbahnrat Halle-Erfurt zählten (Riemer 2008, 195). Zudem war Pariser Vorsitzender im Fabrikantenverein Luckenwalde. Zum Jubiläum seiner 25-jährigen Mitgliedschaft im Jahr 1911 stand in der „Luckenwalder Zeitung“ zu lesen: „Ein Vierteljahrhundert an der Spitze einer für unsere Industrie so wichtigen Körperschaft zu stehen, zeugt von dem hohen Vertrauen, das deren Mitglieder von Anfang an dem Jubilar entgegengebracht haben, ein Vertrauen und eine Hochschätzung, deren er sich auch in seinen anderen Ehrenämtern zu erfreuen hat“ (Riemer 1993, 195f.).
Vertrauen und „Hochschätzung“ in der Öffentlichkeit gingen so weit, dass Georg Pariser des Weiteren auch politische Mandate als Stadtverordneter und Kreistagsabgeordneter erhielt. Zu seinem Prestige als Verantwortlicher für so viele Belange kam im Jahr 1911 auch für ihn der Titel des Kommerzienrates hinzu (Riemer 2008, 195).
Es verwundert nicht, dass auch Carl Goldschmidt den Status eines städtischen Honoratior innehatte. Der mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnete Hutfabrikant war ebenfalls in der Stadtverwaltung Luckenwaldes als Stadtverordneter und Stadtrat aktiv. Sein dortiger Einsatz und sein wohltätiges Wirken sorgten in Luckenwalde für seine „ungeteilte Verehrung aller Kreise ohne Unterschied von Konfession und politischer Gesinnung“ (Riemer 2008, 198), so die Einschätzung des damaligen Luckenwalder Bürgermeisters. Kurz vor seinem Tod wurde auch er noch zum Königlichen Kommerzienrat ernannt. Die große Anteilnahme an der Trauerfeier für Carl Goldschmidt, über die in der Zeitung berichtet wurde, bezeugte noch einmal die große Beliebtheit, die er sich mit seinem Auftreten erworben hatte:
„An ihr [der Trauerfeier, Anm. d. Verf.] nahm außer den Angehörigen des Verstorbenen und den seiner Familie nahestehenden Persönlichkeiten eine überaus große Zahl Leidtragender teil, während ungezählte Scharen anderer draußen harrten, um dem Verewigten nach Beendigung der Feier die letzte Ehre zu erweisen“ (Riemer 1993, 99).
Die „Ära“ von Heinrich Pariser, Georg Pariser und Carl Goldschmidt in Luckenwalde war nicht allein durch unternehmerische Leistungen bestimmt. Ihre Positionen als Fabrikherren machten sie vermögend – doch ebenso bemerkenswert war ihr großes Engagement für das jüdische wie nichtjüdische Gemeinwohl. Durch diesen persönlichen Einsatz brachten sie es zu Mandaten, Titeln und öffentlicher Anerkennung als jüdische Bürger (Abb. 3).
Quellen
Freudenthal, Joseph: Chronik der Synagogengemeinde zu Luckenwalde und deren Vorgeschichte. Zum 50jährigen Jubiläum der Synagogengemeinde 1919, hrsg. von Detlev Riemer in Zusammenarbeit mit Irene A. Diekmann. Potsdam 1997.
Riemer, Detlev (Hrsg.): Pelikan und Davidstern. Bd. 2: Quellensammlung aus lokalen Zeitungen 1850 – 1941. Luckenwalde 1993, S. 99-101.
Schubert, Walter F.: 50 Jahre Carl Goldschmidt Hutfabrik AG Luckenwalde-Berlin. Berlin 1925.
Literatur
Lässig, Simone: Jüdische Wege ins Bürgertum. Kulturelles Kapital und sozialer Aufstieg im 19. Jahrhundert. Göttingen 2004.
Lowenstein, Steven M.: Das religiöse Leben. In: Meyer, Michael A. / Brenner, Michael (Hrsg.): Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit. Bd. 3: Umstrittene Integration 1871-1918. München 2000, S. 101-120.
Müller, Hans Heinrich / Müller, Harald: Brandenburg als Preußische Provinz. Das 19. Jahrhundert bis 1871. In: Ribbe, Wolfgang / Materna, Ingo (Hrsg.): Brandenburgische Geschichte. Berlin 1995, S. 395-502.
Riemer, Detlev: Carl Goldschmidt zu seinem 150. Geburtstag. In: Heimatjahrbuch für den Landkreis Teltow-Fläming 3 (1996), S. 50-58.
Riemer, Detlev: Luckenwalde. In: Diekmann, Irene A. (Hrsg.): Jüdisches Brandenburg. Geschichte und Gegenwart. Berlin 2008, S. 192-218.
Schäfer, Michael: Geschichte des Bürgertums. Eine Einführung. Köln u. a. 2009.
Abbildungsnachweis
Abb. 1, 2 Diekmann, Irene A. (Hrsg.): Jüdisches Brandenburg. Geschichte und Gegenwart. Berlin 2008.
Abb. 3 Schubert, Walter F.: 50 Jahre Carl Goldschmidt Hutfabrik AG Luckenwalde-Berlin. Berlin 1925.
Empfohlene Zitierweise
Schröder, Marie: Pariser und Goldschmidt. Jüdische Fabrikanten und Wohltäter in Luckenwalde, publiziert am 23.03.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)