Bakelite GmbH, Erkner

Vinzenz Czech

Einen tiefen Einschnitt der Firmengeschichte der in Erkner bei Berlin ansässigen „Rütgerswerke Aktiengesellschaft“ stellt die Kooperation mit dem belgisch-amerikanischen Erfinder Leo Hendrik Baekeland (1863-1944) dar. Der Chefchemiker der „Rütgerswerke“ Dr. Max Weger (1869-1944) hatte sich mit Generaldirektor Sally Segall (1866-1925) darauf verständigt, Baekeland im Sommer 1909 nach Erkner einzuladen (Retzlaff 2010, 31). Dieser stimmte schließlich einem Verkauf der europäischen Lizenzen für die Herstellung von Bakelite, dem ersten Massenkunststoff, an die „Rütgerswerke“ zu und diese wurden Lizenznehmer und damit der weltweit erste Hersteller. Die Versuchsproduktion erfolgte Ende 1909 unter Wegers Leitung in einem Schuppen, der alten Böttcherei der Firma (Abb. 1). Der Standort Erkner eignete sich für die Herstellung von Bakelite nicht zuletzt deshalb, weil das in Erkner bei der Produktion von Steinkohleteerölen als Abfall entstehende Phenol für den Kunststoff benötigt wurde.

Technischer Direktor der neuen Firma wurde Max Weger, welcher seit 1901 im Forschungslabor der Rütgerswerke angestellt war. „Mit Dr. Max Weger fand Leo Baekeland endlich den Mann, dem er sei­ne Erfindung Bakelit und dessen industrielle Verwertung anvertraute. Schon länger hatte er danach vergeblich in den USA gesucht. Beide lernten sich Ende Juni 1909 bei einem Besuch Baekelands der Rütgerswerke in Erkner kennen. Schon im Frühjahr 1909 hatte Weger durch dessen Veröffentlichungen das Potential dieses neuen Materi­als erkannt und seinem Vorstand empfohlen. Nun überprüfte er Baekelands Erfindung, führte sie in den nächsten Monaten zur Pro­duk­tionsreife im industriellen Maßstab und stimmte dies bei einer USA-Reise im Februar/März 1910 mit Baekeland ab. Am 25. Mai 1910 wurde Weger mit der Gründung der Bakelite Gesellschaft mbH Berlin Erkner als technischer Direktor der Leiter der ersten Bakelite-Fabrik der Welt.“ (Retzlaff 2022). Produzierten die Rütgerswerke 1911 noch 48 Tonnen Bakelit, waren es 1913 bereits 192 Tonnen (Retzlaff 2010, 32), sodass ab 1913 gleich gegenüber der Phenol liefernden Teerraffinerie eine eigenständige Bakelitfabrik in der Flakenstraße (Abb. 2, 3, 4) errichtet wurde. Die volle Kapazität erreichte das Werk kriegsbedingt jedoch erst 1921.

In dieser Zeit kam es auch im globalen Maßstab zum Siegeszug des Bakelits. Es ließ sich bei der Herstellung in jede gewünschte Form pressen, war allerdings danach nicht mehr verformbar (Abb. 5). Die Vielseitigkeit beruhte auch auf einem Eigenschaftsprofil, das seinerzeit seinesgleichen suchte:

Es war hitze- und säurebeständig, unlöslich, kostengünstig herzustellen, leitete den elektrischen Strom nicht und hatte im Vergleich zu Metallen ein erheblich geringeres Gewicht.

Neben der Elektrotechnik entdeckten auch der Maschinenbau, die optische Industrie, die Möbelindustrie, der Automobil-, Flugzeug- und Meßapparatebau das Phenolharz für sich. Außerdem fanden Pressmassen mehr und mehr Verwendung, um Haushaltswaren und andere Gebrauchsgüter des täglichen Bedarfs bzw. deren Gehäuse herzustellen. Die verblüffende Vielfalt der Anwendungsmöglichkeiten illustriert vielleicht am besten die alphabetische Auflistung: Aschenbecher, Billardkugeln, Bleistiftanspitzer, Bremsbeläge (Bindemittel), Bügeleisen, Diabetrachter, Drehknöpfe, Filmkameras, Fotoapparate, Füllfederhalter, Griffe für Töpfe und Pfannen, Knöpfe für Textilien, Haartrockner, Kaffeemaschinen, Küchenmaschinen, Lampenfassungen, Lautsprecher, Lenkräder, Lichtschalter, Nähmaschinen, Radios, Schallplatten, Schweißzangen, Staubsauger, Stecker und Steckdosen, Stempelkissen, Telefone, Verteilerkappen, Wäschesprenger, Zündspulen und, und, und … (Deußing 2018). Der Markenname „Bakelite“ blieb von Beginn an mit dem Unendlichkeitssymbol verknüpft, als Hinweis auf zahllosen Möglichkeiten der Duroplaste (Abb. 6).

Zum bekanntesten und mit Abstand verbreitetsten Phenolharzprodukt wurde der im August 1933 auf der Berliner Funkausstellung vorgestellte, von den nationalsozialistischen Machthabern in zweistelliger Millionenzahl in Auftrag gegebene „Volksempfänger“ (VE 301), ein preiswertes Radio mit Bakelitgehäuse (Abb. 7). Dieses bestand aus holzmehlgefüllter Phenolharz-Schnellpressmasse auf Basis von Novolaken mit Hexamethylentetramin-Härter, hergestellt vorwiegend von der „Bakelite GmbH“ in Erkner und im Presswerk Essen der mit Rütgers konkurrierenden Gesellschaft für Teerverwertung mbH Duisburg-Meiderich (Collin 2007, 17). Mittlerweile hatte nämlich der Wettbewerb eingesetzt, denn Baekelands Patente waren am 31. Januar 1930 abgelaufen; die Monopolstellung der „Bakelite GmbH“ in Erkner hatte seither ein Ende (Retzlaff 2010, 32). Allein in Deutschland stellten nun über 30 weitere Fabriken Phenolharzmassen her.
Das Werk in Erkner produzierte vor allem Kunststoffteile, die in der elektrotechnischen Industrie als Gehäuse und Sicherung Verwendung fanden. Hauptabnehmer waren die in Berlin ansässigen und schnell wachsenden Unternehmen der Elektroindustrie wie Siemens und AEG.

1937/38 entstand dann das Werk II der „Bakelite GmbH“ verkehrsgünsti­g gelegen an der Berliner Straße (Abb. 8). In diesem Zeitraum zählte das Unternehmen bereits 509 Beschäftigte.

Im Sterbejahr Baekelands – und übrigens auch Max Wegers – lag die Phenolharz-Weltproduktion bei 175.000 Tonnen, wozu die deutsche Bakelite Gesellschaft in Erkner mit 13.000 Tonnen rund acht Prozent beisteuerte. Insgesamt wurden in Deutschland 1944 rund 250.000 Tonnen Kunststoffe hergestellt (Collin 2007, 17), davon hauptsächlich duroplastische Phenolharz- und Harnstoffharz-Pressmassen, also Phenoplaste und Aminoplaste.

Am 8. März 1944 zerstörten Luftangriffe der Alliierten Teile des Bakelitwerks und der Teerraffinerie Erkner. Damit die kriegswichtige Phenolharzproduktion nicht einbrach, wurde ein Teil der Produktionsanlagen samt Fachpersonal in die Rütgerswerke München-Pasing und Dohna bei Dresden verlagert (Collin 2007, 18).

Nach Kriegsende wurden wesent­liche Teile der Industrie in Erkner durch die sowjetische Besatzungsmacht demontiert, zerstört oder enteignet. Die Bakelite-Produktion wurde 1948 in der Rütgers-Teerraffinerie München-Pasing und ab 1950 im neuerrichteten Bakelite-Werk Letmathe bei Iserlohn fortgesetzt. Aus dem Werk Erkner entstand 1948 die „VEB Plasta, Kunstharz- und Pressmassenfabrik Erkner“.

Literatur

Collin, Gerd: Julius Rütgers und Erkner (= Erkneraner Hefte; Bd. 6). Erkner 2004.

Collin, Gerd: Leo Hendrik Baekeland und das (die) Bakelit(e). Fürstenwalde: format (= Erkneraner Hefte, 9). Erkner 2007.

Collin, Gerd: Rütgers und Bakelite. In: Freundeskreis Chemie-Museum Erkner e. V. (Hrsg.): Bakelit100 - Kunst­stoff aus Erkner erobert die Welt. Ausstellungskatalog. Erkner 2009, S. 28-29.

Collin, Gerd: Geschichte der Steinkohlenteerchemie am Beispiel der Rütgerswerke. Hamburg 2009.

Deußing, Guido: 11 Jahre Bakelit. Werkstoff im Zeichen der Unendlichkeit. 2018. In: https://www.k-online.de/de/News/111_Jahre_Bakelit_-_Werkstoff_im_Zeichen_der_Unendlichkeit/111_Jahre_Bakelit_-_Werkstoff_im_Zeichen_der_Unendlichkeit (letzter Zugriff: 14.04.2022).

Freundeskreis Chemie-Museum Erkner e. V. (Hrsg.): Bakelit100 - Kunst­stoff aus Erkner erobert die Welt. Ausstellungskatalog. Erkner 2009.

Retzlaff, Frank: Max Weger – der Vater der Bakelite Gesellschaft. In: Freundeskreis Chemie-Museum Erkner e. V. (Hrsg.): Bakelit100 - Kunst­stoff aus Erkner erobert die Welt. Ausstellungskatalog. Erkner 2009, S. 30-33.

Retzlaff, Frank: Max Weger – Vater der Bakelite GmbH. In: http://www.chemieforum-erkner.de/projekte/ausstellung/2009/b100-tagung-vortraege.htm#d (letzter Zugriff: 25.03.2022).

Abbildungsnachweis

Abb. 1, 2, 8 http://www.chemieforum-erkner.de

Abb. 3 SLUB / Deutsche Fotothek / Dieter Möller.

Abb. 4 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:IRS_2013_02_08.jpg (Foto: Axolotl Nr. 733 - CC BY-SA 3.0).

Abb. 5 https://nat.museum-digital.de/object/1107792 (ChemieFreunde Erkner - CC-BY-NC-SA).

Abb. 6 https://nat.museum-digital.de/object/184250 (ChemieFreunde Erkner - CC-BY-NC-SA).

Abb. 7 Zeitschrift des Vereins Deutscher Ingenieure, 1931.

Empfohlene Zitierweise

Czech, Vinzenz: Bakelite GmbH, Erkner, publiziert am 06.05.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)


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