Julius Pintsch Aktiengesellschaft, Fürstenwalde

Julian-Dakota Bock

Nach der Kündigung seiner Stelle in der Berliner Lampenfabrik Köppen & Wenke, richtete der gelernte Klempner Julius Pintsch (1815-1884) (Abb. 1) 1843 in einem Keller eine Reparaturwerkstatt für Gasmessgeräte ein, welche zu diesem Zeitpunkt primär aus England importiert wurden. Mit der Konstruktion eines eigenen Gasmessers gelang der jungen Firma im Jahr 1847 ein erster Durchbruch. Ausgehend hiervon zog Pintsch im Jahr 1848 in eine neu eingerichtete Apparate-Fabrik am Stralauer Platz um und ging zur serienmäßigen Produktion der Messgeräte über. Einen ersten wirtschaftlichen Erfolg stellte die Bestellung von 50 Gasmessgeräten durch den Berliner Magistrat vom 20. Februar 1851 dar. Die wachsende Nachfrage machte 1862 den Umzug auf ein größeres Werksgelände in der Andreasstraße notwendig, wo das Stammwerk der Firma bis 1945 blieb (Abb. 2, 3).

Eng verbunden mit der Firmengeschichte war der Aufstieg von Gas als bevorzugtem Beleuchtungsmittel in Eisenbahnwagen. Auf Ersuchen der Königlich Niederschlesisch-Märkischen Eisenbahnen hatte das Unternehmen ab 1868 an der Entwicklung einer entsprechenden Beleuchtungstechnik auf Grundlage von komprimiertem Petroleum gearbeitet. Im Kontext des allgemeinen konjunkturellen Aufschwungs der Gründerzeit bis 1873, kam es zu einer raschen Verbreitung der Gasbeleuchtung der Firma Pintsch. So war diese Technik 1893 in 52.000 Eisenbahnwagen verbaut, um 1908 in 163.000 Wagen und im Jahr 1919 in 350.000. Die wachsende Nachfrage führte zu einem Ausbau der Produktionskapazitäten, welche für die Firmenleitung nur im Rahmen der Errichtung eines Zweigwerkes möglich schien. (Abb. 4)

Vor diesem Hintergrund erwarb das Unternehmen im Jahr 1872 ein Gelände an der Trebuser Straße in Fürstenwalde (Spree). Fortan kehrte eine strenge Arbeitsteilung im Betrieb ein: Während die Produktion von Kleinteilen sowie die Verwaltungs- und Entwicklungsabteilungen im Berliner Stammwerk verblieben, wurde der Hauptteil der Produktion nach Fürstenwalde verlagert. Von hier aus wurde ab 1874 auch die Preußische Staatseisenbahn mit Beleuchtungstechnik beliefert. Die Bedeutung des Fürstenwalder Werkes innerhalb der Betriebsstruktur schlug sich auch in der persönlichen Lebensführung des Firmengründers Julius Pintsch nieder, welcher 1879 nach Fürstenwalde umzog und dort bis zu seinem Tod im Jahr 1884 lebte.

Im Kontext der zunehmenden Integration der Weltwirtschaft zwischen 1880 und 1914 entwickelte sich die seit 1879 von den Brüdern Oskar (1844-1912), Julius Karl (1847-1912) und Richard (1840-1919) geleitete Firma zu einem globalen Unternehmen. Dieser Prozess war eng mit der seit Mitte der 1870er Jahre forcierten Produktion von Beleuchtungstechnik für die Seefahrt verbunden. So wurde nicht nur der Finnische Meerbusen im Auftrag des russischen Zarenreiches mit Leuchtbojen ausgestattet, sondern auch der 1869 eröffnete Suez-Kanal. Weitere Leuchtbaken, -tonen und -schiffe der Firma Pintsch wurden u.a. nach England, Brasilien, Australien und in die Vereinigten Staaten geliefert (Abb. 5). Der globale Anspruch schlug sich auch im Selbstverständnis des Unternehmens nieder. So heißt es in einer Festschrift zum 50-jährigen Bestehen der Firma aus dem Jahr 1893: „Julius Pintsch gehoert zu den Firmen, deren Namen weit ueber die Grenzen ihres Vaterlandes hinaus auf dem ganzen zivilisierten Erdenrund einen guten Klang haben; er nimmt unter diesen eine erste Stelle ein, hochgeachtet und geehrt von allen denen, die mit der Firma in Verbindung standen und noch stehen.“ (LAB A Rep. 250-01-13 Nr. 667, S. 28). Auch auf der Pariser Weltausstellung im Jahr 1900 war die Firma Pintsch vertreten (Abb. 6).

Um Anschluss an die um die Jahrhundertwende einsetzende Elektrifizierung zu erhalten, gründeten die Gebrüder Pintsch im Jahr 1890 eine gesonderte Glühlampenfabrik auf dem Fürstenwalder Werksgelände. In der Fürstenwalde Glühlampenfabrik wurden jährlich ca. 1,5 Millionen Kohlefaden-Birnen hergestellt (Abb. 7). Damit verbunden war ein Anwachsen der Belegschaft. Waren 1893 noch 615 Fabrikarbeiter verzeichnet worden, verdreifachte sich diese Zahl bis 1906 auf 1.832.

Die Ausweitung des Produktsortiments hatte schließlich auch Einfluss auf die Entscheidung im Jahr 1907, die Betriebe in Fürstenwalde, Berlin und Frankfurt am Main zur „Julius Pintsch AG“ zusammenzufassen, wobei sämtliche Anteile jedoch im Besitz der Familienmitglieder blieben.

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 wurde die Produktion der Firma Pintsch auf den Heeresbedarf hin ausgerichtet. Dies lässt sich nur bedingt als Zäsur der Unternehmensgeschichte bezeichnen, hatte doch bereits Firmengründer Julius Pintsch im Kontext des deutsch-französischen Krieges 1870/71 Aufträge des preußischen Kriegsministeriums zur Fertigung von Torpedos und Seeminen entgegengenommen. Mit der faktischen Komplettumstellung zur Rüstungsproduktion, fand diese Tendenz zwischen 1914 und 1918 jedoch zu einer neuen Qualität. In diesem Kontext stellte auch das Kriegsende und die damit verbundene wirtschaftliche Demobilmachung eine schwere Belastung für das Unternehmen dar.

In der Zwischenkriegszeit wurde die Produktion der Gasbeleuchtung zugunsten elektrischer Glühlampen immer weiter zurückgefahren. Beschleunigt wurde dieser Prozess 1924 durch ein Zugunglück im schweizerischen Bellinzona, bei dem auch der DNVP-Politiker Karl Helfferich (1872-1924) ums Leben kam. Der Zusammenstoß zweier Züge hatte hierbei zu einem schweren Brand geführt, welcher auf das zum Zweck der Beleuchtung transportierte Gas zurückgeführt werden konnte (Abb. 8). Nachdem die Gasbeleuchtung im Eisenbahnverkehr in der Schweiz verboten worden war, sah sich die Deutsche Reichsbahn gezwungen, auch die eigenen Züge mit elektrischem Licht auszustatten. Die Firma Pintsch nahm im Rahmen dieser Umrüstung eine Schlüsselstellung ein und produzierte die Spannungsregler für die Generatoren, welche in den Zügen der Reichsbahn verbaut wurden.

Ab 1933 wurde die Firma Pintsch verstärkt in die rüstungswirtschaftlichen Pläne der Nationalsozialisten eingebunden. Vor diesem Hintergrund wurde die Belegschaft auf dem Fürstenwalder Werksgelände um rund 20% erhöht. Das 1936 in eine Kommanditgesellschaft umgewandelte Unternehmen produzierte wie bereits zur Zeit des Kaiserreichs primär für den Bedarf der Marine. Spätestens ab 1944 wurden im Betrieb auch rund 3.000 „Fremdarbeiter“ sowie 400 Kriegsgefangene beschäftigt, welche in einem Barackenlager in unmittelbarer Nähe des Werkgeländes an der Trebuser Straße untergebracht waren.

Nach dem Kriegsende im Jahr 1945 wurden die Maschinen und Geräte des Fürstenwalder Werkes auf Befehl der SMAD demontiert und in die UdSSR transportiert. Die Enteignung folgte im Jahr 1948, im Berliner Stammwerk erst im darauffolgenden Jahr. Nach der Übergabe an die Landesverwaltung wurde in den weitgehend geleerten Räumlichkeiten der „VEB Brandenburg, Industriewerk Fürstenwalde, Julius Pintsch“ eingerichtet. In der unmittelbaren Nachkriegszeit wurden hier v.a. Milchkannen und Fahrradreifen-Prüfmaschinen hergestellt. Ab 1951 firmierte der Betrieb als „VEB Gaselan“.

Quellen

LAB A Rep. 250-01-13 Nr. 638: Materialsammlung zur Geschichte der Firma Julius Pintsch und der Familie Pintsch (1849-1946).

LAB A Rep. 250-01-13 Nr. 667: „Zur Feier des 50jährigen Bestehens der Firma Julius Pintsch, Berlin. 1843-1893“ (1893).

o.A.: Die Besichtigung der Fürstenwalder Werke der Firma Julius Pintsch-Berlin. In: Jahrbuch der Schiffbautechnischen Gesellschaft 7 (1906), S. 677-715.

Literatur

Braun, Michael: Das Pintsch-Werk in Fürstenwalde/Spree. In: Kreiskalender Oder-Spree 2013, S. 74-78.

Escher, Felix: Pintsch, Julius Karl. In: Neue Deutsche Biographie 20 (2001), S. 461.

Escher, Felix: Pintsch, Julius. In: Neue Deutsche Biographie 20 (2001), S. 459-460.

Hirschfeld, Paul: Berlins Grossindustrie. Berlin 1897.

Kornrumpf, Martin: „Mehr Licht …“. Julius Pintsch (1815-1884) und seine Söhne. Pioniere der Beleuchtungstechnik. Ein Beitrag zur Geschichte der Pintsch-Werke in Fürstenwalde (Spree). 1872-1945 (= Kleiner unter Grossen. Lebenserinnerungen als zeitgeschichtliche Dokumentation, 2). München 1985.

Quandt, Ernst: Deutsche Industrie-Pioniere. Der Anbruch des technischen Zeitalters. Berlin 1940.

Seherr-Thoß, Hans Christoph Graf von: Pintsch, Richard. In: Neue Deutsche Biographie 20 (2001), S. 460-461.

Abbildungsnachweis

Abb. 1: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pintsch_Julius_1815_1884.jpg (Gemeinfrei).  

Abb. 2 Gemeinfrei

Abb. 3, 5 Museum Fürstenwalde

Abb. 4 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sunset_Limited_parlor_and_compartment_car_1895.JPG (Gemeinfrei)

Abb. 6 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Julius_Pintsch_Gasapparate_1900.jpg (Gemeinfrei)

Abb. 7 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sirius-Gl%C3%BChlampe.jpg (Gemeinfrei)

Abb. 8: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Eisenbahnunfall_Bellinzona_-_Badischer_Personenwagen.jpg (Gemeinfrei)

Empfohlene Zitierweise

Bock, Julian-Dakota: Julius Pintsch Aktiengesellschaft, Fürstenwalde, publiziert am 26.09.2022; in: Industriegeschichte Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)


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