Einbaum aus Ziesar

Thomas Kersting

Ein über acht Meter langes slawisches Einbaumboot aus Ziesar – über Jahrzehnte eines der prominenten und sicher größten Exponate des Kunsthistorischen Museums Magdeburg – wurde im Jahr 2010 in den Besitz des Landes Brandenburg zurückgeführt, wo es vor 75 Jahren gefunden wurde.

Nach längeren Bemühungen der Stadt Ziesar um Rückgabe des herausragenden Fundes hatten sich die Länder Sachsen-Anhalt und Brandenburg über den dauerhaften Verbleib des fast 1000jährigen Eichen-Bootes geeinigt. Im Jahr 1939 war es von Ziesar an das zuständige Kreisheimatmuseum in Burg verliehen worden, 1972 gelangte es schließlich an das Magdeburger Museum, wo es seitdem ausgestellt war. Nun übernimmt - nach rechtlicher Klärung durch das Oberlandesgericht Naumburg - das BLDAM als zuständiges Landesmuseum das Stück: ein spätes Kapitel der Auswirkungen des Einigungsvertrages von 1990, der auch das Eigentum an verlagertem Kulturgut mit überregionaler Bedeutung regelt.

Der Einbaum wird zunächst zur eingehenden Untersuchung und Dokumentation in die Restaurierungswerkstatt des Landesmuseums nach Wünsdorf überführt (Abb. 1). Um Vorgehensweise und Technik seiner Herstellung zu erforschen, soll ein schwimmfähiger Nachbau von geeigneten Archäo-Handwerkern angefertigt werden. So kann künftig die Ausstellung des Landesmuseums im Paulikloster in Brandenburg /Havel um eine Attraktion reicher und die Slawenzeit für wasserfeste Besucher „erfahrbar“ werden (Abb. 2).

Funde von Einbaum-Booten sind in den vergleichsweise jungen, nacheiszeitlichen und von Wasser geprägten Niederungslandschaften nördlich der Mittelgebirgszone (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Teile Niedersachsens) zwar nicht an der Tagesordnung, aber auch nicht ungewöhnlich (Karte Abb. 3). Sie werden beim Baggern in Seen, Flussbetten oder beim Torfgraben angetroffen, wo sie – wohl meistens gesunken - von Sediment überdeckt erhalten blieben. Deshalb fehlen auch meist ein Schichtzusammenhang und die Zuordnung zu einer konkret datierten archäologischen Kultur. Die Datierung ist häufig nur über naturwissenschaftliche Methoden möglich, denn die Gestaltung der Boote unterliegt nur wenig technologischen Änderungen im Laufe der Zeit.

Die ältesten Einbäume stammen schon aus der Mittel- und Jungsteinzeit. Felsbilder und Funde in Nordeuropa belegen den Gebrauch in der Bronzezeit. Schriftliche Quellen (Caesar, Tacitus, Plinius) erwähnen für die Germanen den Gebrauch von Wasserfahrzeugen, die als Einbäume gedeutet werden. Einbaumboote sind aber letztlich bis in das Mittelalter und die Neuzeit im Gebrauch geblieben (auf dem Mondsee im Salzkammergut z.B. noch in den 1950er Jahren). Die Funddatenbank des BLDAM verzeichnet für das Land Brandenburg immerhin etwa 40 Einbaumfunde (vielfach nur Bruchstücke) aus den letzten etwa 100 Jahren. Physisch erhalten ist davon kaum einer, aber z.B. im Museum Wusterhausen/Dosse befindet sich ein weiteres gut erhaltenes Exemplar aus der gleichen Zeit wie der aus Ziesar, das allerdings deutlich kleiner ist.

Das 1935 bei Meliorationsarbeiten in der Nähe Burg Ziesar im „Alten See“ gefundene Einbaum-Boot (Abb.  4) hat zunächst keinen Niederschlag in den Ortsakten des heutigen BLDAM erfahren, da Ziesar zum Landkreis Jerichower Land gehörte und damit dem Landesmuseum Halle/Saale zugeordnet war. Die genaueren Fundumstände und die Fundstelle sind unbekannt, Beifunde sind nicht erwähnt. Die Datierung des Bootes wurde zunächst in den ersten Jahrhunderten n.Chr. vermutet, wohl aufgrund einer naturwissenschaftlichen Pollenuntersuchung „des anhaftenden Erdreichs“, die damals in Berlin unternommen wurde.

Eine erste naturwissenschaftliche Erfassung (Abb. 5) inclusive einer Datierung (sowohl C14 als auch Dendrochronologie), die das Kulturhistorische Museum Magdeburg 2002 in Auftrag gegeben hat schien dies zunächst zu bestätigen, bis eine überarbeitete Neufassung 2009 das Ergebnis der dendrochronologischen Untersuchung konkretisierte und ein Alter des verwendeten Baumes von 954 (Wachstumsbeginn) bis 1025 + 20 (Fälldatum) nachweist (Dr. Heußner, DAI Berlin).

Der Fund des Einbaumes von Ziesar ist landesgeschichtlich und überregional als bedeutend zu betrachten. Er kann als singulär angesehen werden; schon allein seine Ausmaße (er gehört zu den größten bekannt gewordenen Exemplaren) und die annähernd komplette Erhaltung sowie darüber hinaus auch die genaue Datierung verleihen ihm besonderen Wert.

Mit seiner Fundlage im heute trockenen, aber immer noch so genannten „Alten See“ (Abb. 6) illustriert er in besonders eindrücklicher Weise das stark am Gewässernetz orientierte Leben und Wirtschaften in der Slawenzeit vom 7./8. bis 12. Jahrhundert. Das Kartenbild des Ur-Messtischblattes von 1842 lässt vermuten, dass der „Alte See“, der um 1750 noch teilweise wasserführend war, und seit 1880 eine gezielte Trockenlegung erfuhr, wohl über einen Ausfluss nach Norden, den Steinbach, eine Gewässerverbindung über das Fiener Bruch zum Flüsschen Buckau hatte, wodurch man Anschluss an das überregionale Gewässernetz bekam – nicht zuletzt in Richtung Brandenburg an der Havel im Norden (Abb. 7).

Ob solche mäandrierenden Bäche allerdings mit einem so großen Einbaum befahrbar waren, darf bezweifelt werden, sicher war es zeitweise bei Hochwasser möglich.

Immerhin ist der Tiefgang für ein Boot dieser Länge recht gering. Insgesamt scheint sich das Stück gut in die Größenverhältnisse der zu dieser Zeit im westslawischen Raum üblichen Boote einzufügen, ebenso wie die Verwendung in einem zuflusslosen Binnensee. Neben der Verwendung zur Fischerei ist bei der Größe auch an eine Fähr- und Transportfunktion zu denken; auch aneinander gekoppelte Einbäume als Auftriebskörper für größere Flöße sind nachgewiesen, diese weisen – anders als unser Stück – an den Rändern Ausnehmungen zum Ankoppeln auf.

Nicht umsonst wird der slawische Ortsname „Ziesar“ – 948 als „Ezeri“ ersterwähnt - mit „za jezero - hinter dem Seeerklärt. Am Nordende des „Alten Sees“ erhebt sich nämlich die Bischofsburg Ziesar, die 948 als zum Brandenburger Bistum gehörig genannt wird. Sie geht auf eine slawische Vorgängeranlage zurück und diente der kurzzeitigen deutschen Herrschaft im 10. Jahrhundert als Burgward. An seinem Ostufer, auf einem Geländesporn, der seinerseits östlich vom „Peter-Teich“ begrenzt wird, lag eine zur slawischen Burg gehörige Vorburgsiedlung, die sich später zur „Petri-Vorstadt“ entwickelte – gut vorstellbar, dass hier der Eigentümer und Nutzer des Bootes ansässig war.

 

Der Beitrag erschien erstmalig unter dem Titel „1000 Jahre alter Einbaum kehrt heim. Ein slawisches Eichenboot aus Ziesar, Lkr. Potsdam-Mittelmark“. In: Archäologie in Berlin und Brandenburg 2010 (2012), S. 91-94.

Literatur

Ossowski, Waldemar: Early medieval logboats from Poland – an important source of information about navigation. In:  Biermann, Felix / Kersting, Thomas (Hrsg.): Siedlung, Kommunikation und Wirtschaft im westslawischen Raum (= Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas; 46), Langenweißbach 2007, S. 107-115.

Kersting, Thomas: 1000 Jahre alter Einbaum kehrt heim. Ein slawisches Eichenboot aus Ziesar, Lkr. Potsdam-Mittelmark. In: Archäologie in Berlin und Brandenburg 2010 (2012), S. 91-94.

Abbildungsnachweis

Abb. 1 D. Sommer, BLDAM.

Abb. 2 Th. Kersting.

Abb. 3, 6, 7 S. Schwarzländer, BLDAM.

Abb. 4 Gemeinfrei.

Abb. 5 BLDAM.

Empfohlene Zitierweise

Kersting, Thomas: Einbaum aus Ziesar, publiziert am 09.10.2023; in: Historisches Lexikon Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

Kategorien

Epochen: Ur- und Frühgeschichte
Themen: Archäologie und Siedlung


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