Plänitzer Medaillon

Thomas Kersting

Der Münzfund von Plänitz im Ruppiner Land mit 601 Randpfennigen - früher Sachsen- oder Wendenpfennige genannt (Abb. 1-3) - aus der Mitte des 11. Jahrhunderts enthielt als einzigen „nichtmonetären“ Bestandteil auch ein zunächst exotisch wirkendes Medaillon von 32 mm Durchmesser und 9,09 g Gewicht bei 1,13 mm Stärke (Abb. 4, 5). Seine Zusammengehörigkeit mit den Münzen ist durch die planmäßige Bergung gesichert, so dass die durch die Münzen gegebene Datierung zunächst auch für dieses Stück zu gelten hat. Der Begriff Medaillon ist hier im numismatischen Sinne als „großformatiges Schau- oder Gedenkstück aus Bronze oder Edelmetall“ zu verstehen. Offenbar sind die Darstellungen auf beiden Seiten nicht wie bei einer Münze geprägt, sondern sind mit einem stichelähnlichen Werkzeug in die Oberfläche tief eingeschnitten bzw. graviert, wobei in tief liegenden Bereichen stellenweise regelrechte Grate stehen blieben. Insgesamt ist das Stück an der Oberfläche stark verschliffen bzw. abgegriffen. Es weist stellenweise Spuren scharfer Einschnitte und Zangen- sowie Hammerschlagspuren auf, einzelne Partien wirken auch wie nicht endgültig ausgearbeitet. Kaum sichtbare Spuren am Rand könnten auf eine ursprünglich oder zeitweise vorhandene Henkel-Öse zum Aufhängen hinweisen.

Erste Beobachtungen und Überlegungen zur Ikonographie dieses im westslawischen Raum und darüber hinaus absolut einzigartigen Fundstückes, das als Ganzes ohne Parallele ist, führen zu der Erkenntnis, dass auf dem Stück Motive aus Bildtraditionen mehrerer Kulturkreise und Jahrhunderte versammelt sind.

Die beiden Seiten des Medaillons - ob jeweils als Vorder- oder Rückseite zu verstehen, ist unklar – sind gleich orientiert. Auf der einen Seite erkennt man ein verzweigtes Kreuz auf ebenfalls verzweigtem Sockel mit zwei darunter stehenden Figuren; eine nicht entzifferbare (Trug-?) Schrift umgibt die Szene. Dem Bild liegt offensichtlich ein geläufiges byzantinisches Motiv zugrunde, das z.B. auf Miliaresion-Münzen des 10. und 11. Jahrhunderts vorkommt. Diese zeigen Büsten des damaligen Kaiserpaares Basileus II. Bulgaroktonos und Konstantin VII. (976-1025; so im Münzkabinett des Bode-Museums in Berlin) unter einem verzweigten, auf einem gestuften Sockel stehenden sogenannten „Patriarchenkreuz“. In gleicher Anordnung begegnet das Motiv auch mit Heiligenbildnissen (Abb. 6).

Als Umdeutung der Kaiser- oder Heiligenbüsten treten aber auf dem Plänitzer Fundstück Figürchen in einem vermeintlich „typisch slawischen“ Habitus auf, wie sie von Riemenzungen aus dem großmährischen Reich schon des 9. Jahrhunderts, z.B. aus Mikulcice bekannt sind. Fast identisch findet man sie aber auch als Ritzzeichnungen im Raum Novgorod (Abb. 7, 8). In denselben Zusammenhang gehören offensichtlich auch so bekannte Darstellungen wie die Figur des sogenannten Gerovit-Steins aus der Kirche in Wolgast, die nachträglich mit einem Kreuz „christianisiert“ wurde. Allerdings ist festzustellen, dass auch im nordisch-wikingischen Raum zum Verwechseln ähnliche figürliche Darstellungen, z.B. auf Bildsteinen, vorkommen (Abb. 9). Die eigentliche – wohl im kultischen Bereich zu suchende – Bedeutung dieser Figuren, ebenso wie die randlich neben ihnen befindlichen „kurvo-linearen Strukturen“, muss zunächst offenbleiben.

Die andere Seite zeigt nach rechts gewandt einen Reiter zu Pferde, der schräg nach oben eine dreizipflige Fahnenlanze hält, die bis ins Schriftfeld hineinragt. Das Pferd mit Schweif, Mähne und Zügel ist recht naturalistisch wiedergegeben. Der Reiter mit kugeligem Auge scheint einen Helm mit Nasenschutz zu tragen, der in dieser Zeit üblich war; sein unter dem Pferdebauch herabhängendes Bein entspricht genau den Beinen der Figuren auf der anderen Seite. Gerade dieses Detail zeigt, dass die Figuren nicht aus mangelndem Können stilisiert erscheinen, denn der Verfertiger war durchaus in der Lage, eine sehr naturalistische Reiterdarstellung zu schaffen.

Ob der Reiter ein nach vorne bzw. unten weisendes Schwert trägt, ist nicht genau zu entscheiden, bei der schrägen Struktur kann auch ein Gurt des Pferdegeschirrs gemeint sein. Insgesamt erscheint das Reiterbildnis deutlich angelehnt an verschiedene zeitgenössische Siegeldarstellungen, z.B. wie dem von Heinrich dem Löwen aus der Mitte des 12. Jahrhunderts (Abb. 10). Diverse Münzbilder der gleichen Zeit zeigen ebenfalls dieses Motiv, u.a. die ungleich gröbere Darstellung Pribislaw-Heinrichs von Brandenburg als Reiter, wo besonders die genau gleichartig gestaltete Fahnenlanze auffällt. Aus Thüringen bieten die Reiterbrakteaten der Markgrafen Ludwig II. und III. dasselbe Motiv, die auch eine Umschrift aufweisen können, allerdings von viel höherer Qualität als die Pribislav-Münze. Sie stammen wie die Pribislav-Münze aus dem ersten Drittel des 12. Jahrhunderts.

Bei allen Beispielen ragt die Lanze auf die gleiche Weise ins Schriftfeld hinein. Ob in den wolkigen Strukturen unterhalb des Pferdes noch irgendetwas konkretes dargestellt gewesen ist, kann man nicht erkennen. In dieser insgesamt gelungenen Art der Darstellung aber scheint sich das Plänitzer Stück auch mit nordische Parallelen vergleichen zu lassen, wie Wandteppiche oder Schachfiguren aus dem normannisch-norwegischen bzw. englisch-insularen Raum zeigen. In derselben Weise schließlich lassen sich auch Darstellungen auf dem bekannten Teppich von Bayeux (nach 1066) hier anschließen.

Eine „echte“ Umschrift besitzt das Plänitzer Medaillon nicht, nur ornamentale Nachahmungen der unterschiedlichen Umschriften der verschiedenen Vorbilder, sowohl auf der „Kreuz-Seite“ als auch auf der „Reiter-Seite“. Auf letzterer sind wechselseitig orientierte Dreiecke zu sehen, eventuell auch kreuzförmige Strukturen, genauso wie sie auch auf den vergesellschafteten Randpfennigen als Schriftimitation auftreten. Die „Umschrift“ der anderen Seite weist gewisse Anklänge an armenische (Münz-)Inschriften auf, wie die spezielle Form der nach unten offenen und nach oben gerundet verbundenen n- und m-ähnlichen Zeichen (Abb. 11). Bei näherer Betrachtung ist aber festzustellen, dass hier ausschließlich diese Zeichen auftreten und keine weiteren des 38 Buchstaben umfassenden armenischen Alphabets. Diese Trugschrift oder Schrift-Imitation der „Kreuz-Seite“ wirkt wohl deshalb insgesamt schriftähnlicher, weil das byzantinische Vorbild eine „echte“ Umschrift in griechischer Schrift besaß, von der aber keine identifizierbaren Zeichen auf das Plänitzer Stück übernommen wurden.

Das Medaillon, aufgefunden im nordwestlichen Slawengebiet, ist im kulturellen Überschneidungsbereich der aufgezeigten Einflüsse zu verorten: aus dem byzantinischen Reich, dem westlichen Russland zwischen Ostsee und Schwarzmeergebiet und dem skandinavischen Raum sowie dem Deutschen Reich.

Brennpunkt dieses Überschneidungsbereiches könnte die Kiewer Rus sein: eine Reichsbildung, die in lebhaftem Austausch mit ihren Nachbarn in Ost und West, Nord und Süd stand und zwischen Ostseeraum und Arabien vermittelte und zudem durch regelrechte „Staatsverträge“ mit Byzanz verbunden war. Gerade Münzen des genannten byzantinischen Kaisers sind hier wiederholt gefunden worden. Skandinavier - „Waräger“ - die auch als kriegerische Elitetruppen in byzantinischen Diensten standen, waren an der Gründung des Reiches im 9./10. Jahrhundert beteiligt, das bis ins 13. Jahrhundert Bestand hatte, und stellten sogar seine Herrscherdynastie. Ob aber der Bereich Kiew-Novgorod selbst als Herstellungsbereich des Plänitzer Stückes in Frage kommen könnte, ist fraglich. Von dort können jedenfalls bislang keine Vergleichsstücke benannt werden, wenn auch zahlreiche Siegel und Münzen die Verwendung einer an die byzantinische Ikonographie angelehnten, herrschaftlich-christlichen Symbolik mit eigenen Charakterzügen belegen. Ein weiteres regionales Element, eventuell in Armenien wurzelnd, ist anhand der (Schein-?)-Buchstaben nicht gänzlich auszuschließen. Das Gebiet zwischen nordöstlichem Mittelmeer, Schwarzem und Kaspischem Meer liegt zwar räumlich peripher, fügt sich aber gerade kulturgeschichtlich in den aufgespannten Rahmen gut ein. Als christliches Königreich zur Zeit der Kreuzfahrerstaaten war es am mobilen Fernaustausch mit Waren und Personen, insbesondere Priestern und Mönchen beteiligt, die über Jerusalem, Rom und Bayern bis nach Irland gelangten.

Vorbilder für das Plänitzer Stück könnten möglicherweise byzantinische Medaillons gewesen sein (Abb. 12). In der (Spät)-Antike basierten goldene und silberne Medaillons auf dem Münzfuß der Umlaufmünzen ihrer Zeit und können vielleicht auch Zahlungszwecken gedient haben (das Plänitzer Stück wiegt recht genau ein 10faches der begleitenden Einzelmünzen). Aufgrund ihres hohen Werts fungierten die Medaillons aber vorwiegend als kaiserliche Gaben. Die häufig gelochten oder gehenkelten Stücke dienten als Auszeichnungen oder Geschenke auch an fremde Eliten. Sie stellten in der späten Kaiserzeit versteckte Tributzahlungen an die Herrscher benachbarter/feindlicher Völker dar; häufig werden sie daher außerhalb des Römischen Reichs gefunden. Auch dem Byzantinischen Reich war eine solche Praxis nicht fremd, erhebliche Tributzahlungen an nördliche Nachbarmächte wie die Kiewer Rus sind für das 10. Jahrhundert überliefert. Vor dem Hintergrund dieser Traditionen könnte das Stück als „einheimische Produktion“, wo auch immer diese genau zu lokalisieren sein mag, zu sehen sein. Dies allerdings sozusagen im Sinne einer „Imitatio Imperii“: einer Nachahmung von (Kaiser-)Reich und Herrschaft. Dem Verfertiger jedenfalls waren Vorbilder – Siegel, Münzen, Medaillons, Schrift- (?), Ritz- oder andere Zeichnungen - aus den verschiedenen kulturellen Zusammenhängen geläufig und zugänglich. Er schuf daraus einen „interkulturellen“ Gegenstand, einen Träger symbolischer Bildinhalte als Zeugnis einer Kultursynthese.

Im Zusammenhang des Plänitzer Schatzes und seinen Fernbeziehungen mit den jüngst entdeckten Schwertgräbern derselben Zeit aus dem unmittelbar benachbarten Wusterhausen (drei Kilometer Entfernung) deutet sich in diesem Raum eine Art „Reichtumszentrum“ an, das schon etwa ein Jahrhundert vor dem Ausgreifen der Deutschen Reiches in die Nordmark jenseits der Elbe 1147 im Zuge des „Wendenkreuzzuges“ Bestand hatte (Abb. 13).

 

Der Beitrag erschien unter dem Titel: Kersting, Thomas: Ein „interkulturelles“ Medaillon mit Einflüssen unterschiedlicher Zeiten und Regionen von Plänitz in Brandenburg. In: Biermann, Felix / Kersting, Thomas / Klammt, Anne (Hrsg.): Der Wandel um 1000. Beiträge der Sektion zur Slawischen Frühgeschichte der 18. Jahrestagung des Mittel- und Ostdeutschen Verbandes für Altertumsforschung in Greifswald, 23. bis 27. März 2009 (= Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas; 60). Langenweißbach 2011, S. 453-461.

Literatur

May, Jens / Plate, Christa / Schauer Burkhard: Sechshundert und ein Sachsenpfennig - ein Münzschatz des 11. Jahrhunderts von Plänitz, Lkr. Ostprignitz-Ruppin. In: Archäologie in Berlin und Brandenburg 2004. Darmstadt 2005, S. 75-76.

Müller-Wille, Michael / Janin, Valentin L. / Nosov, Evgenij. N. / Rybina Elena A. (Hrsg.): Novgorod. Das mittelalterliche Zentrum und sein Umland im Norden Rußlands (= Studien zur Siedlungsgeschichte und Archäologie der Ostseegebiete; 1). Neumünster 2001.

Tolocko, Petr P.: Kiev und seine überregionalen wirtschaftlichen Verbindungen. In: Bericht der Römisch-Germanischen Kommission 69 (1988), S. 344-357.

Abbildungsnachweis

Abb. 1-3 J. May, BLDAM.

Abb. 4 D. Sommer, BLDAM.

Abb. 5 Th. Kersting, BLDAM.

Abb. 6-12 Kersting 2011.

Abb. 13 M. Härtel, BLDAM.

Empfohlene Zitierweise

Kersting, Thomas: Plänitzer Medaillon, publiziert am 12.10.2023; in: Historisches Lexikon Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)

Kategorien

Epochen: Ur- und Frühgeschichte
Themen: Archäologie und Siedlung


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