Niederjesar (Landkreis Märkisch-Oderland) – Slawische und skandinavische Funde

Thomas Kersting, Frank Slawinski

Rings um den „Aalkasten“ genannten See, sechs Kilometer westlich von Lebus gelegen, finden sich mehrere ausgedehnte ur- und frühgeschichtliche Fundplätze, die auch slawenzeitliches Material führen.

Großflächige jungsteinzeitliche und eisenzeitliche, kaiserzeitliche und slawische Siedlungen erstrecken sich in Hanglage unmittelbar südlich der west-ost verlaufenden Straße. Bei Oberflächenprospektionen wurden auf landwirtschaftlich genutztem Areal Gefäßscherben, Brandlehm und Knochen geborgen sowie Bodenverfärbungen angepflügter Siedlungsbefunde beobachtet (vgl. Abb 13). Das fundreiche Areal reicht bis auf die siedlungsgünstig gelegene Halbinsel im „Luckenwinkel“ am Nordufer des Aalkastensees.

Diese bekannten Plätze wurden, ebenso wie viele andere, vom Ehrenamtlichen Beauftragten des Landesamtes, Frank Slawinski, im Rahmen seiner genehmigten Metallabsuche immer wieder unter verschiedenen Bedingungen aufgesucht, um die Fund- und Befunderhaltung im Untergrund zu kontrollieren, und nicht zuletzt auch deswegen, um eventuellen illegalen Sondengängern zuvor zu kommen. Dies geschieht im Rahmen eines vom Fachamt initiierten Konzeptes einer gezielten prophylaktischen Entnahme von Landeseigentum aus prominenten metallzeitlichen Bodendenkmalen, das auf der Ausbildung, Betreuung, Lizensierung und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit inzwischen zahlreichen ehrenamtlichen Beauftragten beruht. Verlässlicher Partner dabei ist seit Jahren auch der Lehrstuhl für Ur- und Frühgeschichte der Universität Göttingen (PD Dr. F. Biermann).

Die zum Teil spektakulären Funde, die Frank Slawinski hier in mehrfachen Absuchen bergen konnte, stammen aus den römischen Kaiserzeit und der Slawenzeit. Die kaiserzeitlichen Metallfunde umfassen „einheimische“ Bronzefibeln (eine Fibel mit hohem Nadelhalter, eine Fibel mit leicht verbreitertem, umgeschlagenen Fuß und Bügelumwicklung der späten röm. Kaiserzeit bzw. der frühen Völkerwanderungszeit, Abb. 1), aber auch Stücke römischer Provenienz wie Bronze- und Silbermünzen (ein Sesterz des Traian und ein Denar des Hadrian, Rom, 119-122, RIC II 94, Abb. 2), Riemenbeschläge von Militärgürteln (sog. Herzförmiger, durchbrochener Anhänger der jüngeren röm. Kaiserzeit, Abb. 3). Besonders auffällig ist ein halbiertes, massiv gegossenes plastisches Köpfchen mit Lockenfrisur, einem Auge und „Pausbacke“, wie von einer Amorfigur, die offensichtlich auf einer flachen Unterlage aufsitzend als Attache diente, wahrscheinlich an einem Bronzegefäß. Im Frisurbereich weist es ein Loch, offenbar einen Gussfehler auf (Abb. 4).

Zu den slawenzeitlichen Funden zählen mindestens vier Kugelzonengewichte, teilweise mit erkennbaren Gewichtsmarkierungen, die im Ostseeraum und darüber hinaus im wikingischen Einflussbereich verbreitet sind (Abb. 5). Sie tauchen seit dem Ende des 9. Jahrhunderts auf, oft in Kombination mit den zugehörigen Klappwaagen, und sind wohl durch den Austausch mit dem arabischen Kultur- und Wirtschaftsbereich angeregt worden. Diese Gewichte aus einem Eisenkern mit Messing-oder Bronzemantel sind überraschend exakt und technisch sehr kompliziert gearbeitet, und erfordern Perfektion und spezielle Kenntnisse. Von wem und in wessen Auftrag sie produziert wurden, ist letztlich unbekannt, sie spiegeln aber den Wunsch und das Bedürfnis nach Regulierung des Handelsgeschehens und des Zahlungsverfahrens, also der zentralisierten Organisation eines Marktes. Wahrscheinlich war der jeweilige „Herr“ der vielen wikingischen Handelsplätze die lokale Ausgabe-Instanz, und der weiträumige Austausch im gesamten wikingischen Handelsraum sorgte für den Abgleich bzw. die Angleichung, die im Laufe der Zeit vom 9. bis ins 12. Jahrhundert auch für chronologische und regionale Unterschiede sorgte.

Mittlerweile – nach mehreren Jahren systematischer Metallprospektion – sind sie von deutlich mehr Fundplätzen in Brandenburg bekannt als früher, und belegen eine weit intensivere Durchdringung auch der entlegeneren Hinterlandzonen mit wikingischen Kulturkontakten.

An Schmuckbestandteilen sind neben typisch slawischen Schläfenringen mit S-Haken (ein größerer drahtförmiger sowie ein kleiner gegossener, beide Silber, Abb. 6, 7), ein lanzettförmiger kreisaugen- und ritzverzierter bronzener Ketten-Schließhaken (Abb. 8) und zwei wohl silberne Blech-Hohlperlen zu nennen (Abb. 9). Mehrere Fragmente einer durchbrochen gearbeiteten kreisförmigen Zierscheibe scheinen aus Blei zu bestehen (Abb. 10). Sie gehören mit größter Wahrscheinlichkeit zu einer Zierscheibe mit einer Adlerdarstellung im Zentrum (die hier fehlt); eine kleine Gruppe derartiger Stücke aus Blei, die wohl auf (Leder-)Unterlagen aufgenäht getragen wurden, ist bisher aus einem Bereich von Lübeck über Stettin bis Breslau bekannt – meist in relativer Ostsee-Nähe wie die besonders guten Parallelen aus Demmin, Sanzkow und Usedom. Ihre Datierung führt ins 13. Jahrhundert, was gerade noch zu den anderen spätslawischen Funden passt.

Hinzu kommen weitere, teilweise verzierte Blechfragmente und vor allem das – etwa zur Hälfte vorliegende – Bruchstück einer ovalen, durchbrochen gearbeiteten Fibel mit figürlichen Darstellungen im wikingischen Tierstil, das hierzulande bisher völlig einzigartig dasteht (Abb. 11).

Es handelt sich um eine vendelzeitliche ovale Plattenfibel „Typ J 1 mit s-förmig einbeschriebenen Schlangen, deren gegeneinander gerichtete Köpfe in die bandförmigen Leiber zurückbeißen, wobei die langen Ober- und Unterkiefer mit denselben verflochten sind“ (Gabriel 1988). Ihre nächste Parallele findet sie südlich der Ostsee in der Slawenburg Starigard bei Oldenburg in Holstein, eigentlich aber in ihrem Ursprungsgebiet in Südskandinavien von Bornholm bis Norwegen. Als Ableitung aus kontinentalen Vorbildern des 6. Jahrhunderts. werden solche Fibeln ins 7. Jahrhundert datiert. Dies muss an diesem Platz im Osten Brandenburgs überraschen, fehlt hier doch bislang frühslawisches Material.

So muss auch in Betracht gezogen werden, dass es sich bei dem Stück – und den anderen kaiserzeitlichen – um Altmaterial handeln könnte. Konzentrierte Oberflächen-Absuchen mit dem kompletten Lehrgang für angehende Ehrenamtliche Beauftrage der Landesarchäologie im Herbst 2016 (Abb. 12) sollen u.a. klären helfen, ob hier eine wirkliche kaiserzeitliche Siedlung bestand oder aber das „römerzeitliche“ Metall als Altmaterial in spätslawischem Kontext zu bewerten ist, ein Verdacht der schon an vergleichbaren Plätzen in Mecklenburg-Vorpommern mit ähnlichem Fundspektrum aufkam. Auch in Brandenburg sind mittlerweile Plätze bekannt, die ein ähnliches Fundspektrum aufweisen.

An der Spitze der Halbinsel Luckenwinkel (Ab. 13) sind im Luftbild im hellen Sand bei einer Trockenphase eine Menge dunkle Grubenhausverfärbungen zu sehen. Im See befindet sich unter der Wasseroberfläche eine Art Podest, eine Aufschüttung aus Steinen und Sand, die intensiv durchmischt ist mit slawischen Keramikscherben und anderen Siedlungsresten. Möglicherweise ist diese in den See hineinragende Struktur im Zusammenhang mit Boots-Anlege-Aktivitäten zu sehen oder entstanden, ob absichtlich oder nebenbei. Denn in Sichtweite des Fundplatzes, in 200 Meter Entfernung quer über den See, liegt der Abfluss des Mühlenfliesses aus dem Aaalkastensee, das in knapp sieben Kilometern gewundenen Laufes den Anschluss an die Alte Oder bei Wüste Kunersdorf herstellt, auf der man nach weiteren zweieinhalb Kilometern den Lebuser Burgberg erreicht. Das Fließ führt dabei an einer ganzen Reihe von ur- und frühgeschichtlichen Fundplätzen vorbei, aber auch fast unmittelbar unterhalb des Verbergungs- und Fundortes des großen Lebuser Münzhortes von 2014, den ebenfalls Frank Slawinski entdeckte. Es ist anzunehmen, dass der Bach eine alte und viel genutzte Verbindung vom Hauptstrom der Oder zum Hinterland herstellt. Dass solche Wasser-Verbindungen auch abseits der größeren Flüsse genutzt wurden, zeigt der Fund des Einbaumes von Ziesar, der sicher nicht nur auf dem relativ kleinen See eingesetzt wurde, wo man ihn fand sowie zahlreiche weitere Einbaumfunde in Brandenburg auch abseits größerer Gewässer.

Die Slawenburg mit weitreichenden Beziehungen lag an einem strategisch wichtigen Punkt, wo sich die West-Ost Verbindung zwischen Brandenburg und Polen und die „Haupt-Schlagader“ zur Ostsee und dem Wikingerraum und damit die großen Handelsströme kreuzten. Hier im nahegelegenen Hinterland der Burg bestand angesichts des Fundmaterials wohl eine Niederlassung, die an Wohlstand und Reichtum sowie an Austausch, Handel und Kommunikation quer über die Ostsee und entlang der Oder partizipieren konnte – ob hier aber „echte“ Wikinger ein- und ausgingen muss offenbleiben.

 

Der Beitrag erschien unter dem Titel: Kersting, Thomas / Slawinski, Frank: Slawische und skandinavische Funde von Niederjesar, Lkr. Märkisch-Oderland. In: Religion und Gesellschaft im nördlichen westslawischen Raum. Beiträge der Sektion zur slawischen Frühgeschichte der 22. Jahrestagung des Mittel- und Ostdeutschen Verbandes für Altertumsforschung in Chemnitz, 29. bis 31. März 2016. Herausgegeben von Felix Biermann, Thomas Kersting und Anne Klammt. Langenweißbach 2017, S. 279-288.

Literatur

Gabriel, Ingo: Hof- und Sakralkultur sowie Gebrauchs- und Handelsgut im Spiegel der Kleinfunde von Starigard/Oldenburg. In: Bericht der Römisch Germanischen Kommission 69 (1988), S. 103-291.

Kersting, Thomas: Der Einbaum von Ziesar. In: Biermann, Felix / Kersting, Thomas / Klammt, Anne (Hrsg.): Soziale Gruppen und Gesellschaftsstrukturen im westslawischen Raum. 20. Jahrestagung des Mittel- und Ostdeutschen Verbandes für Altertumsforschung in Brandenburg (Havel) (= Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas; 70). Langenweißbach 2013, S. 451-456.

Abbildungsnachweis

Abb. 1-5, 11 K. Sommer, BLDAM.

Abb. 6-10, 12 Th. Kersting, BLDAM.

Abb. 13 Otto Braasch.

Empfohlene Zitierweise

Kersting, Thomas / Slawiinski, Frank: Niederjesar (Landkreis Märkisch-Oderland) – Slawische und skandinavische Funde, publiziert am 12.10.2023; in: Historisches Lexikon Brandenburgs, URL: <http://www.brandenburgikon.de/ (TT.MM.JJJJ)

 

Kategorien

Epochen: Ur- und Frühgeschichte - Land Brandenburg

Themen: Archäologie und Siedlung


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