Kugelamphorenkultur (um 3300/3100–2700 v. Chr.)
Günter Wetzel
Gruppen / Kulturen der Jungsteinzeit im Gebiet des heutigen Brandenburg
Frühneolithikum (um 5200–4000/3800 v. Chr.)
-> Friesack-Boberger Gruppe / Kultur
-> Linienbandkeramik
-> Stichbandkeramik / Stichreihenkeramik
-> Rössener Kultur
-> Brześć Kujawski Gruppe / Guhrauer Gruppe
-> Michelsberger Kultur
-> Frühe Trichterbecherkultur
-> Baalberger Kultur
Mittelneolithikum (um 3800/3500–2800 v. Chr.)
-> Nordische Trichterbecherkultur
-> Übergangshorizont
-> Salzmünder Kultur
-> Uckermärkische Gruppe
-> Walternienburger Kultur
-> Altmärkische Tiefstichkeramik
-> Britzer Kultur
-> Waltersdorfer Gruppe
-> Havelländische Kultur
-> Fischbecker Gruppe der -> Schönfelder Kultur
-> Bernburger Kultur
-> Kugelamphorenkultur
Spätneolithikum (um 2800–2200/2000 v. Chr.)
-> Schnurkeramik
-> Einzelgrabkultur
-> Oderschnurkeramik
-> Schönfelder Kultur
-> Ammenslebener Gruppe der -> Schönfelder Kultur
-> Glockenbecherkultur
-> Dolchzeit / Aunjetitzer Kultur
Brandenburg liegt inmitten des Verbreitungsgebietes der Kugelamphorenkultur, die sich vom Dnjepr und Rumänien bis in das Hannoversche Wendland und von der Ostseeküste bis an die Donau und nach Böhmen erstreckt. Umbreit (1936), Priebe (1938), Beier (1988), Kirsch (1975; ders. 1991; ders. 1993) und Müller (2001, 192ff.) behandelten diese Kultur für unseren und den mitteldeutschen Nachbarraum.
Typisch sind kugelbauchige Amphoren mit engem zylindrischen Hals, meist mit zwei Henkelösen am Halsansatz versehen (Abb. 1). Ferner gibt es Amphoren mit Standboden, sogenannte Kalottenschalen, das sind rundbodige weitmundige flache Gefäße, weitmundige Töpfe mit Standboden, Trichterrandschalen, Tassen und Näpfe (Abb. 2-7). Typisch sind auch konische unverzierte Gefäße mit Warzenkranz unter dem Rand. Die meisten Gefäße sind am Hals und auf der Schulter mit eingestochenen oder eingedrückten Mustern flächig verziert, die auf der Schulter oft in einem Fransen- oder Dreiecksmuster abschließen. Markant sind rhombische Motive und ausgesparte Winkelbänder, Ritzmuster, Bogenstich, Punktstich und Kerbstich, Schnureindrücke sowie weitere Verzierungsarten (Abb. 1–7).
Zugehörige Steingeräte sind allseitig überschliffene Feuersteinbeile und –meißel (Abb. 8) und Felsgesteinbeile. Die fein geschliffenen und polierten Feuersteinbeile haben oft eine Hohlschliffschneide, die sie als Dechsel (Querbeil) zur Holzbearbeitung ausweisen. Charakteristische Waffen für die Kugelamphorenkultur sind schmale Felsgesteinäxte mit ovalem Schaftloch und ausgeprägtem Nackenkamm (Abb. 8). Ein verziertes Geweihgerät von Ketzin (Landkreis Havelland) kann wohl als Waffe, als Keule oder auch als Würdezeichen interpretiert werden (Abb. 9). Als Bestandteil der Tracht gelten knöcherne Gürtelverschlussplatten, die sie mit der -> Schnurkeramik gemein haben (Abb. 10).
Neben den Nachweisen für verschiedene Nutzpflanzenarten sind für diese Kultur Rinderdoppelbestattungen ein Hinweis auf die Bedeutung der Viehhaltung (Behrens 1964). Daneben gibt es auch Hinweise auf Ackerbau.
Die Körpergräber sind als Einzelgräber oder in kleinen Grabgruppen (Dahme / Landkreis Teltow-Fläming, Ketzin: Kirsch 1993; Waltersdorf / Landkreis Dahme-Spreewald: Govedarica 2002; Potsdam, Ketzin: Beran/Hensel/Richter 2016) überliefert. Gräber sind auch an größeren Findlingen gefunden worden. Die Toten wurden oft auf dem Rücken liegend in Ost-West-Richtung oder ähnlicher Lage beigesetzt, die Hände zum Kopf angewinkelt, den Schädel häufig im Osten (Fischer 1956). Abweichungen sind möglich. Selten sind Brandbestattungen (Rehfeld bei Kyritz / Landkreis Ostprignitz-Ruppin: Geisler 1971; Potsdam: Hensel/Beran 2014; Beran/Hensel/Richter 2016). Häufig sind Beigaben von Tierknochen, oft vom Schwein, das eine gewisse Rolle in der Wirtschaft besaß. Ebenso deuten Bestattungen von Rindern neben den Körpergräbern ihre Bedeutung für den Kult an.
Trepanationen (operative Schädelöffnungen) sind an verschiedenen Schädeln von Menschen dieser Kultur im Havelland festgestellt worden (Ullrich 1971; Lidke 2006) (Abb. 11). Sie hatten nachweislich höhere Überlebenschancen als im Mittelalter (Behm-Blancke 1964). Siedlungsspuren sind kaum erhalten und meist wenig aussagekräftig. In Potsdam-Nord konnte eine tiefe zylindrische Speichergrube mit reichhaltigem Material freigelegt werden (Beran/Richter 2019). Unter mittelalterlichen Schichten wurde in der Altstadt Brandenburg (Havel) ein Grubenhaus von 3 x 4 m freigelegt (Rathert 2000, S. 54). Enge Verbindungen zeigen Befunde und Keramiken mit der -> Havelländischen Kultur und der -> Bernburger Kultur.
Kirsch kartierte die Verbreitung der Keramik (Kirsch 1993, Karten 9 und 10), der Äxte mit Nackenkamm (Kirsch 1993, Karte 14), der Körperflachgräber (Kirsch 1993, Karte 16) und kultische Funde (Kirsch 1993, Karte 19).
Literatur
Behm-Blancke, Günter: Zur Herkunft der neolithischen „Neurochirurgenschule“ in Mitteldeutschland. In: Ausgrabungen und Funde 9 (1964), S. 238–242.
Behrens, Herrmann: Die neolithisch-frühmetallzeitlichen Tierskelettfunde der Alten Welt. Berlin 1964.
Beier, Hans-Jürgen: Die Kugelamphorenkultur im Mittelelbe-Saale-Gebiet und in der Altmark (= Veröffentlichungen des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt – Landesmuseum für Vorgeschichte Halle, 41). Berlin 1988.
Beran, Jonas / Heller, Markus: Uckermärker im Havelland? Eine Grabgruppe der Trichterbecherkultur von Potsdam-Nedlitz. In: Archäologie in Berlin und Brandenburg 2016. Darmstadt 2018, S. 36–38.
Beran, Jonas / Hensel, Nicola / Richter, Frank: Ein Brand- und Körpergräberfeld der Kugelamphorenkultur am Alten Markt in Potsdam. In: Beran, Jonas / Einicke, Ralph / Schimpf, Volker / Wagner, Karin / Weber, Thomas (Hrsg.): Lehren – Sammeln – Publizieren. Dem Hochschullehrer, Museumsmann und Verleger Hans-Jürgen Beier zum 60. Geburtstag von Freunden und Kollegen gewidmet. Leipzig 2016, S. 207–230.
Beran, Jonas / Richter, Frank: Trichterbecher, Kugelamphoren und Glockenbecher – weitere Komplettierung des neolithischen Siedlungsbildes im Potsdamer Norden. In: Archäologie in Berlin und Brandenburg 2018. (im Druck).
Fischer, Ulrich: Die Gräber der Steinzeit im Saalegebiet (= Vorgeschichtliche Forschungen, 15). Berlin 1956.
Geisler, Horst: Ein Brandgrab der Kugelamphorenkultur aus Rehfeld, Kr. Kyritz. In: Ausgrabungen und Funde 16 (1971), S. 128–131.
Götze, Alfred: Neolithische Kugel-Amphoren. In: Zeitschrift für Ethnologie 32 (1900), S. 154–177.
Götze, Alfred: Monolithgräber. In: Zeitschrift für Ethnologie 36 (1904), S. 112–115.
Govedarica, Blagoje: Urgeschichtliche Gräber vom Fundplatz Waltersdorf 26, Landkreis Dahme-Spreewald. In: Arbeitsberichte zur Bodendenkmalpflege in Brandenburg 10 (2002), S. 253–262.
Grebe, Klaus: Gräber der Kugelamphorenkultur aus Ketzin, Kr. Nauen, und Brandenburg (Havel)-Neuendorf. In: Veröffentlichungen des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam 1 (1962), S. 16–35.
Hensel, Nicola / Beran, Jonas: Die Bewohner der Steinzeitburg. Ein Brand- und Körpergräberfeld der Kugelamphoren- und Schnurkeramikzeit am Alten Markt in Potsdam. In: Archäologie in Berlin und Brandenburg 2013. Darmstadt 2014, S. 36–39.
Kirsch, Eberhard: Die Funde der Kugelamphorenkultur im Bezirk Cottbus. In: Symbolae Praehistoricae. Festschrift zum 60. Geburtstag von Friedrich Schlette. Berlin 1975, S. 133–152.
Kirsch, Eberhard: Die Havelländische Kultur und ihre kulturellen Beziehungen. In: Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte 63 (1981), S. 99–111.
Kirsch, Eberhard: Die Bestattungssitten der Kugelamphorenkultur in den brandenburgischen Bezirken. In: Horst, Fritz / Keiling, Horst (Hrsg.): Bestattungswesen und Totenkult in ur- und frühgeschichtlicher Zeit. Beiträge zu Grabbrauch, Bestattungssitten, Beigabenausstattung und Totenkult. Berlin 1991, S. 75–82.
Kirsch, Eberhard: Funde des Mittelneolithikums im Land Brandenburg (= Forschungen zur Archäologie im Land Brandenburg, 1). Potsdam 1993.
Kirsch, Eberhard: Beiträge zur älteren Trichterbecherkultur in Brandenburg (= Forschungen zur Archäologie im Land Brandenburg, 2). Potsdam 1994.
Kirsch, Eberhard / Plate, Friedrich: Der Gallberg bei Zachow, Kr. Nauen - ein mittelneolithischer Kultplatz. In: Veröffentlichungen des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam 24 (1990), S. 27–43.
Lidke, Gundula: Löcher in den Schädeln. Spuren von Trepanationen und Traumata an neolithischem Schädelmaterial Mecklenburg-Vorpommerns, Schleswig-Holsteins, Niedersachsens und Brandenburgs. In: Beier, Hans-Jürgen / AG Neolithikum (Hrsg.): Varia Neolithica IV. Langenweißbach 2006, S. 55–62.
Müller, Johannes: Zur Radiocarbondatierung des Jung- bis Endneolithikums und der Frühbronzezeit im Mittelelbe-Saale-Gebiet (4100–1500 v. Chr.). In: Bericht der Römisch Germanischen Kommission 80 (1999/2001), S. 31–90.
Müller, Johannes: Soziochronologische Studien zum Jung- und Spätneolithikum im Mittelelbe-Saale-Gebiet (4100–2700 v. Chr.) (= Vorgeschichtliche Forschungen, 21). Rahden/Westfalen 2001.
Priebe, Hans: Die Westgruppe der Kugelamphoren. Halle 1938.
Rathert, Dietmar: Von Kugelamphoren zu Kugeltöpfen. Die Brandenburger Altstadt als eine der frühesten deutschmittelalterlichen Siedlungen im Land Brandenburg, gelegen über einer neolithischen Siedlungsstelle. In: Historischer Verein Brandenburg (Havel) e. V. (Hrsg.), 9. Jahresbericht 1999-2000. Brandenburg an der Havel 2000, S. 53–56.
Schumann, Hugo: Die Steinzeitgräber der Uckermark. Prenzlau 1904.
Sprockhoff, Ernst: Die Kulturen der Jüngeren Steinzeit in der Mark Brandenburg (= Vorgeschichtliche Forschungen, 4). Berlin 1926.
Ullrich, Herbert: Skelette und trepanierte Schädel der Kugelamphorenleute aus Ketzin, Kr. Nauen. In: Veröffentlichungen des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam 6 (1971), S. 37–55.
Umbreit, Carl: Neue Kugelflaschenfunde aus der Mark Brandenburg. In: Mannus 28 (1936), S. 3–18.
Abbildungsnachweis
Abb. 1 BLDAM, Foto D. Sommer.
Abb. 2 BLDAM, Foto D. Sommer.
Abb. 3 BLDAM, Foto D. Sommer.
Abb. 4 BLDAM, Foto D. Sommer.
Abb. 5 BLDAM, Foto D. Sommer.
Abb. 6 Stadtmuseum Berlin, Reproduktion: Unbekannter Fotograf, Grabungsfoto mit neolithischen Funden, Mark Brandenburg; © Stiftung Stadtmuseum Berlin.
Abb. 7 BLDAM, Foto D. Sommer.
Abb. 8 Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Vor- und Frühgeschichte, versch. Inv.nrn., BLDAM, Foto D. Sommer.
Abb. 9 BLDAM, Foto D. Sommer (s. auch Abb. 56 Havellandführer, Wetzel, S. 155).
Abb. 10 BLDAM, Foto D. Sommer.
Abb. 11 BLDAM, Archäologische Landesausstellung im Paulikloster Brandenburg/Havel, Foto G. Wetzel.
Empfohlene Zitierweise
Wetzel, Günter: Kugelamphorenkultur (um 3300/3100–2700 v. Chr.), publiziert am 04.06.2019; in: Historisches Lexikon Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.de (TT.MM.JJJJ)
Kategorien
Epochen: Frühzeit
Themen: Archäologie und Siedlung